Wirecard-Berichterstattung

Liebe Lagemacherinnen und Lagehörerinnen,

seit Monaten liest man über Wirecard. Das deutsche Unternehmen bietet Zahlungsabwicklungen an und hat durch Scheingeschäfte und gezielte Medienarbeit über Jahre hinweg seinen Börsenwert künstlich gesteigert.

Ein Redakteur der Financial Times schöpfte Verdacht, recherchierte, und ein Netzwerk aus der deutschen Politik stellte sich schützend vor das Unternehmen, das an den Börsen weiter gefeiert wurde. Denn das Management des Unternehmens pflegte beste Kontakte, vor allem zu deutschen und österreichischen konservativen Politikern wie Sebastian Kurz und Theodor zu Guttenberg, aber auch zu wichtigen Berliner Netzwerkern wie Kai Diekmann. Irgendwann platzte die Bombe dann doch, und seither werden immer mehr Details über die Machenschaften der Wirecard-Manager Braun und Marsalek bekannt. Letzterer hat sich inzwischen spektakulär mit der Hilfe österreichischer Geheimdienstmitarbeiter nach Russland abgesetzt - wohin er offenbar seit Längerem Geheimdienstkontakte pflegte. Und auch eine Verbindung zur amerikanischen CIA soll es gegeben haben - eingefädelt vom ehemaligen US-Botschafter in Berlin Grenell.

Eine extrem spannende Geschichte.

Das Einzige, was in den Medienberichten meist unterbeleuchtet bleibt, ist was Wirecard für die Geheimdienste nun eigentlich so interessant macht. Fast nie geht es darum, dass Wirecard ja nicht nur einen künstlich in die Höhe getriebenen Börsenwert hatte, sondern auch ein echtes Kerngeschäft, mit echten Leistungen und Umsätzen. Und dabei ging es um Zahlungsabwicklungen.

Wer weltweit elektronische Zahlungen im Onlinehandel abwickelt, wie Wirecard, sammelt Unmengen von Daten. Und Daten sind auch das Kerngeschäft von Geheimdiensten. Und so erscheint es für Geheimdienste naheliegend, die Daten, die Zahlungsdienstleister wie Wirecard sammeln, anzuzapfen. Wirecard wickelt Zahlungen für die Betreiber von Porno-Websites und Online-Casinos ab. Da fallen jede Menge personenbezogener Daten an, mit denen sich Menschen erpressbar machen. Man stelle sich vor, es würden Zahlungsdaten abertausender Spiel- oder Pornosüchtiger geleakt. Wirecard wickelt auch Zahlungen für Kryptowährungen ab und bietet wohl auch selbst sogenannte Cryptowallets an, in denen digitale Coins gespeichert werden. Man stelle sich vor, die anonymen, digitalen Währungen wären plötzlich gar nicht mehr so anonym - das würde ihren Wert stark beeinflussen und sie vielleicht auch für Handel im Darknet unbrauchbar machen. Und dann wickelt Wirecard natürlich noch jede Menge anderer Online-Zahlungen in weniger verfänglichen Bereichen des Onlinehandels ab. Auch dort fallen Unmengen personenbezogener Daten an, in einem Ausmaß, wie es sich Geheimdienste in früheren Jahrzehnten nur erträumen konnten.

Das ausgerechnet ein Zahlungsanbieter eine große Nähe zu Geheimdiensten hat, scheint deshalb wenig überraschend. Wer weiß, welchen Datenschatz sich Geheimdienst X über Jan Marsalek bereits gesichert hat? Umso überraschender, dass das in der Wirecard-Berichterstattung kaum Thema ist.

Mich würde interessieren, wie ihre das einschätzt.

  • Wird das Thema Daten im Zusammenhang mit Wirecard vernachlässigt oder übersehe ich es nur?
  • Ist der Datenschutz so stark, dass Zahlungsanbieter weniger wissen, als ich glaube?
  • Besteht hier eine Gefahr?