Eingefrorenes russisches Vermögen für die Unterstützung der Ukraine

Nachdem der neue Bundeshaushalt wenig Spielraum für die Ukraine Unterstützung lässt und Deutschland wiederum bzgl. Lieferumfang bisher der größte europäische Unterstützer war, lässt einen das mit Sorge in die Zukunft dieses Konfliktes blicken.
Schon ist eine andere Finanzierungsquelle im Gespräch (wobei das nicht neu ist) nämlich eingefrorenes russisches Zentralbankgeld. Konkret ist die Verwendung von Zinseinnahmen für die Unterstützung der Ukraine im Gespräch. Mit ca. 3 Mrd € im Jahr aber kein all zu üppiger Topf. Die Ukraine selbst schlägt vor, das gesamte eingefrorene Vermögen anzuzapfen - was gut 200 €Mrd wären. Das hätte schon eine andere Schlagkraft.
Mich würde eine rechtliche und politische Einordnung dieser Maßnahmen interessieren. Sowohl für die Option A (Zinseinnahmen) und B (gesamtes Vermögen). Wenn ich das richtig verstanden habe, sind beide Optionen zumindest rechtlich anders einzuordnen. Trotzdem gibt es Ökonomen, die bzgl. beider Optionen warnen, während es auf den ersten Blick aus der Perspektive eines Nicht-Fachmanns, wie ich einer bin, durchaus legitim erscheint, das eingefrorene Vermögen eines Staates, der einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beginnt, in der vorgeschlagenen Art und Weise zu verwenden.

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Zum anderen hat die Bundeswehr auch nicht mehr viel Bestand vom alten Zeug wie Marder oder so, was sie einsatzfähig abgeben kann. Zudem brauchen wir zur Erfüllung von Bündnisverpflichtungen selbst noch einen gewissen Materialbestand.
Wird als ein interessant wie die Unterstützung der Ukraine fortgeführt wird

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Ich denke, die rechtliche Einordnung ist relativ nebensächlich, zentral ist hier wirklich die (wirtschafts-)politische Einordnung. Die rechtliche Einordnung ist einfach sehr beliebig, weil es keine Präzedenzfälle gibt und letztlich keine klaren Regelungen existieren, daher kann man alles rechtfertigen - oder eben nichts. Wir bewegen uns hier in einem bisher „rechtsleeren“ (nicht: rechtsfreien) Raum. Generell geht es, so lange es um russisches Zentralbankgeld geht, eben um eine politische Maßnahme im Sinne einer Sanktion - und da ist, je nachdem, ob man den Anlass für zulässig hält, alles und nichts erlaubt.

Die wirtschaftspolitische Gefahr, die man hier sieht, ist, dass das Vertrauen in den Euro dadurch gefährdet werden könnte. Auch andere fragwürdige Regierungen (z.B. China) haben viel Geld in Europa geparkt und der Abzug dieser Gelder zu Gunsten des USD oder gar einer nicht-westlichen Währung wäre ein harter Schlag für den Euro. Und wenn China sieht, dass wir russisches Zentralbankgeld an die Opfer des russischen Angriffskrieges geben, müssten sie im Falle einer Eskalation in Taiwan auch damit rechnen, dass wir die chinesischen Reserven an Taiwan geben würden. Das wiederum würde bedeuten, dass China klugerweise seine Euro-Reserven abbauen müsste, weil Europa plötzlich aus Chinas Sicht „unzuverlässig“ wäre. Die gleiche Logik gilt auch für andere Staaten. Im Hinblick auf die Zinsen ist das Ganze nicht ganz so problematisch, aber natürlich immer noch nicht unproblematisch.

Die Frage ist:
Will man das Vertrauen von Despoten in den Euro schützen, da man zweifellos von den Geldern der Despoten profitiert? Von einem idealistischen Standpunkt aus dürfte die Antwort recht klar „Nein“ lauten und das Geld müsste an die Ukraine gehen, von einem realpolitischen Standpunkt lautet die Antwort hingegen fast schon „Es ist alternativlos“, weil die wirtschaftlichen Schäden als zu groß betrachtet werden.

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Gilt das im Allgemeinen? Gäbe es für Deutschland z.B. keine rechtlichen Hürden einfach US-amerikanisches oder schweizerisches Zentralbankgeld zu enteignen?

Es gibt internationale Verträge und Abkommen. Teilweise können die auch vor internationalen Schiedsgerichten eingeklagt werden.

Aber souveräne Staaten sind souverän. Wenn ein anderes Land mit dem Handeln Deutschlands nicht zufrieden ist, dann hat es genau zwei Möglichkeiten:

  1. Es kann Deutschland militärisch angreifen und versuchen so einen Kompromiss oder Kapitulation zu erzwingen.
  2. Es kann vergleichbare wirtschaftliche und politische Sanktionsmaßnahmen ergreifen, also selbst deutsche Gelder beschlagnahmen, Handelsbeziehungen einschränken usw. und auch seine Verbündeten dazu animieren, solche Handlungen vorzunehmen.

Das gesamte System der internationalen Institutionen (UN, Weltbank, IMF, Internationaler Gerichtshof, und viele, viele andere) ist darauf ausgelegt, diese Art der Konfrontation zu entschärfen und Regeln aufzustellen, zu deren Einhaltung zwar niemand einen Staat „zwingen“ kann, die in ihrer Summe aber über eine so stark ausgeprägte Legitimität und Akzeptanz verfügen, dass ein Verstoß gegen sie jedes Land mehr kosten würde als es wert ist.

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Laut Artikel, und ich habe auch noch nirgends anderes gelesen, geht es nur um Zinsen, nicht um Rücklagen.
Und wenn die in Form eines Kredits bewilligt werden, hat man den schönen Nebeneffekt, dass wenn das sich bei den Friedensverhandlungen als ungute Idee rausstellt, ein Problem der Ukraine wird, der Schuldschein wandert einfach an Russland (und könnte dann mit Reparationen verrechnet werden).

Dieser Thread hier bezieht sich aber ausdrücklich auf beide Fragen: Das Vermögen selbst und die Zinsen. Die Ukraine schlägt vor, das gesamte Vermögen freizugeben, der Westen ist (bisher) nur bereit, die Zinsen für die Ukrainehilfe freizugeben. Dennoch: Der Threadersteller fragte ausdrücklich nach beiden Optionen, daher sollten wir auch beide diskutieren.

Dass aktuell die Freigabe der gesamten Vermögensmasse (u.a. aus den von mir genannten Gründen) sehr unwahrscheinlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Wobei jetzt im Ukraine-Krieg schon vieles getan wurde, was wenige Monate zuvor als sehr unwahrscheinlich oder gar unmöglich galt :wink:

Nur die Zinsen freizugeben, und das auch noch als Kredit, ist natürlich die „sicherste“ Variante. Aber es stellt sich die Frage, ob das reicht. Ich persönlich hätte nichts dagegen, alles russische Vermögen freizugeben und bin gerne bereit, etwaige wirtschaftliche Konsequenzen mitzutragen…

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Dieses Faustrecht gilt streng genommen für jegliche politische Entität und nicht nur für souveräne Staaten. Meine Frage zielte auf eine Szenario innerhalb des Völkerrechts. Konkret: Dürfte ein Staat militärische Mittel nutzen, um die Rausgabe von (unkompensiert) enteignetem Eigentum zu erwirken oder wäre das bedingunglos als ungerechtfertigter Verstoß des allgemeinen Gewaltverbots zu werten?

Krieg ist nur im Rahmen von Selbstverteidigung gegen einen militärischen Angriff (Artikel 51 der UN-Charta; also nicht gegen eine Sanktionsmaßnahme!) oder mit Zustimmung des Sicherheitsrates (hier nicht einschlägig) eindeutig erlaubt. Daneben gibt es ein paar Grauzonen, z.B. die Necessity (wenn z.B. die USA Afghanistan angreifen, weil dort eine Terrororganisation, die einen militärisch-äquivalenten Gewaltakt (11.09.), sitzt und die Taliban das tolerieren), die Rettung eigener Staatsangehöriger und die humanitäre Intervention (z.B. im Kosovo).

—> Eine bloße Sanktion wie das Einfrieren der Mittel im eigenen Herrschaftsbereich oder die Verstaatlichung von Assets einer anderen Regierung im eigenen Herrschaftsbereich kann völkerrechtlich nie ein legitimer Kriegsgrund sein. Das dürfte zumindest die absolute Mehrheitsmeinung sein, absurde Minderheitsmeinungen gibt es natürlich immer…

Wenn wir natürlich das Ganze historisch aufziehen, würde man die „Rausgabe von (unkompensiert) enteignetem Eigentum“ nach Grotius als „Wiedererlangung des Genommenen“ als gerechten Kriegsgrund definieren - aber da sind wir bei einem Verständnis von Kriegsgründen aus dem 17ten Jahrhundert, das zum Glück heute maßgeblich überholt ist. Heute ist die „Wiedererlangung des Genommenen“ grundsätzlich kein legitimer Kriegsgrund mehr, wird aber häufig weiterhin bei der moralischen Betrachtung von der angreifenden Kriegspartei als legitimer Grund gesehen (z.B. wenn Aserbaidschan Bergkarabach zurückerobert…), aber das Völkerrecht ist da sehr klar: Sowas muss ohne Krieg geregelt werden. Wie realistisch das ist steht auf einem anderen Blatt, das Gewaltverbot der UN ist schon sehr idealistisch gedacht, wie man leider aktuell an vielen Orten sehen kann.

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Innerhalb der EU gilt das zum Beispiel nur eingeschränkt. Die Institutionen der EU haben gerade in finanziellen Fragen durchaus Mittel, Fehlverhalten zu sanktionieren.

Ich nehme an, das hängt ein wenig von der Definition „militärischer Mittel“ ab. Zum Beispiel hat einmal ein Hedge Fund, der in argentinische Staatsanleihen investiert hatte, ein ghanaisches Gericht überzeugt ein Schiff der argentinischen Marine (das sich in Ghana zu einem offiziellen Besuch befand) zu pfänden: The Real Story Of How A Hedge Fund Detained A Vessel In Ghana And Even Went For Argentina's 'Air Force One'

Streng genommen hat hier Ghana staatliche Gewalt gegen ein Kriegsschiff eines anderen Landes eingesetzt um eine finanzielle Verpflichtung durchzusetzen.

Ansonsten würde ich aber den Ausführungen von @Daniel_K zustimmen. Mit der Einschränkung, dass es zwar ein Gewaltverbot im Völkerrecht gibt, aber keine zentrale Gewalt, die einen Verstoß dagegen ahndet. Das kriegen wir beim russischen Angriffskrieg schön demonstriert: Russland verstößt sehr offensichtlich gegen das Völkerrecht, Sanktionen muss es aber nur in dem Umfang fürchten, wie andere Akteure der internationalen Politik sich auf diese einigen können.

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Vielen Dank @Daniel_K und @ped für eure Einordnungen. Habe zufällig im FAZ Einspruch Podcast (Folge 311) dazu gehört, dass der wesentliche Unterschied zwischen dem Zugriff auf die Zinsen und dem Zugriff auf das gesamte Vermögen darin besteht, dass ersteres im Besitz von Euroclear ist. Details wurden nicht genannt aber es scheint so, dass der Zugriff auf die Zinsen somit keinen Bruch des Völkerrechts darstellt, während das beim Zugriff auf das gesamte Vermögen umstritten ist.

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Insofern scheint zumindest die EU schon der Meinung zu sein, dass die rechtliche Einordnung eine entscheidende Rolle spielt.