Wie umgehen mit Menschen, die sich "nur" nicht impfen lassen

Leider habe ich in meinem engen Freund:innenkreis mehrere Leute die sich nicht impfen lassen wollen. Zwar sind die Gründe nicht alle gleich, aber sie ähneln sich doch in bestimmten Punkten sehr was ich jetzt hier mal diskutieren möchte. Ich selbst habe es sehr schwer damit umzugehen, der Kontakt ist mit manchen größtenteils zusammengebrochen was für alle eine emotionale Belastung bedeutet. Das ist allerdings in Teilen nichtmal das Ergebnis eines großen Streits sondern mehr eine ständige Belastung und ein „Aus dem Weg gehen“ weil man einfach nicht weiß wie man miteinander sprechen kann. Es scheint mir einfach unmöglich einfach das Thema auszublenden und unabhängig davon eine entspannte Zeit miteinander zu verbingen. Der Elefant im Raum ist einfach riesig und ich mag den Vergleich nicht, aber es fällt mir immer wieder ein: Ich könnte mich auch nicht mit Rassisten an eine Tisch setzen und einfach nicht darüber reden, dass das ein Problem ist. Klar ist es nicht das gleiche und ich äußere das Gefühl auch nicht weil ich es nicht zum diskreditieren oder beleidigen nutzen möchte, aber in meiner Wahrnehmung kommt es immer wieder auf. Anfangs war noch das Gefühl, dass man die Zeit einfach aussitzen kann, man sieht sich ne zeitlang nicht viel und wenn dann Zeit drüber gewachsen ist kann man im Nachhinein noch drüber reden. Aber jetzt wird es einerseits alles brisanter und schlimmer und auch viel länger. Und die Fronten werden härter, auch weil die Menschen sehr viel mehr aus dem Gesellschaftlichen ausgeschlossen werden. Ich glaube nicht, dass sie sich durch den Druck impfen lassen, sie werden gerade noch mehr trotzig reagieren und eher noch mehr und mehr sich selbst gesellschaftlich schaden und geradezu wünschen, dass sie sich mit Covid infizieren. Bin ich trotzdem für eine Impfpflicht? In medizinischen und ähnlichen Berufen ja auf jeden Fall, da sollte niemand arbeiten der nicht geimpft ist. Ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, wie das gestaltet werden kann ohne dass es uns gesellschaftlich zerreißt. Vielleicht glaub ich das, weil ich scheinbar an so einer Risskante hänge mit meinen Freund:innen.
Das Dilemma ist, je mehr ich mich in den Kontakten zurückziehe, desto mehr rücken sie ja näher an die Impfunwilligen heran. Aber auch je schlimmer und extremer die Situation da draussen wird, desto mehr entfernen sie sich von jede Vernunftsentscheidung. Also ich glaube Druck und Aufklärung bringen garnichts, und das nicht wegen großen Verschwörungstheorien, niemand von denen leugnet das Virus, oder nichtmal, dass es gefährlich sein kann und sie glauben auch nicht dass die Impfung besonders gefährlich wäre.
Aber alle glaube nicht daran, dass sie selbst schwer erkranken könnten und dass es ausreicht wenn alle sich impfen lassen die halt „schwach“ sind. Das Risiko Infektion, auch mit Langzeitwirkungen, nehmen sie in lieber in Kauf als sich für eine Impfung zu entscheiden. Ich glaube hier liegen auch schon wichige Punkte inne: Für eine Impfung muss ich mich entscheiden und aktiv werden, ich muss selbst die Entscheidung treffen, das „Chemie“ in mich hereingespritzt wird. Bei dem anderen passiert das irgendwie auf einem „natürlichen Weg“. Der Gedanke ist mir nicht absolut Fremd und es mir auch unangenehmer mich mit einem Mittel behandeln zu lassen als eine kleine Erkrankung durchzumachen. Ich glaube, wenn Covid andere Symptome auslösen würde, als das was wir alle von einer Erkältung regelmäßig kennen, würden die Menschen auch eher reagieren. Sagen wir statt Long Covid z.B. dass einem die Finger einer Hand abfallen. Statt einer Woche Ekältungs Symptome vielleicht eine Woche Haarausfall und erbrechen.

Denn so wie es ist, sind sind ein paar noch abstraktere Sprünge zu machen. Zum Beispiel, dass es sich um eine Infektionskrankheit handelt und man ungeimpft Infektionsketten startet. Aber dagegen wird argumentiert „ich sehe fast niemanden und die sind dann alle geimpft“ und „warum wurde denn so im Pflegesystem eingespart wird, warum nicht besser bezahlt wird etc, dann könnte das doch jetzt auch besser die Menschen versorgen.“ Außerdem ist die richtige Infektion ja besser, weil die Immunantwort besser ist. Die Pharma Industrie verdient jetzt massiv an den Impfungen und dass sich jetzt auch noch alle mehrfach boostern lassen müssen.

Und das sind jetzt auch Punkte, die sind nicht ganz falsch. Ja mit wenig Kontakt ist es anders als immer zu Party zu gehen, aber nur weil ich geimpft bin geh ich auch nicht ständig auf Partys, aber die Perspektive besteht halt, das alle anderen ja halligalli machen und man selbst vorsichtig ist (oder halt einfach so niemanden trifft, vielleicht weil es der Lebensstil ist). Und ja, die Pflegesystem Politik ist ne absolute Schande, kann man nicht anders sagen, aber dann kann es doch nicht die Entscheidung sein, deshalb zur weiteren Überlastung beizutragen, aber diese Perspektive gibt es nicht bzw. ist wieder zu abstrakt. Und ja ich glaube auch nicht, dass die Pharmaindustrie nen sauberes Geschäft ist, aber irgendwie ist mir das auch egal, weil immer irgendwo Geld rumgeschoben wird. Glaub ich deswegen, dass das alles nicht nötig ist mit dem Impfen? Nein, denn ich glaube dass eine so international aufgestellte Wissenschaft zu einem so dermaß breit untersuchten Thema da falsche Infos verbreitet. Obwohl ich zu jedem einzelnen Punkt eigentlich etwas weiß oder nachschauen könnte, kann ich es nicht so vermitteln dass das irgendwie ankommt.

Aber andersrum wär es ja auch nicht, ich bin ja auch irgendwie „festgefahren“ in meiner Meinung, ich hab die bequemlichkeit zu sagen „ich orientiere mich an der Wissenschaft“, vielleicht ist das der einzige Leitpunkt, aber manchmal frage ich mich schon auch, wie stark ist der? So lange ist es nicht her, dass „die Wissenschaft“ zum Beispiel festgestellt hat, das Frauen weniger X sind als Männer und Männer weniger Y als Frauen (da kann man wahrscheinlich viele beliebige Sachen einsetzen).

Wie auch immer, was ich nicht verstehen kann, man kann alles diskutieren, vieles ist wichtig, interessant etc, aber ich finde nichts davon ist es Wert sich ins gesellschaftliche Abseits zu manövrieren, eine lange Erkrankung zu riskieren, zu riskieren andere anzustecken wo es vielleicht sonst nicht passiert wäre, hier „rebellische“ Energie aufzubringen ist es nicht Wert, da sind so viele Themen so viel wichtiger, hier könnte man einfach einen Haken machen, stattdessen zerfleischen wir uns im persönlichsten Umfeld, und das ist nicht weil das „die Herrschenden“ so wollen, das ist weil sie Angst habt vor einer Nadel, auch das wäre ok, auch darüber könnte man reden, aber nein, es werden alle Möglichen anderen Gründe rausgeholt, ich hab es so satt und bin so traurig darüber.

2 „Gefällt mir“

Ich kann das gut verstehen, denn ich habe in meinem engsten familiären Umfeld auch entsprechende Menschen. Ganz kurz nur, wie es bisher (!) bei uns ganz gut klappt: Das sind sehr enge Familienbande, in denen irgendwie klar ist, dass eine eine unbedingte und uneingeschränkte Wertschätzung der Person gibt. Das ist eben mein Schwager und der Onkel unserer Kinder und den mag ich und das bleibt auch so. Es ist uns möglich, an bestimmten Punkten zu sagen „Das Thema lassen wir jetzt bleiben, jetzt geht’s um was anderes.“ Aber ich kann gut verstehen, dass das nicht allen möglich ist.

Es gibt schon lange psychologische Forschung zum Thema Verschwörungserzählungen und Umgang damit, schon lange vor Corona; Pia Lamberty wurde beispielsweise ich auch schon einmal in der Lage zitiert. Ich meine, eine Schlussfolgerung war, dass es wichtig ist, dass diese Menschen nicht sozial isoliert bleiben. Wenn die sich nicht nur in ihren Ansichten fern von anderen fühlen, sondern auch sozial, dann macht es das nur noch schwieriger, da wieder 'raus zu kommen.

Aber wie gesagt, ich kann verstehen, dass es schwer fällt - gerade in der derzeitigen Situation, mit so vielen Toten - das Thema einfach mal sein zu lassen und so auf die Leute zuzugehen. Ich kenne Deine konkrete Situation ja nicht, wollte aber einfach mal nur meine schildern, falls das vielleicht hilft. Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Kraft in dieser doofen Gemengelage.

Lustigerweise war es nicht Pia, sondern ihre Coautorin Katharina Nocun. Mit ihr haben wir im Mai 2020 ein längeres Interview über Verschwörungsmythen geführt.

1 „Gefällt mir“

@karma,

vielen Dank für dieses sehr offene Teilen deiner Erfahrungen. Grundsätzlich würde ich @SpookyFM zustimmen, dass – so leicht es sich anhört – es wichtig ist den Spagat hinzubekommen, solche Menschen nicht gesellschaftlich auszuschließen, aber dennoch deutlich zu machen, dass man in diesem Punkt nicht nur ihre Meinung nicht teilt, sondern auch ihr Verhalten nicht gutheißt.

Ich verstehe voll und ganz, dass das in der Realität riesige Probleme verursacht. Interessant fände ich deine Einschätzung, ob die Art und Weise, wie deine Freunde zu Impfskeptikern geworden sind für dich völlig überraschend war, oder abzusehen. Hattest du schon vor der Corona Krise ähnliche Meinungsverschiedenheiten mit ihnen?

Wo ich dir ein bisschen das schlechte Gewisen nehmen kann, ist bei folgenden Überlegungen:

Erstmal: der Ansatz seine eigene Position immer wieder zu hinterfragen ist goldrichtig und die zentrale Voraussetzung für einen Diskurs. Das ist glaube ich anhand der Situation in den USA (Demokraten vs. Republikaner) selbsterklärend. Ist man trotzdem von der Meinung des anderen nicht überzeugt, lässt sich das häufig durch Toleranz lösen. Problematisch wird das Ganze, wenn die eigene Toleranz die Intoleranz des anderen ermöglicht - also das Popper’sche Toleranzparadoxon, oder übersetzt auf unsere heutigen Grundwerte: die Freiheit des einzelnen hört da auf, wo sie die Freiheit des anderen beschneidet. Hier darf man nicht nur, sondern muss sogar sich entscheiden, wie man das Freiheitsverständnis abwägt.

Das löst zunächst das Problem nicht, dass man sich ja nie sicher sein kann, ob das eigene Weltbild das richtige ist. Aber hier ist die Wissenschaft nach meiner Auffassung eine enorme Hilfe. Und da muss man deutlich unterschieden zwischen: „die Wissenschaft hat festgestellt“ und einem eindeutigen wissenschaftlichen Konsens. Wissenschaft „irrt sich empor“ und selbst fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse können auf dem Weg der Wissensfindung widerlegt werden – das ist der normale Prozess. Zudem gibt es pseudo-wissenschaftliche oder zumindest zweifelhafte Veröffentlichungen en masse. Der wissenschaftliche Konsens ist dagegen eine völlig andere Kathegorie. Im Gegensatz zum Zustand vor ~100 Jahren, wo Wissenschaft weniger unabhängig und global vernetzt war, ist nach meinem Weltbild der heutige wissenschaftliche Konsens ungleich belastbarer und kaum mehr durch Ideologien signifikant verfälschbar. Diesen Konsens gibt es daher auch eben nicht bei allen Themen – aber wenn es ihn gibt, dann gibt es kaum ein belastbareres Argument, eine Entscheidung zu rechtfertigen.

Ja ich habe sogar deren Buch gelesen und hab das eben auch sehr im Ohr und wollte mich auch so einrichten. Dadurch aber, dass das Problem so akut und auch für die Menschen mit entsprechenden Sanktionen verbunden sind die sie selbst dann immer bockiger in ihrer Haltung werden lässt, auch ohne dass ich mit ihnen darüber spreche macht das alles viel schwieriger als wenn es irgendein Verschwörungsthema wäre