Nur Vorweg: Ich verurteile den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und halte nichts von diesen ganzen Diskussionen über „man muss Russland aber auch verstehen.“ Ich finde das ganze "einfach mal mit Russland reden und schon gibt es Frieden gerede (was ja selbst die CDU bei den ostdeutschen Landtagswahlen präsentiert hat) total bescheuert.
Nachdem ich das in aller Deutlichkeit gesagt habe, wollte ich drauf verweisen, dass die Leitlinien der deutschen Außenpolitik die Frau Baerbock im Interview vorgestellt hat, mit Blick auf Russland aber offensichtlich keine Anwendung finden. Zu Israel sagte sie:
-Wir dürfen Israel nicht isolieren, weil da nicht nur die Tür zu Netanjahu verschlossen wurde sondern zwischen zwei Ländern. (1:41:30) Die gewachsene Freundschaft mit den Menschen Israels sei ein kostbares Gut für das wir angesichts der historischen Verbrechen Deutschlands dankbar sein müssten.
Das klingt alles total toll, aber wenn das die Orientierungspunkte sind - Freundschaft und historische Verantwortung jenseits einzelner Regierungen - dann frage ich mich, warum die Bundesregierung gegenüber Russland so anders agiert? Ich weiß, da liegen die Agressorkarten im Konflikt anders und Putin lässt nicht mit sich reden, aber wenn Freundschaft nach historischer Tragödie in Israel „problematische Regierung“ trumpft - warum tut es in Russland nicht?
- Wenn es Frau Baerbock / der deutschen Außenpolitik so wichtig ist sich gegenüber Israel - trotz schwieriger Regierung - nicht zu isolieren, damit man noch auf sie einwirken kann - warum ist das dann nicht der grundsätzliche Ansatz gegenüber Russland? Klar, auch ich erinnere mich an die früheren Besuche europäischer Politiker in Russland die nichts gebracht haben - deshalb hat man dort dann aufgegeben und auf Isolation gesetzt. Obwohl Frau Baerbock im gesamten Interview durchblicken lässt, dass sie Netanjahu problematisch findet und dieser sich offensichtlich nicht reinreden lässt, besteht sie aber darauf, dass „bloß nicht isolieren“ dennoch das wichtigste ist. Aber verfolgen wir dann im Vergleich Russland und Israel dann hier nicht eine letztendlich inkonsistente politische Haltung?
Mir ist zumindest ein bisschen unklar wie die Außenministerin hier die Fahrspur zwischen „isolieren“ und „bloß nicht isolieren“ wählt. Ich sage damit weder, dass wir unsere Haltung gegenüber Russland oder Israel ändern sollten und mir ist auch bewusst, dass die Konflikte einige andere Parameter haben. Aber nach den Parametern die sie genannt hat, ist für mich zumindest mal nicht auf der Hand liegend, warum „Kommunikation“ vs. „Isolation“ in beiden Konflikten so unterschiedlich umgesetzt wird. Ich sag auch nicht, dass Frau Baerbock das auf Nachfrage nicht erklären könnte. Ich sage nur, dass die Argumente die man hier zu Israel so weggehört hat und wo ich dachte „klingt logisch“, mir im Nachhinein doch nicht zwangläufig eindeutig erschienen.
Das „Norwegen“-Argument fand ich im übrigen total doof. Klar hat Israel Norwegen für die Anerkennung des palästinensischen Staates einfach abgesägt. Aber hier geht es doch um eine kritische Masse: Wenn genügend wichtige Staaten den palästinensischen Staat anerkennen, dann kann Israel nicht zu allen den Kontakt abrrechen - die brauchen ja auch Hilfe. Also dieses „sonst isolieren wir uns und können nicht mehr mit denen reden“ erscheint mir hier so ein wenig ein Scheinargument, denn wenn Deutschland zusammen mit USA, Frankreich und GB da einen Schritt geht, dann isoliert Israel nicht mehr einzelne Staaten, sondern ist selbst isoliert, wenn es sich nicht bewegt. Sie hat ja dargelegt, dass man das vor allem nicht macht, weil man Angst davor hat, dass Israel sonst die Lage in Gaza weiter verschlimmert. Wie aber der von ihr geforderte Weg zur zwei Staaten-Lösung aussehen soll, bei der ein palästinensischer Staat am Anfang (und nicht am Ende des Weges stehen soll!), wenn man stets so auf israelischen Druck reagiert ist mir überhaupt nicht klar geworden. Und wie diese Zurückhaltung dann zu dem eingangs genannten „Freundschaft ist für mich dem anderen klar sagen was Sache ist“ passt, ist mir dann auch nicht klar. Also klar kann sie nicht alle Widersprüche oder den Nahostkonflikt einfach so auflösen, aber stellenweise finde ich wurde bei den Positionen ein wenig rumgeeiert.
Das waren einfach so ein paar Sachen, die ich beim Hören inhaltlich inkonsistent fand. Ich bitte das nicht als misogyn motiviertes Charakterattentat auf Frau Baerbock auszudeuten - sie ist mir die liebste Ampelpolitikerin (low bar, but still).
Ganz deutlich, und im Gegensatz zur eben geäußerten Kritik, möchte ich positiv hervorheben, dass sie bei den Lösungsansätzen / ihrer Vision zur Lösung des Konflikts recht konkret geworden ist und es dort nicht einfach so in die Zukunft verschoben hat a la „wir müssen jetzt erstmal den Konflikt beenden“. Ínsgesamt habe ich das Interview aber als Bereicherung emfpunden.