"Zwei Rechtssysteme"

Hallöle,

In eurer LdN210 habt ihr darüber die These in den Raum gestellt, dass man Facebook (oder Twitter etc… ich schreibe jetzt immer Facebook aber man nehme es bitte als Platzhalter.) nicht die Möglichkeit geben sollte, selber zu entscheiden, welche Posts zulässig sind und welche es nicht sind. Dabei wurden die Community-Guidelines als ein zweites separates Rechstsystem beschrieben.

Ich denke das ist, Entschuldigung, Blödsinn. Es wird so getan, als wäre Facebook in irgendeiner Weise von geltendem Recht befreit, dabei mangelt es einfach nur an der Durchsetzung. Nur weil etwas nicht durch die Guidelines verboten ist, ist es ja trotzdem weiterhin illegal. Ob ein Post jetzt auch entfernt werden muss, weil er illegal ist, aber vielleicht nicht durch die Guidlines verboten ist, sollte selbstverständlich sein. Am Ende sind die Guidlines tatsächlich eine Verschärfung, also Regeln die zusätzlich zu geltendem Recht beschränken was Facebook auf der Seite haben möchte.

Dass sich Leute mit Meinungen oder Themen, die Facebook nicht duldet (entweder wegen ihrer eigenen Regeln oder wegen legalen Problemen), auf anderen Plattformen konzentrieren hat sich mit verschiedenen ImageBoards (4chan, 8chan, Infinichan, …) oder neuerdings ja auch Telegram-Gruppen gezeigt. Facebook hat zwar ein Monopol auf soziale Netzwerke, aber nicht auf die Möglichkeit Meinungen vor relativ großem Publikum zu äussern. Auch (Besonders!) auf diesen Plattformen ist viel mehr fehlenden Durchsetzung des Rechts das Problem, als die Guidelines der Plattformen (ich glaube viele haben auch gar keine Guidelines, das ist ja der Witz). Immerhin sind das die Orte, an denen sich Leute wirklich radikalisieren, was dann zu Attentaten wie in Halle führt. Gerade deswegen fand ich es auch problematisch, dass ‚kleine‘ Foren aussen vor gelassen werden sollten. Ich verstehe natürlich, dass ihr euer eigenes Forum nicht als Problem seht, aber andere Foren sind WIRKLICH problematisch!

Um nicht nur gegen zu reden, sondern auch neue Argumente bei zu tragen: Es ist sinnvoll, dass Facebook eigene Guidelines hat. Z.B. Pornographie, hat mMn keinen Platz auf Facebook. Ob man da jetzt auch die von euch genannte Brust einer stillenden Mutter drunter zählt ist vielleicht eine andere Diskussion, aber ich denke es ist legitim, dass Facebook keine 18+ Bereiche haben möchte. Facebook ist immernoch ein Produkt mit einer Zielgruppe, auch wenn diese Zielgruppe riesig groß ist.

Ich möchte auch sagen, dass ich es für gefährlich halte, Facebooks Regeln durch Gesetzte festzulegen. Das führt zu der Konsequenz, dass wir Facebook als alleinigen Durchsetzer von Gesetzen auf Facebook hinstellen. Das kann nicht sinnvoll sein, wenn das eigentliche Organ dafür doch eine staatlich kontrollierte Stelle sein sollte. Dass wir Facebook überhaupt in dieser Rolle sehen, gibt einem auch erst das Gefühl, dass es zwei Rechtssysteme gibt, und das ist das Problem. Es müsste viel mehr Kontrolle der Inhalte auf Facebook durch tatsächlich legitimierte Organe geben.

Ausserdem ist natürlich noch die Frage wer Facebook denn nun die Regeln geben würde, wenn es einen demokratischen Prozess geben sollte. Nur Deutschland sicherlich nicht. Vielleicht die EU für Posts die aus der EU kommen? Auch doof, da können Leute ja nicht direkt demokratisch ihre Abgeordneten wählen. Ausserdem will ich gar nicht wissen was die sich da ausdenken würden wenn ich mir das Debakel um Artikel 17 in Erinnerung rufe. Und ein globales Gremium, um Regeln für Facebook zu schaffen klingt… unrealistisch.

Ich möchte zu guter letzt hier eine Vision vorstellen, die mMn viel besser wäre:

Ein neues soziales Netzwerk, dass den öffentlichen Raum in digitial abbildet. Keine Community-Guidelines, alles was legal ist darf gesagt und getan werden. (Mit allen Konsequenzen, es wird schmuddelige Teile geben, Teile in die man nur mit 18+ kommt, etc etc). Kontrolliert wird so wie im analogen öffentlichen Raum. Damit meine ich: erstmal gar nicht, solange nur wenige Leute beteiligt sind (wenn die zwei Neonazis am Bahnof sich mal wieder in illegalen Äußerungen üben rückt ja auch nicht die Polizei an). Sobald Das Publikum signifikant wird, müssen da auch mehr Augen draufschauen.

Es muss ein Anzeige-System geben, so dass man Beiträge direkt an geeignete Stellen melden kann. Das ganze darf auf keinen Fall Profitorientiert sein, ob das jetzt staatlich finanziert wird oder wie die öffentlich rechtlichen durch eine Gebühr ist eine andere Frage.

Es könnte ein Netz von Netzwerken sein (siehe GitHub - LemmyNet/lemmy: 🐀 Building a federated link aggregator in rust als Beispiel), so dass für jedes Land eine Instanz errichtet werden kann, aber Nutzer trotzdem die Posts aller Instanzen sehen können. So kann jedes Land sein spezielles geltendes Recht durchsetzten, ohne sich mit den anderen auseinander setzen zu müssen.

Ich bin der Überzeugung, dass es äusserst wichtig ist, die privaten solzialen Netzwerke endlich wieder aus der Rolle der Bühne für Politik zu holen und dafür stattdessen wirklich geeignete Plattformen schaffen.

Ich fand die Aussage zu zwei Rechtskreisen falsch und war froh, dass ihr euch da nicht einig wart.
Es sind zwar zwei Rechtskreise, aber sie sind nicht parallel, sondern ein Venn-Diagramm. Und gültig ist nur, was in der Mitte steht.

Alles andere funktioniert auch nicht ohne Great Firewall, oder dann Berlin Firewall? Denn wenn alles was rechtlich gesagt werden darf von Facebook geduldet werden soll, wessen Recht soll denn gelten?

  • Die USA, also ist Holocaust-leugnen ok?
  • Kleinster gemeinsamer Nenner der Welt, also nichts über das Tian’anmen-Massaker posten?
  • Kleinster gemeinsamer Nenner der EU, also keine Hetze gegen das „Ungarntum“?

Community-Guidelines + Unterstützung der Behörden bei der Aufklärung von Straftaten ist mMn der praktikabelst Weg.

VG