Wird uns Deutschen der Europäer Solidarität zuteil?

Soeben habe ich einen bemerkenswerten Kommentar in der österreichischen Zeitung „Die Presse“ gelesen.

„Ist Deutschland das Griechenland der Gas-Krise? […] Niemand denkt daran, eine Troika nach Berlin zu schicken, um die Deutschen zu Atomstrom und Tempo 100 auf der Autobahn zu vergattern. Der ursprünglich vorgesehene Gas-Notfallplan der EU-Kommission, der allen Mitgliedsstaaten viel abverlangte, ohne den Hauptnutznießer der Solidarität allzu stark in die Pflicht zu nehmen, erwies sich allerdings als Rohrkrepierer. Jener Teil der EU, der seine energiepolitischen Hausaufgaben gemacht hat, will nicht für die Bundesrepublik frieren. Ob der gestern vereinbarte, mit Schlupflöchern garnierte Plan B reichen wird, sollte Moskau in Folge einer Ukrainischen Gegenoffensive alle Gaslieferungen stoppen, ist alles andere als sicher.“

„Die Presse“ hat hier durchaus einen Punkt. Zwei sogar. Mit einem kleinen Seitenhieb zum Thema Atomstrom macht „Die Presse“ auf die gänzlich gescheiterte Energiepolitik Deutschlands aufmerksam. Mit dem etwas stärkeren Seitenhieb zum Thema Troika und Griechenland erinnert „Die Presse“ auf das Gebaren Deutschlands während der griechischen Schuldenkrise. Wie sich Deutschland damals bloß moralisch echauffiert hat. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich riet den Griechen sogar, aus der Eurozone auszutreten.

Aber nicht nur Energiepolitik und Griechenland. Es gibt viele weitere Beispiele. Z.B. die konsequente und jahrelange Weigerung zum Thema Schuldenunion. Oder auch die Alleingänge Deutschlands im letzten Jahrzehnt.

All das sind recht negative Beispiele, wenn es um das Thema Solidarität geht. Wenn es um solche Themen geht, bleiben nun mal die negativen Themen eher hängen. Dass Deutschland z.B. der größte Nettozahler ist, oder auch den größten Anteil im ESM hat, und vieles mehr, wird häufig vergessen.

Persönlich denke ich nicht, dass uns Solidarität zuteil wird. Ob wir sie verdient haben, mag ich nicht beurteilen. Wenn uns die Europäer helfen, dann - so denke ich - nur deswegen, weil alle Angst davor haben, was passiert, wenn der Wirtschaftsmotor der EU in eine deftige Rezession absinkt.

„What goes around, comes around“ heißt es in Amerika. Wie denkt ihr darüber?

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Deutscher AKW-Ausstieg, deutsche Migrationspolitik, Nordstream 2, deutsches Politikversagen verhindert jetzt möglicherweise europäische Solidarität? Das ist kein Diskussionsangebot, sondern ein Capriccio mit einem deutlichen G’schmäckle von Agitation durch die Hintertür; darüber täuscht auch der Kunstgriff der Zitation (Österreichische Presse) nicht hinweg.

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Den Likes nach zu schließen, habe ich möglicherweise das Diskussionsbedürfnis zu diesem Beitrag unterschätzt und öffne ihn deshalb wieder.

Ein paar Parallelen zur Griechenland Rettung sind tatsächlich gar nicht so abwegig. Was Deutschland grundsätzlich Solidarität kosten könnte, ist die Profit-getriebene naive Verstärkung der Abhängigkeit von russischem Gas. Das stimmt schon, ist aber Stand heute nicht zu ändern.
Interessanter ist da schon die Frage: welche „Sparmaßnahmen“ können europäische Staaten voneinander erwarten, damit sie im Notfall solidarisch mit Erdöl / Erdgas einspringen.
Erdöl dürfte nicht so ein großes Thema werden, aber falls es das wäre, wäre es natürlich aus Sicht eines Nachbarlandes schon nachvollziehbar, die Solidarität zu verweigern, wenn sich Deutschland noch nicht mal in dieser Situation zu einem Tempolimit bequemt (das alle anderen längst haben).
Relevanter dürfte das Thema Erdgas sein. Da dürfte es für die deutsche Skepsis zur Laufzeitverlängerung von AKWs (um Erdgas in der Stromerzeugung zu ersetzen) schon mehr Verständnis geben (weil es ja auch durchaus belastbare Gegenargumente gibt). Spannend wäre aber schon, ob Frankreich das auch so sieht.
Ganz allgemein fände ich es sogar sinnvoll, innereuropäische Hilfen ähnlich wie bei der Griechenland-Rettung an Sparmaßnahmen zu knüpfen: z.B. x% Einsparung in der Industrie, funktionierende Auktionsmodelle, Erlass zur Heizung von Privatwohnungen nur bis 18°, verstärkt Home-Office im Winter. Nicht als starre Pflicht, aber zumindest den Willen zum Einsparen sollte ein Land zeigen, sonst wird es für die Mitgliedsstaaten vmtl. auch schwierig eine Unterstützung politische zu rechtfertigen. Vielleicht übersehe ich da mit meinem Bauchgefühl auch etwas - daher gerne Einspruch.
Was ich allerdings auch vermute ist, dass die potentielle Verweigerung von Solidarität innerhalb der EU oft eher politisch als moralisch getrieben sein wird.

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