Worüber wir reden und worüber nicht (u.a. LdN 349)

Liebes Lageteam,

in der letzten Folge 349 waren unter anderem Steuersenkungen in Thüringen (ohne Gegenfinanzierung) und Mängel in der Bildung das Thema. Auch wenn es bei Thüringen eigentlich um die Zusammenarbeit mit der AfD ging, tappt Ihr bei der Bildung in die gleiche Falle, die Ihr zuvor (nebenbei) der CDU vorwerft. Ihr wollt mehr Ausgaben in die Bildung, sagt aber nicht, woher man das nehmen soll.

Für mich ist das ein Symptom eines größeren Problems. In der Vergangenheit haben wir gewaltige Ressourcen verbraucht, Schulden aufgebaut und Dinge vernachlässigt (z. B. Bildung, Infrastruktur, Verteidigung, Energiewende). Um diese Punkte anzugehen müssten wir eigentlich systematisch prüfen, ob wir als Staat effizient arbeiten, wir müssten weniger verbrauchen (Senkung des Wohlstands und der Verschwendung) und Einnahmen des Staates erhöhen (Steuervermeidung reduzieren, Schlupflöcher stopfen und Steuern erhöhen / einführen). Solange es hier keinen gesellschaftlichen Konsens gibt, ja kaum eine Diskussion, werden wir uns immer nur auf der Stelle drehen. Schulden können natürlich helfen, aber nicht dauerhaft oder bei falschem Einsatz.

Ich gebe zu, dass mein Optimismus begrenzt ist, dass wir die wichtigen Herausforderungen in den Griff bekommen. Und wenn wir in Deutschland das nicht schaffen, wie dann in ärmeren oder gespalteneren Ländern?

Beste Grüße

Hans

Danke Hans, das ist quasi ein Werbespot für unser Lage Buch :slight_smile: Wir schreiben auf 400 Seiten, was die wahren Probleme unseres Landes sind, abgesehen von dem ständig diskutierten Schein-Problem Migration … und ja, es liegt in fast allen Bereichen an zu wenig Geld an der richtigen Stelle, was dann eben die Frage nach der Finanzierung aufwirft.

Lieber Ulf,

danke für Deine Antwort. Na, dann erzählt Ihr ja vielleicht auch bald mal in der Lage, wie Ihr denkt, dass man erreichen kann, dass über die richtigen Fragen gesprochen und dann auch gehandelt wird. Wer müsste was tun (und woher nimmt diese Person die Motivation dazu)? Was kann jeder einzelne dazu beitragen? Denn aktuell ist doch überhaupt nicht abzusehen, dass eine Mehrheit der Wähler sich hinter einer Partei versammeln, die für solche Änderungen steht. Und erst recht ist nicht abzusehen, dass diverse der etablierten Parteien auf diese Linie einschwenken werden.

Ich bin gespannt. Ich habe keine Idee, wie das erreicht werden kann, geschweige denn so zügig, wie wir handeln müssten.

Liebe Grüße

Hans

Man könnte sagen, wir hatten andere Prioritäten bei der Verwendung dieser Ressourcen.
Die Vernachlässigung liegt aber vermutlich primär darin begründet, dass wir in die genannten Bereiche keine Investitionen getätigt (= Schulden gemacht) haben.
Es haben stattdessen halt andere in andere Dinge investiert.

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Vielleicht hier und da, wir haben aber der neoliberalen Logik folgend auf hunderte Milliarden Steuern verzichtet. Der Spitzensatz bei der Einkommensteuer lag in den neunziger Jahren bei weit über 50 %, heute sind es noch 42%, fürSuperreiche dann irgendwann 45%. Solche Einnahmeausfälle reißen natürlich gigantische Löcher in die Staatskasse.

Außerdem haben wir uns alle Mühe dabei gegeben, radikal zu sparen, Haushalte auszugleichen und um Himmels willen keine Schulden mehr zu machen, selbst nicht für sinnvolle Investitionen wie zB Reparaturen.

Nun stehen wir vor der Situation, dass der Bundeshaushalt zwar relativ ausgeglichen und die Staatsverschuldung im internationalen Vergleich eher niedrig ist, zugleich aber haben wir unsere Infrastruktur 20 Jahre lang mehr oder weniger vergammeln lassen. Letztlich sind kaputte Straßen, Brücken und Bahnlinien aber auch eine Form von Schulden, nur dass sie sich eben nicht im Bundeshaushalt niederschlagen. Aber natürlich gehen sie den Leuten jeden Tag auf die Nerven. Die Schätzungen variieren, aber die Schulden durch kaputte Infrastruktur liegen jedenfalls bei mehr als 500 Milliarden €. Wir müssten also einen kompletten Bundeshaushalt ausgeben, nur um Schienen und Schulen wieder zu sanieren.

Woher kann man das Geld nun nehmen? Das wiederum ist relativ einfach, wir haben das in der Lage schon x-fach erzählt: Eine vernünftig reformierte Erbschaftssteuer, die vor allem große Nachlässe belastet, könnte im Jahr etwa 50.000.000.000 € einbringen, ohne dass es den Menschen ernsthaft weh tun würde, insbesondere würden über 90 % der Erbenden gar nicht mehr belastet. Daneben könnte man eine Vermögenssteuer einführen, die ebenfalls erst Vermögen ab 2 Millionen € erfasst. Mögliches Volumen je nach Satz: rund 30 bis 50 Mrd. Euro jährlich, die die Betroffenen ebenfalls easy zahlen könnten, nämlich aus den Erträgen (!) ihres Vermögens.

Warum das nicht passiert? Weil die Linkspartei zu sehr mit sich selbst und ihrer Freundschaft zu Putin beschäftigt ist, als ernsthafte und konstruktive linke Politik zu machen. Und weil die Sozialdemokratie leider vergessen hat, dass ihre Wurzeln mal im sozialen Ausgleich lagen, und sich lieber mit relativen Peanuts wie dem Mindestlohn beschäftigt, statt die wirklich dicken Bretter zu bohren.

Ich persönlich bin überzeugt, dass sich für einen Infrastruktur-Wumms von 50 Milliarden € jährlich, finanziert durch eine Vermögenssteuer für wirklich reiche Menschen, eine gesellschaftliche Mehrheit finden ließe. Aber es müsste sich jemand hinstellen, der diese Forderung erhebt, sie gut durchgerechnet präsentiert und kontinuierlich in jeder denkbaren Rede dafür wirbt. Wenn die Menschen erst einmal verstehen, dass es für praktisch jeden nur Vorteile hätte, dann könnte die SPD die Union und die FDP ganz gut vor sich her treiben. Aber leider Gottes ist Olaf Scholz eben ein Genosse der Bosse.

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Ganz genau.
Das macht den Satz von Scholz, dass jede Entscheidung so getroffen werden sollte, dass sie von einer Mehrheit in der Bevölkerung getragen würde, umso absurder.

Ja, Geld ist Macht und hat Einfluss auf die Politik, den wir uns alle im Zweifel nicht vorstellen können.

Und die armen, vulnerablen, leisen Menschen werden übersehen. Haben keine Lobby .

War das in Deutschland aber jemals anders? Gegen die mächtigen Wirtschaftszweige konnte sich in meiner Erinnerung keine Regierung durchsetzen.

Die Linkspartei hatte auch vor dem Ukraine Krieg und ihre Haltung zu Russland keinerlei Macht und Mehrheiten im Parlament. Wieso sollte sie da heute mehr Gehör finden, selbst wenn sie ihren Russlandfokus abstreifen würde?

Vermutlich eher weil die Mehrheit in der SPD das eben so wollte. Von einer sozialen Partai hat sie sich spätestens mit Schröder verabschiedet. Ich muss immer lächeln, wenn hier von „linken Kräften“ geredet wird und die SPD und Grünen damit gemeint sein sollen.
Und „Vergessen“ klingt immer so, als könnte man da nichts dafür. Ala „Tut mir leid, habe vergesen dass wiruns gestern treffen wollten“.

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Hallo miteinander,

also, ich möchte zunächst einmal davon ausgehen, dass es nicht daran scheitert, dass keine Einigkeit bei Entscheidern bestünde, was man eigentlich tun sollte. So hat mir z. B. @TilRq liebenswürdigerweise gerade einen Beitrag herausgesucht, in dem Angela Merkel wichtige Punkte 1997 zusammenfasst. Vermutlich könnte man sogar eine Mehrheit der Politiker und des Volkes dahinter versammeln, was man tun müsste. Ich gehe nun davon aus, dass die Uneinigkeit eher dort herrscht, wo man weniger Geld ausgeben sollte oder wo man mehr Geld einnehmen könnte.

Eine mögliche Antwort auf letzteres hat Ulf oben dargestellt (u. a. Spitzensteuersatz, Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer). Und wenn wir eine Umfrage unter den Hörern der Lage der Nation machen, dann hätten wir auch hierfür vermutlich eine Mehrheit.

Jetzt sagst Du, Ulf, aber auch „es müsste sich jemand hinstellen, der diese Forderung erhebt“ und dann würde das schon. Wie soll das aussehen? Wer könnte das sein? Warum sollte diese Person das machen? Angela Merkel hat sich entschieden, es nicht zu machen… Wenn wir fantasieren und uns irgendeine Person aussuchen könnten, wer könnte das sein? Bill Gates? Der Dalai Lama? Mathias Döpfner? Welche Reaktionen kämen dann aus der Presse, den Parteien? Wie könnte es laufen, dass diese Person tatsächlich gehört würde? So wirklich naiv sähe ich die besten Chancen bei Mathias Döpfner, aber erstens würde der niemals und zweitens bin ich mir nicht sicher, ob der nicht auch innerhalb kürzester Zeit mundtot gemacht würde.

Hat jemand Ideen hierzu? Wie könnte so ein Wandel konkret und realistisch aussehen? Und wenn wir darauf eine Antwort haben (sollten), dann würde ich gerne nochmals die Frage stellen, was jeder einzelne dafür beitragen kann.

Beste Grüße

Hans

Das ist ein super Narrativ gegen die Schuldenbremse in der ihrer heutigen Form: „Wollt Ihr keine Schulden oder wollt Ihr nicht lieber funktionierende Bahn, Straßen, Schulen, Schleusen, Mobilfunk, Energieversorgung, Bildungs-, Gesundheitswesen, Pflege, …?“

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Genau. Jeder nicht als Steuer bezahlte Euro wird nicht durch den Staat investiert sondern durch die potentiell Steuerpflichtigen. Und das traurige ist, das die das Geld nicht nur in etwas anderes sondern auch woanders investiert haben. Erkennbar daran, dass der gesamte Kapitalstock in Deutschland seit Jahren bis Jahrzehnten nicht mehr ausreichend erneuert wird. Also statt dem heilen Schuldach und der befahrbaren Brücke hier hat es nun eine Kohlemiene und eine Ölplattform irgendwo.

Fragt sich, warum sich niemand diese Mehrheit holt. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass die Mehrheiten nicht mehr direkt über gute politische Ideen sondern indirekt über die Gunst der B**D-Zeitung gewonnen werden.

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Sehr guter Ansatz! In den weiteren Ausführungen könnte man dann auch noch verknüpfen, warum es uns vermeintlich in den gelobten 80ern, in die CDU, AfD und vermutlich auch Teile der FDP so gern zurück wollen, so viel besser ging. Weil wir da Schulden gemacht haben als gäbe es kein Morgen mehr! Wir sind noch nie in der Lage gewesen, große Investitionen in Infrastruktur nennenswert aus dem laufenden Haushalt zu stemmen - kaum ein Land der Welt ist das! Wer also keine höheren Abgaben möchte, der möchte in der Konsequenz eigentlich Schulden - oder eben völlig vergammelte Infrastruktur (inklusive Schulen, Krankenhäuser, etc)!

Die Begriffswahl „Schulden“ bedient dabei in meinen Augen aber auch ein ungünstiges Framing. Besser klingt für mich Investitionen:„Wollt Ihr in die Grundlagen unseres Wohlstands wie funktionierende Bahn, Straßen, Schulen … investieren oder wollt Ihr weiter bei deren Zerfall zuschauen?“

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@vieuxrenard: Mal ganz konkret am aktuellen Fall „AVM“ (Was wird aus der Fritzbox? Der Verkauf von AVM ist mehr als ein Besitzerwechsel) eure Ideen zur Vermögens- und /oder Erbschaftssteuer durchdekliniert:

  • Was bliebe am Ende von AVM übrig?
  • Verkauf von Patenten und damit Abwracken der Firma?
  • Zerschlagung?
  • Teilverkauf an Heuschrecken?
  • Totalverkauf an Heuschrecken?

Und da hilft auch eine Streckung der Steuern wenig. Und wieder wäre ein deutsches KMU oder ein anderer Hidden Champion weg.
So klappt das nicht. Einkommen und ggf. auch Gewinne gefühlvoll höher besteuern ist der einzige Weg. Wir müssen erst erwirtschaften und dann verteilen oder wir schaffen uns wirtschaftlich ab.

Ich verstehe nicht, worauf Du im Zusammenhang mit der Vermögens- und Erbschaftssteuer hinaus willst.

Wenn AVM verkauft wird, bekommen die Verkäufer den Verkaufserlös. Sollte die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden, unterläge auch dieser Vermögenswert der Vermögenssteuer. Erbschaftssteuer fiele an, wenn dieses Vermögen mal vererbt werden würde. Und zwar, je nachdem, wie die Verkäufer den Verkaufserlös anlegen, mehr oder weniger.

Warum sollten die Gesellschafter von AVM vom Verkauf deshalb absehen, statt dessen die Patente verkaufen und/oder zerschlagen?

Verzichteten Sie auf einen Verkauf und vererbten sie ihre Anteile an AVM (soweit sie Erben haben), unterlägen die Anteile der Erbschaftsbesteuerung. Beim Vererben von Unternehmens(anteile) gibt es einige steuerlichen Privilegien, die ziemlich umstritten sind.

Oder kritisierst Du generell, dass die Gesellschafter von AVM ihr Unternehmen überhaupt verkaufen, weil dies Folgen für die Bestands- und zukünftigen AVM-Kunden haben könnten?

Was sind, Deiner Meinung nach, „Heuschrecken“?

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Es gibt keinerlei Zusammenhang zwischen dem Verkauf von AVM und den beiden vorgeschlagenen Steuern, schon deswegen, weil die Steuern heute ja noch gar nicht beziehungsweise nur in sehr niedriger Höhe überhaupt erhoben werden.

Der etwas erratische Kommentar macht aber deutlich, wie sehr der Diskurs in Deutschland in den letzten Jahren von neoliberalem Denken vergiftet ist. Fallen auch nur die Stichworte Erbschaftssteuer oder Vermögenssteuer, wird reflexartig mit Problemen für die Wirtschaft argumentiert. Dabei gibt es inzwischen stapelweise Gutachten, die wunderbar darlegen, wie beide Steuern auch für Unternehmen beziehungsweise deren Besitzende problemlos zu stemmen wären.

Diese Reflexe sind gesellschaftlich toxisch, weil sie uns davon abhalten, über eine sinnvolle Finanzierung staatlicher Aufgaben auch nur nachzudenken, denn mit der Einkommenssteuer alleine wird das nicht gehen.

Der eigentliche Hintergrund ist die neoliberale Denkschule des „starving the beast“: Der Staat wird solange ausgehungert, bis seine Leistungen so schlecht werden, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, dafür zu zahlen - was dann wiederum zu noch weniger Steuern, noch schlechteren Leistungen etc. führt. Wie sehen nun gerade, wie gefährlich die jahrzehntelange Unterfinanzierung des Staates ist: Es werden nämlich nicht nur staatliche Einrichtungen delegitimiert, sondern die Demokratie insgesamt, vgl. die hohen Anteile der Menschen, die sich grundsätzlich kritisch gegenüber einer demokratischen Ordnung zeigen und stattdessen einen Führer wollen.

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