Zum Begriff Jurist und Baerbock

Zu den Formulierungen in der Sendung:
„Sie habe den Anschein erweckt, als sei sie Juristin“ und „damit dürfte sie sich in Deutschland nicht Juristin nennen“

Der Begriff Jurist ist nicht geschützt. Nicht einmal Volljurist, Wirtschaftsjurist und Anwalt sind geschützte Bezeichnungen. Sie bezeichnen nur Menschen, die sich mit dem Thema Jura, Rechtswissenschaft oder Teilthemen beschäftigen. Insofern darf Frau Baerbock diesen Begriff hinsichtlich ihrer Ausbildung sicher tragen.
Einfach den Begriff Volljurist zu tragen, könnte problematisch sein, da dies daraufhin deutet, man habe beide Staatsexamen im Studienfach Rechtswissenschaften abgeschlossen. Der Begriff ist aber nicht explizit geschützt.

Geschützt ist z.B. Rechtsanwalt und Rechtsanwältin:
http://www.gesetze-im-internet.de/brao/__17.html
oder
Referendar (Ref. jur.)
nach Bestehens der Ersten Juristischen (Staats-) Prüfung:
§ 35 Abs. 3 der Verordnung des Justizministeriums über die Ausbildung und Prüfung der Juristen
oder
Rechtsassessor (Ass. jur.)
nach dem Bestehen der Zweiten juristischen Staatsprüfung
(§ 56 Abs. 2 JAPrO).

Quellen:
Jurist – Wikipedia.

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Naja also als „Anwalt“ oder „Volljurist“ sollte sie sich jetzt nicht bezeichnen. Das wäre schon arg irreführend.

Aber ich finde es sehr legitim, sich als „Jurist“ zu bezeichnen, wenn man ein Studium absolviert hat, dass eben dem Bereich der Rechtswissenschaft zuzuordnen ist - ob das nun das klassische Studium mit dem Ziel Staatsexamen, ein vergleichbares Studium aus dem Ausland, ein Bachelor-, Master- oder Fachhochschulstudium ist.

Ich bin selber hoffentlich bald Volljurist, aber vorher habe ich ein Fachhochschulstudium namens Diplom-Finanzwirt absolviert. Auch wenn dieses Studium einen sehr kryptischen Namen hat, besteht es zum Großteil aus Jura, spezialisiert auf Steuerrecht. Ich merke jetzt im Referendariat oft, dass ich vieles, was ich in den Stationen und den Klausuren brauche, bereits in diesem ersten Studium und der einschlägigen Berufstätigkeit gelernt habe. Ich finde daher, wir Jurist:innen mit Staatsexamen sollten daher uns selbst etwas weniger wichtig nehmen und alle anderen Jurist:innen ebenfalls Jurist:innen sein lassen :wink:

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Nicht zu vergessen, dass immer mehr Universitäten noch vor dem 1. Staatsexamen einen Bachelor of Law LL.B. vergeben

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Meiner Meinung nach hat Frau Baerbock diesbezüglich überhaupt nichts falsch gemacht. Auf internationaler Ebene kenne ich einige Völkerrechtler, die kein volles Jurastudium absolviert haben (zum Teil in internationalem Recht promoviert haben) und sicher mehr Kompetenz im internationalen Recht aufweisen, als so manche/r Volljurist/in. Es sollte um die Kompetenz gehen und nicht um aufgeblasen Diskussion über Titel. Letztere sind meiner Meinung nach darauf ausgerichtet, Frau Baerbock, die ihre Sache bisher meiner Meinung nach gut macht, im Wahlkampf zu schaden.

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Richtig! Es sollte doch mal das Scheinwerferlicht genau auf die gerichtet werden, die diese Kampagnen in Gang setzen. Sie sollten gegrillt werden dafür, dass sie das Halbwissen der Leute gezielt nutzen um einen schmutzigen Punkt zu machen. Wenn sie die Öffentlichkeit suchen und brauchen, dürfen und sollen sie öffentlich beschämt werden. Das ist das wirksamste Gegenmittel gegen diese „Strategen“, die ja genau genommen der Demokratie und dem Fairnessgedanken jedes Mal einen Schaden zufügen. Es ist mir völlig egal, ob das schon immer so gehandhabt wurde. Es ist an der Zeit, diesen Missbrauch einzudämmen. Der Anlass hier ist ja nicht so ernst, aber halt mal ein übersichtliches Beispiel.

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Naja, die Diskussion über den „Volljuristen“ ist ohnehin eine rein deutsche. Denn dieses System der „zwei Staatsexamen“ ist eine deutsche Eigenheit. Wer z.B. als Rechtsanwalt im europäischen Ausland arbeiten will (was tatsächlich mit dem deutschen ersten Staatsexamen möglich ist!) kann das nach dem ersten deutschen Staatsexamen bereits tun. Das zweite Staatsexamen kümmert im Ausland niemanden, während es in Deutschland für alle höheren juristischen Tätigkeiten (Anwalt, Richter…) vorausgesetzt wird.

Auch die Tatsache, dass man nach dem ersten Staatsexamen damals schon das Diplom, heute oft den Bachelor beantragen konnte, macht deutlich, dass man nach dem ersten Staatsexamen in jedem Fall „Jurist“ ist. Jurist ist zudem generell, wer einen Studienabschluss mit juristischem Schwerpunkt abgeschlossen hat, daher auch z.B. Bachelor-Wirtschaftsjuristen…

Baerbock hat in England studiert, ihr Abschluss ist ein Master in „Public International Law", das ist ganz klar und ohne jeden Zweifel ein Master im Bereich der Rechtswissenschaften (und Politikwissenschaften). Wie gesagt, das Modell der „zwei Staatsexamen“ ist eine deutsche Eigenheit…

Der Vorwurf gegenüber Baerbock ist ja nun, dass sie keinen Bachelor vor dem Master gemacht hat, was andeutet, dass hier eine Abkürzung im Spiel ist. Die Frage, wie es dazu kam, ist in der Tat interessant, aber es ist gut möglich, dass es dafür im Rahmen der Einführung des Bachelor/Master-Systems in Deutschland Gründe gibt. Sie hat in Deutschland halt noch auf Diplom studiert und nur ihr Vordiplom abgelegt, also quasi das Grundstudium eines Diplom-Studienganges abgeschlossen. Das hat der Zulassungsbehörde in Großbritannien scheinbar als Äquivalent für den Bachelor genügt, wenngleich es formell aus deutscher Sicht eigentlich nicht ausreicht, weil das Vordiplom kein qualifizierender Abschluss ist. Das würde ich Baerbock aber nicht vorwerfen, so lange der Antrag auf Zulassung zum Master nicht z.B. durch Falschangaben oder gar gefälschten Urkunden erreicht wurde…

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Ich gehöre nicht zu denen, die Baerbock für eine „Hochstaplerin“ oder etwas Ähnliches halten. Das ist mir drei Nummern zu groß - und außerdem steckt hinter solch überzogener Kritik oft tatsächlich eine frauenfeindliche Tendenz.

Trotzdem finde ich, dass diese ganze Lebenslauf-Affäre eine ernste Sache ist. Und zwar aus einem Grund: Dieses Aufpimpen von Lebensstationen und das Aufblasen der eigenen Rolle dabei hat etwas unangenehm Karrieristisches und ist eng mit der bürgerlichen Ellenbogen-Mentalität im Berufsleben verknüpft.

Es ist schwer, die Selbstbezogenheit zu übersehen, die hinter dem Akt des Lebenslauf-Aufblasens steht: Jeder einzelne fragwürdige Punkt (zum Beispiel die UNHCR-„Mitgliedschaft“) hatte einen taktischen Zweck und eine Zielgruppe. Baerbock wollte im innerparteilichen Rennen um die Spitzenkandidatur möglichst gut dastehen. Dass die Ungenauigkeiten dann im Stile einer Salami-Taktik korrigiert wurden, ist ebenfalls unangenehm.

Hier entstehen übrigens jene kulturellen Probleme, die eine Partei wie die Grünen mit der Arbeiterklasse hat: Jeder Nicht-Privilegierte kennt das Gefühl, wenn eine Privilegierte die ganze Zeit davon redet, dass man „Privilegien checken“ sollte, sich aber dann doch selbst nimmt, was sie sich nehmen kann. Weil sie es kann.

Deswegen ist auch die „Schwamm drüber“-Debatte ein neues Desaster. Sie muss als eine weitere Machtdemonstration des Bürgertums wahrgenommen werden.