Der unhinterfragte Mythos der hochprofessionalisierten Berufsarmee

Ich würde mich sehr freuen, wenn in der Lage nicht unreflektiert die Prämisse der „hochprofessionellen“ Berufsarmee übernommen wird. Was ich damit konkret meine, werde ich im Folgenden ausführen. Ein solcher Beitrag schien mir aber mal angebracht, jetzt wo Wehrpflicht und Co. vielleicht vermehrt Thema sein werden.

Die Grundannahme, dass Berufsarmeen irgendwie hochprofessionell und spezialisiert sind, war jetzt bspw. in den letzten DLF „der Tag“ Folgen mehrfach zu hören, findet sich aber eigentlich überall in den Medien. Aber auf welcher Datengrundlage beruht diese Einschätzung eigentlich? Denn ich habe an der Universität damals Seminare zur Militärgeschichte besucht und der Dozent entwarf dort ein ganz gegenteiliges Bild: Seiner Darstellung nach hatten sich die Wehrpflichtigenarmeen in den NATO-Manövern meist besser, keinesfalls aber schlechter geschlagen als die Berufsarmeen. Diese Aussage eines Experten kann ich nach so vielen Jahren gar nicht irgendwie belegen, aber mein Punkt ist ja folgender: Kann das Gegenteil, also die Überlegenheit von Berufsarmeen irgendjemand belegen? Auf welchen Daten beruht eine solche Einschätzung? Oder beruht sie nicht vielmehr nur auf dem intuitiven Zirkelschluss, dass eine Berufsarmee irgendwie professioneller ist, weil dort ja professionelle Berufssoldaten sind?

In den Medien wurde ja vor dem Hintergrund internationaler Konflikte ja gern so getan als wäre die Wehrpflichtigenarmee dafür per se ungeeignet, weil man „natürlich keine Wehrpflichtigen“ nach Afghanistan schicken könne. Das ist selbstverständlich richtig, hat aber ja auch niemand vorgehabt. Als Faustregel gilt ja immer, dass für jeden Soldaten im Einsatz (je nach Einsatz) 5-10 Soldaten im Hintergrund arbeiten: Irgendwo muss Material verschifft, Ausrüstung repariert, Essen gekocht, Wäsche gewaschen, Listen geführt werden etc. und viele Stellen dieser Logistik können selbstverständlich auch Wehrpflichtige ausfüllen, ohne dass die Berufssoldaten und SAZ die tatsächlich „im Felde stehen“ deshalb irgendwie weniger professionell unterwegs wären. Also die Wahrnehmung, dass Wehrpflichtigenarmeen weniger professionell in Einsätzen agieren könnten, weil da vorne irgendwie Rekruten rumspringen die gerade aus der AGA kommen, geht ja einfach an der Realität vorbei. Die kämpfende Truppe kann ziemlich exakt die gleiche sein.

Mal ganz abgesehen, dass viele Armeen – auch die Bundeswehr – für Afghanistan und Co auch auf FDWLer gesetzt haben, also maximal 23 Monate tätige, speziell weitergebildete Grundwehrdienstleistende. Auch derartig kurz Dienende zählten also zu den „hochprofessionellen Streitkräften“. Der Eindruck, dass nur SAZ und Berufssoldaten irgendwie „professionell einsatzfähig“ wären ist daher fehlgeleitet. Selbstverständlich gibt es Anwendungsbereiche die nur langjährig Dienende ausüben können (Hubschrauber und Flugzeug fliegen etc.), sie stellen auch den Großteil der „kämpfenden Truppe“, aber das bestreitet ja gar keiner. Eine Wehrpflichtigenarmee ist ja immer ein Mix zwischen GWDLern und professionellen Soldaten und da hat jeder seinen, dem eigenen Ausbildungsstand angemessenen, Aufgabenbereich. Ist das nicht professionell? Bzw. woraus ergibt sich bei einer Armee aus reinen Berufssoldaten ein „mehr an Professionalität“ wenn dort kein GWDLer nen Laster fährt? Manchmal wird nahegeradezu so getan als wäre eine Berufsarmee die einzig funktionierende Armeeorganisationsform, weil nur dort Professionalität zu erwarten sei. Dementgegen steht allerdings, dass Dutzende Länder über Jahrzehnte Armeen mit Wehrdienstleistenden hatte, ohne dass jemand deren „Professionalität“ in Frage gestellt hat. Das ist ein Narrativ, was sich im Zuge der Diskussion über die Aussetzung der Wehrpflicht eingeschliffen hat. Hat das vorher eigentlich auch schon jemand behauptet? Es haben auch genügend Wehrpflichtarmeen nicht weniger erfolgreich Auslandseinsätze absolviert als Berufsarmeen – und warum denn auch nicht?

Denn neben der „kämpfenden Truppe“ bleibt ja auch die obere Kommandostruktur, also der die professionellen Entscheidungen treffende Kopf, von Wehrpflichtigen unberührt, wenn die Wehrpflichtenausbildung als zweite Säule integriert ist. Mit anderen Worten: All diejenigen, die Befehle erdenken und erteilen sind ja nach wie vor langjährige Soldaten und keine GWDLer. Also „im Denken“ wird eine Armee dadurch also auch nicht schlechter. Dass „professionelle“ Armeen irgendwie die „richtigeren“ Entscheidungen treffen, lässt sich ohnehin bezweifeln. Aus dem Kosovokrieg (als es noch viele Wehrpflichtigenarmeen gab) kennen wir die Beispiele in denen Wehrpflichtigenarmeen zum Schutz der bedrängten Zivilbevölkerung zur Waffe gegriffen haben, während die niederländische Berufsarmee in Srebrenica sich bekanntermaßen fatalerweise hinter der Anweisung zur ausschließlichen Selbstverteidigung versteckte. (hab jetzt auf die schnelle nur diese Episode in der Publikation der Universität Lund über die Schweden im NORDBAT gefunden, die weniger kritisch ist, als es der Linktitel vermuten lässt: Trigger-Happy, Autonomous, and Disobedient: Nordbat 2 and Mission Command in Bosnia Wenigstens über die Dänen ist mir eine gleichartige Episode bekannt.) Das ist selbstverständlich nur anekdotische Evidenz, aber es zeigt eben, dass es kein Naturgesetz ist, dass Berufsarmeen irgendwie besser oder „richtiger“ performen. Genau dies wird aber immer ein Stück weit unterstellt, wenn die Rede davon ist, dass irgendwas von „hochprofessionellen Berufsarmeen“ gemacht werden soll bzw. muss.
Kurzum: Mir wird die Annahme, dass nur Berufsarmeen irgendwie „hochprofessionalisiert“ wären, viel zu unzureichend belegt bzw. begründet. Journalisten erläutern nie, warum die Berufsarmee „professioneller“ ist, denn das ergibt sich schon aus dem Wort „Beruf“. Das klingt für mich aber nach einer ähnlichen Logik, als wenn ich sage, dass Postbeamten die wichtigeren Briefträger als ihre unverbeamteten Kollegen wären, weil sich das schon aus dem Wort „Beamten“ ergäbe, die ja wichtige Aufgaben für den Staat erfüllten. Polemik beiseite, finde ich es wirklich problematisch wenn das „professionelle“ bei der Berufsarmee immer vorausgesetzt wird, ohne, dass konkret (!) erläutert wird, an welcher Stelle sich was in einen „professionellen“ Vorteil übersetzt. Vor allem in Vergleich mit Wehrpflichtigenarmeen, wo dieselben Berufssoldaten und SAZ in den gleichen Kommandostrukturen als kämpfende Truppen unterwegs sind. Aber warum eine Wehrpflichtigenarmee weniger hochprofessionell ist, weil irgendwo ein GWDLer in der Schreibstube sitzt, erschließt sich mir erstmal nicht. Klar braucht eine Wehrpflichtigenarmee gewisse eigene Strukturen, aber warum wird die Armee deshalb an welcher Stelle in ihrem Handeln weniger professionell?
Dies nur aus meiner Warte als food for thought, weil mich zunehmen das Gefühl beschleicht, dass hier ein Topos perpetuiert wird, den gar keiner mehr versucht inhaltlich zu erläutern. Sollte ich hiermit fehlgehen und mein Beitrag dazu führen, dass mir jemand „das Offensichtliche“ vor Augen führt, dann hätte ich ebenso gewonnen.

Noergel

Oha……viel Input.

Ich kann mich an meine Dienstzeit in Augustdorf noch erinnern, wo in der Senne auch britische Berufssoldaten stationiert waren.
Zumeist aber junge Männer, die zwischen Knast oder Armee wählen mussten.
Zu der Zeit hatte die britische Armee wohl große Probleme mit der Disziplin und Motivation, was auch in den 90ern bei anderen Armeen ein Thema war, die auch eine Berufsarmee umgestellt hatten.
Betrifft nur einen Teil der Soldaten, färbt aber aufs Gesamtbild ab.

Frage ist auch, ob nur Geld die treibende Motivation ist.

Auf der anderen Seite lassen sich Soldaten, die sich langfristig verpflichtet haben, länger und intensiver ausbilden , sie haben oft mehr Berufserfahrung und Fachkompetenz über die Zeit.

Gibt wohl viele Aspekte, die auch von der Konstitution der jeweiligen Armee abhängen

Das allgemeine Argument hier scheint zu sein:

a) Das einerseits wird immer weniger „dumme“ Infanterie gebraucht wird
b) Während gleichzeitig die Komplexität der genutzten Waffensystem stetig zunimmt.

Woraus geschlossen wird, dass man einen Wehrpflichtigen in den verfügbaren sagen wir 6 Monaten nicht ausreichend trainiert bekommt.

Der Kriegsverlauf in der Ukraine scheint a) nicht zu unterstützen. Und b) erschein mir mehr ein Designfehler der System Hersteller zu sein.

Mit Blick auf den Personalmangel von Armeen, aus demographischen Gründen oder aufgrund fehlender Bereitschaft der „jungen“ Generation (völlig wertfrei), müsste der Blick ggf auch Richtung Automatisierung von Waffensystemen gehen.
Mit allen neuen Risiken die damit entstehen.

Es kommt darauf an, worauf man ausgerichtet ist: Eine Wehrpflichtigenarmee hat zum großen Teil den Sinn, eine allgemeine Reserve aufzubauen und zu jedem allgemeinen Zeitpunkt eine relativ große stehende Armee zu besitzen. Innerhalb dieser Armee gibt es einen Teil Berufs- und Zeitsoldaten, die sich hauptsächlich aus den Wehrpflichtigen rekrutieren. Mit dem, wie wir heute wissen: vermeintlichen Wegfallen des Aufgabengebiets LV/BV, benötigte man nur noch den Teil Berufs- und Zeitsoldaten als „moderne Interventionsarmee“.

Wenn man es schafft, aus der Bevölkerung genügend Zeit- und Berufssoldaten zu rekrutieren, dann ist eine Wehrpflichtigenarmee unter der Prämisse schlicht nicht notwendig. Ich sehe da ehrlich gesagt keinen Widerspruch - sicherlich kann ich mit einer Wehrpflichtigenarmee (eventuell bei größerer Gesamtstärke) die Aufgaben ebens erfüllen, aber notwendig ist sie für die Erfüllung nicht unbedingt.

Drum stell ich ja gar nicht in Frage, dass die Speerspitze der kämpfenden Truppe aus Berufssoldaten gebildet wird. Aber es gibt eben genügend Arbeiten und Organisation, wo sich mir nicht erschließen würde, warum das durch Berufssoldaten besser erledigt würde. Die Aussage „länger dabei ist automatisch kompetenter“ würde ich immer mit Fragezeichen versehen. Ein Ladeschütze für den Leopard erreicht irgendwann sein Ausbildungslimit ^^
Inwiefern unsere kaputtgesparte Berufsarmee jetzt viel Manövererfahrung und Fachkompetenz entwickeln konnte, wenn es an vielen Ecken fehlte, ist nochmal eine ganz andere Frage.

Das sind tatsächlich talking points, aber wie gesagt: Die GWDLer haben ja früher auch nicht allein n Patriotsystem bedient, sondern den LKW mit den Raketen gefahren.
Der Einschätzung, dass sich insbesondere der erste Punkt in der Ukraine nicht bewahrheitet, würde ich zustimmen.

Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Die „konventionellen Abschreckung“ von der jetzt immer die Rede ist, wäre bei einer wehrausgebildeten Gesellschaft viel größer als bei 5 hochgerüsteten Divisionen. (also mal ab, das NATO und co die größten Abschreckungen sind).
Aber es geht hier ja nciht primär darum, welche Vorteile Wehrpflicht hat, sondern ob Berufsarmee tatsächlich den vermeintlichen Professionalitätsvorsprung hat.

Noergel

Wobei das ja gerade daran liegt, dass die Ukraine nicht die hoch-professionellen Mittel hat, die es bräuchte, um die russische Bodeninvasion im Keim zu ersticken. Das, was wir in der Ukraine sehen können, zeigt, dass der Mangel an modernen Waffen zu einem Rückfall in Zeiten des Infanterie- und Grabenkrieges führt. Würde die Ukraine die Waffen bekommen (und einsetzen dürfen), die sie bräuchte, um die russischen Nachschublinien effektiv zu bekämpfen, bräuchte die Ukraine auch nicht so viel „Frontlinienfußvolk“, um die Schützengräben zu halten.

Für die NATO als Ganzes stellt sich die Frage nach dem Bedarf:

Die Länder an der Front zu Russland haben einen großen Bedarf an „Frontlinienfußvolk“, der Rest der NATO hat einen großen Bedarf an hoch-spezialisierten Unterstützungstruppen. Wenn Russland in Estland oder über Belarus in Polen einfallen würde, würden die NATO-Armeen (hoffentlich) alle mobilen, hoch-spezialisierten Truppen in Bewegung setzen, um dort zu unterstützen. Die Menschen in den Schützengräben hingegen wären weiter Esten und Polen. Wir hingegen würden Panzer, Artillerie, Kampfflugzeuge, Bomber und co. schicken, um dafür zu sorgen, dass die Russen erst gar nicht bis in die estnischen oder polnischen Schützengräben vorrücken könnten.

Warum also sollten wir Frontlinienfußvolk ausbilden? Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass „Blitzkrieg“ im Sinne von „Ein Land wird binnen Tagen überrannt“ im Zeitalter des „gläsernen Schlachtfeldes“ nicht mehr möglich ist - wenn die Russen in Deutschland einfallen könnten, hätten wir den Krieg bereits verloren. Polen und Estland könnten die russische Armee ähnlich wie die Ukraine lange aufhalten - und wir helfen mit hoch-spezialisierter Militärtechnik, die Verluste der Verbündeten so niedrig zu halten, dass Russland einfach keine Chance hat. Das ist die Strategie. Und das leistet eine professionelle Armee.

Dieser Wettlauf läuft ohnehin schon, wobei hier natürlich klar ist, dass sich die automatischen Systeme beider Konfliktparteien gegenseitig aufheben und am Ende doch wieder Menschen am Zug sind. Die Utopie, dass irgendwann nur noch Roboter gegeneinander kämpfen, funktioniert nur, wenn die unterlegene Seite bereit ist, aufzugeben, sobald ihre Roboter besiegt sind. Erfahrungsgemäß wird die unterlegene Seite dann aber einfach ihre Menschen gegen die Roboter in’s Feld schicken - außer natürlich, die Roboter sind so massiv überlegen, dass es offensichtlich aussichtslos ist. Dann wären wir aber tatsächlich nur noch einen Systemfehler von der „Auslöschung der Menschheit durch KI“ entfernt :wink:

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Wir führen die Wehrpflichtdebatte ja nicht aus einer Laune heraus.
Berufs- und Freiwilligenarmeen konkurrieren mit den Wirtschaftsunternehmen um die besten Köpfe.
Wobei Soldat sein noch ein erhöhtes Berufsrisiko hat.

Und Wehrpflichtige haben ja damals nicht nur 6-9-12-15-18 Monate auf der Stube gesessen und gesoffen. Das waren eher Einzelfälle.

Als Zugführer bei den Grenadieren hatte ich 3 Schützenpanzer, 3 Unteroffiziere/Feldwebel als Gruppenführer , und rund 24 Wehrpflichtige, die hervorragende Kraftfahrer, Richtschützen, MG- oder Panzerfaust/Milan Schützen waren, oder Scharfschütze oder Funker.
Mit den wäre ich guten Gewissens in ein Gefecht gezogen, weil die gut ausgebildet, sehr reflektiert und motiviert waren.

Also schlechter sind Wegrpflichtige auf keinen Fall.

Nochmal ganz pointiert: Es geht mir nicht um „Wehrpflich vs Berufsarmee“ was ist das bessere Modell? Sondern ich frage mich, woher der Vertrauenvorschuss für die „hoch-Professionalität“ der Berufsarmee eigentlich kommt. Sitzt man hier einer falschen intuitiven Annahme auf, perpetuiert einen talkingpoint der in der Diskussion um die Abschaffung der Wehrpflicht Konjunktur gewonnen hat oder gelingt es Journalisten (und uns) das auf konkrete Daten zu stützen? Mit meinen Ausführungen, wollte ich nur mal direkt den naheligensten Entgegnungen über die Leistungsfähigkeit von Wehrpflichtarmeen vorbauen.

Aber ist das nicht auch hier wieder genau der Fehlschluss, den ich eingangs versucht habe aufzudröseln? Woher kommt denn die Annahme, dass Wehrpflichtige nur Fußvolk (für den Fleischwolf) sind und nicht die für einfache Tätigkeiten ausgebildeten Soldaten, die den professionellen Arm der Streitkräfte unterstützen? Die kämpfende Spitze besteht doch in beiden Armeeformen aus den gleichen SAZ und Berufssoldaten.

Es kommen doch auch auf jeden hochspezialisierten Spezialspezialisten an nem Waffensystem mindestens ein Dutzend Menschen, die relativ einfache Aufgaben zuverlässig erfüllen müssen. Zumindest hat sich mWn niemand über die FWDLer am Hindukusch beschwert, die genau diese Funktion wahrgenommen haben. Oder sind die mit ihrem zusätzlichen drei-Monate-Kurs schon Teil der hoch-spezialisierten Truppe? (Und was bedeutet eigentlich „hoch-spezialisiert“?)

Aber ist das nicht gerade ein Indikator dafür, dass Konflikte eben viel länger dauern, als ihn die paar hochspezialisierten Divisionen auch in der Abwehr führen könnten? Wenn man im Baltikum einen russischen Vormarsch aufhält und sich die Front da festfrißt: Wo kommen nach 4 Wochen die ganzen „hochprofessionellen“ Ersätze für die Kampfkraftverluste her? (Kann man nicht durch den Rückgriff auf vorgebildete Wehrpflichtige die Lücken viel schneller schließen und ist dann länger professioneller?)
Ist Berufsarmee nicht eher eine Wunschvorstellung für schnelle Rotationen in internationalen Einsätzen ohne große Verluste?

Ich hab die Fragen jetzt nur an deinem Post mal aufgehängt, die mich im Zuge der mMn eindimensionalen Medienberichterstattung, die meist nur talking points der Pressekonferenz aufgreift, stört. Also fühl dich da nicht persönlich bedrängt alles beantworten zu müssen, nur weil ich dich zitiert hab.:slight_smile:

„Hoch-professionell“ ist in meinen Augen ein echtes Buzzword was im Kontext der Berufsarmee ständig gedroppt wird, ohne dass jemand erläutert wie das zusammenhängt oder wo es herkommt. Vermeintlich weil es sich so zwingend aus dem Zusammenhang ergibt. Aber warum die professionellen Soldaten nur in der Berufsarmee „hoch-professionell“ sein sollen und in anderen Armeemodellen nicht, erschließt sich mir einfach nicht.

Noergel

Ehrlich gesagt: Aus meinem Wehrdienst.

Der Grundwehrdienst war noch lehrreich, das ist der Anteil von „Frontlinienfußvolk“, daher: Wie bewege ich mich im Gefecht, grundlegende Erste-Hilfe, mit welchem Ende des Gewehrs sollte ich auf den Gegner zielen ( :wink: ) und ähnliche Basics.

Alles, was danach kam, war offen gestanden totaler Unsinn. In den 6 Monaten nach der AGA gab es vielleicht kumulierte 12 Unterrichtsstunden Fachunterricht, was für die mir zugedachte Aufgabe als Schreibfunker absurd wenig ist (das SEM 80/90, also das Funkgerät mit dem wir arbeiten sollten, habe Ich ein Mal im Rahmen einer 2-stünden Ausbildung für ein paar Minuten vor mir gehabt und dann einmal für ein paar Minuten im Rahmen einer 48-Stunden-Übung). Hätte ich nach dem Grundwehrdienst mehr tun können als im Schützengraben zu sitzen? Vermutlich nicht.

Tut mir leid, vielleicht war die Ausbildung Anfang der 2000er schon auf einem Tiefststand, vielleicht war ich in einer besonders schlechten Einheit, aber mir fehlt jedes Vertrauen, dass wir es schaffen können, eine relevante Zahl an Wehrpflichtigen auch nur annähernd so weit auszubilden, dass sie im Fall der Fälle mehr wären als die Besatzung von Schützengräben…

Da habe ich weit mehr Vertrauen darin, dass wir es schaffen können, eine sinnvolle Reserve aufzubauen, wenn wir bereit sind, hier angemessen zu investieren - einfach weil diese Aufgabe rein im Hinblick auf das benötigte Ausbildungspersonal und -material eher realistisch erscheint.

Kurzum:
Wir sollten uns lieber auf 100.000 über Jahre hinweg sinnvoll ausgebildete und nützliche Reservisten konzentrieren als auf Millionen von Wehrpflichtigen, die auszubilden niemand die Zeit hat und deren Ausbildung in 90% der Fälle nicht zum Ziel der Einsatzfähigkeit führen würde.

Das kann ich aus eigenem Erleben bestätigen. Da wurde schon viel runtergefahren und auf Auslandseinsätze umgestellt.

Allerdings: wo kommen die Reservisten perspektivisch her? :face_with_monocle:

Millionen Wehrpflichtige sehe ich auch nicht.
Eine grundsätzliche Wehrerfassung mit Abfrage, wer überhaupt bereit wäre für den Wehrdienst, halte ich zumindest für einen nicht wirklich freiheitseinschränkenden Ansatz. Stand heute.

Hm ja gut, diese prägende Erfahrung bezweifel ich nicht. Aber sie ist selbstverständlich genauso anekdotisch, wie die guten Erfahrungen von Mike hier im Channel.
Ich glaube die (post 2000 ?) 9-monatige Wehrpflicht ist hier auch nicht der richtige Referenzrahmen - denn da war die Bundeswehr ja schon so zusammengespart, dass mich gar nicht wundert, dass du dein Einsatzgerät gar nie wieder gesehen hast.
Ich frage mich allerdings ob eine vernünftig finanzierte Wehrdienstarmee (in Deutschland sicherlich also eher vor 1990) mit einer entsprechenden Dienstzeit nicht für deutlich bessere Ausbildungsergbnisse gesorgt hat, die eine echte Unterstützung für die Berufssoldaten sein konnte. (Zumindest höre ich von Menschen die damals aktiv waren, dass sie bspw. tagelang auf dem Schießstand waren, während ich noch abgezählte 5 Schuss abgeben durfte. Mit anderem „Gerät“ war es vermutlich ganz ähnlich).

Also ich denke das Endstadium der BW-Wehrplficht sollten hier nicht als Referenzrahmen genommen werden, weil es Wehrpflichtarmeen ja auch in gut ausgestattet gibt… Aber vielleicht ist das tatsächlich auch mit ein Problem, dass das viele das Endstadium vor Augen haben und deshalb die Berufsarmee den Vertrauenvorschuss „hochprofessionell“ genießt :thinking:

Aber ist das wirklich denkbar?
Also wir hätten schon ein Problem damit, eine 9-monatige Wehrpflicht wieder einzuführen, eine einjährige wäre vielleicht noch denkbar, aber glaubst du wirklich, eine 18-monatige wie vor 1990 wäre realistischerweise möglich? Ich denke beim besten Willen nicht.

Dabei muss man eben auch bedenken, dass eine 14 oder gar 18-monatige Wehrpflicht noch mal stärker in die Freiheit der Betroffenen eingreift als eine „nur“ 9-monatige. Wenn also das Ergebnis ist, dass eine 9-monatige Wehrpflicht nicht zweckmäßig ist, wäre das Resultat also, dass wir über einen noch größeren Freiheitseingriff sprechen.

Da bin ich auch nicht gegen. Das ist ja auch eigentlich keine Wehrpflicht.
Der Unterschied zum schwedischen Modell ist ja gerade, dass im schwedischen Modell vorgesehen ist, dass wenn sich nicht genug junge Menschen freiwillig melden, einige junge Menschen entgegen ihrem Willen eingezogen werden können, bis das vorgesehene Kontingent gefüllt ist (mich würde btw. interessieren, wie oft man auf diese Option zurückgreifen muss). Das sieht der deutsche Entwurf nicht vor. Damit ist es dann auch keine Wehrpflicht mehr, weil eben nur zur Bundeswehr kommt, wer sich aktiv dafür entscheidet. Und das finde ich im Hinblick auf die Personalgewinnung der Bundeswehr auch in Ordnung.

Da kann ich auch wieder anekdotisch etwas beitragen:
Bis 2012 war ich noch als Alarmreserve eingeplant, leider waren in den 10 Jahren seit Dienstzeitende nur zwei Übungen geplant, die beide abgesagt wurden, bis dann die Ausplanung kam (gegen die ich ausdrücklich hätte Widersprechen müssen, was ich nicht tat). Als der Ukraine-Krieg losging habe ich der Reservistenstelle der Bundeswehr eine E-Mail geschrieben und gesagt, dass ich Interesse hätte, wieder als Alarmreserve eingeplant zu werden. Es kam keine Antwort. Das war mir dann zu blöd.

Das ist nur eine exemplarische Biographie, das ist klar, aber die zeigt recht gut, dass es möglicherweise nicht am mangelnden Interesse der Bevölkerung liegt, sondern schlicht an mangelnder Kompetenz der Bundeswehr, die Reserve zu verwalten. Die Reservisten, die man hatte, hat man „rausgeworfen“ und die Bürger, die sich freiwillig melden, werden nicht beim Schopf gepackt und wie wertvolles Personal umworben, sondern ignoriert. So wird das sicherlich nichts.

Die Bundeswehr müsste einfach versuchen, stärker um Reservisten zu werben und vor allem den Einstieg deutlich, deutlich niedrigschwelliger gestalten. Aktuell muss man sich enorm bemühen und geradezu darum bewerben, um „ehrenamtlich“ als Reservist aktiv zu sein - da kann es nicht wundern, dass man zu wenig Personal findet.

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Es ist einfach die effektivere Art die Mittel einzusetzen.
Allerdings braucht es da auch die Möglichkeit, genug Leute zu mobilisieren. In den USA zum Beispiel gibt es genug Menschen mit wenig Schulbildung, die dort eine Perspektive für sich sehen. Ähnlich die abgehängten Regionen in Frankreich. Auch in Russland ist die Motivation groß. Es lässt sich dort verhältnismäßig gut verdienen. Alle drei Länder begegnen ihren Soldaten auch mit viel Respekt.
Wäre das in Deutschland ähnlich, würden wir diese Diskussion nicht führen. Stattdessen rufen wir nun nach der Wehrpflicht: holen wir alle, die wir kriegen können, vielleicht können wir genug überzeugen, dass sie bleiben.

Hängt wohl auch von der Sicht auf Soldaten im jeweiligen Land zusammen.

Grundsätzlich wird ein Soldat/ eine Soldatin in den USA, Frankreich und sogar Russland in der Bevölkerung eher positiv gesehen.
In Deutschland besonders nach Ende des Kalten Krieges und der Wehrpflicht werden Soldaten maximal geduldet oder, positiv, als irgendwie nötig akzeptiert, besonders wenn diese bei Katastrophen unterstützen.
Das mag mit der deutschen Geschichte und einem daraus erwachsenen „Grundpazifismus“ der Deutschen (was positiv ist) zusammenhängen.
Das spielt natürlich auch auf die Attraktivität der Bundeswehr ein, zusammen mit knappen Finanzen und damit nur begrenzt guten Rahmenbedingungen