Deutsche Ratlosigkeit in Nahost

Hallo zusammen!
Mir scheint es so, als ob Deutschland gerade völlig ratlos ist, wie es mit der Situation in Israel, dem Gasastreifen und Westjordanland umgehen soll. Wie gehen wir mit dem möglichen Haftbefehl gegen Netanjahu um? Wie positionieren wir uns wenn unsere Nachbarn eine „Zweistaatenlösung“ ohne Israelische Zustimmung proklamieren (Anerkennung eines neuen „Staates“).

Muss man das alles gut finden? Nein sicher nicht. Was man aber können muss ist darüber Reden. Bei uns erstickt diese Diskusion meiner Meinung nach schon lange unter unserer Staats-Räson. Ich denke hier zum beispiel im speziellen an die Ereignisse rings um die letzte Dokumenta in Kassel. Die deutsche Öffentlichkeit wollte sich dort gefühlt selbst für ihre offenheit und weltgewandheit feiern indem man die Leitung einer Künstlergruppe aus dem „globalen Süden“ übergab. Statt dann aber mit ihnen darüber zu sprechen warum sich antisemitisch zu deutende Stücke dort fanden haben wir diese lieber verhüllt, versteckt und die Künstler aus dem Land gejagt. Hier wäre die letzte von vielen Gelegenheiten gewesen, wie man trotz unserer Verantwortung für ein sicheres jüdisches Leben weltweit damit umgehen kann, das ein Staat der sich als sicherer Hafen für alle Juden versteht, auch Schattenseiten hat.
Das Netanjahu ein koruppter Nationalist erster Klasse ist, der nur wegen seines Amtes noch nicht vor Gericht steht, ist ja schon lange bekannt.

Kurzum, ich denke, wir müssen dringend eine ernsthafte Diskusion darüber führen wie unsere Staatsräson auch heute mit der realpolitischen Situation im Nahen Osten vereinbar ist. „Deutschland steht immer an Israels Seite“ könnte uns sonst genauso auf die Füße fallen wie der „Wandel durch Handel“ mit Russland.
Evtl haben wir auch einfach ein Problem damit uns auf das 21te Jahrhundert einzustellen, den scheinbar überfordern uns Zeitenwenden (davon gibt es viele aktuell, nicht nur Russland und Israel).

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Scheint ja jetzt Mode zu werden hier, dass es alle zwei Tage einen neuen Thread gibt, in dem behauptet wird, es gäbe hierzulande überhaupt keine Diskussion mehr über den Nahen Osten und man dürfe Israel nicht mehr kritisieren. Etwas absurd angesichts von unzähligen Talkshows, Medienberichten und Social-Media-Postings, aber bitteschön.

Welche Diskussion wird denn genau „erstickt“ und was hat das mit der verkündeten „Staatsräson“ zu tun? Da wäre ich doch für eine Erläuterung dankbar.

An dieser Darstellung stimmt Vieles nicht. Auch hier gab es unzählige Medienbeiträge, Podiumsdiskussionen etc. über die Kunstwerke. Fehlende Bereitschaft für eine ernsthafte Diskussion über Antisemitismus auf der documenta gab es allerdings eher von Seiten der Künstler und der Leitung, weswegen auch Meron Mendel, der extra dafür als Berater angeheuert worden war, frustirert das Handtuch warf (Antisemitismus-Eklat: Meron Mendel nicht länger Berater der documenta | hessenschau.de | Kultur). Die Bildungsstätte Anne Frank, für die auch Mendel arbeitet, hat allerdings zahlreiche Diskussionen veranstaltet und war auch tagelang in Kassel vor Ort, um mit Besuchern der documenta zu diskutieren (Bildungsstätte Anne Frank: Zum Antisemitismusskandal auf der documenta fifteen).
Dass die Künstler „aus dem Land geschmissen wurden“ stimmt ebenfalls nicht, stattdessen bekamen etwa zwei Mitglieder des Kollektivs ruangrupa anschließend Gastprofessuren in Hamburg (Gastprofessur für Documenta-Kuratoren: Offenbar keine Zweifel - taz.de). Von ihrer Sympathie für freude über den Hamas-Terror machten sie dabei keinen Hehl (Documenta-Kuratoren gefällt Jubel über Hamas-Terror | Jüdische Allgemeine).

All das stammt aus in Deutschland frei verfügbaren Medien. Ich frage daher nochmal: Welche Diskussion wird hier angeblich „erstickt“?

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Ich denke sogar, dass mittlerweile die Hamas durchgehend verharmlost wird von Aktivisten und sogenannten Kulturschaffenden. Die eigene Verantwortung von Palästinensern wird auch ausgeblendet. Es wird ehr völlig unreflektiert gegen Israel gehetzt als ob diese grundlos In Gaza wären.

Ich verstehe auch nicht wieso ständig neue Threads dazu mit unbelegten Behauptungen aufgemacht werden müssen.

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Oh, ich würde mich über eine Diskussion freuen, wie Deutschland Druck aufbauen kann, dass mehr Staaten Israel anerkennen. Das geht in der Diskussion zur Zeit irgendwie unter.
Ja, ich begrüße die Entscheidung von Spanien, Norwegen und Irland grundsätzlich. Alles, was Druck ausübt, eine Zweistaatenlösung zu forcieren, ist zu begrüßen.
Aber der Verhandlungspartner kann und wird nicht die Hamas sein.
Es wird also ein grundsätzliches Umdenken in der palästinensischen Bevölkerung von Nöten sein.
Es ist auch davon auszugehen, dass die, die momentan der Hamas Schützenhilfe leisten, einen Dank erwarten. Da sind so Staaten wie Iran darunter, die systematisch Frauen unterdrücken und Oppositionelle hinrichten.
Wir sollten schon genau die Folgen abwägen bevor Deutschland so einen Schritt wagt.

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Ich finde das ja in der gegenwärtigen Situation ungefähr so konstruktiv wie eine Anerkennung Kataloniens als unabhängigen Staat.

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„Ich finde das ja in der gegenwärtigen Situation ungefähr so konstruktiv wie eine Anerkennung Kataloniens als unabhängigen Staat.“

Sehe ich anders. Für mich ist klar, dass Deutschland sich da zunächst nicht anschließen kann und sollte, aber die PalästinenserInnen brauchen eine Perspektive, und das dringend, gerade wenn man verhindern möchte, dass durch diesen neuen Nahost-Krieg und seine Folgen im Gazastreifen (Zehntausende von Toten, Hunger und totale Zerstörung) ein bis zwei neue Generationen heranwachsen, die in der Hamas und ihren Aktivitäten den einzigen Ausweg sehen.

Da würde ich ja absolut zustimmen, aber welche konkrete Perspektive bietet denn so ein symbolischer Akt? Der Osloprozess ist komplett gescheitert, die PA in der West Bank ist politisch am Ende, die Hamas in Gaza will niemand mehr, aber es hat auch niemand eine Ahnung, wer dort realistisch statt ihr regieren soll. Und in Israel ist die Akzeptanz für einen palästinensischen Staat seit dem 7. Oktober auf einem historischen Tiefpunkt. Was bringt denn in solch einer Situation so eine symbolische Anerkennung Konstruktives? Und ich kann auch diejenigen verstehen, die sagen, dass sich das zum gegenwärtigen Zeitpunkt wie eine Belohnung für den Krieg liest, den die Hamas am 7. Oktober begonnen hat.

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Symbolik ist da, wo etwas Konkretes (noch) nicht angeboten werden kann, manchmal durchaus wichtig. Für die Ukraine liegt ein EU- und NATO-Beitritt auch noch in weiter Ferne, aber die Perspektive einer besseren, friedlicheren, sichereren Zukunft würde ich niemals unterschätzen. Und ich würde Ländern wie Norwegen, Spanien und Irland auch nicht unterstellen wollen, dass sie eine Belohnung der Hamas im Sinn hatten. Ich vermute eher Einsicht in die schiere existenzielle Notwendigkeit dieser Perspektive - nicht zuletzt für die Zukunft des Staates Israel - als Motivation für diesen Schritt.

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Wenn die Ukraine nur solche warmen Worte erhalten würde, aber keine handfeste Unterstützung bei der Verteidigung gegen Russland, würde sie sich glaube ich bedanken. Genau so wie sich die Palästinenser bedanken werden, wenn auf solche symbolischen Akte nicht reelle Unterstützung folgt. Aber was sollte das momentan sein? Im schlimmsten Fall ändern so symbolische Handlungen also nicht nur nichts, sondern entpuppen sich als leere Versprechungen, mit denen westliche Länder ihre Glaubwürdigkeit verspielen. Auch dass die EU in dieser Frage maximal uneinheitlich handelt, freut im Zweifelsfall nur die falschen (von Putin über Xi bis zu Chameini, Nazrallah oder Sinwar). Deshalb meine Frage, welchen konkreten Nutzen dieser Akt denn nun hat.
Und was die Belohung angeht: da geht es glaube ich weniger um die Intention als um die Wirkung des Akts - die bei so etwas natürlich immer mitbedacht werden sollte.

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Momentan geht da außer humanitärer Hilfe sicherlich nichts. Aber eine Zwei-Staaten-Lösung muss her, und da kann die Anerkennung durch mehrere EU-Staaten (ich gehe davon aus, dass sich weitere Länder anschließen werden) sicher in doppelter Hinsicht einen Beitrag leisten, indem sie zu einen eine Zukunftsperspektive aufscheinen lässt und zum anderen den Druck auf Israel erhöht, sich einer tragfähigen und gerechten Lösung nicht länger zu verschließen. Den Gazastreifen in Schutt und Asche zu legen und auch noch die letzten bescheidenen Lebensgrundlagen der Bevölkerung zu zerstören ist jedenfalls keine Lösung für eine zukünftige halbwegs friedliche Koexistenz.

Ähnliche Meinungen gab es auch bzgl. Afghanistan und den Taliban. Ich befürchte, dass wir bei solchen Wünschen wieder in eine solche Situation laufen.

Wenn eine neue Regierung die Hamas ablösen soll, dann muss sie irgendwie auch den Rückhalt in der Bevölkerung erhalten können - und das sehe ich nur durch Zugeständnisse auf Israelischer Seite überhaupt als möglich an.

Die kann aber mit oder ohne die rein symbolische Anerkennung erfolgen, Auswirkungen also null.

Als Ziel ja. Aber der Weg zu diesem Ziel ist eben so verbaut wie vielleicht seit 40 Jahren nicht mehr. Und gegen den Willen einer weit überwiegenden Mehrheit der Israelis wird es keine Zwei-Staaten-Lösung geben, jedenfalls keine die sich nennenswert von Status quo unterscheidet. Auch da bringt es also überhaupt nichts, einen Staat anzuerkennen, den es de facto nicht gibt.

Das sicher nicht, aber der Bevölkerung in Gaza ist eben auch nicht geholfen mit einer „Regierung“, der die Lebenssituation „ihrer“ Bevölkerung sch***egal ist und die all ihre Ressourcen in den heiligen Krieg investiert und die mit ihrer Art der Kriegsführung eben diese Zerstörung mutwillig hervorruft. Aber auch daran ändert das Papier von Norwegen, Island und Spanien absolut nichts.

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Vorher müssten sich die Palästinenser auch klar von der Hamas distanzieren. Das ist die Grundbedingung dass überhaupt von Israel größere Zugeständnisse erwartet werden können.

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Gerade kommt die Meldung rein, dass die spanische Arbeitsministerin eine offizielle Rede mit den Worten schloss „vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein“.
Quelle: x.com

Wow, da fehlen einem die Worte bei so viel Ignoranz. Palästina beschneidet seine Freiheit selbst genug durch ihre Unterstützung der Hamas und dem Jubel über Tote und vergewaltigte Zivilisten. Schon allein deswegen muss Deutschland hinter Israel stehen und nicht der Hamas auch noch in die Karten spielen.

Nicht vergessen: Ein sehr großer Teil der palästinensischen Bevölkerung besteht aus Minderjährigen. Meiner Meinung nach verbietet sich schon deshalb eine Verallgemeinerung wie die, dass „Palästina“ über Tote und vergewaltigte Zivilisten gejubelt hätte, ebenso wie die Unterstellung, dass „Israel“ die Vertreibung der Palästinenser wolle. In beiden Bevölkerungen gibt es Haltungen, die ich absolut nicht teile. Man kann sehr wohl die Hamas und ihren brutalen Terrorangriff verurteilen, ohne sich hinter die derzeitige israelische Regierung zu stellen, deren Politik von rechten und ultrarechten Hardlinern geprägt wird.

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Klar. Die Anerkennung bewirkt genau gar nichts.
Aber sie übt Druck auf Netanjahu aus, eine politische Lösung anzustreben.
Israel muss sich schon vorwerfen lassen, bisher an einer Zweistaatenlösung kein Interesse gezeigt zu haben.
Mit der westlichen Unterstützung fühlte man sich dabei auch im Recht.
Dennoch kann es so nicht weitergehen.

Putin reichte das als Kriegsgrund.

Was zeigt, wie wichtig es ist, die Staatsgründung an solche Bedingungen zu knüpfen. Mit Afghanistan gab es bereits einen Staat, was es ungleich schwieriger macht.
Natürlich schützt das nicht davor, dass nach den ersten Wahlen die Hamas wieder am Drücker sein könnte und den Staat zu einem Gottesstaat umbaut.

Dass davon irgendein Druck auf Netanjau ausgeht, halte ich ehrlich gesagt für eine naive Hoffnung - aber nicht auszuschließen, dass das dennoch das Motiv war. Netanjahu ist ein erklärter Gegner der Zweitstaatenlösung und hat auch schon des Öfteren damit Wahlkampf gemacht und gewonnen. Und der Druck aus Israel, den er aushalten muss, ist ungleich größer.

Ja, man kann das der israelischen Gesellschaft vorwerfen. Das ändert aber nichts daran, dass selbst Politiker der Opposition, die früher vehement für eine Zweistaatenlösung eingetreten sind (und diese auch immer noch prinzipiell anstreben), sagen dass sie nach dem 7. Oktober erst mal tot ist.
So wie die Stimmung in Israel gerade ist (und zwar nicht nur bei den Rechten), werden unüberlegte symbolische Handlungen wie in diesem Fall von Spanien eher dazu führen, eine Zweistaatenlösung noch unwahrscheinlicher zu machen.

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Als Einwurf:
Laut Wiki wird der Staat Palästina von 143 UN-Mitgliedstaaten anerkannt. Bei Israel sind es 162. Meines Wissens ist es dem internationalen Recht egal, wie die anerkennenden Staaten intern verfasst sind, es gibt Theokratien, Demokratien, Kommunistische Diktaturen, Monarchien, you name it, aber keine Staaten 1. und 2. Klasse.
D.h. überspitzt gesagt, wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir sind, aber auch nicht unbedingt denken, dass Europa der Nabel der Welt und es so entscheidend sei, was unsere Regierungen hier im Wurmfortsatz Asiens denken. De jure hat sich die Welt für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen.

Der Staat Palästina weist mW deshalb keine vollständige Staatlichkeit auf, weil er nicht in der Lage ist, Staatsgewalt über sein Territorium auszuüben. Das verhindern (korrigiert mich) die militanten Organisationen im Inneren wie Hamas (die ja 2007 als Teil der Regierung geputscht hat) und Islamischer Djihad mit Unterstützung insb. durch das iranische Netzwerk sowie von Außen die israelische Siedlungspolitik und Blockaden, abgesichert durch militärische Überlegenheit, auch durch (westliche) Unterstützung.

Daher scheint mir wie hier schon vielfach bemerkt, dass diese Aktion weder in die eine noch in die andere Richtung groß etwas bewirken dürfte - was auch bedeutet, der im Ausgangspost suggerierte Handlungsdruck für D scheint mir speziell hier nicht so groß.

Vermutlich ist die Anerkennung ganz hilfreich für Gespräche mit arabischen Nachbarstaaten Israels und den offiziellen Vertretern des Staates Palästina (eben nicht die Hamas), aber abträglich für den Kontakt zu Israel (eher in die Zukunft gedacht, Netanjahu erreicht anscheinend ohnehin kaum noch jemand).
Für die EU könnte es grundsätzlich bei der Mitarbeit an der Lösung des Konflikts sogar von Vorteil sein, beide Seiten bespielen zu können - wirklichen Willen zur Befriedung, Pragmatismus und gute interne Abstimmung vorausgesetzt (leider in aller Regel Mangelware…).

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