Wirksamkeit Ausgangssperre

Wie hat man sich das denn vorzustellen?

„Schönen guten Tag, Polizei. Sind Sie zufällig gerade auf dem Hin- oder Rückweg zu einem privaten Kontakt in einem Innenraum?“
„Nein.“
„Na, da haben Sie dann ja nochmal Glück gehabt. Einen schönen Tag noch.“

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Ich kann Nachvollziehen wenn man so argumentieren möchte, habe aber persönlich meine liebe Mühe damit. Wenn man Regeln nur um der Regeln willen (bzw. der Rechtsordnung wegen) einhält, ohne dabei den entsprechenden individuellen Kontext betrachtet, dann beraubt man sich wichtigen Spielraum.

Zu Beginn der Pandemie wurde das Konzept „mündiger Bürger“ stärker in den Vordergrund gerückt und dem Bürger ein verantwortlicher Umgang unterstellt . So haben sich z.B. ein Großteil der Leute zu Beginn der Pandemie freiwillig stärker eingeschränkt als gesetzlich vorgeschrieben war.
Im Laufe der Zeit wurde aus meiner Perspektive aber durch immer weitere Regulierungen komplett davon abgekehrt und es hat sich das Mindset „Was man nicht tun sollte, wird verboten“ durchgesetzt, was aber im Umkehrschluss zu „was nicht verboten ist, kann man tun“.

Poche ich jetzt auf der Einhaltung auch noch so sinnloser Regeln (im individuellen Kontext), so kann ich meiner Meinung nach niemandem einen Vorwurf machen, der die Schlupflöcher bestehender Regeln ausnutzt (z.B. mehrere Personen in kurzer zeitlicher Abfolge zu treffen)
Traue ich dem Bürger hingegen zu mit Sinn und Verstand die Regeln in den Kontext zu rücken, kann ich im Gegenzug auch erwarten, dass auch unreguliert kein Blödsinn zu machen ist.
Ich persönlich fühle mich mit zweiter Herangehensweise wesentlich wohler…

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Ich frage mich ehrlich gesagt seit einer Weile, warum in Deutschland die Ausgangssperre jetzt so heiß diskutiert wird, als ob sie alleinig die Inzidenz drücken würde.
Ich wohne in Frankreich (zum Glück aber nicht in Paris) und wir haben seit Januar eine Ausgangssperre von 6 bis 6, seit einem Monat jetzt von 7 bis 6. Keine Ausnahmen für Jogging oder so, aber natürlich für den Weg von und zur Arbeit. Gleichzeitig waren die Schulen geöffnet, und Homeoffice wird von vielen Chefs hier systematisch unterlaufen mit Blankobescheinigungen, die sich die Mitarbeiter selbst ausfüllen, und die bestätigen, dass Homeoffice nicht möglich sei. Die Inzidenz sieht hier nicht besonders überzeugend aus, daher jetzt auch endlich Schul-, Geschäfts-, und Büroschließungen seit ein paar Wochen. Aber praktisch gesehen bedeutet „6 bis 6“ (und auch „7 bis 6“) dass man nach der Arbeit noch Zeit für Supermarkt hat und vielleicht andere Erledigungen, und dann ist Schluss. Im Vergleich zum wirklich harten Lockdown letzen März schlägt mir das arg aufs Gemüt. „Life is work and work is life.“ Sagt man eigentlich eher den Deutschen zu…

Aber zur Wirksamkeit dieser Ausganssperre: Ich finde den Artikel in Le Monde nicht mehr, aber ich las dort vor einigen Wochen den Erfahrungsbericht eines Intensivmediziners aus Marseille. Seine Erfahrung mit der Ausgangssperre: seit deren Einführung bekommen sie weniger alkoholbedingte Verkehrsunfälle spät nachts. Ist ja auch nicht nichts, hilft aber leider in Sachen Pandemie überhaupt nicht weiter.
Zurücknehmen kann man die jetzt aber auch nicht mehr, denn dann würde man das ja zugeben. Und so bleibt sie uns erhalten.

Das Schließen der Schulen, und weiter Einschränkungen in Sachen Büros hat inzwischen auch die derzeitige Welle hier ausgebremst. Fallen tun die Zahlen hier nur langsam. Aber anekdotisch weiß ich auch von Freunden, die noch immer in Großraumbüros in Paris arbeiten (Inkubatoren auch noch, genau mein Humor…) von daher ist das vielleicht auch nicht verwunderlich, dass der Lockdown nicht so effektiv ist wie die letzten zwei.

Und auch hier beobachte ich übrigens seit letzten Sommer schon, dass Regeln nicht beachtet werden, und ich lege sie auch inzwischen großzügiger aus.
Lange Zeit durfte man sich hier nicht mit Leuten aus einem anderen Haushalt treffen; keine Ausnahmen für allein wohnende, auch nicht draußen. Ich habe mehrere Freunde in meinem Bekanntenkreis, die im letzten Jahr von lebensfroh zu akut suizidgefährdet geschlittert sind, schlicht weil sie alleine wohnen. Einer dieser Bekannten wohnt glücklicherweise in der gleichen Stadt, und so ich ihn aus dem Haus gelockt bekomme, lade ich ihn auch zum Essen nach hause ein, zur Übernachtung, schlicht und einfach alles, um ihn überhaupt zu irgendetwas zu bewegen. Das Risiko ist gering, weil er sowieso im Homeoffice arbeitet und ja wie gesagt praktisch keine Kontakte mehr hat. Legal ist es trotzdem nicht, und so beobachte ich auch bei mir selbst einen „Dammbruch“, nachdem ich für mich beschlossen habe, dass diese spezielle Regel schlecht gestaltet ist und ich sie bewusst und ohne Reue breche.

Maskenpflicht draußen, nicht nur innerorts, ist noch so eine Regel, die als Einzigen Effekt hatte, dass niemand mehr die darauf folgenden Regeln beachtete. Meine Fenster gehen auf einen Marktplatz mit Cafés und Geschäften, von daher verbringe ich täglich Zeit mit „People watching“. Die Progression, die ich beobachtet habe:

  1. Regel: Maskenpflicht drinnen.
    Effekt: Masken werden nur aufgesetzt, wenn man einen Laden betritt. Aber auch dann werden viele Ausnahmen gemacht. „Ich bin ja nur ganz kurz hier um Zigaretten zu kaufen.“ Meine Lieblingsausnahme: Maske abnehmen um sich mit Kuss zu begrüßen. So gesehen Juno 2020…
    Wenn die Regel Ausnahmen hat, dann „ist immer Ausnahme.“
  2. Regel: Maskenpflicht überall, immer.
    Effekt: „Das macht ja gar keinen Sinn“ (auch schon nach damaligem Erkenntnisstand) und seitdem werden Masken nur dort (korrekt) aufgesetzt, wo man sich nahe kommt, oder wo man mit Kontrollen rechnen muss. Drinnen werden sie aber meistens korrekt getragen.
    Insgesamt werden mehr Masken getragen, aber jetzt wird es schwer, die geltenden Regeln noch zu erklären, und außerdem haben die Freiräume, die man draußen noch hatte, mit Maske wesentlich weniger ein Akt der Entspannung, als sie es ohne Maske gewesen wären.

Kontrollen sehe ich hier (innerste Innentstadt) nur selten, aber wiederum anekdotisch wurden vor meiner Haustüre zwei schwarze Männer mit Handschellen für das Verletzen der Ausgangssperre abgeführt. Jeden Samstag stehen aber die Covidioten (kleine Truppe von ~ 20 TeilnehmerInnen zum Glück) auf dem Marktplatz, spielen schlechte Musik, tanzen, und umarmen sich unmaskiert gegenseitig. Einmal kam nach ein paar Stunden die Polizei vorbei, und hat sie gebeten, sich Masken aufzuziehen. Bemerkenswert, haben die Beamten doch auch die Möglichkeit, auf der Stelle bis zu ~500 EUR pro Person zu verhängen.

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Das ist meiner Meinung nach genau der falsche Ansatz, der inzwischen dazu führt, dass immer mehr Menschen sich überhaupt nicht um die Regeln scheren. Infektionsschutz bedeutet ja gerade nicht, jeglichen Kontakt zu vermeiden, sondern Kontakte zu vermeiden, bei denen Infektionen stattfinden können. Und hier wäre es m. E. sehr viel ratsamer gewesen, Leute aufzuklären und anzuleiten, wie sie genau diese Unterscheidung treffen können, also ganz grob: Abstand gut, kein Abstand schlecht. Draußen gut, drinnen schlecht etc.

Diese Aufklärungsmaßnahmen hätten dann idealerweise auch dazu beitragen können, dass Leute eben nicht bei jedem Kontakt irgendwann in diese „Ach jetzt ist auch egal“-Haltung rutschen, die m. E. entsteht wenn das natürlich vorhandene Bedürfnis nach Kontakt sich Bahn bricht.

Die Frage, welche Kontakte „unnötig“ sind ist ja einfach eine sehr subjektive bzw. gerne auch mal willkürliche. Warum sind volle Bahnen und Großraumbüros „nötig“, aber das Treffen von Freunden anlässlich eines runden Geburtstags „unnötig“? Und wer entscheidet darüber?
Die Inkonsistenz und bröckelnde Akzeptanz der gesetzlichen Regelungen hat ja genau damit zu tun, dass verbotene Formen von Kontakt eben nicht systematisch geführlicher sind als erlaubte (siehe Bahn/Büro oder gleiche Regeln für drinnen und draußen).

Noch etwas zur Ausgangssperre: Ein Argument, dass glaube ich von Lauterbach kommt und derzeit viel wiederholt wird, lautet, es habe kein Land gegeben, dass B117 ohne Ausgangssperren in den Griff gekriegt hätte. Das stimmt m. E. für Dänemark nicht, zumindest konnte ich da keine Hinweise auf Ausgangsbeschränkungen auf nationaler Ebene finden. Im Gegenteil: B117 hat sich dort noch eher durchgesetzt als in Deutschland und Dänemark hat eher und stärker gelockert als viele Bundesländer, inkl. Schulen. Diese Woche öffnen auch Restaurants, Sportvereine etc und die Indizenz liegt recht stabil um die 80.

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Nach der Studie, auf die ich mich beziehe, hat das in GB etwas gebracht.

Übrigens: Hier in Hamburg, wo wir eine (eher weniger als mehr kontrollierte) Ausgangssperre haben, geht seit dem die Inzidenz langsam aber beständig zurück.

@Korbelix Das sehe ich ganz genau so. Für mich selbst.

Aber Du drückst Dich um die Antwort auf die Frage: Wie gehen wir mit den gefühlt 15-20% Covidioten, Egoisten und Dummen um, die sich eben nicht an die Regeln halten. Nur für die werden ja die Regeln oder Komtaktnachverfolgung gemacht!

In einer linearen Welt kann man sich auf den Standpunkt zurückziehen: Wir können nicht 80-85% Vernünftige Freiheiten entziehen wg einer unvernünftigen Minderheit.

Das funktioniert aber in einer exponentiellen Welt nicht. Denn das Verhalten der Covidioten, Egoisten und Dummen führt dazu, dass die Pandemie nur mit noch mehr und noch längeren Einschränkungen eingedämmt werden kann.

Ich halte aber aus einem anderen Grund von Ausgangssperren zu diesem Zeitpunkt nichts: Solange andere, wirkungsvollere Maßnahmen nicht ergriffene und/oder durchgesetzt werden: Ernsthafte Homeofficepflicht. Ernsthafte Testpflicht in den Unternehmen, Schulen, Kitas, und zwar 3x die Woche. Schulschließung ab einer weit niedrigeren Inzidenz (die Indizenz unter unter Kindern und Jugendlichen ist deutlich höher als im Durchschnitt!). Digitalisierung und Automatisierung der Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter. Und zwar mit systematischer Erfassung der Infektionssituation (diese fehlenden Daten bei der immer weit überwiegenden Zahl der Fälle ist eine grob fahrlässige Unterlassung). Testen, Impfen und Datenübertragung natürlich auch an Wochenende und Feiertag, u.v.a.m.

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Das ist schön, dass wir das genau so sehen. Ich hatte mich in meiner Antwort auch nur auf (meine) individuelle Perspektive bezogen und versucht darzulegen, warum ich es persönlich sehr gut verstehen kann, wenn man manche Regeln bricht.

Der Umgang mit den Unvernünftigen 20% (aus meiner Erfahrung reden wir hier eher von 5%) ist eine andere Fragestellung. Oder hattest du deinen Appell zur Regelbeachtung hierauf bezogen?

Hier müssen wir uns halt die Frage stellen, wie weit wollen/können wir gehen um diese Teile der Bevölkerung zur Vernunft zu reglementieren. Du hast komplett Recht, dass in einer exponentiellen Problemstellung der Einfluss auch nur kleiner Minderheiten fatal ist.
Frei nach Pareto bedarf es allerdings auch 80% der Anstrengung um die letzten 20% zu erreichen. Ob wir als Gesellschaft 4-mal so harte Einschränkungen auf uns nehmen können um die letzten 20% zu erreichen darf bezweifelt werden.

Es gilt also den Mittelweg zu finden, bei dem der Schmerz der Einschränkung sich mit dem Benefit eben dieser die Waage hält. Überschreitet eine Ausgangsbeschränkung dieses Gleichgewicht? Ich weiß es nicht, ich bin immer wieder erschrocken wie normal ich das finde, da das hier in Bayern seit gefühlt Mitte Dezember gilt (mit kurzer Pause von ca. 1 Monat)

Wie ich auf die 15-20% „Anteil an Unvernünftigen“ komme?

Ich habe mir folgende Fragen gestellt?

  • Wie hoch ist der Anteil der AFD-Wähler?
  • Wie hoch ist könnte der Anteil der Covidioten, Egoisten und Dummen unter den Nichtwählern Wählern sein?
  • Wie hoch ist der erlebte Anteil von Verschwörungsschwurblern, Egoisten und Dummen (auch zu Nicht-Pandemie-Zeiten) nach meiner eigenen persönlichen Erfahrung? Dazu gehören m.E. auch Steuerhinterzieher, Raser, Klimaleugner, „Besinnungslos-Säufer“, viele junge Menschen, die kein Bock auf Regeln haben (wie das auch bei mir im Alter zwischen 15 und 25 so war), viele sog. „Liberale“ (die nicht einsehen, dass meine Freiheit an der Grenze zur Freiheit anderer enden) - dazu gehören - in diesem Milieu bin ich viel unterwegs - auch viele Unternehmer und v.a. Solo-Selbständige, u.v.m. (Disclaimer: Dieser eher anekdotische Eindruck ist im meinem Fall Großstadt-beeinflusst). Bedenke auch, wie viele Zehntausende sich auf die diversen Corona-Demos begeben und bedenke dabei auch, dass zu jedem Demonstrant (egal für was) immer sehr viel mehr Menschen stehen, die das auch so sehen, aber ihren Allerwertesten nicht hoch bekommen, um selbst demonstrieren zu gehen.
  • Und dann überlege Dir, wie viele Menschen es gibt, die die Zusammenhänge mangels Intelligenz und/oder Bildung nicht begreifen können. Anekdotisches Beispiel: Ein Mitarbeiter eines Mandanten ist trotz klarer Erkältungssymptome pflichtschuldig in den Betrieb gekommen und hat alle anderen Mitarbeiter infiziert. Der Betrieb musste 3 Wochen komplett schließen. Hat dieser Mitarbeiter wirklich gut gemeint (die hatten irren Termindruck), aber war einfach nicht „klug“ genug, vernünftig zu handeln.

Ich fürchte daher, der Anteil der Covidioten, Egoisten und Dummen ist sehr viel größer als die von Dir geschätzten 5%.

Es ist halt die Frage, was es nützt, Menschen, die sich nicht an bestimmte Regeln halten, als Idioten, Egoisten oder Dumme zu bashen. Ich gebe zu, dass ich das auch sehr gerne mache, z. B. wenn mal wieder so ein SUV „meinen“ Radweg zuparkt… Aber auf der gesellschaftlichen Ebene bringt es glaube ich eher wenig, auf die Einhaltung von Regeln zu pochen, die für alle offensichtlich massenhaft nicht eingehalten werden. Sinnvoller scheint mir zu sein, sich zunächst zu fragen, warum diese Regeln nicht eingehalten werden. Das gilt für Kiffen und Falschparken ebenso wie für Corona-Regeln.
Bei Letzteren scheint es mir eindeutig so zu sein, dass die meisten Menschen dazu übergegangen sind, ihre eigenen Regeln zu stricken, also z. B. für sich entscheiden, wo, wie oft, wie lange, mit wem und mit wie vielen sie sich treffen. Das liegt zum einen daran das Regeln sehr kleinteilig sind, sich ständig ändern, in sich widersprüchlich sind, aber auch dass sie zum Teil schlicht nicht praktikabel sind (z.B. 1-Personen-Regel mit kleineren Kindern). Und wie schon gesagt, spielt dabei auch der Ansatz mit rein, Kontakte an sich unterbinden zu wollen anstatt zwischen risikoreiche und risikoarmen Kontakten unterscheiden zu lernen.

Das, was Du sagst, läuft dann doch darauf hinaus, dass der Einzelne entscheiden soll, ob er sich an gesellschaftliche Regeln hält oder nicht.

Oh Mann! Wie viele Leute kenne ich, die es geradezu unverschämt finden, dass sie Steuern zahlen müssen, dass es Tempolimits gibt, dass einem vorgeschrieben wird, so man (nicht) parken darf, dass der Arbeitgeber verpflichtende Corona-Tests organisieren oder möglichst viele seine Mitarbeiter ins Home-Office schicken soll, dass die Einschränkung privater Kontakte ein unzulässiger Eingriff in private Freiheiten sei, dass Greta Thunberg und Lisa Neubauer völlig durchgeknallte Spinner sind, u.s.v.m. Die dürfen jetzt plötzlich alle selbst entscheiden, ob sie sich an die durch die Gesellschaft in aller Regel zurecht erlassene Regeln halten müssen?

Ja, es gibt unsinnige Regeln. Genau dafür müssen sich Politiker, die diese Regeln erlassen, sich nach 4 Jahren dem Votum der Wähler stellen. Unsere Bundesregierung wie auch die Landesregierungen von Berlin, Meck-Pom, Thüringen sowie die Kommunalpolitiker in Niedersachen sogar schon am 26. September. Dann müssen sich alle Wähler ganz genau anschauen, welche Parteien wie z.B. bei der „Bundesnotbremse“ diskutiert, welche Änderungsanträge gestellt und wie abgestimmt hat. Und welche Landesregierung und Kreisräte sich wie ernsthaft und entschlossen für eine Niedriginzidenz eingesetzt haben.

Und ja, wenn die Unsinnigkeit von Regeln ein Übermaß annimmt, halten sich immer weniger Menschen daran. Die Vernünftigen „basteln“ sich selbst die Regeln. Ob die meisten tatsächlich alles umreißen und sich die richtigen Regeln basteln, wage ich zu bezweifeln. Das gilt auf jeden Fall z.B. für die Frage, ob ein Kontakt riskant ist oder nicht (ließ mal die Threads zum Thema Ansteckung im Außenbereich) und wie zuverlässig Tests sind (Missbrauch von Schnelltests als „Passport“ für unerlaubte, private Treffen).

Eventuell liegt es aber auch daran, dass die Einhaltung der Regeln halt so gut wie gar nicht mehr kontrolliert werden (zumindest für Hamburg kann ich das sagen). Irgendwann will man nicht mehr der letzte Depp sein, der sich noch an die Regeln hält.

Und was dem einen als Unvernünftig erscheint, ist für die am Entscheidungsprozess beteiligten oft ein schmerzhafter Kompromiss. Der in einer Demokratie notwendig ist, weil wir halt keinen Diktator haben (wollen), der sich über alle möglichen Partikularinteressen und Bedenken hinwegsetzen könnte.

Und ja, ich finde es alles andere als unangemessen, in der Pandemie unverantwortlich Handelnde unter Covidioten (Coronaleugner, Verschwörungsschwurbler), Egoisten (u.a. die sog. „Liberale“, die ganz gegen liberale Werte und Tradition nicht einsehen wollen, dass ihre Freiheit an der Grenze zur Freiheit eines jeden anderen endet) und Dumme (die die z.T. komplexen Zusammenhänge einfach nicht kapieren können) zu subsumieren.

Ohne diese Mitglieder der Gesellschaft könnten wir genau das tun, was Dir vorschwebt: Aufklären, Ziele für die Gemeinschaft aufstellen und viel (Eigen)Verantwortung auf den Einzelnen übertragen. Wir bräuchten keine Kontrolle, keine Sanktionen. Das wäre eine wahrlich liberale, freiheitliche Gesellschaft - dies es nur geben kann, wenn es die o.g. selbsternannten „liberalen“ Egoisten nicht gäbe.

Leider aber sind diese Mitglieder der Gesellschaft ein ebenso unabänderlicher Fakt wie die Existenz von Corona und Klimawandel. Daher müssen wir einen Weg finden, wie wir als Gesellschaft mit denen leben. In „linearen Fragen“ mit stoischer Toleranz, aber in „exponentiellen Fragen“ geht das m.E. nur mit klarer Kante durch jeden vernünftigen Bürger, der Politik und der Exekutive.

Da fühle ich mich schon einigermaßen missverstanden. Erst einmal habe ich von gesetzlichen Regeln gesprochen nicht von gesellschaftlichen. Ich habe sogar Fälle beschrieben, in denen beide voneinander abweichen. Beispiel: Gesetzlich ist genau geregelt, wo man parken darf und wo nicht. Gesellschaftlich ist es absolut akzeptiert, auch im absoluten Halteverbot zu parken „um mal eben kurz“ was auch immer zu machen.
Ich habe nicht gesagt, dass das ein wünschenswerter Zustand ist und ich habe erst recht nicht dazu aufgefordert, das zur Norm zu erheben. Ich habe einfach nur beschrieben, wie es in der Realität abläuft und dass es eben einen unterschied zwischen gesetzlich verordneten und gesellschaftlich akzeptierten Regeln gibt. Diese Differenz kann man wahrnehmen oder negieren bzw. sie sich wegwünschen. Ich denke aber nicht, dass sie durch schärfere Gesetze, mehr Kontrollen oder ein Bashen aller, die regelwidrig halten, verschwinden werden.
Ich habe dagegen dafür plädiert, sich anzuschauen, warum diese Differenz besteht, also warum Leute ihre eigenen Regeln machen, wie diese Aussehen und wo sie von den gesetzlichen abweichen. Denn langfristig, davon bin ich überzeugt, ist es immer besser, wenn sich Menschen an Regeln halten, wenn sie von ihnen überzeugt sind, nicht weil sie dazu gezwungen werden. Dieser Prozess kann unterschiedliche Ergebnisse haben: Er kann zu der Erkenntnis führen, dass bestimmte Regeln bzw. ihre Begründung einfach besser vermittelt werden müssen, es kann aber auch sein, dass bestimmte Regeln einfach nicht überzeugend sind und daher vielleicht geändert werden sollten.
Eine Haltung á la alle vier Jahre wird gewählt und dazwischen müssen alle tun, was der Staat von ihnen verlangt und wer davon abweicht ist ein Idiot ist m. E. nicht nur ziemlich eindimensional gedacht, sondern geht auch einfach schlicht an der Realität vorbei.
Ein persönlicher Hinweis noch: Mir mit Worten wie „lies doch mal“ Threads zu empfehlen, in denen ich selber mitdiskutiert habe, finde ich einigermaßen paternalistisch. Ich hoffe es war nicht so gemeint.

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Äh… Nö! Und ja: Ich selbst gehe auch über rote Fußgängerampeln (wenn keine Kinder in der Nähe sind), weiß aber, dass das nicht o.k. ist.

Verstehst Du das, was ich dazu gesagt habe, so als hättest Du das? War nicht so gemeint. Mir war nur wichtig, zu betonen, dass ich diese Rosinenpickerei nicht zur Norm erhoben wünsche.

Nun, da sind wir unterschiedlicher Auffassung. Meine Meinung dazu:

  1. Die gesetzlichen oder verordnungsmäßigen Regeln, die Gesetzgeber bzw. Exekutive erlässt, muss sie auch kontrollieren und ggf. sanktionieren. Sonst wird es normal, sich an solche Regeln nicht zu halten - weil: Es hat ja keine Konsequenzen.
  2. Und ich finde auch, dass wir alle für bestimmte Regeln dazu beitragen sollten, dass sie zur sozialen Norm werden. So finde ich es völlig o.k., im Zug oder der U/S-Bahn eine andere Person zu. bitten, eine Maske (richtig) zu tragen oder den Zug zu verlassen.

Was genau meinst du eigentlich mit „Bashen“? Bash ist englisch für schlagen oder jemanden schlecht machen. Ich tue weder das eine, noch das andere. Ich benenne Verhalten, das gegen eine soziale Norm verstößt. Das ist kein schlecht machen, sondern einfach nur „sagen, was ist“ (Rudolf Augstein-Zitat). Und habe mir erlaubt, die typischen Protagonisten mit einem „Label’“ zu benennen, um diese Leute nicht ständig umschreiben zu müssen.

So wie die Spiegel-Kolumne von Sascha Lobo:

Ich verstehe das! Und ich kann das gut nachvollziehen. Und ich bin ja ebenso sauer auf die aktuelle „Corona-Politik“. Aber nicht wegen Widersprüchlichkeiten und Inkonsistenzen. Denn viel, was dem Einzelnen als widersprüchlich gilt, kann dennoch gut argumentiert werden.

Sondern vor allem aufgrund von

  • Unausgewogenheit (Stichwort: Schutz „der Wirtschaft“ vor Belastungen auf Kosten von Selbstständigen, Kleinunternehmern, vom Privatbereich und teilweise Schulen/Kitas),
  • Unverhältnismäßigkeit (Ausgangssperren für Private, die Wirtschaft wird vor Belastungen geschützt)
  • der Aufgabe des Ziels einer Niedrig-Inzidenz

Ich glaube, das ist ein wenig naiv: Du wirst bezüglich vieler Regeln keinen Konsens in der Gesellschaft schaffen. Es wird immer eine Minderheit geben, die die Regeln ungerecht, widersprüchlich, unsinnig, doof finden. Haben die dann das Recht, zu entscheiden, sich nicht an die Regeln zu halten? Nein! Für uns alle gilt: Es gibt immer gesellschaftliche / gesetzliche Regeln, die wir nicht gut finden. Aber wir müssen uns trotzdem daran halten. Ist halt so. Mitgehenden, mitgefangen. Kismet. Schicksal. Andernfalls funktioniert eine Gesellschaft immer schlechter

Dann kannst Du Deinem Abgeordneten schreiben oder anrufen, demonstrieren, etc. Aber nur, weil Du meinst, diese Regel ist nicht überzeugend, gibt Dir nicht das Recht, sie zu ignorieren. Und selbst wenn die Mehrheit das so sieht: Regeln ignorieren geht nicht! Denn wer sagt denn, dass das wirklich die Mehrheit ist - wir leben doch alle in unseren Blasen. ich z.B. kenne kaum jemand, der nicht für einen kurzen, harten Lockdown ist, um dann wieder kontrolliert zu öffnen. Aber ich kann Dir nicht sagen, ob das Mehrheitsmeinung ist.

Noch einmal: Ich habe nicht behauptet, dass irgendjemand ein „Recht“ dazu hat, gesetzliche Bestimmungen zu missachten. Ich habe auch nicht auf einer individuellen Ebene argumentiert, sondern auf einer gesellschaftlichen. Ich habe auch nicht behauptet, dass es jemals einen Konsens bezüglich sämtlicher gesetzlicher Bestimmungen geben wird. Auch heißt „gesellschaftlich akzeptiert“ nicht, dass alle immer alles toll finden, sondern dass z. B. ein Falschparker in der Regel nicht mit sozialer Ächtung gestraft wird, sondern sein Handeln von anderen in der Gesellschaft akzeptiert wird.
Mein Argument ist, dass wir es mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun haben, wenn (wie bei den von mir genannten Beispielen) eben nicht nur kleine, relativ abgrenzbare Gruppen bestimmte Regeln missachten (so wie bei einigen der von Dir genannten Beispiele), sondern dies massenhaft und in unterschiedlichsten Teilen der Bevölkerung geschieht. Sätze wie „wir müssen uns alle dran halten“ oder „Regeln ignorieren geht nicht“ sind einfach kontrafaktisch, wenn in der Realität Regeln dauerhaft und massenhaft nicht eingehalten werden. Das ist eine soziale Tatsache und wie ich schon sagte, kann man versuchen sie zu ignorieren, aber sie ist deshalb nicht aus der Welt
Natürlich ist es legitim zu sagen, so etwas soll oder darf es nicht (mehr) geben. Aber dann ist eben die große Frage, wie man dorthin kommt. Du magst es naiv finden, in so einer Situation auf Analyse, Überprüfung und Überzeugung zu setzen. Ich finde es halt naiv, zu denken, dass man in so einer Situation (nicht in jedem Fall!) durch Brandmarken derjenigen, die die Regeln verletzen (egal ob man es jetzt Bashen oder Labeln nennt) der Lösung dieses gesellschaftlichen Problems näher käme.

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Seit heute gilt die neue Version des Infektionsschutzgesetzes (a.k.a. „Bundesnotbremse“). Bislang bin ich davon ausgegangen, dass u.a. durch § 28b dem Länderwirrwar bei den Regelungen jenseits einer 7-Tage-Inzidenz von 100/100000 Menschen dadurch ein Ende setzt, dass die Länderregelungen nur noch unterhalb dieser Grenze gilt. Weit gefehlt! Absatz 5

Weitergehende Schutzmaßnahmen auf Grund-lage dieses Gesetzes bleiben unberührt.

erlaubt durchaus bestehende schärfere Regelungen. In meiner Stadt gilt eine Ausgangssperre von 21:00 Uhr bis 05:00 Uhr, die auch durch die „bundeseinheitliche“ Regelung nicht aufgehoben wird! Auch das Spazierengehen und Joggen bis Mitternacht bleibt hier untersagt. Andererseits wird die Corona-Schutz-Verordnung unseres Landes, die für die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln medizinische OP- oder FFP2-Masken vorschreibt, durch § 28b Absatz 1 Nummer 9 IfSG ersetzt, da hier nur FFP2-Masken für Fahrgäste erlaubt sind - allerdings nicht für das Personal:

für das Kontroll- und Servicepersonal, soweit es in Kontakt mit Fahr-gästen kommt, gilt die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske

Statt die Vorschriften zu Vereinfachen, kommt noch eine Schicht auf die durch Absatz 5 eventuell weiter geltenden kommunalen Allgemeinverfügungen und die Landesgesetzgebung noch ein Bundesgesetz obendrauf, so das sich der geneigte Bürger jedes Verordnunsdetail aus allen Verordnungen heraussuchen muss und immer nur das strengste davon beachten muss. Was für ein Wahnsinn!

Ob Parkverstöße nun „gesellschaftlich akzeptiert“ sind oder nicht, bzw. in welchen Kreisen jeweils, ist nur marginal von Interesse. Spieltheoretisch ist es doch so, dass die Regel für das Halteverbot nicht lautet „du kannst nier nicht parken“, sondern "wenn du hier parkst, besteht eine im Laufe der Zeit wachsende Wahrscheinlichkeit, dass du dafür eine bestimmte Gebühr bezahlen musst.

Am deutlichsten wird das in Parkbewirtschaftungszonen. Wenn du genau wüsstest, wie oft dort Knöllchenschreiber unterwegs sind, könntest du dir exakt ausrechnen, ob es sich langfristig eher lohnt die Parkgebühren zu bezahlen oder die Knöllchen. Den meisten fehlen aber die nötigen Informationen, und sie schätzen die Wahrscheinlichkeit bloß grob ab und vergleichen sie mit der Unbequemlichkeit, bspw. von weiter weg zu Fuß ins Viertel zu laufen. (Soziale Faktoren spielen natürlich auch noch eine Rolle, wie ob man sich vielleicht in einer Gegend befindet, wo man beim Aussteigen dann von Radfahrern oder Fußgängern angepöbelt wird.)

Und insofern ist es völlig normal, dass höhere Geldbußen und strengere Kontrollen auch zu höherer Konformität führen, zumindest unter den Deppen, die ansonsten die Corona-Regeln gerne ignorieren würden.

Auf die Gefahr, dass Du Dich weiterhin missverstanden fühlst:

Was Du sagst, läuft darauf hinaus, dass nur eine groß genug erscheinende Minderheit bestehende Regeln ignorieren muss und schon denkt die Mehrheit darüber nach, wie man der Minderheit entgegen kommen kann - und dabei auf Bedürfnisse der Mehrheit verzichtet …

Wie sich eine laute Minderheit nicht an Regeln hält, kann man bei den Corona-Demos besichtigen. Die logische Konsequenz aus dem, was Du sagst, ist, dass das Ordnungsamt besser keine Hygiene-Auflagen (Abstand, Maske) erlässt. Ich hielte es für richtiger und wichtig, dass die Polizei diese durchsetzt.
[…]

Nur, um das ganze nochmal einzuordnen: Die Politik verweigert der Bevölkerung weiterhin einen effektiven Infektionsschutz, obwohl die Intensivstationen zunehmend überlastet sind, und nimmt so den Tod und die Invalidität von Tausenden Menschen billigend in Kauf.

Ich weiß nichts über die Spieltheorie, aber zumindest in meinem Kiez werden Falschparker nicht nur nicht angepöbelt, sie können sich auch sicher sein, niemals ein Knöllchen zu bekommen und sogar die Polizei weigert sich mitunter, trotz explizit anderslautender Dienstanweisung auf Radwegen falsch parkende Autos umsetzen zu lassen, u. a. mit Kommentaren wie „der ist doch bald wieder weg“ oder „kann man doch drum rumfahren“. Das meine ich mit gesellschaftlich akzeptiert. Und das schreibe ich - um es noch einmal zu wiederholen - nicht, weil ich es toll oder richtig finde, dass jede:r ihren:seinen Blechhaufen irgendwo abstellen und auf die Belange anderer Verkehrsteilnehmer:innen pfeifen kann, sondern weil es jeden Tag massenhaft passiert und sich niemand wirklich daran zu stören scheint. Zwar wurden die entsprechenden Bußgelder erhöht und es wurden verschärfte Kontrollen zumindest angekündigt und es gibt eben sehr klare Dienstanweisungen, aber Verordnungen alleine haben eben keinen Einfluss auf die Realität. Bleibt die Durchsetzung. Ich gebe zu, dass mir auch manchmal wünsche, es würde halbstündliche Kontrollen geben - bei der momentanen Situation würden die zusätzlichen Stellen sich innerhalb von Stunden amortiesieren - aber ich bezweifle, dass dies allein irgendetwas an den Gründen für dieses Verhalten und damit langfristig am Verhalten selbst ändern würde. Darum ging es mir hier.

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Hallo liebe Lagefans!

Ich möchte auch hier nochmal allgemein darauf hinweisen, bitte sich nicht im Klein-Klein missverstandender Formulierungen zu verlieren. Ich habe das Gefühl, dass man sich hier in Details unterscheidet, und das zu bösem Blut führt.
Bitte respektvoll bleiben!

herzlichen Dank,
Markus

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Dit is Berlin, oder? Die Knöllchen multipliziert mit der extrem geringen Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, machen Falschparken i.d.R. deutlich billiger als einen Parkschein…

Eigentlich Untreue ggü. dem Steuerzahler…