LdN379 - Thüringen-Projekt

Liebes Lage-Team,

ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Thüringen-Projekt. Wir haben uns sehr über die ausführliche Besprechung unseres Policy Papers gefreut! Ich hätte nur eine kleine Korrektur zum Thema Landtagspräsidentin: Es stimmt nicht ganz, dass nach der GO ausschließlich die stärkste Fraktion einen Vorschlag machen kann. Das ist vielmehr gerade unklar. Die stärkste Fraktion hat jedenfalls zunächst das Vorschlagsrecht (so § 2 Abs. 2 S. 1 GO). Erreicht der Kandidat bzw. die Kandidatin dann bei der Wahl nicht die erforderliche Mehrheit (Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen, § 2 Abs. 1 S. 3 GO), wird ihr in der parlamentarischen Praxis ein weiterer Versuch zugestanden. Scheitert auch der, kommt § 2 Abs. 1 S. 4 GO zum Tragen: „Ergibt sich keine solche Mehrheit, können für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden.“ Diese Regelung wird so verstanden, dass dann auch andere Fraktionen Kandidaten und Kandidatinnen vorschlagen können. Man kann sie aber auch anders verstehen, dass weiterhin nur die stärkste Fraktion vorschlagen darf. Dann könnte diese im Extremfall nacheinander alle ihrer Abgeordneten vorschlagen, alle würden durchfallen und am Ende hätte man immer noch keine Landtagspräsidentin. Das zeigt auch, warum diese Auslegung nicht sinnvoll ist. Wir befürchten aber, dass sich die stärkste Fraktion bzw. insbesondere der diese erste Sitzung leitende Alterspräsident, der vielleicht selbst Mitglied der stärksten Fraktion ist, auf den Standpunkt stellen könnte, dass niemand sonst vorschlagen darf. Mit dem Wortlaut lässt sich auch diese Auslegung vereinbaren und mit dem Verweis auf ein vermeintliches Recht der stärksten Fraktion auf diesen Posten ließe sie sich rechtfertigen - auch wenn es dieses Recht nicht gibt, denn die Wahl ist nun einmal notwendige Voraussetzung und die anderen Abgeordneten können nicht dazu gezwungen werden, jemanden aus der stärksten Fraktion zu wählen (Stichwort freies Mandat). Trotzdem besteht wie bei der Ministerpräsidentenwahl damit eine Unsicherheit, die im Zweifel gerichtlich geklärt werden müsste. Wiederum parallel zum MP-Wahl bei Szenario (wenn nur ein Kandidat antritt und weniger Ja- als Nein-Stimmen erhält, sodass der Meinungsstreit um die Formulierung „die meisten Stimmen“ in Art. 70 Abs. 3 S. 3 ThürVerf zum Tragen kommt) bestünde dann bis zu einer Entscheidung des Gerichts Unsicherheit darüber, ob eine Landtagspräsidentin gewählt werden könnte und damit, ob der Landtag überhaupt seine Arbeit aufnehmen kann. Deshalb schlagen wir vor, die sowieso herrschende Auslegung, dass auch andere Fraktionen für weitere Wahlgänge Vorschläge machen können, in der GO klarzustellen.

Viele Grüße

Juliana

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Hallo liebes Lage-Team,
ich habe vor einer Woche an diverse Landtagsabgeordnete in Thüringen geschrieben, dass ich mich sehr um unsere Demokratie sorge, und sie doch bitte zügig über die sehr konkreten Vorschläge aus dem Thüringen-Projekt diskutieren und möglichst auch Verfassungsänderungen beschließen sollen.
Heute nun kam eine erste Antwort vom Fraktionsvorsitzenden der Linken - ich denke, das interessiert euch vielleicht.
Die Haltung der Linken dazu - und das wusste ich nicht - scheint zu sein, dass sie.verfassungsrechtliche Änderungen eher ablehnen (nachzulesen auf der Website von Steffen Dittes, Stichwort „Der dritte Wahlgang“). Die „was wäre wenn“ Szenarien hält die Linke für ein „Armutszeugnis für die Verantwortung tragenden politischen und demokratischen Akteure“, da sie immer voraussetzten, dass irgendwelche unerwarteten Zustände wie am 5.2.20 passieren könnten. Er schreibt, „Es ist ein Armutszeugnis, heute vom Scheitern der Demokraten zum Schaden der Demokratie auszugehen und daran eine Verfassungsregelung ausrichten zu wollen“. Er unterstellt außerdem, dass es bei Gesetz und Verfassungsänderungen „zwangsläufig immer um den Abbau von Mitwirkungsrechten von Minderheiten an demokratischen Prozessen“ geht, und es somit eine schlechte Idee sei, „Demokratieabbau zum Schutze der Demokratie“ zu betreiben.
Er meint, die Demokratie sei ja mitnichten wehrlos im Falle AfD, das beste Schwert außer dem Zusammenhalten der Demokraten sei die Prüfung eines Parteiverbots.
Ich war ehrlich gesagt etwas irritiert, weil ich dachte, dass es unbedingt Sinn macht, Drmokratiefeinden möglichst keine Instrumente in die Hand zu geben, mit denen sie die Verfassung aushöhlen können.
Ich bin gespannt, ob ich noch weitere Antworten bekomme…
Liebe Grüße, Dorothee

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Moin,

die Sorge, dass in großem Stil „politische Beamte“ ausgetauscht werden könnten, sollte sehr ernst genommen werden. Allerdings könnte in allen Bundesländern der Kreis dieser politischen Beamten viel zu großzügig gezogen worden sein. Man sollte dies auch ohne das Problem „AfD“ angehen.

Professor Dr. Josef Franz Lindner macht in der neuesten NVwZ in seinem Aufsatz " Aktuelle Entwicklungen im Recht der politischen Beamten" auf den Beschluss des BVerfG vom 24. April 2018 – 2 BvL 10/16 „Regelungen zum Hochschulkanzler auf Zeit verfassungswidrig“ aufmerksam, weil gerade eine weitere Entscheidung des BVerfG zum Thema ansteht. Da geht es um den nach de berühmten Silvesternacht 2015/16 in den einstweiligen Ruhestand versetzten Polizeipräsidenten von Köln. Das OVG Münster hat den Fall mit einem Vorlagebeschluss vom 15. Dezember 2021 – 6 A 739/18 an das BVerfG herangetragen. Zentrale Aussage des Beschlusses in seinen Rn. 62 und 63:

"§ 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW ist zur Überzeugung des Senats mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar.

Zu den hergebrachten Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG, die der Gesetzgeber nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten hat, gehört das Lebenszeitprinzip in Form der lebenszeitigen Übertragung aller (Status-)Ämter (I.). Die Zuordnung der Polizeipräsidenten zum Kreis der politischen Beamten i. S. v. § 37 Abs. 1 LBG NRW und die damit bestehende Möglichkeit ihrer jederzeitigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand verletzt den Kernbereich des Lebenszeitprinzips und damit die institutionelle Garantie aus Art. 33 Abs. 5 GG (II.)."

Dazu auch die Pressemitteilung des OVG Münster vom 15. Dezember 2021 „Einstufung von Polizeipräsidenten als politische Beamte verfassungswidrig“

Eine solche Entscheidung hätte es auch schon vor mehr als 20 Jahren geben können, als der damalige Innensenator Schill in Hamburg als eine der ersten Amtshandlungen den Polizeipräsidenten Justus Woydt entließ und durch einen ihm besser geeigneten Kandidaten ersetzte. Da dieser aber wohl auch nicht mit dem neuen Innensenator zusammenarbeiten wollte und auch im damaligen Pensionierungsalter war, hatte er sogar vorzeitig seinen Abschiedsempfang organisiert und hat dann auch nicht geklagt.

Bei solchen Klagen werden die Grundsätze des Berufsbeamtentums immer in Gänze mit behandelt. Bund und Länder hätten auf den bereits sechs Jahre alten BVerfG-Beschluss mit einer Verkleinerung des Kreises politischer Beamter reagieren sollen, damit auch der große Kreis höchster Beamter als Diener des Staats und nicht als Diener der Regierung wahrgenommen werden.

Vielleicht sind die Probleme, die die AfD nun verursachen könnte, Bund und Ländern ein guter Anlass, das Recht an das Grundgesetz anzupassen.

Viele Grüße
Frank