"Wir müssen jetzt alle einfach mal zuhause bleiben"-Rhetorik

Hi Lage-Team! Ich höre die Lage gern und mit großem Interesse. Mir ist auch klar, dass alle Medien (ihr inklusive) grade versuchen, die Menschen dazu ermuntern, sich Corona-technisch verantwortungsvoll zu verhalten, da bin ich auch ganz dabei, das finde ich richtig und gut.

Was mich aber in den letzten Tagen extrem stresst, und das war teilweise auch in der letzten Lage so, ist diese „wir müssen es doch jetzt einfach mal begreifen und zuhause bleiben und im kleinen Familienkreis Weihnachten feiern etcetc“-Rhetorik.

Von bayrischen Ministepräsidenten erwarte ich mir da nichts besonderes, aber von der Lage schon etwas mehr Differenziertheit in der Beschreibung von Lebenssituationen. Ganz ganz viele Leute hocken alleine zuhause und können nicht zu ihren (Wahl-)Familien fahren, alle Personen, die sich ihre sozialen Kontakte Patchwork-mäßig organisieren, sind grade hart aufgeschmissen. Wer nicht in einer gemütlichen Kernfamilie lebt, steht jetzt möglicherweise grade vor der Situation, Weihnachten alleine zu verbringen, abgesehen vielleicht von dem einen oder anderen Spaziergang mit einer anderen Person, wenn man denn kälteresistente Freund*innen hat.

Es ist nicht für alle so einfach, sich in ihre Wohnsituation zurückzuziehen. Mal ganz abgesehen von all den Menschen, die zuhause Gewalt erfahren und denen jetzt kaum jemand helfen kann, weil es vielleicht niemand mitbekommt, wie es ihnen geht. Oder auch nur denen, denen die eigene Kernfamilie den letzten Nerv raubt und die mal wieder andere Kontakte brauchen.
Oder eben denen, denen durch Corona ihr soziales Netzwerk einfach abgeschnitten wird.
Und nach Monaten im Home office ist es einfach auch keine schöne Perspektive mehr, noch mehr Zeit alleine zuhause zu verbringen und zu zoomen.

Ich weiß, warum all diese Maßnahmen jetzt grade auf einmal angewandt werden, auch wenn das Geschäfte schließen vielleicht weniger effizient ist als das Schulen schließen, zumindest mit Blick auf Reduktion von Infektionen.
Aber mir wäre es wichtig, nicht so zu tun, als ob das alles gar kein Problem sein und man doch einfach nur mal chillen müsste. Weihnachten hin oder her, daran hänge ich gar nicht unbedingt (manche aber schon), aber ich fühle mich trotz recht stabiler psychischer Lage schon sozial ziemlich in die Ecke getrieben und nach einem echt anstengenden Jahr ist das nicht so schön. Man braucht verschiedene andere Menschen, damit es einem gut geht. Wie mag es dann erst Leuten gehen, die nicht so stabil sind? Ich möchte gern, dass darüber mehr gesprochen wird, was diese Situation sozial für Menschen bedeutet und was man unter den jetzigen Umständen füreinander tun kann. Vielleicht greift ihr das ja mal auf? Würde mich freuen.

Lieber Gruß, Patti

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Hallo zusammen,
ich arbeite auf einer Psychosomatik-Station eines großen Krankenhauses und möchte mich Patti aus verschiedenen Gründen anschließen. Das wichtigste Anliegen ist mir, für mehr Selbstfürsorge zu werben auch im Hinblick auf eine Stärkung der Immunabwehr. Auch ich stehe voll und ganz hinter den Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung, so sehr sie auch schmerzen. Jedoch beobachte ich, dass bei vielen Menschen nur ankommt, was sie alles NICHT tun sollen: Insbesondere rausgehen und Andere treffen. Wenn in allen Medien jede Stunde Zahlen von Infizierten und Toten genannt werden, kann das zutiefst erschrecken. Ich sehe auf der Arbeit Menschen, die in den letzten Monaten das Haus kaum noch verlassen haben, insbesondere wenn sie generell ängstlich und vorsichtig sind. Auch das macht krank, und zwar nicht nur psychisch, sondern es schwächt auch unsere Immunabwehr. Es ist wichtig, sich zu bewegen, an die frische Luft zu gehen und auch soziale Kontakte zu pflegen. Das kann ja mit Distanz und an der frischen Luft geschehen, zum Beispiel bei einem gemeinsamen Spaziergang. Ich würde mir wünschen, in den Medien nicht nur die beängstigenden Zahlen und Fakten zu hören, sondern auch Anregungen zur Psychohygiene, positive Beispiele, Ermutigungen. Und auch eine Würdigung der Bürde, die wir nun gerade tragen müssen. Es ist echt schwer und manchmal beschissen, so auf sich und das ganz enge Umfeld gestellt zu sein, in diesem Zusammenhang ist auch mir die „Wir müssen jetzt alle einfach mal zuhause bleiben - Retorik“ etwas aufgestoßen. Zumal ich das bei meiner Arbeit im Krankenhaus nicht kann, so gerne ich mich jetzt vor Weihnachten isolieren würde.
Was ich ergänzend dennoch loswerden möchte, ist dass ich eure straighte Linie in Bezug auf Corona auch bekräftigend finde. Vielleicht mögt ihr sie um oben genannte Punkte ja etwas ergänzen und aufzeigen, was trotz der Einschränkungen möglich und wichtig ist.
Liebe Grüße und ein herzliches Dankeschön für euren guten Podcast,
Teresa

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