Wissenschaft entwickelt sich weiter

Ich bin übrigens geimpft und bin froh darüber. Trotzdem frage ich mich, ob es wirklich hilfreich ist, Personen, die nicht geimpft sind, als „Covidioten“ oder „Schwurbler“ zu bezeichnen. Ihr habt als Vergleich die Aids-Kampagne Ende der 80er/Anfang der 90er gebracht. Auch ich kann mich daran noch gut erinnern. Aber hier wurde eben nicht gesagt, dass man Kondome nutzen MUSS und als andere unsolidarisch ist. Auf der einen Seite wurde sachlich erklärt, dass Kondome schützen - vor Aids und auch vor anderen Erkrankungen. Auf der anderen Seite gab es humorvolle (!!!) Spots wie z. B. hier

Was mir auch auffällt: ihr sagt immer wieder, dass „die Wissenschaft“ nun zu einer Meinung gekommen ist und eine klare Haltung zu einem Thema hat (sei es nun Corona, Klima oder sonst etwas). Mir würde ein wenig Kritikfähigkeit - auch an der Wissenschaft gut gefallen. Davon abgesehen, dass es „die Wissenschaft“ nicht gibt, sondern nur Wissenschaftler mit bestimmten Meinungen, die sich mal mehr, mal weniger einig sind. Grundlage von Wissenschaft sind falsifizierbare Theorien, die so lange gelten, bis sie sich als falsch erweisen.

Im 19. Jahrhundert waren sich die Wissenschaftler einig, dass Frauen aufgrund biologischer Fakten (etwa kleineres Gehirn) nicht zum Studium und für die Wissenschaft geeignet seien. Danach seien „Frauen zum akademischen Studium und zur Ausübung der durch dieses Studium bedingten Berufszweige, für in körperlicher wie geistiger Beziehung für völlig ungeeignet…“ Link - heute sehen wir das anders, wir haben dazu gelernt, sind klüger geworden.

Die Physiker waren zur Jahrhundertwende 1900 der Meinung, es sei nun alles entdeckt was zu entdecken war. Alle Rätsel seien gelöst. Dann erschienen Personen wie Einstein, Bohr, Heisenberg und andere und warfen alle Theorien so gründlich über den Haufen dass noch die heutigen Physiker daran arbeiten, wieder alles zusammenzupuzzeln.

Heute lachen wir über die Sichtweisen der damaligen Wissenschaftler oder wir wundern uns - und doch ist es erst 100 bis 150 Jahre her. Vielleicht werden die Menschen im 22. Jahrhundert ähnlich auf uns zurückschauen?

Um es klar zu stellen: ich bin froh und dankbar, dass es Personen wie etwa Christian Drosten gibt, die uns helfen, mit der Pandemie umzugehen. Was mir nicht gefällt, die die Absolutheit.

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Ich weiß nicht, wer dies nun als separaten Beitrag eingestellt hat und die Überschrift „mehr Skepsis gegenüber der Wissenschaft“ genannt hat - dies war jedenfalls nicht das, was ich damit aussagen möchte. … wenn man den Begriff „Skepsis“ nutzt, dann in dem Sinn wie man jeder Aussage mit Skepsis begegnen sollte: die Aussagen von Journalisten etwa Politikern.

Was ich sagen wollte ist folgendes: Wissenschaft nicht statisch, sondern sie entwickelt sich. Was heute richtig ist, kann im nächsten Jahr schon wieder überholt sein - weil die Wissenschaftler ständig dazu lernen. Was genau genommen der Vorteil von Wissenschaft ist. Wissenschaftler haben unterschiedliches Wissen, entwickeln unterschiedliche Theorien und diskutieren diese dann. Auch das ist ein Vorteil von Wissenschaft.

Ich halte also nicht Skepsis gegenüber der Wissenschaft für angemessen, wohl aber Skepsis von Personen, die sagen „Die Wissenschaft sagt…“ oder „die Wissenschaftler sind sich einig, dass…“ weil diese Aussagen zu wenig differenzierend sind. Und nicht berücksichtigen, dass die Aussagen den aktuellen Stand abbilden und nicht eine absolute Wahrheit, an die man zu glauben hat.

Das haben wir so moderiert, weil du ein völlig neues Thema aufgemacht hast, das dann auch separat diskutiert werden sollte. Die Überschrift habe ich angepasst.

Ich finde deinen Punkt grundsätzlich sympathisch und stimme auch im Allgemeinen zu, aber: wir können momentan in Echtzeit sehen, was die Auswirkung der geringen Impfquote auf das Pandemiegeschehen ist und haben einen wissenschaftlich fundierten Weg, diese Pandemie zu beenden. Es geht hier ja nicht eine Theorie von unsichtbaren Teilchen oder um gesellschaftspolitische Vorstellungen, sondern um knallharte Daten, die wir Tag für Tag erfassen und auswerten. Dass diese Impfung gegen Corona wirkt und wir mit höherer Impfquote keine vollen Intensivstationen hätten, wird auch in hundert Jahren kein Wissenschaftler anders sehen.

Das sollte keine Diskussion über Wissenschaft oder den Sinn der Impfungen sein, sondern über Sprache.

Und da bin ich der Meinung, dass es falsch ist von „der Wissenschaft“ zu sprechen - weil es die Wissenschaft nicht gibt. Wir sind noch heute froh über die Erkenntnisse von Robert Koch, Rudolf Virchow, Emil Behring und anderen. Und doch sehen wir heute anders auf ihr Wirken als vor 50 oder 100 Jahren oder zu ihren Lebzeiten. Und genauso wird man (auch „die Wissenschaft“) anders auf uns und unser Handeln schauen.

Die Nutzung Bezeichnungen wie „Covidiot“ oder „Schwurbler“ halte ich nicht für hilfreich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies dabei hilft, Menschen von einer Impfung zu überzeugen.

Wahrscheinlich wäre es sinnvoller, Ärzte besser für Beratungen zu bezahlen. Informationsversnstaltungen mit kompetenten Personen, die gegen Ängste vor Neben- und Spätwirkungen glaubwürdig argumentieren können (etwa Wissenschaftler von unseren Unis).

Generell finde ich es wichtig, im Gespräch zu bleiben.

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Verstehe ich das richtig: Du zeigst Verständnis für Impfskeptiker, weil sich in Zukunft herausstellen könnte, dass die Wissenschaft sich geirrt hat? Mit einem solchen Argument darf jeder Wissenschaft komplett ignorieren. Bitte nicht!

Die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind die besten Informationen, die wir heute über die Pandemie und die Impfstoffe haben (darin enthalten sind übrigens meist sehr klare Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Validität der Informationen).

Wir können und müssen unser Handeln auf die heute besten verfügbaren Informationen über die Faktenlage ausrichten (und nicht auf die Informationen, die wir oder zukünftige Generationen haben könnten.) Alles andere ist Voodoo …

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Das hast du falsch verstanden. Und nein - ich ignoriere die Aussagen der Wissenschaftler nicht. Ich bin geimpft und froh darüber.

Zum Umgang mit bislang nicht geimpften Personen empfehle ich das Interview mit Prof. Thorsten Lehr (Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes und „Vater“ des Covidsimulators) im aktuellen Spiegel:

Spiegel: Für welche Maßnahmen plädieren Sie?
Lehr: …Und wir sollten aufhören, Druck auf die Ungeimpften auszuüben.
Spiegel: Warum das? Ist diese Gruppe nicht entscheidend für den weiteren Verlauf der Pandemie?
Lehr: Wir brauchen mehr Impfungen, das steht außer Frage. Indem wir mit dem Finger auf Ungeimpfte zeigen, überzeugen wir sie aber nicht…

Momentan erscheinen uns Impfungen als der Weg aus der Pandemie. Ich hoffe, das stimmt auch so. Es ist aber auch möglich, dass es nicht stimmt - weil die Impfungen gegen die nächste Variante nicht mehr wirken. Gegen die Delta-Variante wirken sie schon schlechter als gegen die vorherigen Varianten - es ist also möglich, dass dieser schlechte Fall eintritt. Und dann gibt es ja auch noch die Möglichkeit einer Escape-Mutation…also ist es möglich, dass wir in einem Jahr oder in fünf Jahren anders auf die Impfungen schauen als heute.

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also ist es möglich, dass wir in einem Jahr oder in fünf Jahren anders auf die Impfungen schauen als heute

Nein. Allenfalls müssen wir die Impfstoffe anpassen. Gegen Grippe lässt man sich ja auch jährlich impfen - wo ist das Problem?

Bitte informiere dich genauer, ehe du hier postest. Bei Meinungen sind wir sehr tolerant, aber nicht bei Falschinformationen. Wir schalten faktisch unzutreffende Beiträge normalerweise gar nicht frei - es sei denn, um einen weit verbreiteten Irrtum zu widerlegen.

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Wir werden im 22. Jahrhundert glaube ich nicht lachend auf uns zurückschauen, sondern eher verbittert, wie sehr wir den Planeten ruiniert haben, aber anderes Thema :slight_smile:

Worauf ich eigentlich hinauswollte: Wissenschaft hat keinen Absolutheitsanspruch, den die Aussage, es gäbe eine absolute Wahrheit, ist prinzipiell unwissenschaftlich, denn ob es eine absolute Wahrgibt, ist eine prinzipiell nicht überprüfbare Hypothese, kann also nicht falsifiziert werden.
Der Kern der Wissenschaft ist das „Sich-Irren“, also die von dir schon erwähnte Falsifikation prinzipiell überprüfbarer Hypothesen. Die meisten „Schwurbler“ und Konsorten denken ja, es gäbe eine absolute Wahrheit und diese müsse man nur „beweisen“. Das ist ein völliger Irrtum.
Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn entsteht also nicht durch Beweisen, sondern Widerlegung. Als guter Wissenschaftler sollte man also immer davon ausgehen, dass die eigene Theorie durch Widerlegung zu Fall gebracht wird. Die Tatsache kann man nicht oft genug betonen.
Außerdem werden von Schwurblerngerne mal prinzipiell nicht überprüfbare Hypothesen in den Raum geworfen und dann wird der Wissenschaft vorgeworfen, sie hätte ja keine eindeutige Antwort darauf. Beispiel:

  • Die Langzeitwirkung von Impfstoffen über ein Jahr hinaus kann prinzipiell nicht überprüft werden, weil wir alle noch keinen DeLorean gebaut haben, um in die Zukunft zu reisen. Aber es gibt sehr gute Indizien, dass keine Langzeitwirkungen auftreten, ausschließen kann man es jedoch nie.
  • Genauso, wie man beim Geben der ersten Impfungen nicht überprüfen konnte, wie weit die Wirkung der Impfstoffe nachlässt.
  • Die Aussage, das Virus entsprünge aus einem Labor in Wuhan, ist nur extrem schwer überprüfbar, aber es jediglich gute Indizien, dass es nicht so ist.

Der Absolutheitsanspruch kommt also von den Schwurblern selbst.

Aber aktuell verimpfen wir immer noch die Wirkstoffe, die am Anfang der Pandemie entwickelt wurden, oder bin ich da falsch informiert? Die, die scheinbar nicht so toll gegen Delta helfen. Und selbst wenn aktualisierte Versionen irgendwann mal auf den Markt kommen, dann ist es sehr wahrscheinlich dass der Virus sich bereits wieder weiter entwickelt hat.
Es hat auch jahrzehntelange Statistiken bei der Grippe gebraucht, bis man einigermassen verlässlich sagen konnte, welche Mutation in der nächsten Saison umgehen wird. Und auch dabei lag man trotz ziemlich guter Datenlage mal daneben (und es wurde meist gegen 3 verschiedene Mutationen geimpft).

Die helfen weniger gegen Delta als gegen die Wild-Variante, aber sie helfen noch immer ziemlich gut (verglichen mit vielen Impfstoffen gegen andere Krankheiten)

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Ich möchte hier voll zustimmen und noch ergänzen:

Wer auf diesen Voodoo der möglichen Erkenntnis in der Zukunft setzt, ist eben genau das, als was er bezeichnet wird: ein Schwurbler.
Denn das ist im Kern eben nichts anderes, als sich irgendwelche Pseudo-Hilfsmittel gegen Covid einzuwerfen, von Globuli bis Hydroxychloroquin, weil man darauf setzt, dass sich in Zukunft herausstellt, dass sie helfen. In diesem Glücksspiel der Wirkstoffauswahl ist dann die eigene Überzeugung und Telegram-Gruppe wichtiger als Forscher, die zumindest ungefähr eine Ahnung haben, in welcher Schublade ein Covid-Medikament zu finden sein könnte. Und der eigene Erfahrungsbericht ist besser als die wissenschaftliche Studie zur Wirksamkeit.

Gleichzeitig verschwendet man so Zeit, deren Wichtigkeit man völlig unterbewertet.

Wir sollten hier unterscheiden zwischen den von Dir zitierten „Theorien“ von Wissenschaftlern - also das Stadium vor der Studie oder Falsifizierung - und wissenschaftlichen Methoden.

Die ändern sich nämlich nicht, sondern es gibt Wissenschaftlern einen großen Konsens: als Beispiel sei nur Methoden für medizinische Studien genannt (Doppelblindstudien, ausreichend große Anzahl der Teilnehmer, etc.).

Dieses “jeder Wissenschaftler hat eine andere Meinung“ ist nämlich eine gern von Politikern genutzte Aussage, die so einfach nicht stimmt.

Mai Thi hat das hier sehr gut ab ca. Minute 4 erklärt:

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Alles richtig. Dennoch kann man durchaus von einem „gegenwärtigen Stand des wissenschaftlichen Wissens“ sprechen. Und das ist IMHO gemeint, wenn „die Wissenschaft sagt“ gesagt wird.

Erlaube mir, dass ich Deine Auffassung von der Weiterentwicklung der Wissenschaft etwas korrigiere, und auch die Vorstellung einer Kritik an der Wissenschaft.

Ich will mal nur Wissenschaft als solche bezeichnen, die sich an heute anerkannten Methoden und Kriterien orientiert. Und ich spreche auch nur von Naturwissenschaften. Über andere weiß ich nicht Bescheid.

Wenn eine solche Wissenschaft sich weiterentwickelt, also neue Erkenntnisse gewinnt, dann nicht so, dass sie morgen das Gegenteil von dem sagt, was sie gestern behauptet hat, sondern dass sie heute eine klarere Aussage über einen Sachverhalt macht, über den gestern nur Vermutungen angestellt worden sind. Eine Theorie muss freilich falsifizierbar sein, aber bevor nicht eine ordentliche Reihe von Versuchen angestellt wurde, sie tatsächlich zu falsifizieren (und diese gescheitert sind), gilt sie auch nicht als etabliert. So lange wird man auch nicht von „Die Wissenschaft sagt…“ sprechen. Insofern kann und muss es immer wieder einander widersprechende Theorien geben, aber es wird sich im Laufe der Falsifizierungsbemühungen herausstellen, welche dieser Theorien unter welchen Voraussetzungen höchstwahrscheinlich die Realität am besten beschreibt. Erst dann wird ein seriöser Wissenschaftler der Öffentlichkeit sagen: „Es ist so und so.“ Und dann kann man sich auch drauf verlassen, und jedenfalls nicht die Theorie kritisieren.

Kritik ist, wenn überhaupt, an den Methoden angebracht, mit denen man zu einer Erkenntnis kommt, also zum Beispiel an der statistischen Signifikanz von Aussagen oder an einer unerlaubten Verallgemeinerung. Allerdings ist das in aller Regel schwierig für jemanden, der sich entweder mit den Methoden oder mit der betroffenen wissenschaftlichen Disziplin nicht intensiv auseinandergesetzt hat. Daher sollte man nach Möglichkeit immer mehrere Wissenschaftler zu einem Thema hören, und zwar nicht im Sinn einer false Balance, sondern eher im Sinn einer Mehrheit.

Du sagst ganz richtig: Sie waren der Meinung, das Ende der Physik sei erreicht. Das war keine wissenschaftliche Theorie. Man vermutete damals, Licht würde sich durch einen Äther ausbreiten, und die Lichtgeschwindigkeit wäre in Bezug auf diesen Äther zu messen. Michelson und Morley haben damals versucht, das Bezugssystem des Äthers zu finden, und haben überraschenderweise nichts dergleichen gefunden. Damit war die damalige Äthertheorie falsifiziert, und man musste was neues finden. Ich weiß nicht wie man das damals dargestellt hat, aber auf die heutige Zeit übertragen würde kein Physiker behaupten, dass es den Äther gibt, solange noch niemand so einen grundlegenden Versuch wie den von Michelson und Morley mit Erfolg durchgeführt hat. Und alle bis dahin etablierten Theorien (von Newton, Galilei, Faraday, Maxwell…) sind im Übrigen nicht über den Haufen geworfen worden, sondern in neuere Theorien (Quantentheorie, Relativitätstheorie) als Spezialfälle (insbesondere für geringe Geschwindigkeiten und gewöhnliche Größenordnungen) eingebettet worden. D.h. die alten Theorien, soweit sie damals schon etabliert waren, gelten für die alltägliche Welt weiter und können ohne Probleme im Alltagsgebrauch als wahr angesehen werden.

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Ja, darauf können wir uns einigen :slight_smile: