Wirtschaft, Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Ich habe mich sehr gefreut über das lange Interview, das den Zusammenhang zwischen einer funktionierenden Wirtschaft und der Demokratie, beziehungsweise für mich dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, beleuchtet hat.

Für mich war es ein zentraler politischer Fehler, dass dieser Zusammenhang in der Vergangenheit zu wenig beachtet wurde. Dadurch hat man viele Arbeiter ans destruktive Spektrum verloren, die nun nur schwer wieder zurückzugewinnen sind.

Die nächste gefährdete Gruppe sehe ich in den jungen, akademisch hochgebildeten Menschen, die derzeit auf ein schwieriges Umfeld treffen: eine schwächelnde Wirtschaft im Niedergang und einen sich stark wandelnden Arbeitsmarkt.

Die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe hat sich innerhalb der letzten zwölf Monate ungefähr verdoppelt, Tendenz weiter steigend.

Ich kann meine Prognose nicht vollständig auf harte Fakten stützen; hier stößt auch die Wissenschaft mit ihrem studienbasierten Ansatz an Grenzen. Für mich gilt die mit zahlreichen Studien zu Belegende grobe Gleichung “(hohe) akademische Bildung = Sicherer Job und hohes Einkommen” nicht mehr sondern eher ein Satz von der Börse: „Die Vergangenheit ist nicht (automatisch) die Zukunft.“

Ich sehe starke Signale, dass die bisherigen Aufstiegsversprechen, die eng an eine formale akademische Ausbildung geknüpft waren, in Zukunft nicht mehr gelten werden. Wenn jemand nach drei bis fünf Jahren Studium den gleichen Job zum gleichen Gehalt – oder sogar zu schlechteren Konditionen, weil Berufserfahrung fehlt, ausübt, der wird das zwangsläufig zu Frustration führen.

Jeder, der aktuell vor einer beruflichen Entscheidung steht oder andere dabei berät, sollte berücksichtigen, dass die größten Chancen derzeit vor allem in Berufen im Handwerk, in der Pflege und in anderen Mangelberufen liegen, die tendenziell ohne Studium angenommen werden können.

Um darüber hinaus an vorherige Themen anzuknüpfen: Wir sollten uns gut überlegen, wo wir bereit sind kleine Kröten zu schlucken (z.B. einzelne Feiertage opfern, Maßnahmen gegen den extrem hohen Krankenstand) um nicht innerhalb der nächsten Jahre extreme Einschnitte und politische Instabilität zu erleiden.

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Vielleicht passt sich hier auch einfach etwas an. Mir konnte noch niemand sinnvoll erklären wieso ein Studium fast schon zum Automatismus für ein hohes Gehalt führen muss? Besonders im Vergleich zu Menschen mit Berufserfahrung und Weiterbildung. Von daher wäre es erstrebenswert die Gehälter von Akademikern zu Gunsten von ausgebildeten Fachkräften mit Weiterbildung und mehr Erfahrung anzupassen.

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Realität ist aber: Schon jetzt haben in Deutschland die oberen 10 % über 60 % des Nettovermögens. Und bei den unteren 90 % ist ein erheblicher Anteil des Eigentums in selbst bewohnten Immobilien gebunden (die nicht so ohne weiteres Rendite generieren).

Ich klaue mal @Steffen22 Beitrag aus einem anderen Thread. Da muss politisch angesetzt werden, nicht bei Maßnahmen wie der Streichung von Feiertagen oder der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die eben vor allem die 90% der Bevölkerung treffen. Aber man kann sich von Wirtschaftslobbyisten und dessen parlamentarischen Arm natürlich weiter einreden lassen, dass “wir alle” doch gefälligst den “Gürtel enger schnallen” müssten.

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Wurde er zu wenig betrachtet oder lief es vor dem verhängnisvollen Jahr 2020 wirtschaftlich in Deutschland jahrelang so gut, dass es schlicht kein Thema war?

Warum sollte jemand, der bspw. nach einer Ausbilung bereits mehrere Jahre Berufserfahrung gesammelt hat, denn zwangsläufig weniger verdienen?

Das sind ja schon ca. 4 Jahre Berufserfahrung Vorsprung im Vergleich zum Studenten, der dann „nur“ einen theoretischen Abschluss vorzuweisen hat. Und wenn der Geselle einen guten Job in dieser Zeit gemacht hat, hatte er auch ca. zwei hoffentlich sehr ertragreiche Gehaltsverhandlungen in der selben Zeit. Also warum nicht?

Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass die Streichung eines Feiertages oder die Aussetzung der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag die wirtschaftliche Situation für egal welchen Arbeitnehmer verbessert. Von der politischen Situation in diesem Land mal ganz zu schweigen.

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Wir werden es nächstes Jahr sehen. Da fallen so viele Feiertage aufs Wochenende, dass alles unter 5% Wirtschaftswachstum eine Überraschung wäre.
Oder die Arbeitgeber haben uns was vorgeflunkert.

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Naja, Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) lag die Arbeitslosenquote unter Akademikern 2024 bei rund 3 Prozent – zwar ein Allzeithoch und ein Anstieg um 19 Prozent gegenüber 2023, aber immer noch ziemlich niedrig. Besonders betroffen sind Absolvent_innen aus Fächern wie Journalismus, Geschichte, Biochemie und Sprachwissenschaften, die eh traditionell hohe Arbeitslosenquoten aufweisen. Krisenanfällige Abschlüsse sind also wenig überraschend am stärksten betroffen.

Der schwierige Berufseinstieg ist für Geisteswissenschaftler_innen nichts Neues, sondern seit Jahrzehnten Normalität. Sie sind es gewohnt, dass oft nicht in ihrem Fach gearbeitet wird, sondern dass man auf vielseitige, übertragbare Kompetenzen setzen und beim Berufseinstieg etwas kreativ werden muss. Die jetzige Entwicklung bei MINT-Absolvent_innen, deren Zahlen lediglich zu denen von Geisteswissenschaftler_innen aufschließen, deutet für mich lediglich an, dass diese Fächer zunehmend ähnliche Bedingungen erleben, etwa durch prekäre Verträge oder fachfremde Einsätze und weniger das Ende der Akademikerkarriere oder des Wertes eines Hochschulabschlusses einläuten, als vielmehr anzeigen, dass die ungewöhnlich fetten Jahre einiger weniger Fachbereiche (so auch meines eigenen) erstmal vorbei sind.

Neu sind Schwierigkeiten beim Berufseinstieg für Absolvent_innen gerade in Transformations- und Krisenzeiten auch keineswegs. Ich erinnere an die sog. ”Generation Praktikum” in den Jahren nach der Wirtschaftskrise 2008.

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Bildung besitzt neben ihrem materiellen Nutzen eine eigenständige, gesellschaftliche und individuelle Wertigkeit. Mehr Bildung korreliert nicht nur mit höheren Einkommen, sondern wirkt sich positiv auf Gesundheit, gesellschaftlichen Zusammenhalt, politische Partizipation und soziale Mobilität jenseits des Gehalts z.B. über bessere soziale Netzwerke, intellektuelle Flexibilität, kulturelles Kapital und gesellschaftliche Teilhabe aus.

Wer allein mit dem Ziel an die Universität geht, direkt nach der Uni viel Geld zu verdienen, übersieht auch, dass der Bildungsprozess zum eigenverantwortlichen, reflektierten Handeln befähigt – Fähigkeiten, die gerade in Zeiten von Umbrüchen gesellschaftlich und beruflich immer wichtiger werden. Da müssen sich einige Fächer eventuell einfach dran gewöhnen.

Und auch wenn der direkte Arbeitsmarkterfolg individuell variieren kann, bestätigen Zahlen, dass Personen mit tertiärer Bildung insgesamt immer noch deutlich bessere Erwerbschancen haben, weil es beim Hochschulabschluss eben nicht primär um konkret vermitteltes Wissen, und vielmehr um die Fähigkeit, neue Informationen einzuordnen, die richtigen Fragen zu stellen und produktiv zu verarbeiten geht.

Es stimmt aber, dass Ausbildungsberufe für manche die bessere Wahl sind, wenn z.B. die intrinsische Motivation für ein Studium nicht vorhanden ist, oder andere Lebenspläne dominieren.

Dennoch bleibt Bildung ein gesellschaftliches Gesamtkapital, das über das rein monetäre Maß hinausgeht. Sie ist ein gesellschaftliches Fundament mit weitreichenden positiven Folgen, gerade in einer Welt, die sich durch technische Veränderungen wie KI und andere Transformationsprozesse schnell wandelt.

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Sehe ich auch so, die Erwartungshaltung von vielen ist aber eine andere.

Genau das sind die Zahlen wo wir herkommen, das wird sich aber ziemlich schnell deutlich verändern.

Sogar ziemlich sicher nicht. Es geht aber auch nicht mehr ums verbessern, sondern darum wie es sich wirtschaftlich weniger verschlimmeren wird.

Unsere großen technologischen Wettbewerbsvorteile der Vergangenheit sind weitestgehend am verschwinden, teilweise haben wir große Wettbewerbsnachteile in Zukunftsbranchen oder Standortnachteie. Wenn wir nicht zügig im gleichen Maße weltweit unübliche Privilegien abbauen, werden wir zusätzlich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und unsere Krise vertiefen.

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Ob das in einer Zeit in der das Abitur quasi zum Regelabschluss wurde dauerhaft Bestand haben wird wage ich aber zu bezweifeln.

Eine solide handwerkliche Ausbildung befähigt Menschen dazu in einem Mangelberuf zu arbeiten. Der Mangel kann dabei gar nicht durch KI und in vielen Bereichen kaum durch Verlagerung ins Ausland behoben werden.

Und auch ist die Befähigung durch ein Studien eben keineswegs für alle Jobs besser als die von Menschen mit praktischen Ausbildungen.

In meiner Ing. Bubble z.B. gibt es viele die zwar selbst Ingenieure mit Diplom, Master oder Dr. Sind, aber für ihre Abteilung Menschen die Ausbildung und dann Maschinenbautechniker gemacht haben bevorzugen würden, wenn sie denn dürften (teils wird der Uni Abschluss von der Personalabteilung vorgegeben). Denn die haben für die Jobs die nah an der Praxis sind in der Regel alles theoretische Vorwissen und zusätzlich auch Ahnung von der Praxis.

Und warum sollte so jemand dann weniger verdienen nur weil er formell einen niedrigeren Abschluss hat, wenn seine nutzbaren Fähigkeiten für die Stelle doch in der Praxis sehr viel größer sind als die des rein theoretisch ausgebildeten Ingenieurs.

Bei rein theoretischen Jobs und Fächern ist das natürlich etwas anderes, aber da spürt man dann eben die steigende Effizienz durch Digitalisierung sowie die Tendenz dazu, dass vielle Firmen vermehrt auch Forschung und Entwicklung im Ausland betreiben.

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So schön geschrieben und absolut auf den Punkt. Wer Ausschreibungen von McKinsey oder BCG für Absolventen liest, sieht, dass das Studienfach grundsätzlich zweitrangig betrachtet wird. Viel eher als auf Fachkompetenz kommt es auf Methodenkompetenz an, da die Fachkompetenz am Ende eines Studiums erst ein Fundament gebildet hat. Die erworbene Methodenkompetenz ist es dann, die entscheidend ist diese, eine ähnliche oder eine andere weiter bzw. überhaupt erst richtig auszubilden. So landet dann z.B. ein studierter Physiker bei einer Bank.

3 Punkte sind mir in der Lage mit Nicola Fuchs-Schündeln besonders herausgestochen:

  1. Investiert werden muss in Bildung, v.a. in Sprache ab einem sehr frühen Alter (mehrfach betont)
  2. In Verbindung mit 1 ist der “viel interessantere” Hebel gegen den demografischen Wandel weniger die Zahl der Arbeitskräfte, sondern der Produktivitätsfaktor
  3. Wachstum vermindert oder verhindert Verteilungskämpfe

Ich könnte mir vorstellen das die Entwicklung der Arbeitslosigkeit unter Absolventen aktuellen v.a. auf MINT Fächer zurückzuführen ist, weil die hier hinterstehenden Branchen inzwischen so unter Druck geraten sind. Unser altes und ruhmreiches “Kerngeschäft” Ingenieurwesen ist gerade im Begriff abzusterben.

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Mit Blick auf die Privatwirtschaft sollten wir uns aber nicht so dermaßen auf den Berufseinstieg versteifen, oder? Unter Beamten und im ÖD sind die Verdienstchancen durch den formellen Abschluss (aktuell noch) ein Leben lang festgeschrieben. Aber in der Privatwirtschaft gibt der formelle Abschluss doch hauptsächlich beim Einstieg einen Vorteil und vielleicht noch in der Vortandsetage von börsennotierten Konzernen. Dazwischen aber ist man relativ mobil würde ich behaupten, ob man nun einen FH-Bachelor oder einen Uni-Master mit Dr. hat. Oder ist deine Einschätzung da völlig anders?

Ob FH Bachelor oder Uni-Master ist nach den ersten Stellen in der Tat häufig weniger relevant, hier kommt es eher auf die Stelle und die Erfahrung an. Das sehe ich ja auch gar nicht als Problem an.

Ein relevanter Unterschied wäre es aber, wenn z.B. in einer Abteilung für Konstruktion ein Uni-Absolvent mehr verdient als ein technischer Zeichner, obwohl er in der Praxis die einfacheren Arbeiten erledigt, weil er ohne Praxiserfahrung zu viele Defizite hat.

Oder wenn ich mir ansehe, dass in vielen Firmen große Fertigungsanlagen nur durch die Erfahrung von Mitarbeitern aus der Wartungs- und Instandhaltungsabteilung am Laufen gehalten werden, weil weder eine volle Dokumentation vorliegt, noch der Hersteller noch existiert. Deren Know-How und deren Verwantwortung ist für das Unternehmen Millionen Wert und dennoch verdienen Leute die mit Uni-Abschluss nur einfache Aufgaben ohne Verantwortung erledigen dort mehr.
Ich bin absolut dafür, dass sich ein Studium auch finanziell lohnen muss. Ich stelle eher in Frage ob für jede Tätigkeit die aktuell von Leuten mit Studium ausgeführt wird auch wirklich jemand mit Studium nötig ist.

Letztlich braucht es für unterschiedliche Stellen unterschiedliches Vorwissen, unterschiedliche praktische Fähigkeiten und unterschiedliche Praxiserfahrung. Eine Stelle die viel theoretisches Wissen Erfordert wird von einem reinen Praktiker nicht zufriedenstellend ausgefüllt werden können, umgekehrt wird eine Stelle bei der Erfahrung von Bedeutung ist ein Theoretiker nur weil er ein Diplom hat ebenso nicht ausfüllen können.

Und wie gesagt bei Handwerkern haben wir einen massiven Mangel. Wie wollen wir den Beheben? Menschen Zwangsverpflichten ins Handwerk zu gehen? Oder doch eher den Job durch Gehalt und Arbeitsbedingungen interessanter machen?

Wenn zum heutigen Zeitpunkt Ingenieure mit Master lange auf einen Job warten müssen, weil der Bedarf aktuell geringer ist als die Zahl der Leute, dann wird sich das auch auf die Gehälter auswirken. Erstmal auf die Einstiegsgehälter, über kurz oder lang aber dann auch auf den Bestand.

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