Ich frage mich ehrlich gesagt seit einer Weile, warum in Deutschland die Ausgangssperre jetzt so heiß diskutiert wird, als ob sie alleinig die Inzidenz drücken würde.
Ich wohne in Frankreich (zum Glück aber nicht in Paris) und wir haben seit Januar eine Ausgangssperre von 6 bis 6, seit einem Monat jetzt von 7 bis 6. Keine Ausnahmen für Jogging oder so, aber natürlich für den Weg von und zur Arbeit. Gleichzeitig waren die Schulen geöffnet, und Homeoffice wird von vielen Chefs hier systematisch unterlaufen mit Blankobescheinigungen, die sich die Mitarbeiter selbst ausfüllen, und die bestätigen, dass Homeoffice nicht möglich sei. Die Inzidenz sieht hier nicht besonders überzeugend aus, daher jetzt auch endlich Schul-, Geschäfts-, und Büroschließungen seit ein paar Wochen. Aber praktisch gesehen bedeutet „6 bis 6“ (und auch „7 bis 6“) dass man nach der Arbeit noch Zeit für Supermarkt hat und vielleicht andere Erledigungen, und dann ist Schluss. Im Vergleich zum wirklich harten Lockdown letzen März schlägt mir das arg aufs Gemüt. „Life is work and work is life.“ Sagt man eigentlich eher den Deutschen zu…
Aber zur Wirksamkeit dieser Ausganssperre: Ich finde den Artikel in Le Monde nicht mehr, aber ich las dort vor einigen Wochen den Erfahrungsbericht eines Intensivmediziners aus Marseille. Seine Erfahrung mit der Ausgangssperre: seit deren Einführung bekommen sie weniger alkoholbedingte Verkehrsunfälle spät nachts. Ist ja auch nicht nichts, hilft aber leider in Sachen Pandemie überhaupt nicht weiter.
Zurücknehmen kann man die jetzt aber auch nicht mehr, denn dann würde man das ja zugeben. Und so bleibt sie uns erhalten.
Das Schließen der Schulen, und weiter Einschränkungen in Sachen Büros hat inzwischen auch die derzeitige Welle hier ausgebremst. Fallen tun die Zahlen hier nur langsam. Aber anekdotisch weiß ich auch von Freunden, die noch immer in Großraumbüros in Paris arbeiten (Inkubatoren auch noch, genau mein Humor…) von daher ist das vielleicht auch nicht verwunderlich, dass der Lockdown nicht so effektiv ist wie die letzten zwei.
Und auch hier beobachte ich übrigens seit letzten Sommer schon, dass Regeln nicht beachtet werden, und ich lege sie auch inzwischen großzügiger aus.
Lange Zeit durfte man sich hier nicht mit Leuten aus einem anderen Haushalt treffen; keine Ausnahmen für allein wohnende, auch nicht draußen. Ich habe mehrere Freunde in meinem Bekanntenkreis, die im letzten Jahr von lebensfroh zu akut suizidgefährdet geschlittert sind, schlicht weil sie alleine wohnen. Einer dieser Bekannten wohnt glücklicherweise in der gleichen Stadt, und so ich ihn aus dem Haus gelockt bekomme, lade ich ihn auch zum Essen nach hause ein, zur Übernachtung, schlicht und einfach alles, um ihn überhaupt zu irgendetwas zu bewegen. Das Risiko ist gering, weil er sowieso im Homeoffice arbeitet und ja wie gesagt praktisch keine Kontakte mehr hat. Legal ist es trotzdem nicht, und so beobachte ich auch bei mir selbst einen „Dammbruch“, nachdem ich für mich beschlossen habe, dass diese spezielle Regel schlecht gestaltet ist und ich sie bewusst und ohne Reue breche.
Maskenpflicht draußen, nicht nur innerorts, ist noch so eine Regel, die als Einzigen Effekt hatte, dass niemand mehr die darauf folgenden Regeln beachtete. Meine Fenster gehen auf einen Marktplatz mit Cafés und Geschäften, von daher verbringe ich täglich Zeit mit „People watching“. Die Progression, die ich beobachtet habe:
- Regel: Maskenpflicht drinnen.
Effekt: Masken werden nur aufgesetzt, wenn man einen Laden betritt. Aber auch dann werden viele Ausnahmen gemacht. „Ich bin ja nur ganz kurz hier um Zigaretten zu kaufen.“ Meine Lieblingsausnahme: Maske abnehmen um sich mit Kuss zu begrüßen. So gesehen Juno 2020…
Wenn die Regel Ausnahmen hat, dann „ist immer Ausnahme.“
- Regel: Maskenpflicht überall, immer.
Effekt: „Das macht ja gar keinen Sinn“ (auch schon nach damaligem Erkenntnisstand) und seitdem werden Masken nur dort (korrekt) aufgesetzt, wo man sich nahe kommt, oder wo man mit Kontrollen rechnen muss. Drinnen werden sie aber meistens korrekt getragen.
Insgesamt werden mehr Masken getragen, aber jetzt wird es schwer, die geltenden Regeln noch zu erklären, und außerdem haben die Freiräume, die man draußen noch hatte, mit Maske wesentlich weniger ein Akt der Entspannung, als sie es ohne Maske gewesen wären.
Kontrollen sehe ich hier (innerste Innentstadt) nur selten, aber wiederum anekdotisch wurden vor meiner Haustüre zwei schwarze Männer mit Handschellen für das Verletzen der Ausgangssperre abgeführt. Jeden Samstag stehen aber die Covidioten (kleine Truppe von ~ 20 TeilnehmerInnen zum Glück) auf dem Marktplatz, spielen schlechte Musik, tanzen, und umarmen sich unmaskiert gegenseitig. Einmal kam nach ein paar Stunden die Polizei vorbei, und hat sie gebeten, sich Masken aufzuziehen. Bemerkenswert, haben die Beamten doch auch die Möglichkeit, auf der Stelle bis zu ~500 EUR pro Person zu verhängen.