Gegenmodell zum Pflichtdienst - Rechtsanspruch auf Freiwilligendienst

Mehr Menschen zu gewinnen für soziales Engagement – das ist auch der Wunsch des Bundespräsidenten und eine zentrale Forderung im CDU-Grundsatzprogramm. Der Verteidigungsminister Pistorius hat nun vorgeschlagen, dass alle Schulabgänger*innen verpflichtend (wegen des Grundgesetzes erstmal die Männer) einen Fragebogen ausfüllen sollen, um dann ggf. ein Angebot für einen Wehrdienst erhalten zu können.

Die verbandlich organisierte Zivilgesellschaft und Zentralstellen der Freiwilligendienste im In– und Ausland setzen mit ihrem aktuellen Forderungspapier „Freiwilligendienste 2030 – Vision für eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit“ mit konkreten Vorschlägen genau in dieser Debatte an, um gemeinsam einen neuen Weg aufzuzeigen zwischen einem nicht zufriedenstellendem „weiter so“ und einer Pflichtdiskussion, die die Generationen eher spaltet als zusammenbringt.

100.000 Freiwilligendienstleistende und damit mehr als 10 % der Schulabgänger*innen engagieren sich jedes Jahr in verschiedenen Einrichtungen für das Gemeinwohl (von der Kita, über den Sport und die Pflege bis hin zum Zivil- und Katastrophenschutz) und leisten somit einen wichtigen Beitrag für das soziale Miteinander und den Gemeinsinn. Die Freiwilligen profitieren, indem sie praktische Einblicke in die Arbeitswelt erhalten und sich persönlich weiterentwickeln. Die Einsatzstellen werden durch die zusätzlichen Hilfskräfte unterstützt und gewinnen oftmals geeignete Nachwuchskräfte und langfristig Engagierte.

Studien belegen, dass das Potenzial der Freiwilligendienste noch nicht ausgeschöpft ist. Mit umfassender Information und einem attraktiveren Angebot für einen freiwilligen Dienst an der Gesellschaft könnten noch viel mehr Menschen für ein Engagement für Deutschland gewonnen werden und damit Zusammenhalt und Demokratie gestärkt werden.

Um das Potential der Freiwilligendienste zu entfalten und eine Verdoppelung der Freiwilligenzahlen zu erreichen, braucht es einen Rechtsanspruch auf Förderung jeder Freiwilligen-Vereinbarung, ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld auf BAföG-Niveau für alle Freiwilligen und eine auffordernde Einladung und Beratung aller Schulabgänger*innen zu den Möglichkeiten, sich in einem freiwilligen Dienst zu engagieren. Ziel ist es, dass sich mehr Menschen in einem Freiwilligendienst engagieren und sie dies als gewinnbringendes und aktivierendes Jahr empfinden, so dass sie sich auch danach aktiv in die Gesellschaft einbringen.

Das Forderungspapier mit der Position der verbandlich organisierten Zivilgesellschaft und Zentralstellen der Freiwilligendienste im In- und Ausland findet sich hier http://www.rechtauffreiwilligendienst.de/

Die Bundespressekonferenz zum Thema unter:

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Diese Pressekonferenz passt dazu.

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Sehr geehrtes Lage-Team,

seit langem schon bin ich regelmäßig Hörerin der Lage der Nation.

Heute möchte ich ein hochaktuelles und relevantes Thema einbringen/ vorschlagen, das mich von Berufswegen zur Zeit stark beschäftigt. Da ich davon ausgehe, dass ihr stets eigene und umfangreiche Recherchen betreibt schlage ich es vor, obwohl ich selber in dieser Sache naturgemäß nicht objektiv bin.

Es geht um das Konzept Freiwilligendienst als Motor für eine starke Zivilgesellschaft, als Mittel zur Demokratieförderung und um Menschen und ihre Lebenswelten zusammen- und einander näher zu bringen.

Konkret liegt aktuell ein Vorschlag auf dem Tisch, der die Einführung eines Rechts auf Freiwilligendienst vorsieht - als eine von drei Säulen neben einem freiwilligen Wehrdienst (das Thema hat Herr Pistorius ja ganz aktuell neu aufgemacht) und möglichen neuen Dienstformaten (hier sind die sogenannten Blaulichtdienste wie Freiwillige Feuerwehr, THW etc. gemeint).

Ich selber bin Teamleitung beim Internationalen Bund e.V., gemeinnütziger Träger für Inlands- und Auslandsfreiwilligendienste. Politisch aktiv sind wir mit der Stimme der Qualitätsverbünde (mein Träger ist Mitglied im Verbund „AKLHÜ“), federführend sind Claudio Jax und Gisela Kurth zu nennen. Claudio Jax durfte in seiner Funktion al zweiter Vorsitzender des Qualitätsverbundes auch eine Bundes PK (13.6.2024) zu diesem Thema bestreiten. Infos zur PK und dem Forderungspapier: https://www.der-paritaetische.de/alle-meldun

Nun weiß ich nicht, wie detailliert eine Ausarbeitung/ Darstellung des Themas durch mich an dieser Stelle Sinn macht und verweise daher zunächst auf eine Webseite, die die Idee vorstellt:

https://www.rechtauffreiwilligendienst.de

Wenn Sie Fragen haben stehe ich natürlich jederzeit zur Verfügung, ebenso Claudio Jax (c.jax@freunde-waldorf.de) und Gisela Kurth (kurth@entwicklungsdienste.de) Geschäftsführerin des Qualitätsverbundes).

Abschließend möchte ich betonen, wie relevant wir das Konzept Freiwilligendienst grundsätzlich und ganz speziell in der aktuellen politischen Lage mit den oben genannten Zielen (Stärkung der Zivilgesellschaft, Motor für Demokratieförderung) finden. Ein Recht auf Freiwilligendienst mit entsprechender Finanzierung würde für potenziell hunderttausende von jungen Menschen dieses Konzept so viel niedrigschwelliger und umsetzbarer machen.

Gespannt auf eure Einschätzung zur Relevanz des Themas verbleibe ich mit herzlichen Grüßen aus Nürnberg,

Wiebke Bornschlegl

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Wie wärs wenn wir drüber nachdenken, auch junge Leute für ihre Arbeit zu bezahlen?

Das ganze Konzept von einem vermeintlich ehrenvollem Dienst an der Gesellschaft, in dem man in einem seiner besten Jahre mies bezahlte Drecksarbeit macht, ist doch Müll.

Wenn wir zu wenig Pfleger haben, bezahlt sie besser. Wenn man zu wenig Soldaten hat, bezahlt sie besser. Wenn man zu wenig HIlfskräfte im Kulturbetrieb (?) hat, bezahlt sie besser.

Und hört auf junge Menschen zu manipulieren, dass sie dieser Gesellschaft etwas schuldig seien.

Anmerkung: Ich weiß, dass meine beiden Vorredner über freiwillige Dienste reden. Allerdings werden die immer in einem Atemzug mit der WehrPFLICHT genannt, anmutend an den Wehrersatzdienst. Und dass das Ausnutzen von 18jährigen die Zivilgesellschaft stärkt, ist eine gewagte These.

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Ich glaube es wurde schon hinreichend oft hier im Forum behandelt, dass die Nicht-Attraktivität der Berufe in der Pflege weniger mit der Bezahlung zusammenhängt, sondern mit miserablen Arbeitsbedingungen und geringer Wertschätzung.

Deutsche Soldaten verdienen im Vergleich überdurchschnittlich gut (vorausgesetzt es sind SAZ bzw. BS). Ein Hauptgefreiter (Mannschaftsdienstgrad, den man idR nach 12 Monaten in der Bundeswehr automatisch erreicht) wird mit A4 mit Zulage besoldet. Das bedeutet in Steuerklasse 1, ohne Kirchensteuer, Erfahrungsstufe 2, einen Netto-Betrag von knapp 2.200€ im Monat (~2.500€ brutto).
Klar, davon gehen im idealen Fall ein paar Euro für eine Anwartschaft bei der PKV ab, aber soviel muss man in anderen Berufen auch erstmal verdienen. Zumal die Laufbahn der Mannschaften auch für Menschen ohne Schulabschluss offen ist.
Der Soldatenberuf ist aber das ziemliche Gegenteil von dem, was sich viele heute unter ihrem Job vorstellen. In den Kampftruppen sind Dinge wie Work-Life-Balance und sowas eben schwer zu managen.

Arbeitsbedingungen/Gehalt/Arbeitszeitverkürzung alles die selbe Medaille.

Man muss die Anreize, das Kosten-Nutzen-Verhältinis verbessern. Und zwar objektiv und nicht durch Manipulation von „Grade-so-nicht-mehr-Kindern“.

(Und die Kampftruppen leiden sehr viel weniger unter Personalmangel als der Rest der BW, weil man sich unter Soldat sein, eben genau die Kampftruppen vorstellt. :D)

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Ich sehe diese Theme Freiwilligendienst auf vielen Ebenen ambivalent:

Für die Menschen, die die Chance haben hier zu schnuppern und was zu lernen ist das sicherlich eine klasse Sache! Vorausgesetzt man findet etwas das einem selbst zusagt. Und da wird’s dann schon wieder interessant mit dem Recht auf Freiwilligendienst: muss ein Träger dann jeden und jede nehmen die anklopfen? Oder habe ich nur das Recht irgendwas in die Richtung zu machen.

Als Gesellschaft muss man auch aufpassen, hier nicht in eine „Geiz-ist-geil-Mentalität“ zu verfallen, denn Freiwillige (mit oder ohne BAFöG-Zuschuss) sind allemal billiger als Festangestellte. Zivis waren auch immer die billigsten in der Hackordnung. Ergo dürfen Freiwillige nicht in Konkurrenz zu regulären Jobs stehen und da wird’s knifflig.

Und als letzen Punkt würde ich fragen, warum man bei Freiwilligkeit und Ehrenamt immer auf die junge Generation schielt und auch auf Lösungen, die immer zeitlich befristet sind. Sollte das Ziel nicht sein, der breiten Masse ein kontinuierliches Engagement zu ermöglichen und schmackhaft zu machen?

Ein wesentlicher Aspekt hinter der Zukunftsvision des Rechts auf Freiwilligendienst ist es in der Beziehung der Gesellschaft zu ihren (jungen) Bürger:innen in ein neues Verhältnis zu kommen. Mit einer großen Einladungs-Geste die zudem mit einem Rechtsanspruch hinterlegt ist und mit einem Freiwilligengeld das den Lebensunterhalt absichert kommen alle jungen Menschen überhaupt in die Situation einen freiwilligen Dienst leisten zu KÖNNEN.

Heute ist es noch so, dass zwar theoretisch alle dürfen, aber eben nicht alle können. Wenn z.B. das Elternhaus die Unterkunft während des Freiwilligenjahres nicht finanzieren kann oder will wird es mit der Teilhabe schwierig. Auch können unter den derzeitigen Bedinungen nicht genügend attaktive Einsatzplätze angeboten werden.

Teilweise werden hier in der Diskussion Freiwilligendienste mit einem Arbeitsverhältnis verglichen. Darum geht es aber nicht. Wer regulär arbeiten will braucht keinen Freiwilligendienst zu machen sondern kann sich entsprechend qualizifieren und als Fachkraft tätig werden. Dann unbedingt auch zu einem angemessenen Gehalt, wenn es nach mir geht.

Ein Freiwilligendienst im demgegenüber eine Phase die in einem biographischen Freiraum eine konkrete unterstützende Mitarbeit mit dem persönlichen Lernen verbindet. Ohne die Erwartungen die an Arbeitnehmer:innen gestellt werden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass diese Lernerfahrung sehr sehr wertvoll sein kann, wenn man sie machen möchte. Gerade deshalb, weil es eine so wertvolle Erfahrung sein kann, sollte die Möglichkeit auch wirklich ALLEN offen stehen: Mit einem Rechtsanspruch auf Freiwilligendienst kommen wir dahin.

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Und als letzen Punkt würde ich fragen, warum man bei Freiwilligkeit und Ehrenamt immer auf die junge Generation schielt und auch auf Lösungen, die immer zeitlich befristet sind. Sollte das Ziel nicht sein, der breiten Masse ein kontinuierliches Engagement zu ermöglichen und schmackhaft zu machen?

Super-Idee, die ich gerne unterstützen möchte. Mit Blick auf die demographische Entwicklung und die Flexibilisierung von Erwerbsbiographien, kann ein Rechtsanspruch einen Chance für ALLE und damit gesamtgesellschaftlich sein. Dieses Angebot sollte auf jeden Fall altersoffen gestaltet werden.

Freiwillige sollen und dürfen Angestellte nicht ersetzen. Sie absolvieren mit dem Freiwilligendienst einen Lern- und Bildungsdienst, das heißt, sie konkurrieren nicht mit qualifizierten Fachkräften, sondern machen wertvolle Lebenserfahrungen und bringen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten in ihre Freiwilligendienststelle ein. Darüber hinaus kann ein Freiwilligendienst eine Atempause z.B. nach der Schulzeit sein, ein Jahr, in dem man sich (neu) orientieren kann. Die Tätigkeit in der Einsatzstelle kann dabei durchaus für das eigene Berufsinteresse eine Rolle spiele, muss sie aber auch nicht. Hier bietet sich jungen Menschen die Chance, in einem pädagogisch begleiteten Rahmen praktische Tätigkeiten auszuprobieren und sich in neue Bereiche hineinzuwagen.

Freiwilligendienste sind dabei ein zeitlich begrenztes Engagement, das insbesondere jungen Menschen ermöglicht wird, weil sie häufig noch ungebunden und flexibel sind und sich leichter auf ein Jahr im In- oder Ausland einlassen können, was in der späteren Lebensbiografie durch berufliche und familiäre Verpflichtungen häufig deutlich komplizierter ist.

Wer einmal einen Freiwilligendienst gemacht hat, hat danach oft aber auch Lust, sich weiter zu engagieren. Ein zeitlich begrenztes Engagement kann also durchaus der Startpunkt sein für ein längerfristiges Engagement danach.

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