Gut Arbeiten = Mehr arbeiten?

Markus Söder (CSU) hatte wohl kürzlich eine Debatte zur Sechs-Tage Woche anstoßen wollen.

Aktuell dazu Ergebnisse aus dem „Index Gute Arbeit des DGB“.

3200 Beschäftigte aus NRW wurden über drei Jahre (220-2023) befragt.

Daraus die Ergebnisse, das in NRW zum Beispiel nur 16% der Beschäftigten unterm Strich zufrieden mit den ihrer Arbeit sind.
Während IT- und naturwissenschaftliche Dienstleistungsberufe noch recht gut abschneiden (Beschäftigungssicherheit, Arbeitszeiten, persönliche Erfüllung), sogar auch kaufmännische Dienstleistungsberufe wie Einzelhandel oder Steuerfachangestellte, sieht es in anderen Berufen weniger positiv aus.
In der Produktion sind die hohen körperlichen Belastungen ein Kernproblem, wie auch Arbeitsplatzsorgen durch die Konjunkturflaute.

Personenbezogene Dienstleister wie Pflegekräfte, Lehrer und Erzieher sehen zwar einerseits einen hohen Sinngehalt in ihrer Arbeit und hervorragende Beschäftigungsperspektiven, aber haben vor allem mit Arbeitshetze und -Verdichtung zu kämpfen.
Zudem sind in Pflege- und Erziehungsberufen das Einkommen und fehlende Altersabsicherung kritische Punkte. Dazu hohe körperliche Anforderungen.
Am schlechtesten schneiden das Reinigungs- und das Sicherheitsgewerbe ab, sowie Verkehr und Logistik. Hoher Termindruck, hohe Beladtung, schlechte Bezahlung verleiden dort das Berufsleben.
Dazu kommen übergreifend die zunehmende Tarifflucht von Unternehmen, und eine permanente Arbeitsverdichtung.

Während also aus genannten Gründen viele Beschäftigte eher die Arbeitszeit reduzieren möchten, den Job wechseln oder früher in Rente gehen wollen, sind die Vorschläge der Politik ja eher anders:
Weniger Teilzeit, Vollzeit Berufstätigkeit von Paaren, mehr Überstunden, sechs-Tage Woche, längere Lebensarbeitszeit, mehr Leistung.

Reden da grade zwei Gruppen völlig aneinander vorbei?

Wer von beiden hat nun recht? Die „nicht ausreichend leistungsmotivierten Arbeitnehmer“ oder die „weltfremden Politiker in ihrer gutbezahlten Blase“, um mal beide Negativ- Narrative zu bedienen.

Laut DGB Landeschefin Weber „ist nicht der übertriebene Wunsch nach Work-Life Balance das Problem, sondern Überlastung der Grund, warum Arbeitnehmer weniger arbeiten als sie können.“

Hat sie recht?

Hinzu kommt ja auch, dass zumindest in der Großindustrie seit Langem bereits die Tendenz zur früheren Verrentung besteht. Sieht man auch gerade wieder bei SAP, war aber auch schon jeher so im verarbeitenden Gewerbe.
Es gibt also Bereiche, wo man als Arbeitnehmer im Alter 65+ kaum noch Arbeit findet, selbst wenn man wollte. Und viele, siehe DGB Artikel, wollen auch nicht mehr.

Es vergeht halt keine Woche ohne eine gute Idee aus Mia san Mia Land :roll_eyes:

Die Politik vergisst hier glaube ich komplett ihre Mitverantwortung dafür, dass viele Arbeitnehmer weniger arbeiten wollen:

  • Lehrerinnen, Erzieherinnen, Pflegekräfte usw. arbeiten in personell extrem unterbesetzten Situationen und müssen oft völlig fachfremde und nervige Zusatzarbeit verrichten (der Schulleiter an unserer Grundschule musste zum Beispiel gerade zur Einstellung einer Krankheitsvertretung für vier Wochen 46 Emails mit der ADD schreiben, da kriegt der das Kotzen). Natürlich wollen die alle eher weniger als mehr arbeiten, so die finanzielle Situation das zulässt. Daran kann niemand was ändern außer die politischen Entscheidungsträger.
  • Körperlich belastende Arbeit kann man nicht beliebig lang pro Woche oder Leben leisten. Hier müsste die Politik mit daran arbeiten, dass auch „handfeste“ Berufe die Möglichkeit zur beruflichen Weiterqualifikation bekommen, damit diese Leute nicht mit 55 aus dem Berufsleben verschwinden.
  • Eine der leistungswilligsten Gruppen Arbeitnehmer – Migranten mit niedriger beruflichen Qualifikation – wird von der Politik aus gesellschaftspolitischen Gründen (Fremdenfeindlichkeit) vom Arbeiten recht systematisch abgehalten. Es gibt niemanden, der härter und länger arbeiten kann oder will als ein Arbeitsmigrant mit einer großen Familie im Heimatland, die versorgt werden muss.

Und dann kommt da noch eine typische Middle-Manager-Denke durch: Wer viel arbeitet, schafft auch viel. Das ist Schwachsinn. Alle Menschen haben (Abhängig von der konkreten Arbeit) ein Limit, wie viel sie pro Tag/Woche an verwertbarem Output produzieren können. Man kann natürlich 15 Stunden am Tag vor dem Computer sitzen und „arbeiten“, das steigert aber nicht die tatsächliche produktive Arbeitszeit.

Meiner persönlichen Beobachtung nach können die meisten Menschen maximal 6 Stunden am Tag produktive Arbeit leisten, die in irgendeiner Form Kreativität oder Mitdenken erfordert. Die meisten Arbeitnehmer leisten vermutlich weniger, weil ihre Arbeitsumgebung und -Organisation nicht mehr zulässt – auch wenn sie formal 8 Stunden am Schreibtisch sitzen.

Bei körperlichen Berufen ist es ähnlich. Klar kann ich im Akkord arbeiten. Aber irgendwann geht daran mein Körper (vorzeitig) kaputt, oder es passiert ein Unfall wegen mangelnder Aufmerksamkeit.

Den meisten Jobs in Deutschland wäre mehr geholfen, wenn man Wege finden würde die Produktivität (Output pro Zeit) der Arbeitenden zu erhöhen, anstatt die Menschen länger arbeiten zu lassen.

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Ja, wichtiger Punkt, die Zeit.

Ich halte es auch für heute wenig sinnvoll, Produktivität an der stundenmässigen Anwesenheit am Arbeitsplatz zu messen.

Das erfordert aber Sucherin Umdrnken bei Arbeitgebern. Also mehr Vertrauen in die Arbeitnehmer hinsichtlich der Erbringung vereinbarter und Entlohnter Arbeit.

Das sehe ich auch als Hürde.

Die Alternative wäre dann ja die Abschaffung fester Arbeitszeiten (quasi wie bei außertariflichen Kräften) und die Festlegung definierter Outputs (Quantität/ Qualität). Wer konzentriert arbeitet, hat dann früher Feierabend. Das ist in der Umsetzung allerdings sehr aufwendig und birgt m.E. eher die Gefahr, dass man noch mehr arbeitet.

In manchen Bereichen ist so ein Ansatz aber auch einfach grundsätzlich nicht möglich (z.B. Kita).

Dazu kann ich folgenden Podcast empfehlen (und auch Cal Newports Bücher, btw.):

Nicht zwingend. Aber die Fokussierung auf eine fixe 40h Woche ohne wirkliche Berücksichtigung des Outputs scheint ja auch nicht optimal zu sein.

Zudem wird es hier keine einheitliche Lösung für alle geben, den Fehler machen wir leider zu oft.

Aber berufsspezifisch Arbeit an die Erfordernisse der Zeit anpassen.

  • ist schwere körperliche Arbeit trotz technischer Hilfsmittel immer nötig?
  • ist Arbeitsverdichtung und Druck wirklich produktiv?
  • wie zeigt man Wertschätzung für alle Berufe? Wenn nämlich bestimmte Tätigkeiten nicht wertgeschätzt werden weil sie nicht wichtig sind, warum machen wir sie dann?

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Söder redet ja hier nicht mit den Menschen und er will ja auch nicht deren Probleme lösen. Söder will das Problem der Arbeitgeber mit den Fachkräftemangel adressieren, weil seine Partei ja Obergrenzen für Zuwanderer fordert. Wer also Einwanderung begrenzen will, der muss erklären, wie er die Lücken am Arbeitsmarkt schließen will. Und da ist halt ein prima Ansatz, dass alle die schon da sind, einfach mehr arbeiten. Wenn man auf diese Weise die Lücken schließt, dann sind die Arbeitgeber wieder weniger im Wettbewerb um Fachkräfte und können dann vielleicht mittelfristig die Löhne wieder senken.

Also brauchen wir nicht reden, ist totaler bulls*** und die Menschen stehen nicht im Mittelpunkt solcher Vorschläge. Es soll halt irgendwie Probleme lösen, ohne dass man über mannigfaltiges Politikversagen (Migration, Digitalisierung, Infrastruktur etc.) reden muss, an denen die CSU ihren Anteil hat.

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Knackig zusammengefasst. :wink:

Söder spekuliert, wie andere auch, mit sowas ja auf Wählerstimmen.
Er erreicht damit ggf ein paar sehr konservative Unternehmer, denke ich. Die übrigen wissen schon das hier nicht Kompetenz aus Söder spricht, sondern eher Ideenlosigkeit.
Wenn ein Auto schon lange m hohen Drehzahlbereich läuft und die Motortemperatur steigt bedenklich, ist mehr Gas geben selbst für Laien keine Lösung.
Das weiß im Grunde auch ein Söder.
Also alles nur wahltaktischer Populismus?

Was bedeutet das jetzt aber unabhängig von solchen Aussagen für unser Verständnis von Arbeit der Zukunft? Einfach weitermachen und durchhalten?

mal ein Zitat von Carsten Maschmeyer (sicher nicht unumstritten, aber dumm ist er offenbar nicht):

"Wer seinem Team nicht vertraut, sollte den Chefsessel räumen!
Leider noch zu oft Realität: Jede kleinste Entscheidung muss tausend Freigabeschleifen drehen. Jedes Dokument, jeder weitere Arbeitsschritt - alles muss erst einmal über den Schreibtisch des Chefs.
Statt effizient arbeiten zu können, wird die Leistung der Mitarbeitenden kontrolliert. Die Motivation? Die Kreativität? Im Keller.
Fakt ist: Mikromanagement ist Gift für jede Arbeitsdynamik. Mitarbeitende brauchen Vertrauen und Freiheit, um produktiv arbeiten zu können. Außerdem kosten ewige Freigabeschleifen wertvolle Arbeitszeit, die besser genutzt werden könnte.*
Wer das nicht versteht, sollte keine Führungskraft sein und Platz machen für jemanden, der weiß, wie man ein Team führt.
Und für mich ist klar: Wenn ich alles immer besser wüsste, dann bräuchte ich meine für mich so wertvollen Mitarbeitenden überhaupt nicht. Nur wenn ich ihnen vertraue und ihnen Verantwortung übertrage, kann ich auch großartige Leistungen erwarten. "