Ich sehe das anders, aber ich verstehe schon dein Argument. Vielleicht sollten wir uns nicht im Kampf um den Begriff verhakeln, wenn wir uns in der Sache ansonsten komplett einig sind?
Das ist ja exakt das Plädoyer von mir und @TilRq falls ich ihn richtig verstehe. Wir sollten weniger auf framende, emotional aufgeladene Begriffe oder Metabeschreibung (ist es eine Zusammenarbeit, gar eine Kollaboration oder doch nur ein Antrag) setzen, sondern lieber in der Sache diskutieren (warum ist der Vorschlag von Merz teils Grütze).
Harte, den anderen verunglimpfende Begriffe bringen einer Diskussion keinen Mehrwert. Dennoch gehören sie viel zu oft zum Handwerkszeug in der öffentlichen Debatte. Ich finde das schade.
Das wäre für mich auch keine Zusammenarbeit, auch wenn ich einem Kanzler Merz mit Gruseln entgegen sehe.
Wichtig wäre natürlich, dass sich Merz dann nicht mit der AfD abstimmt, sondern als Führer einer Minderheitsregierung ausschließlich mit den demokratischen Parteien Gesetze abstimmt oder ungesprochen eigene Initiativen einbringt und offen lässt wer zustimmt.
Ich würde darauf hoffen, dass in einer solchen Situation die demokratische Opposition nicht(!) Opposition aus Prinzip spielt, sondern staatstragend zusammen arbeitet. Leider lässt mich die Politik der letzten 20 Jahre sehr daran zweifeln.
Hallo an alle:
Kann es sein, dass ihr den Thread in eine völlig andere Richtung gelenkt habt?
Es geht hier nicht um mögliche Minderheitsregierungen oder um die Frage, was Zusammenarbeit ist.
Es geht hier um ernsthafte Drohungen gegen NGOs und/oder Aktivisten (Schmutzkampagne, Geldentzug, Strafandrohung siehe Bayern…).
Ich glaube kaum, dass das ganz zu trennen ist. Wenn man nämlich so wie die Union zum Ergebnis kommt, dass die Zusammenarbeit gar keine ist, NGOs vor der Wahl aber darauf bestehen und heftigsten einseitigen Protest aufbauen, dann verwundert es wenig, dass die Union die gesellschaftliche Gemeinnützigkeit anzweifelt.
Um es anders zu sagen: Für den, der sich massiv ungerecht und negativ parteiisch behandelt fühlt, erscheint der Kritisierende eben nicht mehr fair, sondern als Unterstützer des Gegners.
Zum Glück entscheiden über die Anerkennung der Gemeinnützigkeit in Deutschland aber nicht Betroffene oder deren Unterstützer (weder der Union, noch der Omas gegen Rechts), sondern unabhängige Gerichte. Von daher mache ich mir da nicht sonderlich Sorgen, dass hier Unrecht geschehen wird.
Nein! Einfach nein!
Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut und auch das Engagement in der Zivilgesellschaft.
In einer Demokratie wird es nicht durch autoritäre Maßnahmen beschränkt. (Edit)
Erstaunlich ist doch eher der Sinneswandel der Union, die genau diese Art der angeblichen nicht-Zusammenarbeit noch wortreich als Hilfestellung für die Rechtsextremisten auf keinen Fall machen wollte. Es sind nicht die NGOs die die rote Linie der Union übertreten, es ist die Union, die für einen Wahlkampf-Stunt den Rechtsextremisten Geschenke machte. Wer sein gegebenes Wort noch in der gleichen Jahreszeit bricht, hat keinerlei Recht, sich über Kritik zu beklagen. Gemessen an der sehr bewussten Entscheidung der Union nicht nur das gegebene Wort zu brechen, sondern auch den rassistischen Lügen, die zur Rechtfertigung dienen mussten, der politischen Instrumentalisierung der Tat durch Dobrindt gegen den Willen der Mutter des Opfers und der unsäglichen, rechtsextremen Lügen von Demogeld etc., die seitdem verbreitet werden ist die Kritik ausgesprochen milde.
Edit: etwas entschärft.
Wer Union wählt, wählt also eine potentielle schwarz-blaue Koalition.
Wer das verhindern will, muss rot oder grün wählen.
Das eine hängt leider mit dem anderen zusammen.
Die Union interessiert sich eben nur für Demokratie, wenn es für sie auch einen Nutzen hat.
Der Demokratieindex ist nach einem Jahr Ampel sofort um 0,2 Punkte von 8,6 auf 8,8 gestiegen, wo er seit 2014 verharrt war. 2023 ist Deutschland auf Platz 12 geklettert (2022 Platz 14, 2021 Platz 15).
Um fair zu sein: keine Koalition, nur eine 4-jährige Serie von Entscheidungen, die die Union sinnvoll findet und dann ohne Absprache, zufällig mit der AfD durchsetzt.
Ich find das alles ein bisschen voll mit Allgemeinplätzen, auch wenn es, vermutlich gerade deshalb, eine schöne folkloristische Plausibilität hat. Wann ist das denn konkret passiert, deiner Meinung nach, dass massenhaft Konservative als Nazis oder ihre Positionen als Nazipositionen verunglimpft worden sind?
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In den 60er- und 70er-Jahren wurden tatsächliche (Ex-)Nazis und vielleicht diejenigen, die deren Rolle unter den Teppich kehrten, mit entsprechenden Attributen bedacht.
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In den 90ern und frühen 2000ern gab es Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte, Gubener Hetzjagd, Baseballschlägerjahre, Rostock-Lichtenhagen. Dementsprechend wurden diese Leute und die NDP als (Neo-)Nazis bezeichnet. Danach kam der NSU, der hat sich gleich selbst als nationalsozialistisch bezeichnet.
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Dass die Antifa in Demo-Parolen im Zweifel überall Faschismus wittert, ist auch nichts Neues. Nicht mehr ganz neu ist, dass es das seit einigen Jahren auch im Internetz-Neuland gibt.
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Heute wird recht flächendeckend die AfD als Nazi-Partei o.ä. tituliert. Nicht die Union.
Die Union ist ne Partei rechts der Mitte, sagt sie doch selbst. Und natürlich gibt es auch autoritärere und weniger autoritäre, patriarchalere und weniger patriarchale Positionen, rassistischere und weniger rassistische Positionen innerhalb des demokratischen Spektrums.
Die SPD ist ja auch nicht beleidigt, wenn sie nicht als „liberal“ bezeichnet wird, obwohl im historischen Sinne wohl fast alle Parteien links der AfD und rechts der MLPD als „liberal“ gelten können. Oder wenn sie als „links“ bezeichnet wird, nur weil es mal Jahrtausendverbrecher gab, die sich ebenfalls auf „linke“ Ideen bezogen haben.
Auch wenn man z.B. darauf hinweist, dass das Asylrecht als Lehre aus den NS-Verbrechen geschaffen worden ist, dann ist das ein historischer Fakt und keine versteckte Bezeichnung des Gegenübers als Nazi. Nur ein kleiner, feiner Hinweis darauf, dass manche Menschen den zivilisatorischern Fortschritt anscheinend nicht wirklich würdigen und leichtfertig infrage stellen. Wie soll das bloß aussehen, wenn es mal ernster wird? Dass auch die SPD in den Merkel-Jahren und die Grünen in der Ampel große Kompromisse eingegangen sind, sollte auch noch Erwähnung finden.
Und trotzdem setzt sich irgendwie der Eindruck fest, linke oder mittige Parteien, Medien oder NGOs hätten den politischen Diskurs eskaliert und die arme AfD und ihre armen Wähler:innen seien in mehr oder minder großen Teilen nur missverstandene Konservative, die sich in die rechte Ecke gedrängt wurden. Das verstehe, wer will. Hast Du mal Welt, Bild oder Nius gelesen? Und jetzt nenne mir 3 vergleichbar gehässige linke oder mittige Medien (bitte keine obskuren Internetforen oder Nischenblättchen).
Obwohl ich auch selbst kein Freund überspitzter Wortwahl auf der „eigenen“ Seite bin: Wer eskaliert bitte den Diskurs? Doch nur die AfD und die Springer-Presse. Und eben Konservative, die den Kopf verlieren und es aus Halsstarrigkeit, Angst oder Arroganz oder was auch immer nicht schaffen, auf die Bremse zu treten, bevor sie selbst - vielleicht nolens volens, aber objektiv & effektiv - Positionen der extremen Rechten übernehmen. Wenn man auf Positionen und Vorstöße, die so gar nicht gemäßigt sind, sondern noch vor wenigen Jahren als unerhört aufgenommen worden wären, dann kritisch reagiert und sich politisiert, bekommt man aber gesagt, man solle sich doch bitte im Ton mäßigen?
Angesichts der revolutionären Rechten fühle ich mich beinahe konservativ.
Vielleicht liegt dem Streit zumindest in Teilen ein unterschiedlicher Ansatz zur „Brandmauer“ zugrunde:
Weite Teile des mitte-links Spektrums, der Extremismusforschung, Zivilgesellschaft etc. Sehen im Rechtsextremismus eine existenzielle Bedrohung nicht nur für das politische System, sondern in nicht wenigen Fällen auch für sie selbst und ihr nächstes Umfeld. Historische und gegenwärtige Evidenz zeigt nun, dass von 1933 bis heute Rechtsextremisten praktisch nie aus eigener Kraft an die Macht kommen. Sie brauchen die allmähliche Normalisierung ihrer Anliegen und bestenfalls die Zusammenarbeit der rechtskonservativen. Deswegen ist aus dieser Perspektive nur eine sehr grundsätzliche Betrachtung einer „Brandmauer“ überhaupt vorstellbar: Rechtsextreme Parteien werden im Parlament komplett ausgeschlossen, die parlamentarische Arbeit muss so gemacht werden, dass Rechtsextremisten komplett isoliert bleiben. „Zufallsmehrheiten“ sind aus dieser Sicht grade kein Zufall, keine taktische Option, sondern etwas, das man als Demokrat aus Prinzip niemals ermöglicht.
Man sieht diese Grundhaltung mMn auch im Umgang mit bestimmten Gruppen, wie etwa extinction rebellion, occupy o.ä.: die werden weniger als Verbündete und Partner betrachtet, sondern eher als Problem, weil sie die eigene Basis/Partei mit teils systemkritischen bis systemgefährdenden Forderungen weiter raus aus der Mitte ziehen und Anschlussfähigkeit zu anderen Demokraten gefährden. Ob bei den großen Demos gegen Rechts oder bei Klimaklebern wird sehr schnell, grade aus nahestehenden Parteien sorgenvoll gemahnt und gebremst. Es handelt sich also idR nicht um ein rein taktisches Mittel gegen konservative Konkurrenten, sondern wird auch im eigenen „Lager“ weitgehend eingehalten.
Konservative kommen aus einer komplett anderen Position zum Begriff der Brandmauer. Für die begründet sich die Absage an „Zusammenarbeit“ oft primär parteitaktisch (die wollen uns zerstören, konkurrieren um unsere Wählergruplen) und inhaltlich (z.b. falsche Außenpolitik), weniger bis nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, demokratie-theoretischen, moralischen Überzeugungen. Deswegen werden Überschneidungen unterhalb einer offenen Koalition als eigentlich unproblematisch bis unvermeidlich wahrgenommen. Das beginnt bei menschenverachtender Rhetorik (shuttle-Service, Asyl-/sozial-Tourismus etc. Eine Journalistin kritisierte es jüngst so: „wir reden über Menschen, wie über Klappstühle“) und macht Grenzen sehr dehnbar. Erst wurden sprachliche und inhaltliche Ähnlichkeiten akzeptabel, die aus der Union vor wenigen Jahren noch hart zurückgewiesen wurden, dann „Zufallsmehrheiten“, als nächstes mutmaßlich Duldungen, dann irgendwann spricht auch nichts gegen Koalitionen, in denen man die Rechtsextremisten endlich „entzaubern“ zu können glaubt, oder sie mit der eigenen, überlegenen Regierungserfahrung in die Ecke drängen will, „bis sie quietschen“. Stets versteht man die Aufregung der anderen Demokraten nicht oder gar als persönlichenAngriff, weil man ehrlich glaubt, mit diesen Schritten nicht nur eigene Macht, sondern immer auch die Demokratie zu schützen, egal wie oft und wie lange dieser Ansatz auf allen Ebenen und im Ausland scheitert.
Was mir bei dem Begriff Inkaufnahme fehlt ist die inhaltliche Dimension. Der Antrag war ja auch so gestaltet, dass er Positionen der AFD gerecht wird und für progressive Parteien nicht zustimmbar sein sollte. Das macht es meines Erachtens zu einer Zuarbeit, um mal ein neues Wort.
Inhaltlich und stilistisch wurde gezielt darauf hingearbeitet. Wenn Merz öffentlich sagt, er will Sachen 1:1 ungesetzt haben und wird darüber nicht verhandeln, hätte er gleich sagen können, er will die Mehrheit auf keinen Fall mit den demokratischen Parteien. Oder er weiß nicht, wie Politik funktioniert. Muss jeder selbst wissen, was glaubwürdiger/wahrscheinlicher/schlimmer wäre.
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