Das, was Du sagst, läuft dann doch darauf hinaus, dass der Einzelne entscheiden soll, ob er sich an gesellschaftliche Regeln hält oder nicht.
Oh Mann! Wie viele Leute kenne ich, die es geradezu unverschämt finden, dass sie Steuern zahlen müssen, dass es Tempolimits gibt, dass einem vorgeschrieben wird, so man (nicht) parken darf, dass der Arbeitgeber verpflichtende Corona-Tests organisieren oder möglichst viele seine Mitarbeiter ins Home-Office schicken soll, dass die Einschränkung privater Kontakte ein unzulässiger Eingriff in private Freiheiten sei, dass Greta Thunberg und Lisa Neubauer völlig durchgeknallte Spinner sind, u.s.v.m. Die dürfen jetzt plötzlich alle selbst entscheiden, ob sie sich an die durch die Gesellschaft in aller Regel zurecht erlassene Regeln halten müssen?
Ja, es gibt unsinnige Regeln. Genau dafür müssen sich Politiker, die diese Regeln erlassen, sich nach 4 Jahren dem Votum der Wähler stellen. Unsere Bundesregierung wie auch die Landesregierungen von Berlin, Meck-Pom, Thüringen sowie die Kommunalpolitiker in Niedersachen sogar schon am 26. September. Dann müssen sich alle Wähler ganz genau anschauen, welche Parteien wie z.B. bei der „Bundesnotbremse“ diskutiert, welche Änderungsanträge gestellt und wie abgestimmt hat. Und welche Landesregierung und Kreisräte sich wie ernsthaft und entschlossen für eine Niedriginzidenz eingesetzt haben.
Und ja, wenn die Unsinnigkeit von Regeln ein Übermaß annimmt, halten sich immer weniger Menschen daran. Die Vernünftigen „basteln“ sich selbst die Regeln. Ob die meisten tatsächlich alles umreißen und sich die richtigen Regeln basteln, wage ich zu bezweifeln. Das gilt auf jeden Fall z.B. für die Frage, ob ein Kontakt riskant ist oder nicht (ließ mal die Threads zum Thema Ansteckung im Außenbereich) und wie zuverlässig Tests sind (Missbrauch von Schnelltests als „Passport“ für unerlaubte, private Treffen).
Eventuell liegt es aber auch daran, dass die Einhaltung der Regeln halt so gut wie gar nicht mehr kontrolliert werden (zumindest für Hamburg kann ich das sagen). Irgendwann will man nicht mehr der letzte Depp sein, der sich noch an die Regeln hält.
Und was dem einen als Unvernünftig erscheint, ist für die am Entscheidungsprozess beteiligten oft ein schmerzhafter Kompromiss. Der in einer Demokratie notwendig ist, weil wir halt keinen Diktator haben (wollen), der sich über alle möglichen Partikularinteressen und Bedenken hinwegsetzen könnte.
Und ja, ich finde es alles andere als unangemessen, in der Pandemie unverantwortlich Handelnde unter Covidioten (Coronaleugner, Verschwörungsschwurbler), Egoisten (u.a. die sog. „Liberale“, die ganz gegen liberale Werte und Tradition nicht einsehen wollen, dass ihre Freiheit an der Grenze zur Freiheit eines jeden anderen endet) und Dumme (die die z.T. komplexen Zusammenhänge einfach nicht kapieren können) zu subsumieren.
Ohne diese Mitglieder der Gesellschaft könnten wir genau das tun, was Dir vorschwebt: Aufklären, Ziele für die Gemeinschaft aufstellen und viel (Eigen)Verantwortung auf den Einzelnen übertragen. Wir bräuchten keine Kontrolle, keine Sanktionen. Das wäre eine wahrlich liberale, freiheitliche Gesellschaft - dies es nur geben kann, wenn es die o.g. selbsternannten „liberalen“ Egoisten nicht gäbe.
Leider aber sind diese Mitglieder der Gesellschaft ein ebenso unabänderlicher Fakt wie die Existenz von Corona und Klimawandel. Daher müssen wir einen Weg finden, wie wir als Gesellschaft mit denen leben. In „linearen Fragen“ mit stoischer Toleranz, aber in „exponentiellen Fragen“ geht das m.E. nur mit klarer Kante durch jeden vernünftigen Bürger, der Politik und der Exekutive.