LdN 397 Interview Annalena Baerbock unter dem Gesichtspunkt des russischen Angriffskriegs

Nur Vorweg: Ich verurteile den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und halte nichts von diesen ganzen Diskussionen über „man muss Russland aber auch verstehen.“ Ich finde das ganze "einfach mal mit Russland reden und schon gibt es Frieden gerede (was ja selbst die CDU bei den ostdeutschen Landtagswahlen präsentiert hat) total bescheuert.
Nachdem ich das in aller Deutlichkeit gesagt habe, wollte ich drauf verweisen, dass die Leitlinien der deutschen Außenpolitik die Frau Baerbock im Interview vorgestellt hat, mit Blick auf Russland aber offensichtlich keine Anwendung finden. Zu Israel sagte sie:

-Wir dürfen Israel nicht isolieren, weil da nicht nur die Tür zu Netanjahu verschlossen wurde sondern zwischen zwei Ländern. (1:41:30) Die gewachsene Freundschaft mit den Menschen Israels sei ein kostbares Gut für das wir angesichts der historischen Verbrechen Deutschlands dankbar sein müssten.
Das klingt alles total toll, aber wenn das die Orientierungspunkte sind - Freundschaft und historische Verantwortung jenseits einzelner Regierungen - dann frage ich mich, warum die Bundesregierung gegenüber Russland so anders agiert? Ich weiß, da liegen die Agressorkarten im Konflikt anders und Putin lässt nicht mit sich reden, aber wenn Freundschaft nach historischer Tragödie in Israel „problematische Regierung“ trumpft - warum tut es in Russland nicht?

  • Wenn es Frau Baerbock / der deutschen Außenpolitik so wichtig ist sich gegenüber Israel - trotz schwieriger Regierung - nicht zu isolieren, damit man noch auf sie einwirken kann - warum ist das dann nicht der grundsätzliche Ansatz gegenüber Russland? Klar, auch ich erinnere mich an die früheren Besuche europäischer Politiker in Russland die nichts gebracht haben - deshalb hat man dort dann aufgegeben und auf Isolation gesetzt. Obwohl Frau Baerbock im gesamten Interview durchblicken lässt, dass sie Netanjahu problematisch findet und dieser sich offensichtlich nicht reinreden lässt, besteht sie aber darauf, dass „bloß nicht isolieren“ dennoch das wichtigste ist. Aber verfolgen wir dann im Vergleich Russland und Israel dann hier nicht eine letztendlich inkonsistente politische Haltung?

Mir ist zumindest ein bisschen unklar wie die Außenministerin hier die Fahrspur zwischen „isolieren“ und „bloß nicht isolieren“ wählt. Ich sage damit weder, dass wir unsere Haltung gegenüber Russland oder Israel ändern sollten und mir ist auch bewusst, dass die Konflikte einige andere Parameter haben. Aber nach den Parametern die sie genannt hat, ist für mich zumindest mal nicht auf der Hand liegend, warum „Kommunikation“ vs. „Isolation“ in beiden Konflikten so unterschiedlich umgesetzt wird. Ich sag auch nicht, dass Frau Baerbock das auf Nachfrage nicht erklären könnte. Ich sage nur, dass die Argumente die man hier zu Israel so weggehört hat und wo ich dachte „klingt logisch“, mir im Nachhinein doch nicht zwangläufig eindeutig erschienen.

Das „Norwegen“-Argument fand ich im übrigen total doof. Klar hat Israel Norwegen für die Anerkennung des palästinensischen Staates einfach abgesägt. Aber hier geht es doch um eine kritische Masse: Wenn genügend wichtige Staaten den palästinensischen Staat anerkennen, dann kann Israel nicht zu allen den Kontakt abrrechen - die brauchen ja auch Hilfe. Also dieses „sonst isolieren wir uns und können nicht mehr mit denen reden“ erscheint mir hier so ein wenig ein Scheinargument, denn wenn Deutschland zusammen mit USA, Frankreich und GB da einen Schritt geht, dann isoliert Israel nicht mehr einzelne Staaten, sondern ist selbst isoliert, wenn es sich nicht bewegt. Sie hat ja dargelegt, dass man das vor allem nicht macht, weil man Angst davor hat, dass Israel sonst die Lage in Gaza weiter verschlimmert. Wie aber der von ihr geforderte Weg zur zwei Staaten-Lösung aussehen soll, bei der ein palästinensischer Staat am Anfang (und nicht am Ende des Weges stehen soll!), wenn man stets so auf israelischen Druck reagiert ist mir überhaupt nicht klar geworden. Und wie diese Zurückhaltung dann zu dem eingangs genannten „Freundschaft ist für mich dem anderen klar sagen was Sache ist“ passt, ist mir dann auch nicht klar. Also klar kann sie nicht alle Widersprüche oder den Nahostkonflikt einfach so auflösen, aber stellenweise finde ich wurde bei den Positionen ein wenig rumgeeiert.

Das waren einfach so ein paar Sachen, die ich beim Hören inhaltlich inkonsistent fand. Ich bitte das nicht als misogyn motiviertes Charakterattentat auf Frau Baerbock auszudeuten - sie ist mir die liebste Ampelpolitikerin (low bar, but still).

Ganz deutlich, und im Gegensatz zur eben geäußerten Kritik, möchte ich positiv hervorheben, dass sie bei den Lösungsansätzen / ihrer Vision zur Lösung des Konflikts recht konkret geworden ist und es dort nicht einfach so in die Zukunft verschoben hat a la „wir müssen jetzt erstmal den Konflikt beenden“. Ínsgesamt habe ich das Interview aber als Bereicherung emfpunden.

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Die Frage ist sicherlich: Ab welchem Punkt ist „Isolation“ der richtige Weg und bis zu welchem Punkt sollte man es bei „freundschaftlicher Ermahnung“ bealssen.

Israel ist immer noch eine funktionierende Demokratie und ein Rechtsstaat, wenn auch letzteres im Hinblick auf die von Siedlern bedrohten Palästinenser nicht zu funktionieren scheint. Dennoch: Es gibt die berechtigte Hoffnung, dass sich die Dinge dort zum Guten wenden könnten.

Russland ist durch den Angriffskrieg auf eine Stufe mit Nordkorea gegangen, der Iran durch seinen massiven Antisemitismus ebenfalls. Mit diesen Staaten kann man aktuell nicht zusammen arbeiten, man muss sie daher so gut wie möglich isolieren.

China steht aktuell irgendwo dazwischen - es ist zwar keine Demokratie und verletzt auch fortwährend internationales Recht, hat sich aber (noch?) nicht völlig aus der internationalen Gemeinschaft verabschieden, indem es etwas tut, was absolut inakzeptabel ist, wie einen Krieg mit hunderttausenden Toten zu führen.

Es ist wirklich immer die Frage der Abgrenzung - irgendwann muss man isolieren. Die Frage ist: Ist dieser Punkt in Israel schon erreicht? Ich persönlich denke nicht - man kann mit Israel noch arbeiten, es gibt noch eine berechtigte Hoffnung, dass der Krieg in Gaza bald endet und eine Regierung an die Macht kommt, die die Siedlergewalt nicht ignoriert. In Russland, Nordkorea oder dem Iran bräuchte es eine Revolution dafür, in Israel reicht eventuell eine Wahl…

Das sehe ich ähnlich, das Argument hielt ich auch für schwach. Allerdings sollte Deutschland dafür mit Frankreich kooperieren und beide Staaten sollten zusammen agieren, eben um als „die zwei größten Volkswirtschaften der EU“ weniger anfällig für Gegenreaktionen zu sein. Auch andere europäische Staaten sollte man dafür - wenn möglich - in’s Boot holen. Ich sage ganz klar, dass ich für eine Anerkennung Palästinas unter der PA bin (mit gleichzeitiger klarer Nicht-Anerkennung der Hamas im Gaza-Streifen; das würde auch die PA in Gaza stärken…).

Das ist ein größeres Fass und es wäre vermutlich sinnvoll gewesen, dafür einen neuen Thread aufzumachen.
Wenn man Olaf Scholz so zuhört, begründet er Deutschlands Abwägungen bei den Waffenlieferungen auch damit, es sich nicht zu sehr mit Russland zu verderben. Was Deutschland tut, ist, einen Freund davor zu bewahren, einen schweren Fehler zu machen.
Russland weiß auch, dass, wenn sie den Krieg beenden, Deutschland den verloren geglaubten Bruder sofort wieder in seine liebevollen Arme schließen würde.

Es gibt schon ein paar fundamentale Unterschiede zwischen Israel und Russland, die diesen unterschiedlichen Ansatz bei der Diplomatie erklären können:

  • Israel ist eine Demokratie. Russland ist es nicht. Es macht Sinn, bei den Beziehungen zu Israel auch die Beziehungen zur Bevölkerung insgesamt, zur Opposition usw. mitzudenken und sich hier Türen offenzuhalten. Bei Russland ist das irrelevant, da es innerhalb Russlands praktisch keine Opposition zu Putin gibt, auf deren Machtergreifung man in nächster Zeit hoffen könnte (was natürlich nicht bedeutet, dass man diese Opposition nicht im Ausland, also bei uns, fördern sollte).
  • Netanjahu ist sicherlich gegenüber allein Deutschland wenig kompromisswillig, aber er ist abhängig von einem komplexen Machtstruktur, zu der nicht nur extremistische Parteien und Politiker gehören. Er reagiert auf Druck, wenn er von der richtigen Stelle kommt. Es gibt zudem anderer Institutionen im Staat Israel, die auf seine Handlungen Einfluss ausüben können. Dagegen ist Putin ein ziemlich unangefochtener Alleinherrscher, der sich (aktuell) der Unterstützung und Loyalität praktisch aller wichtigen Personen und Institutionen in der Gesellschaft sicher sein kann. An ihm führt kein Weg vorbei, wir haben praktisch keine direkten Einflussmöglichkeiten auf sein Denken und Handeln durch rein diplomatische Bemühungen.
  • Israel hat ein nachvollziehbares und legitimes Sicherheitsbedürfnis, dass bei jeder Lösung des Konflikts berücksichtigt werden muss. Ich glaube hier sind sich alle einig, dass die militärische Antwort Israels in Gaza weit über das notwendige und empfehlenswerte hinausgeht. Aber die Sicherheit Israels ist tatsächlich in Gefahr. Russland hat dagegen einen rein imperialistisch motivierten Angriffskrieg vom Zaun gebrochen, für den es keinerlei Rechtfertigung unter internationalem Recht oder moralischen Gesichtspunkten gibt.

Ich habe Baerbock so verstanden, dass es ihr in erster Linie um die Konsequenzen für die Lebensrealität der Palästinenser ging. Die Anerkennung Palästinas durch Norwegen hat ihrer Aussage nach zum Einfrieren norwegischer Gelder durch Israel geführt, die für die humanitäre Unterstützung der Palästinenser gedacht waren. Deutschland und andere Länder mussten die Finanzierung übernehmen. Das wäre ihrer Darstellung nach nicht möglich gewesen, wenn Deutschland den selben Schritt wie Norwegen gegangen wäre.

Man kann diesen Sachverhalt anders bewerten, aber die Argumentation an sich finde ich schlüssig.

Ja idk. Die Türkei und die UAE haben durch ihre nicht isolierte Haltung kleinere diplomatische Erfolge herbeigeführt: Getreidelieferungen, Gefangenenaustausche etc. Das sind doch genau diese kleinen Erfolge in der Lebenswirklichkeit der Betroffenen, die man laut Baerbock nur herstellen kann, wenn man sich nicht isoliert. Die kann man gegenüber Russland aber, wie aus den eben genannten Initiativen ersichtlich, ganz genauso herstellen. Also wenn das Argument für die deutsch Haltung ist: bloß nicht isolieren, weil kleine Erfolge möglich sind (s. Norwegenfrage), dann denke ich immer noch, dass man Erfolge für betroffende Menschen hier ganz genauso herstellen könnte.

Da frage ich mich allerdings schon, ob Deutschland da die richtige Stelle ist. Ich meine die Amerikaner diskutieren seit Monaten ob sie ihre Waffenlieferungen an Israel an stärkere Bedingungen knüpfen sollten. Wir exportieren derartige Güter ja im Prinzip nicht mehr, wie gehört. Schafft es Deutschland denn auf die nicht extremistischen Politiker einzuwirken und so zu Netanjahu durchzudringen?

Aber die Gelder hat doch Israel gesperrt und diese Form der Sanktionierung können sie ja nur deshalb durchführen, solange einzelne kleine Länder sich von ihm abwenden. Wenn Israel auch seinen ansonsten großen Unterstützern so begegnet, dann bringt es sich ja selbst in Schwierigkeiten, weil es ja auch auf Unterstützer angewiesen ist. Also der „Druck“ für den du sagst das Netanjahu hier empfänglich ist, der wird an dieser Stelle ja gerade nicht aufgebaut, mit dem Argument dass es dann den Menschen schlechter ginge (was man übrigens in Russland gerne in Kauf nimmt, dass dort die Sanktionen, wie überall, nachweislich hauptsächlich die Menschen und nicht das Regime treffen).
Also dieses Argument, dass Israel weiterhin die Verhältnisse für die Palästinenser bewusst verschlechtert, wenn man nicht die Klappe hält und sich hinter Netanjahu stellt, dass vermittelt doch eher den Eindruck als würde sich die deutsche Außenpolitik erpressen lassen. In jedem Fall vermitteln mir die Aussagen hier nicht den Eindruck, dass wir eine schlüssige Position vertreten würden, die mit den vorher genannten Werten übereinstimmt.

Ich glaube du wirfst hier ein paar Sachen durcheinander. Deutschland isoliert Russland ja nicht im Sinne einer kompletten diplomatischen Isolierung. Wenn Putin wollte, könnte er jederzeit bei Baerbock anrufen und Vorschläge für konstruktive Maßnahmen machen. Es gibt ja auch immer noch eine russische Botschaft in Deutschland und umgekehrt.

Dass die angesprochenen kleineren Erfolge durch andere Staaten herbeigeführt wurden hat da eher was mit Vertrauen und Zuständigkeitsgefühl zu tun. Die Türkei versteht sich als Regionalmacht in der Schwarzmehrregion und Putin und Erdogan haben wohl ein recht gutes persönliches Verhältnis.

Ich verstehe die deutsche „Isolation“ Russlands eher im Sinne einer wirtschaftlichen und institutionellen Einhegung. Man kappt wirtschaftliche Handlungsmöglichkeiten und entzieht Russland Privilegien und Einflussmöglichkeiten in der internationalen Politik (z.B. Mitgliedschaft bei G7).

Ich würde ganz grundsätzlich den deutschen Einfluss in Israel nicht überbewerten. Man tut was man kann, aber auch wenn unser Selbstverständnis ein anderes ist ("größter Freund Israels, Staatsräson, etc.) werden wir in Israel selbst glaube ich eher als „ein wichtiges Land innerhalb der EU“ wahrgenommen.

Insofern würde ich von der deutschen Diplomatie keine wahnsinnigen Erfolge im Alleingang erwarten, eher die Einnahme einer konstruktiven Rolle im Zusammenspiel mit anderen Ländern (was ja auch der Sinn der Reise Baerbocks war, mit Blick auf vor allem regionale Partner).

Warum? Israel hat meines Wissens nach die vollständige Kontrolle über Geldflüsse nach Palästina. Es gibt in der israelischen Regierung glaube ich keinerlei Skrupel, humanitäre Zahlungen abzuschneiden. Ja, wenn sich alle Ländern auf einen gemeinsamen Kurs einigen würden, müsste sich Israel dem wohl beugen. Aber genau das ist doch das Problem. Und wenn z.B. einfach „nur“ die gesamte EU sich auf den selben Standpunkt stellen würde, der Israels Regierung nicht gefällt, hätte ich keinen Zweifel daran, dass Netanyahu dafür die Palästinenser leiden lassen würde.

Man kann auf Netanyahu keinen Druck aufbauen, den er an die Palästinenser weiterreichen kann. Das macht er gerne und ohne Skrupel. Ich finde es nicht falsch, dass Norwegen Palästina anerkannt hat, aber ich finde auch die Argumentation von Baerbock grundsätzlich nachvollziehbar.

Wenn ich „Druck auf Netanyahu“ sage, dann meine ich damit Maßnahmen, die tatsächlich ihn persönlich und seine direkten Verbündeten treffen. Also mehr Sanktionen gegen radikale Siedler. Meinetwegen auch gegen Regierungsangehörige, wenn man klare Verantwortlichkeiten nachweisen kann (was meiner Ansicht nach möglich sein sollte).

„Die Klappe halten und sich hinter Netanyahu stellen“ ist doch gerade das, was Baerbock nicht getan hat. Für diplomatische Verhältnisse war ihre Kritik am israelischen Vorgehen und an Netanyahu persönlich extrem deutlich.

Es ist schon ein Unterschied, ob man in Kauf nimmt, das Palästinenser nicht essen oder zur Schule gehen können, oder ob man Russen das neuste iPhone verweigert und sie nicht mehr in Europa Urlaub machen dürfen. Der russische Staat ist ohne weiteres in der Lage, die Grundversorgung seiner Bürger sicherzustellen. Die palästinensiche Autonomiebehörde ist es nicht und zwar maßgeblich, weil diese Möglichkeiten von Israel eingegrenzt werden.

Ich stimme dir in soweit zu, dass die Ziele „absolute Loyalität mit Israel“ und „Verteidigung der Rechte der Palästinenser“ nicht widerspruchslos sind. Und das spiegelt sich in der außenpolitischen Realität der deutschen Position wieder. Aber ich sehe ehrlich gesagt keinen großartigen Widerspruch mit der Reaktion auf den russischen Angriffskrieg.

Aber gute Diplomatie ist doch eben genau dass man eben beständig Einfluss auf Grund guter Beziehungen ausüber kann und nicht, dass man sagt: er könnte uns ja die ganze Zeit anrufen. Das ist doch genau das Argument was für Israel gemacht wird, dass man diese Position nicht aufgeben will. Ich hab jetzt keine Ahnung wie gut die UAE mit Putin vernetzt sind, aber Baerbock und Netanjahu haben ja auch nicht dieses persönliche Verhältnis.
Außerdem ist das Verhältnis zu Putin ja schlecht, weil man sich für die Isolation entschieden hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein EU Staat der sich eher wie die Türkei verhalten würde ebenfalls von Putin ein demonstrativ offenes Ohr erhalten würde, weil das in seinem Interesse liegt. (Übrigens denke ich auch nicht, dass das Verhältnis zur Türkei auf einer persönlichen Männerfreundschaft beruht, sondern auf den Interessen Russlands mit Meerengen etc.).

Um es ganz deutlich zu sagen: Ich finde die Sanktonen gegen Russland richtig und die Sanktionen der EU auch und möchte nicht dass das geändert wird. Ich finde nur dass - sofern „Kommunikation zu Gunsten kleiner Fortschritte die konkret gut für Menschen sind“ das zentrale Motto der deutschen Außenpolitik ist, sie eigentlich überall in diesen Dialog treten müsste, weil diese Fortschritte sonst ja gerade nicht erzielt werden können.

Aber das ist doch starker Tobak, in dieser Beschreibung klingt Netanjahu ja nun fast so autokratisch wie Putin. Ich kann in meinem Kopf irgendwie eine gewisse Dichotomie nicht auflösen: Denn einerseits sagt Frau Baerbock ja wir helfen den Menschen Israels unseren Freunden auch aus historischer Verantwortung und da geht es auch darum einen Freund der droht sich zu verlieren vor sich selbst zu schützen (so sinngemäß). Andererseits scheint das deutsche Handeln aber gleichzeitig doch nicht von der Solidarität mit den Menschen Israels geprägt zu sein, sondern vor der Sorge, dass die israelische Regierung unter Netanjahu - wie du es ja auch selbst schreibst - offensichtlich nicht davor zurückschreckt seine „Freunde“ durch die subtile Androhung humanitärer Verstöße oder zumindest Katastrophen zu disziplinieren.

Also ich bin total für die Unterstützung der israelischen Bevölkerung und auch die Hilfe zum Schutz gegen weitere Angriffe von außen (durch die genannten spezifischen Rüstungsgüter) oder was wir auch immer als Deutschland tun können. Aber diese positive Hilfsbereitschaft wird für mich irgendwie dadurch konterkarriert, dass man humanitäre Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Regierung offenbar zumindest mal erwägen muss, bevor man diplomatische Schritt ergreift.

Ich weiß immer nicht, ob man Druck gegen israelische Verantworungsträger aufbauen kann, solange sie von ihrem eigenen Staat geschützt werden. Aber ich denke wir können festhalten, dass vermutlich nur die USA (und die eigene Bevölkerung) Druck aufbauen könnten, der schmerzhaft genug wäre, Netanjahu Einhalt zu gebieten.Von daher ist es vermutlich ein wenig müßig darüber zu reden, was Deutschland hier kann und was nicht.

Gut seh ich ein, war zu polemisch von mir. Ich meinte hier aber selbstverständlich, die Anerkennung des palästinensischen Staates. Aber du hast schon recht: Frau Baerbock hat ziemlich deutlich gemacht, dass sie schon immer eine zwei-Staaten-Lösung favorisiert hat und die Position auch weiterhin hält. Das ist in dieser Frage wohl für diplomatische Verhältnisse ziemlich „laut“.

Das ist absolut richtig, dass in Russland (vermutlich) keiner verhungert und so war der Vergleich auch nicht gemeint. (und sollte auch die schlimmeren Zustände im Gaza streifen nicht relativieren). Es sollte nur herausstreichen, dass man sich fürchtet Druck auf Netanjahu aufzubauen aus Furcht, dass es für die Menschen schlimmer wird, das in Russland aber in Kauf nimmt. Klar sind das Äpfel und Apfelsinen die man hier vergleicht. Ich wollte nur daraufhinweisen dass dieser Grundsatz der durch Frau Baerbocks Interview klang „die Menschen (und kleine Verbesserungen ihrer Lebenssituation) stehen im Mittelpunkt und nicht Regime oder einzelne Politiker“ (so sinngemäß über Israel) hier nicht gleichwertig angewendet wird. Zumindest müsste die Russlandpolitik anders aussehen, wenn wir auch hier unsere Freundschaft zu den Menschen Russlands jenseits der Politik des Regimes in den Mittelpunkt stellen würden.
Aber ja der Vergleich krank schon daran, dass Russland allein verantworlich für den Ukrainekrieg ist, während Israels Situation deutlich ambivalenter ist. Denn Israel ist klar Opfer des Hamasterrors und damit in erster Linie klar Opfer, deren Regierung nur stellenweise (wenn es sich nicht an internationales Recht zum Schutz der Zivilbevölkerung hält bzw. deren Lage eindeutig verschlimmert) in die Täterrolle (wenn man das so nennen kann) rutscht.

Hm ja vielleicht ist auch das der Widerspruch der sich beim hören bermerkbar macht. Dieses „wir helfen den Palästinensern dadurch, dass wir ihnen nicht den Wunsch erfüllen ihren Staat (und einer klaren Perspektive) anzuerkennen, sondern nur ein Maß an Kritik üben, was Israel reizt ihre Lage nicht weiter zu verschlechtern (oder stellenweise mal zu verbessern)“ ist vielleicht einfach ein wenig mehr diplomatisches Richochet als der einfache Gedanke „das Wohl der Menschen steht im Vordergund“ vermuten lässt.

Ohne jetzt die ganze Diskussion verfolgt zu haben: Beide Aussagen scheinen mir doch etwas pauschal zu sein. Zum einen gibt es in Russland sowohl nennenswerte Versorgungslücken, vor allem bei ärmeren Menschen in der tiefen Provinz. Diese haben sich vielfach durch den Krieg noch dramatisch verschärft. Sicherlich wäre Russland theoretisch aufgrund seiner Ressourcen zu einer ausreichenden Versorgung in der Lage - das ist aber eine andere Frage. Im Falle der Palästinensischen Autonomiebehörde ¶ und der Hamas stellt sich eine ähnliche Frage: Auch hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen dem, was theoretisch möglich wäre und dem, was praktisch passiert - im Falle der PA vor allem aufgrund von Korruption und im Falle der Hamas, weil sie sie schlicht nicht will. Sie hat mehrfach erklärt, dass sie die Versorgung der Bevölkerung im Gazastreifen nicht als ihre Aufgabe ansieht. Darum sollen sich Israel, andere Staaten und internationale Hilfsorganisationen kümmern. Gleichzeitig gibt es auch dort von Korruption und Klemptomanie geprägte Strukturen die zum Teil zu einer erheblichen Verteuerung von Gebrauchsgütern führen. Das war oftmals schon vor dem 7. Oktober 2023 der Fall und hat sich seitdem dramatisch verschärft. Dass Versogungsprobleme in der West Bank und im Gazastreifen allein auf Israel zurückzuführen sind, ist jedenfalls nicht korrekt.

Nein, das ist die Frage. Russland hat ein sattes Haushaltsplus und gibt Unsummen für das Militär aus. Der russische Staat ist zudem recht gut darin, Importsanktionen zu umgehen, um an Rüstungsgüter zu kommen (entsprechend ist es unglaubwürdig zu behaupten, dass die Sanktionen die Beschaffung lebenswichtiger Güter behindern). Putin könnte zudem jede Sanktion abwenden, indem er den Angriffskrieg gegen die Ukraine einstellt. Die Verantwortung für Versorgungslücken in Russland liegt zu 100% bei Putin und seinem Regime.

Das habe ich auch so nicht behauptet. Ich habe gesagt, dass Israel Kontrolle über Geldflüsse hat. Das stimmt meines Wissens auch, genauso wie für viele Waren und Dienstleistungen. Ich habe nicht gesagt, dass Israel diese Kontrolle in der Vergangenheit genutzt hat, um diese Versorgungswege komplett abzuschneiden – obwohl es von Palästinensern und Hilfsorganisationen schon seit Jahrzehnten Vorwürfe gibt, dass die Allokationen für Importe in die Westbank und Gaza nicht ausreichen, um den Bedarf vollständig zu decken und Importe immer wieder ohne Vorwarnung verzögert oder kurzzeitig unterbunden werden.

Es ging mir aber in erster Linie um die Kapazität der israelischen Regierung, die Westbank (nicht Gaza!) von Geld- und Warenströmen abzuschneiden und den Willen, diese Kapazität als Bestrafung für die Handlungen westlicher Staaten (z.B. Anerkennung des Staats Israel) zu nutzen. Beides ist zweifellos gegeben und Baerbock scheint die Gefahr einer solchen Reaktion als real einzustufen.

Natürlich kann man an dieser Analyse zweifeln, oder sich auf den Standpunkt stellen, dass dieses Risiko es wert ist, wenn man dafür Palästina anerkennt und so Druck auf Israel aufbaut. Aber wenn man (wie es Baerbock offensichtlich tut) der Überzeugung ist, dass Israel eine deutsche Anerkennung als Anlass für einen solchen Bestrafungsmechanismus nutzen würde, dann ist Baerbocks Position durchaus legitim.

Außerdem muss man durchaus berücksichtigen, dass Baerbock hier nicht ihre persönliche Position, sondern den Konsens innerhalb der Bundesregierung wiedergibt (was sie ja auch ausdrücklich betont). Anders als gewisse FDP-Minister vertreten Baerbock (und auch Habeck) ziemlich konsequent die in der Regierungskoalition getroffenen Entscheidungen, auch wenn die sich mit ihren persönlichen Überzeugungen nicht zu 100% decken.

Es gibt aber keine guten Beziehungen zwischen Deutschland und Russland und daran ist zu 100% Russland schuld. Entsprechend ist die deutsche Diplomatie auf Russland angewiesen, solche guten Beziehungen wieder aufzubauen.

Weshalb sich Baerbock auch eher mit anderen Akteuren in Israel zu unterhalten scheint als mit Netanyahu.

Putin hat sich für Isolation entschieden. Ihm wurden beginnend mit den Minsker Abkommen jede Menge goldene Brücken gebaut, von der Nummer wieder runterzukommen. Jede Sanktionsrunde war mit konkreten Forderungen verbunden, deren Erfüllung zu deren Rücknahme führen würde. Deutschland war wirklich nicht das motivierteste Land, Russland den Rücken zu kehren und hier wären glaube ich immer noch viele Regierungspolitiker sehr dankbar, wenn sich Russland auch nur ein bisschen bewegen würde.

So wie Orban in Ungarn? Und was hat das gebracht? Eigentlich nur PR-Gewinne für Putin und Streit in Europa, was wiederum nur Putin nutzt.

Netanyahu ist Opportunist und meiner Ansicht nach einer Autokratie gegenüber nicht abgeneigt, wenn sie ihn an der Macht hält. Das zeigt ja auch die Wahl der Koalitionspartner. Wenn ihn das Schicksal der Palästinenser in irgendeiner Form interessieren würde, würde die Politik Israels völlig anders aussehen. Ich sehe jedenfalls keinerlei Belege dafür, dass Israels Politik unter Netanyahu die Palästinenser in irgendeiner Form schützen würde, wenn dies den Prioritäten Netanyahu auch nur ansatzweise widersprechen würde. Und gleichzeitig gibt es extrem viele Beispiele für Entscheidungen Netanyahus, die für Palästinenser viel Leid bedeuten und die auf enge opportunistische Erwägungen Netanyahus zurückgeführt werden können. Der Mann geht über Leichen, solange es seinen Interessen entspricht.

Fraglos ist es so, dass jegliche juristische, moralische etc. Schuld / Verantwortung bei Russland liegt - das bestreite ich nicht im Geringsten und die deutsche Politik muss ihm da auch nicht hinterherräumen. Alles was ich sage ist, dass Frau Baerbock zu Israel gesagt hat, dass sie die Diplomatie immer versucht dahingehend nutzbar zu machen, dass sie für die Menschen jenseits von Regimen/Regierungen da ist. Das hat im Kontext von Israel auch Sinn beim Hören gemacht, ist aber bei Russland ganz offensichtlich nicht die Maxime.Das liegt an den verschiedenen bereits genannten Parametern und wohl nicht zuletzt auch daran, dass es gegenüber Russland ne verbindliche EU Position gibt (während gegenüber Israel ja derzeit im Grunde jedes Land das selbst gestaltet).

Also erneut nicht falsch verstehen, die Position Deutschlands gegenüber Russland / das Sanktionsregime sind absolut legitim und angebracht, aber sie scheinen zumindest mal einem anderen Leitsatz zu folgen.
Das liegt primär an Russland, aber die deutsche Haltung ist ja kein Naturgesetz und hätte hier auch anders ausfallen können und auch hier den Nutzen von NIcht-Isolation zu Gunstern von potentiellen diplomatischen Siegen nach vorne stellen können. Die Position wäre selbst verständlich total kritikwürdig, aber man hätte auch hier diesen „der Mensch im Mittelpunkt“-Ansatz verfolgen können. (Während jetzt ja immer eher Putin im Mittelpunkt steht) Also der diplomatischen Kurs den Deutschland genommen hat ist vermutlich in vielerlei Hinsicht „richtig“ (im Sinne von angemessen), aber zwangsläufig ist er eben nicht, wenn man sich anschaut wie eng die Beziehungen zu Russland vor dem Ukrainekrieg waren.

Naja Orban ist ja so russlandfreundlich, dass er gar nichts bewegen wollte. Mit dem Kasper würd ich die deutsche Außenpolitik jetzt nicht vergleichen wollen.

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