Argentinien unter Milei - wie baut man ein failed State neu auf?

In vielen Nachrichten wird berichtet, wie Milei die Wirtschaft und die öffentlichen Einrichtungen Agentiniens radikal umkrempelt. Teilweise muss der Staat aufgrund seiner unzureichenden Versorgung, seiner Hyperinflation, der Verschuldung usw. vollkommen neu aufgebaut werden. Stromversorgung, Beamtenrecht, Devisen, Wirtschaftsrecht, Verschuldung, Wechselkurs, Wohlstandsverteilung, Schwarzarbeit usw.
Jetzt können wir vieles über kluge oder unkluge Entscheidungen in der deutschen oder europäischen Wirtschaftspolitik berichten, tatsächlich muss ich aber zugeben, dass ich wirklich überlegen und recherchieren würde, wie man aus so einem wirtschaftlich gescheitertem Land wieder auf einen Wachstumspfad kommen könnte langfristig.

Eventuell könnte man mal eine Folge machen, in dem man Experten für Makroökonomie, Politikwissenschaften, Argentinien usw. einlädt, um eventuell eine Art theoretische Fallstudie zu erörtern, wie man so einem Land tatsächlich wieder auf die Beine helfen könnte.

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Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Javier Milei hat nicht vor, den argentinischen Staat neu aufzubauen. Vielmehr hat er den argentinischen Staat als Ursache für die von dir aufgezählten Probleme ausgemacht und sieht die einzige Lösung in einem Abbau dieses Staates hin zu einem absoluten Minimalstaat, der grundsätzlich lediglich innere und äußere Sicherheit gewährleistet.

Ferner ist der Begriff eines gescheiterten Staates für Argentinien wohl unzutreffend. Argentinien hat unzweifelhaft krasse wirtschaftliche Probleme. Aber ein gescheiterter Staat wie Somalia und Jemen ist Argentinien (noch) nicht. Aber vielleicht gelingt es Milei, Argentinien in die Liste der gescheiterten Staaten einzureihen. Sollte er seine Vorhaben in die Tat umsetzen, ist dies wohl nur eine Frage der Zeit…

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Ist das nicht der Präsident, dessen letzter Besuch in Spanien die dortige Regierung veranlasste, ihren Botschafter zurückzubeordern und mit dem völligen Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu drohen? Das scheint ein ganz besonderer Mensch zu sein, dem man doch gerne den Umbau eines Landes anvertraut.

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Stimmt. Ich persönlich fände dennoch die vorgeschlagene Fallstudie aus makroökonomischer Perspektive am Beispiel Argentinien durchaus interessant.

Das definitiv. Er ist ein Anarchokapitalist, er will ein neoliberales Utopia bauen und ist bereit, dafür alles zu zerschlagen.

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist jedoch: Wie verzweifelt muss das argentinische Volk sein, dass es so jemanden ernsthaft zum Präsidenten wählt. Wie viel muss in diesem Land im Argen liegen, dass das Volk wirklich sagt: „Alles andere hat nicht geholfen, jetzt muss es die Radikalkur werden“.

Wie so häufig mit extremen Populismus liegt natürlich ein Kern Wahrheit in ihm. Argentinien hatte einen aufgeblähten, korrupten Staatsapparat. Ein Demokrat würde nun versuchen, den Staatsapparat an sinnvollen Stellen zu verkleinern und gegen die Korruption vorzugehen. Aber solche Reformversuche sind wohl schon zu oft gescheitert.

In all dem Schrecklichen könnte hingegen etwas Gutes liegen:
Wenn Milei es schafft, die korrupten Strukturen des Staates abzubauen (und dann vermutlich feststellt, dass sein „schlanker Staat“ in dieser Form nicht funktioniert bzw. die Bürger gegen den schlanken Staat mit seiner extremen Schere von Arm und Reich protestieren werden) wird sein Nachfolger auf den Ruinen von Mileis Utopia vielleicht einen funktionierenden Staat aufbauen. Denn daran, dass der argentinische Staat dysfunktional ist, besteht eigentlich kaum Zweifel. Vielleicht ist eine zum Scheitern verurteilte Radikalkur daher der ideale Ausgangspunkt für einen sinnvollen Wiederaufbau nach Milei… es wird in jedem Fall - das sagt ja selbst Milei - erst Mal schlimmer werden, bevor es besser wird.

Danke für die Richtigstellung. Es war als Überspitzung gemeint, spiegelt aber tatsächlich auch das Bild wider, was die Welt zumindest bzgl. des ökonomischen Zustands des Landes bzw. einiger Länder in Südamerika hat. Wahrscheinlich klafft auf diesem Teil der Landkarte ohnehin noch eine kleine Wissenslücke.

Sehr viele Jahre lang hatte die Bevölkerung dort (wahrscheinlich immernoch) mit hoher Ungleichheit zu kämpfen. Diese ist ein Erbe des Imperialismus, daher wendete man sich in vielen Regionen dort der linken Politik zu. Ein natürlicher Verbündeter war da Russland. Das eine Abkehr von Großlandbesitzern zu einer größeren Wohlstandsverteilung nicht gleich Kommunismus bedeutet, wurde dabei oftmals übersehen.
Gleichzeitig ist der sog. „Chavismus“ als eine südamerikanische Form der Planwirtschaft für mich gleichbedeutend mit Fehlplanung und Mangelwirtschaft (Wasserkraftwerke oberhalb des Wasserspiegels, systematische Stromausfälle, Mangelversorgung in Krankenhäusern, aufgeblähte Beamtenapparate, dessen Beamten dafür bekannt sind, erst am 30. jeden Monats aufzutauchen, um die Lohntüte einzusacken (sog. Gnocchis).

Nur frage ich mich wirklich, wie man als Staatsmann, wäre man eventuell sowas wie ein Alleinherrscher (Philosophenkönig?), so ein Land tatsächlich wieder aufbauen würde, kurz, mittel und langfristig - im Rahmen der Regeln der Weltwirtschaft natürlich.

Man könnte ja sagen, er solle erst einmal die grundlegenden öffentlichen Güter zur Verfügung stellen: sowas wie Medizin, Öffis, Strom usw. Da fängt es allerdings schon an: Strom muss „gefördert“ werden (aus dem Ausland? → Devisen!), Angestellte oder Beamte müssen die Busse fahren (Hyperinflation!?), Medizin muss aus dem Ausland teuer eingekauft werden (Abwertung der Währung?).
Meine Frage ist also, da alles irgendwie miteinander zusammenhängt, im Inland sowie im Ausland, bei der Güterversorgung, wie auch bei dem Geld; an welchen Stellen würde man anfangen und wie könnte ein Maßnahmenplan aussehen?
Irgendwo in dieser Strategy Map würde wahrscheinlich frisches Geld vom IWF stehen.

Das Politikteil von Zeit Online hat vor 2 Monaten eine Folge El Loco gewidmet und mit Dr. Peter Birle (Politikwissenschaftler am Ibero-Amerikanischen Institut Berlin) besprochen. Durchaus hörenswert.

Ich habe daraus mitgenommen, dass El Loco zwar ein Populist und Anarchokapitalist ist, der gewählt wurde weil er sich mit harten Worten in Social Media von den Etablierten absetzte. Aber auch, dass es denkbar ist, dass Argentinien damit nicht wesentlich schlechter ginge als unter den vorherigen Regierungen. Vor allem macht Milei etwas was sonst kaum ein (linker) Politiker tun würde - er mutet temporäre Härten zu, die sich erst langfristig auszahlen dürften. Und er spricht offen darüber.

Ich kenne mich mit Argentinien nicht gut aus, aber wenn ich diese Statistik richtig interpretiere, dann gibt der argentinische Staat (gemessen am GDP) weniger Geld aus als der deutsche: https://data.worldbank.org/indicator/NE.CON.GOVT.ZS?locations=AR-DE

Auch im Bereich Korruption ist Argentinien eher im Mittelfeld als im Extrembereich: https://www.transparency.org/en/cpi/2023/index/arg

Wenn ich diesen Artikel über die Wirtschaftsgeschichte Argentiniens querlese, dann scheint die Ursache der gegenwärtigen Probleme eher im Neoliberalismus der 1970er und 80er Jahre zu liegen und der daraus folgenden extremen Verschuldung: Economy of Argentina - Wikipedia

Insofern macht man mit Milei wohl eher den Bock zum Gärtner – was vielleicht weniger was mit seiner Wirtschaftsphilosophie zu tun hat, als mit seinem generellen populistischen Auftreten. Das Analog wäre Trump in den USA, der ja auch primär wirtschaftspolitische Positionen vertritt, die seiner Wählerschaft schaden, aber aus Identitäten und kulturkämpferischen Gründen gewählt wird.

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So funktioniert das nicht. Ruinen sind Ruinen, was zerschlagen wird, dass braucht Jahrzehnte im Wiederaufbau. Von den politischen und gesellschaftlichen Schäden, die eine „neoliberale Radikalkur“ nachweislich anrichtet (siehe Südafrika, Chile, etc.) mal ganz abgesehen.

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Das kommt immer darauf an, wie viel Beharrungskräfte vorhanden sind. Der Abbau eines durch und durch korrupten, aufgeblähten Systems durch Reformen ist jedenfalls keine einfache Aufgabe, in solchen Situationen kann „Tabula Rasa“ im Sinne von „Wir zerschlagen den ganzen Apparat und bauen es neu auf!“ durchaus sinnvoll sein. Nur halt nicht so, wie Milei es aufbauen will :wink:

Das ist ja das Problem in Argentinien - jeder stimmt eigentlich zu, von ganz links bis ganz rechts, dass der Staatsapparat aufgebläht und korrupt war (ähnlich wie in Griechenland damals) und wirklich etwas passieren muss. Bisher sind alle „sanfteren“ Reformen aber an den Beharrungskräften gescheitert. Die Situation ist kaum vergleichbar mit der Situation in Staaten wie Deutschland oder den USA.

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Ich kann zu Argentinien, insbesondere auch inklusive historischer Aufbereitung, Mick Klöckers’ Podcast Neben der Spur mit Episode 12 empfehlen:

Allgemein finde ich seinen Podcast sehr gelungen.