EU Wahl, Taktisches Wählen, Volt und die Grünen

Moin,
ich wollte dies zwar schon nach der EU-Wahl Sendung posten, bin aber nicht dazu gekommen.
Entsprechend ist dies eine Ergänzung zu LDN386.

Ich behaupte bei der letzten Bundestagswahl „die Grünen“ gewählt zu haben und bei der kürzlichen EU-Wahl, „Volt“.
Unter dieser Prämisse habe ich Mitschuld an der ‚Misere der Grünen‘.
Dieser Beitrag soll euch Beweggründe darlegen - nicht mehr.

Prämisse) Seit der EU-Wahl zweifle ich am „taktischen Wählen“, weil die Parteien nach der Wahl - der einzigen wirklich verlässlichen Erhebung in 4 Jahren - nicht den Volkeswille bekommen, sondern den „taktischen Willen“.

A) Die 5%-Hürde hat mich bei der letzten Bundestagswahl dazu bewogen „die Grünen“ zu wählen, weil es keine andere Partei gab, die mir eine ausgewogene Perspektive zwischen Klimapolitik und Wirtschaftsverständnis wiedergespiegelt hat (subjektiv, aber ok).
Dazu hat die Idee des „taktischen Wählens“ mir weitere andere Alternativen verwährt.

B1) Die EU-Wahl hat diese Hürde nicht und andere Parteien sind wählbar.

B2) Der Einzug der Partei ‚die Partei‘ mit 2 Sitzen in das vorherige EU-Parlament hat mich überzeugt, dass es hier sinnvoll ist auch kleinere Parteien zu wählen.

B3) Bei der EU-Wahl habe ich mich gefragt, was mein persönliches Selbstverständnis ist - fühle ich mich als deutscher Staatsbürger, der deutschland vertritt, oder als EU-Bürger, der für die Interessen der Staatengemeinschaft wählt? Deshalb wollte ich eine Pan-Europäische Partei wählen, welche die Probleme hier mit Lösungen von drüben und die mit Lösungen von hier die Probleme dort bekämpft - Bspw. (Mobiles-)Breitband Internet ( … welch Utopie … ).


Ich glaube, dass die Grünen u.A. an diesem Punkt (B3) viel verloren haben.
Gleichzeitig haben sie (hoffentlich) über die progressive Ausdifferenzierung hin zu Kleinstparteien mehr über Ihre ‚Fan-Base‘ für die nächste Bundestagswahl lernen können als andere Parteien.

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UPS jetzt sind wir schon zwei. Ich habe auch bei der Europawahl „Volt“ gewählt. Zum einen aus denselben rationalen Erwägungen wie du, aber auch (shame on me) aus emotionalen Gründen (call me a Sissi).

Bei der Vorstellung ich würde erleben, dass ein europäischer Bundesstaat gegründet wird, mit einer europäischen Verfassung, habe ich einen Kloß im Hals. Schon allein aus friedenspolitischen Erwägungen.

Ich bin grünes Parteimitglied und habe seit der Wahl über eine Liste der Partei auch ein kommunalpolitisches Mandat. FWIW: ich habe absolut kein Problem damit, wenn Menschen bei der Europawahl statt die Grünen Volt gewählt haben, wenn ihnen das ein besseres Gefühl gibt.

Programmatisch sind die beiden Parteien praktisch identisch. Volt hat sicherlich eine etwas pan-europäischere Struktur, aber das ist meiner Meinung nach vor allem historisch bedingt. Die Grünen Parteien in Europa sind eben als nationale Parteien entstanden und haben darum ihre eigene Historie und leicht voneinander abweichenden Befindlichkeiten. Ich gehe aber fest davon aus, dass man zwischen den Abgeordneten der Grünen und denen von Volt in der praktischen Arbeit im EU-Parlament kaum einen Unterschied wird feststellen können. Und wo doch, da wird das wohl in erster Linie dadurch bedingt sein, dass die Grünen in einzelnen Ländern (z.B. Deutschland) Regierungsverantwortung tragen und damit auch mal mit einer gewissen kognitiven Dissonanz klarkommen müssen.

Was ich durchaus kritisch sehen würde, ist wenn die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl wegen Volt 2-3 Prozentpunkte weniger bekommen, Volt aber an der 5%-Hürde scheitert und diese Stimmen damit verloren gehen. Man muss die 5%-Hürde nicht toll finden (ich persönlich halte eine gewisse Hürde für den Einzug ins Parlament aufgrund der historischen Erfahrungen für sinnvoll), aber gerade als politisch progressiver Mensch sollte man seine Stimme in diesen Zeiten nicht wegwerfen, nur weil man mit 20% der grünen Politik in der Regierung ein Problem hat.

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Ein wenig Offtopic, aber hoffentlich hast du

gesehen. Im Laufe der Doku erklärt einer der Partei-Abgeordneten, Nico Semsrott, warum er den Einzug der Partei im Rückblick kritisch sieht und das EU-Parlament nur als Ort für Politikprofis ansieht.

Dennoch, auch ich habe mich für Volt statt die Grünen entschieden. Die Gründe waren ganz ähnliche.

Wie sieht es denn beim Thema GMOs in der Landwirtschaft aus? Volt kommt mir an vielen Stellen wesentlich pragmatischer vor. Vor allem die grüne Basis wirkt auf mich immer wieder abschreckend. Volt ist da unbelasteter. Das mag sich aber ändern wenn die Partei wächst (typisches Startup-Problem).

Wenn die grüne Parteispitze die Basis nicht eingefangen bekommt, wird meine Stimme bei der BTW nächstes Jahr sicher eher an SPD oder weiter Volt gehen.

Bei Volt steht dazu nur das hier im Wahlprogramm:

Unterstützung der weiteren Forschung und der eventuellen Aufnahme von gentechnisch veränderten Pflanzen in das Produktions- portfolio der europäischen Landwirt*innen. Diese Techniken sollen angewendet werden, um die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Klimakrise zu fördern und die Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion und der land- wirtschaftlichen Praktiken zu gewährleisten.

Die Grünen wiederum sind anders als das oft wahrgenommen nicht „aus Prinzip“ gegen Gentechnik, sondern betonen aus unterschiedlichen Gründen die Wahrung der Wahlfreiheit für Landwirte und Konsumenten. Geforscht werden soll genauso wie bei Volt. Aus dem EU-Wahlprogramm:

Transparenz und Wahlfreiheit müssen besonders bei gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln sichergestellt werden. […] Bei Eingriffen in die Natur müssen nicht verantwortbare Risiken wie die Gefährdung oder gar Ausrottung ganzer Populationen oder Arten durch gentechnische Methoden ausgeschlossen werden. […] Wir befürworten eine Landwirtschaft, die ressourcenschonend und naturverträglich arbeitet und sich am Leitbild der ökologischen Landwirtschaft mit ihren Prinzipien Tiergerechtigkeit, Gentechnik- freiheit und Freiheit von synthetischen Pestiziden orientiert. […] Auch neue gentechnische Verfahren in der Landwirtschaft sollen hinsichtlich ihrer Chancen, Risiken und Folgen erforscht werden. Für eine nachhaltige und transparente Landwirtschaft ist es unabdingbar, dass Betriebe, die gentechnikfrei wirtschaften wollen, dies sicher tun können.

Ich würde sagen, Volt hat bisher nur zu einem Teilaspekt des Themas (Forschung) eine explizite Position, die sich mit der Grünen mehr oder weniger deckt. Ob und wie z.B. die Wahlfreiheit landwirtschaftlicher Betriebe gewährleistet werden soll, ob und wie gentechnisch veränderte Pflanzen reguliert werden sollen usw. dazu hat Volt (noch) kein Programm entwickelt.

Ich muss sagen, dass ich die SPD für jemanden, der bei seinen Wahlentscheidungen Umwelt-/Klimaschutz und Zukunftsorientierung in den Vordergrund stellt für nicht wählbar halte. Die Partei hat da einfach keine klaren Überzeugungen oder Linien, wie man am aktuellen Scholz-Lindner Schulterschluss gegen alle ambitionierte Politik sieht. Volt halte ich persönlich wie gesagt für programmatisch mit den Grünen vergleichbar, aber solange die aufgrund der Umfragen drohen an der 5% Hürde zu scheitern sind die für mich nicht wählbar. Die ewige Tendenz des linken/progressiven Lagers, sich selbst in immer kleinere Teile zu zerlegen bis man keinen Einfluss mehr hat geht mir persönlich zuwider.

Insgesamt denke ich das man sich als Wähler klar machen sollte, dass keine Partei jemals zu 100% die eigenen Vorstellungen im Programm und Praxis abbilden wird. Wählen ist immer auch ein taktisches Unterfangen, bei dem man die eigenen politischen Prioritäten und das Vertrauen in Kandidaten mit einer Wette auf die Effektivität der eigenen Stimme versucht übereinander zu bringen.

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