LdN 388 - Vorurteil über Gründe für Unterrepräsentation von Ostdeutschen unter Eliten?

Ich fand eure Analyse, basierend auf Studien, zu den Gründen für die politische Ausrichtung von Menschen in und aus Ostdeutschland interessant, differenziert, und meine persönliche Einschätzung stimmt damit auch in vielen Punkten überein. Biographisch ist das für mich ein sehr wichtiger Thema.
Eine Sache jedoch hat mich irritiert: Zu dem Punkt, dass Menschen aus Ostdeutschland oft unterrepräsentiert sind, sogar unter Eliten in Ostdeutschland sagt ihr, dass das teilweise historisch verständlich ist, u.a. „[…] weil Menschen aus dem Osten erstmal eine den westlichen Verhältnissen equivalente Bildungskarriere […] machen mussten.“ (LdN 388, 45m25s) Vielleicht verstehe ich das falsch, aber damit offenbart ihr, so wie ich das verstehe, ein oft auftretendes Vorurteil.
Natürlich hatte, bei allen disqualifizierenden Mängeln des Staates an sich, die DDR ein ausgeprägtes Universitätssystem; meist oder immer mit idelogischem Oberbau, aber trotzdem auf hohem Niveau was das Fachwissen angeht. Als bekanntes Beispiel wisst ihr vielleicht, dass Angela Merkel einen Doktor in Theoretischer Quantenchemie gemacht hat, und der sollte nicht weniger wert sein, nur weil sie ihre Dissertation auf einer Schreibmaschine tippen musste.
Oftmals wird die Bildung von Menschen aus dem Osten, auch nach der Wende, abgewertet, ich habe nicht selten zu hören bekommen, dass ein 1er Abi (auch aus den 2000ern) aus den neuen Bundesländern ja quasi nichts wert sei. Ich glaube persönlich nicht, dass die Unterrepräsentation in der Bildungselite etwas mit einem tatsächlich niedrigeren Bildungsniveau, wohlgemerkt der Bildungselite, zu tun hat, sondern mit „Vetternwirtschaft“/Vitamin B, und vielleicht auch mit Vorurteilen wie eurem.
Kleine Kritik, finde euren Podcast im Großen und Ganzen super.

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Das ist insbesondere ein Punkt, der in der Debatte immer wieder auftaucht: die Abwertung von ostdeutschen Bildungsabschlüssen. Und in der Tat gibt es ja auch hier im Forum immer wieder Berichten und Gegenberichte von verschiedenen Schicksalen. Bezüglich des Satzes:

Vornehmlich in Hinsicht auf Führungskräfte kann man ja aber schon starke vor- und nach der Wende beobachten. Auch wenn Frau Dr. Merkel eine Wissenschaftlerin ist, fand die Ausübung der Wissenschaft in der DDR unter anderen Gesichtspunkten statt, als in westdeutschen Bundesländern (Einfluss der Politik, Finanzierung, Themenfindung, Veröffentlichungen, Übertragung der Ergebnisse in Innovation …). Auch für Führungskräfte muss man sagen, dass die Themen Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Führungsverhalten, wirtschaftliche Ausrichtung eines Betriebes, Produktionskapazität, Innovativität (…) anders beinhaltet waren.

Unter der Prämisse, nach der Wende Betriebe mit »westdeutschem Gesicht« zu schaffen, ist die Aussage, dass es nicht-äquivalente Bildungsverläufe gab, meines Erachtens durchaus zutreffend und in dem Kontext auch nicht abwertend.

Wenn statt Vitamin B / Vetternwirtschaft euphemistisch (internationales) »Netzwerk« sagt, muss das Vorhandensein dessen für eine Führungskraft eigentlich nicht schlecht konnotiert sein.

These: Der Blick auf die westdeutsche Bildungskarriere ist durch dem Blickwinkel von Ulf und seinem juristischen Hintergrund geprägt.
Aufgrund der Dauer der DDR und deren problematischen Rechtssystem wird/wurde, soweit ich das richtig auf dem Schirm habe, angenommen, dass eine Übernahme in die wiedervereinigte Justiz nicht möglich war. Das ist ein Unterschied zu Westdeutschland und dem Nationalsozialismus. Dort wurden etliche Juristen übernommen, da das Rechtssystem nicht grundlegend geändert wurde, nur die Anwendung (siehe Rüthers, die unbegrenzte Auslegung).
Das hatte zur Folge, dass diese Posten von Westdeutschen übernommen wurden. Ebenso an den neuen juristischen Fakultäten. Es gab bei der Verwaltung, die ja maßgeblich von Juristen geprägt ist, sogar eigene (zutiefst diskriminierende) Begriffe für den Zuschuss, den man bekam, wenn man in den neuen Bundesländern Posten übernahm.

Das lässt sich sicher nicht verallgemeinern, aber aus dem juristischen Spektrum ist das nach meinem Kenntnisstand daher korrekt.

In beiden hier genannten Fällen ist das Problem natürlich, dass die Ostdeutschen zur Assimilation ans Westdeutsche System gezwungen wurden, wie ja auch schon im anderen Thread zum Thema angeklungen ist: