Kann taktisches Wählen einen Impact haben?

Zeit Online berichtet unter einem irreführenden Teaser:

Dort ist auch das Tool verlinkt.

Die nazifreie Zivilgesellschaft muss offensichtlich mehr denn je zusammenhalten, um eine Sperrminorität der rechtsextremen AfD zu verhindern.

In Sachsen hat das zumindest geklappt, in Thüringen hingegen nicht.

Wie groß ist der Einfluss des taktischen Wählens bisher? Und wie bedeutsam ist es bei der anstehenden Brandenburg-Wahl?

Hier wird’s erklärt:

Ist es in Brandenburg nicht so, dass es kontraproduktiv ist, wenn z.B. die Grünen dur h taktisches Wählen nicht in den Landtag kommen und sich dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Sperrminoritat der AfD sogar erhöht?

Das Tool empfiehlt ja für Brandenburg das Wählen der Grünen mit der Zweitstimme bzw. im chancenreichen Potsdamer Wahlkreis mit der Erststimme.

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Am besten wäre es gewesen, die Parteien hätten die Wahlkreise unter sich aufgeteilt, dass in jedem Wahlkreis nur noch der aussichtsreichste Kandidat gegen die AFD antritt - und vor allem jede Partei mindestens einen aussichtsreichen Wahlkreis bekommt.
Da ein Direktmandat reicht, würden automatisch alle demokratischen Parteien im Landtag vertreten sein.

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… wenn sich die demokratischen Parteien einvernehmlich Claims abstecken, um die AFD einzudämmen, öffnet das Tür und Tor für mehr Verschwörungserzählungen und ist aus meiner Sicht auf eine pluralistische und freie Gesellschaft eher schwierig zu vereinen.

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Ich gebe zu bedenken, dass das kurzfristig funktionieren mag, aber wenn das zum Modus Operandi wird, kann man sich schnell die Frage stellen, warum es dann überhaupt noch Parteien gibt.

Die Parteien haben in der Bundesrepublik eine herausgehobene Stellung in der politischen Willensbildung. Daraus leiten sich enorm viele besondere Rechte für politische Parteien ab, aber auch Verantwortung. Wenn Parteien diese Verantwortung nur noch so verstehen, dass sie untereinander hinter geschlossenen Türen ausmachen, wer zur Wahl steht und den Bürgern die Möglichkeit nehmen ihren politischen Willen auszudrücken, schaffen sie sich selbst ab. Ich bin kein Verfassungsrechtler, frage mich aber, ob es mit dem Grundgesetz kompatibel wäre, sowas in der Fläche strategisch anzuwenden.

Edit: Ricarda Lang hat sich in der ARD ebenso darüber beschwert. In den meisten Bundesländern werden die Grünen z.B. keine Rolle mehr spielen, wenn sich CDU und SPD die Wahlkreise am runden Tisch zuschieben.

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Verschwörungsaffin sind v. a. die AfD-Wähler (s. diverse CeMAS-Publikationen).

Es hätte klappen können. Der Wahlkreis Potsdam I galt als sehr aussichtsreich für ein Direktmandat der Grünen. Die Kandidatin der Grünen landete mit etwa 3.000 Stimmen weniger auf Platz 2, hinter der SPD-Kandidatin, die direkt gewählt wurde. Hätten die Grünen das Direktmandat gewonnen, wären die Grünen bei gleichem Zweitstimmenanteil(!) in den Landtag eingezogen und die AfD hätte - nach jetzigem Stand der Auszählung - die Sperrminorität um einen Sitz verfehlt (29 statt 30 Sitze). Außerdem hätten SPD, CDU und Grüne eine Mehrheit gehabt.

Alles was es dazu gebraucht hätte, wäre eine Empfehlung der SPD in dem Potsdamer Wahlkreis, mit der Erststimme die Grünen zu wählen.
Ich glaube kaum, dass das die Demokratie oder das Parteienwesen in seinen Grundfesten erschüttert hätte, wie es einige hier befürchten - jedenfalls nicht annähernds so stark wie es die AfD nun mit ihrer Sperrminorität tun wird.

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Ein Problem ergibt sich daraus nicht. Natürlich darf eine Partei entscheiden, ob sie einen Direktkandidaten aufstellt oder nicht. Das macht auch Sinn, damit zum Beispiel zwei linke Kandidaten sich nicht gegenseitig Stimmen wegnehmen und dann der rechte Kandidat sich durchsetzt. Solange es keine Stichwahl gibt, wäre das sogar demokratischer als die jetzige Bestimmung.
Kandidaten, die keinerlei Aussicht haben, werden nur wegen Publicitygründen aufgestellt.

Kann taktisches Wählen einen Impact haben?

Guten Abend aus Brandenburg.

Ja.

Wenn man zu eindimensional denkt, kann es auch schief gehen.

Über diese Wahl wird lange gesprochen werden.

Die Posts sind überholt. Zwar gab es in Potsdam I ein starkes Splitting, aber wie schon erwähnt, nicht annähernd genug.
Und auch bei den Urnenwählern lagen die Grünen bei den Erststimmen fast 5% hinter der SPD - auch dass es nur an den Briefwählern gelegen hätte, ist also falsch.

Es hätte einen Effekt gehabt haben können.

Es hat definitiv einen Effekt gehabt - genauso wie in Sachsen.
Um eine AFD auf Platz 1 zu verhindern haben in einem Fall CDU, im anderen Fall SPD mehr Stimmen bekommen, als ihnen eigentlich zugestanden wären.

Woran misst man denn, wie viele Stimmen einer Partei „eigentlich zustehen“?

Hier gilt es m. E. zwei Ebenen von taktischem Wählen zu unterscheiden:
a) Zweitstimme für eine Partei, die man eigentlich nicht präferiert (hier für die SPD)
b) Erststimme für eine Partei, die man eigentlich nicht präferiert, aber Zweitstimme für die präferierte Partei
a) dürfte sicherlich für viele Leute sehr viel mehr Überwindung kosten als b).

Das ist die Menge, die sie ohne taktisches wählen bekommen hätte. Und messen könnte man die nur mit Umfragen, hat aber vermutlich keiner gemacht.
Dennoch wird keiner abstreiten, dass es solche Stimmen gab.

Ich glaube das übersteigt das politische Interesse und Wissen von den allermeisten Bürgern um Längen.

Und diese Aufforderung in diesem einen Wahlbezirk unters Volk zu bringen, ist nochmal eine ganz andere Herausfordungen, v.a. bei einer Kommunalwahl.

Im Pod save Amerika hat ein Wahlkampfmanager diese Woche beschrieben, wie schwer es teilweise ist die Menschen zu erreichen.
Einige relevante Wechselwähler konsumieren in der Woche 4min politische Nachrichten. Sprich die bekommen die ganz großen News mit, aber sicherlich nicht solche Details.

Ich würde das nicht so pauschal sagen - für viele Wähler gilt das sicherlich, aber sicherlich nicht für alle. Denn es hat ja beide Effekte in nennenswertem Ausmaß gegeben - also a) haben sich Leute für die SPD entschieden, auch wenn sie nicht von ihr überzeugt waren (so wurde es zumindest interpretiert, dass die SPD in den Umfragen seit den Wahlen in Sachsen und Thüringen nochmal so zulegen konnte) und b) gab es - etwa im Wahlkreis Potsdam I ein nennenswertes Stimmensplitting (Erststimme Grün, Zweitstimme SPD), zumindest bei den Urnenwählern

Das läuft für mich unter mitbekommen “der großen Storylines”.
Und diese war klar das Verhindern der AFD als stärkste Kraft (75% der SPD Wähler haben angegeben diese nur gewählt zu haben, um die AFD zu verhindern).

Und es haben halt wirklich Politikinteressierte mitbekommen und verstanden.