Wie Ukraine-Botschafter Andrij Melnyk Deutschland sieht

Hallo zusammen,

der aktuelle Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, ist sicherlich jedem bekannt.
Habe mich etwas mit ihm beschäftigt und muss sagen, dass er zum Teil sehr krude Ansichten hat.

So hat er sich am 5. März über „die scheinheilige deutsche Politik“ aufgeregt, welche „sich vorrangig Sorgen um “russische Menschen” in Deutschland“ macht.

Natürlich ist das vor dem Hintergrund des Angriffes zu sehen und man muss annehmen, dass dies im Affekt geschrieben worden ist. Dennoch rechtfertigt natürlich der Angriff nicht Überfälle und diskriminierende Aussagen über hier lebende Russen. Zudem kann man von einem Botschafter doch einen diplomatischeren Umgang erwarten, oder sehe ich das falsch?

Viel bedenklicher finde ich doch seine Haltung zu Stepan Bandera, einem Nazi-Kollaborateur, der in der Forschung auch als Faschist eingeordnet wird und Kriegsverbrechen begangen hat.
So hat Melnyk 2015 das Grab von Bandera besucht und Blumen niedergelegt und ihn als Helden bezeichnet https://twitter.com/MelnykAndrij/status/592635676258148352. Auch hier setzte er sich für Bandera ein und meint, dass deutscher Historiker Bandera verteufeln https://twitter.com/MelnykAndrij/status/1368574945119395842.

Mich würde gerne eure Sichtweise interessieren.

Im aktuellen Stimmenfang-Podcast gibt es ein Interview mit ihm. Dort erklärt er sich etwas, dass er im Moment aufgrund der Situation auch mal angemessen hält, raue Töne zu wählen und aufzurütteln.
Der Spiegel titelte (+Abo)

Ukrainischer Botschafter Melnyk
## Der Undiplomat

Ich verweise mal auf diesen Thread hier im Forum:

In diesem Thread habe ich versucht die Doppelrolle der UPA als „Verteidiger der Ukraine“ und „Beteiligte an massiven ethnischen Säuberungen gegen Polen“ darzustellen. Auch Bandera wurde später von pro-westlichen Regierungen in der Ukraine zum „Held der Ukraine“ ernannt, was vor allem in Polen und Israel massiv kritisiert wurde.

Das Problem mit der UPA und Leuten wie Bandera ist eben diese Doppelrolle. Man kann sie nicht verurteilen, ohne der ukrainischen Nationalbewegung, welche dringend nötig ist, um einen „mentalen Schutzwall“ gegen die russische Einflussnahme / Propaganda, zu schaden. Man kann sie aber auch nicht wirklich verehren, ohne auf die massiven Kriegsverbrechen und die Nazi-Kollaboration zu verweisen.

Aus der Gemütlichkeit unserer deutschen Sicht kann man natürlich kritisieren, dass die Ukraine sich nicht hinreichend zu rechtsextremen in den eigenen Reihen abgrenzt (die sich oft historisch auf Bandera berufen). Aber wenn die Existenz des eigenen Staates gefährdet ist, muss man leider auch verstehen, dass man jede Hilfe gegen „den Feind“, also hier Russland, annehmen muss und es sich nicht leisten kann, wählerisch zu sein.

Dass das dann wieder von Russland propagandistisch genutzt wird, um mit dem Vorwand der Entnazifizierung der Ukraine einen Krieg zu begründen, ist an Zynismus kaum zu überbieten.

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Dass man einen Kriegsverbrecher, der teilweise tatkräftig am Holocaust in der Ukraine mitgeholfen hat, wie einen Messias verehren muss um einen „mentalen Schutzwall“ gegen Russland haben musst du mir mal genauer erklären. Für mich klingt das mentaler Gymnastik mit akuter Gefahr von Synapsenbruch.

Lies nochmal genau, was ich schrieb.

Ich sagte nicht, dass man Leute wie Bandera verehren sollte.

Ich sagte, dass man sie aus Sicht der Ukraine nicht verurteilen kann, ohne eine Spaltung mit der eher im rechten politischen Spektrum angesiedelten Nationalbewegung riskiert - und auf die Kampfkraft dieser Nationalbewegung, sowohl im Hinblick auf ihren Einsatz im Krieg, als auch im Hinblick auf ihre Rolle bei der Stärkung des nationalen Zusammenhalts und des „Nationsbewusstseins“ der Ukraine, kann die Ukraine, die sich in einem Verteidigungsfall befindet, einfach nicht verzichten.

Ich sagte auch, dass man Leute wie Bandera auch nicht verehren sollte, ohne ihre Gräueltaten anzusprechen. Ich verstehe daher die Beweggründe der Verehrung durch Melnyk, sehe es aber auch sehr kritisch, dass diese Figuren aus der UPA damit historisch positiv verklärt werden.

Wir haben hier einen typischen Konflikt zwischen Idealen und Realpolitik. Auf der Seite der Ideale sind wir alle auf einer Seite, wenn wir kritisieren, dass Bandera und die UPA in der Ukraine unkritisch verehrt werden (z.B. durch die Auszeichnung „Helden der Ukraine“). Realpolitisch sind diese Schritte seitens der Ukraine aber möglicherweise das geringere Übel, da man sich positive Aspekte im Hinblick auf den Widerstand gegen Russland erhofft. Und seit den Ereignissen von 2014 sind die realpolitischen Sichtweisen klar dominant, seit dem Angriffskrieg durch Russland sogar nahezu - und ich hasse dieses Unwort - alternativlos. Einfach, weil die Bedrohung durch Russland so viel größer ist als jeder Schaden, den die Verherrlichung von Kriegsverbrechern wie Bandera kurz- und mittelfristig anrichten kann.

Das ist unbefriedigend, aber so sehen die Realitäten für die Ukraine aktuell aus. Und wir sollten uns im Wohlstand und Frieden hier in Deutschland nicht anmaßen, diese strategische Entscheidung über den Umgang mit Bandera und der UPA zu stark zu verurteilen, während in der Ukraine jeden Tag hunderte, vielleicht sogar tausende, Menschen sterben. Das ist schlicht der falsche Zeitpunkt für diese Diskussionen.

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… erklärte bitte genauer, wie Du Dir ein Nationalbewusstsein vorstellst, das auf faschistische Ideologie und Kampfkraft nicht verzichten kann - ob im Krieg oder im Frieden.

Das ist jetzt etwas sehr aus dem Kontext gerissen. Es geht nicht darum, dass die faschistische Ideologie der UPA für ein Nationalbewusstsein nötig wäre. Es geht eher darum, dass alles, was den Gedanken an die „Souveräne Nation Ukraine“ stärkt, also alles, was dem entgegensteht, was Putin mit seiner großen Rede, in der er behauptet, die Ukraine sei keine souveräne Nation, unterstützt wird.

Wir können uns das wie eine Skala vorstellen - von 0 bis 10. Bei der 0 ist Putins Meinung, die Ukraine sei kein souveräner Staat, nicht einmal eine eigene Kultur, bei der 10 sind die extremen Nationalisten der Ukraine, die teilweise offen rechtsextrem sind und - wie Nationalisten und Erzkonservative überall auf der Welt - die eigenen Schandflecken der Geschichte gerne ignorieren und alles in’s Positive verklären.

Der Ukraine geht es darum, den Durchschnitt der Bevölkerung auf dieser Skala möglichst weit nach oben zu bewegen („Stärkung des Nationalbewusstseins“), denn Russland geht es darum, diese Durchschnittsmeinung der Bevölkerung nach unten zu bewegen („Ukraine zum Teil Russlands machen“). Die Führung der Ukraine will dabei sicherlich nicht bei 10 enden - aber wenn der Gegner versucht, die Skala in Richtung Null zu drücken, hält man auch gerne mit 10 dagegen, in der Hoffnung, letztlich irgendwann bei gesunden 5-8 zu landen.

Würde man sich nun gegen diejenigen stellen, die in dieser Skala bei 9-10, also im extremen Bereich, stehen, würde man die gesamte Skala verkürzen. Und das kann man sich in der aktuellen Lage der Ukraine nicht leisten. Wäre es schöner, diesen „kulturellen Kampf“ gegen die russische Einflussnahme ohne die Faschisten der UPA zu gewinnen? Absolut. Aber wie gesagt, die Ukraine kämpft um ihr Überleben, sowohl auf dem Schlachtfeld, als auch im Bereich der Kultur. Russland will - und das hat Putin mit seiner Rede sehr deutlich gemacht - keine Ukraine als souveränen Staat akzeptieren.

Daher sind diejenigen, die am weitesten entfernt von Putins Position stehen leider auch diejenigen, die aus unserem liberalen, demokratischen und rechtstaatlichen Verständnis sehr, sehr problematisch sind. Man kann nur hoffen, dass es der Ukraine gelingen wird, wenn der Konflikt mit Russland irgendwann beigelegt ist, diese faschistischen Umtriebe zu bekämpfen. Aber das ist eben ein Problem für die Ukraine von 2025…

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Ich wollte dir persönlich nichts unterstellen nur kann ich im Gegensatz zu dir diese Verehrung nicht verstehen, daher meine Nachfrage. Ist ja auch nicht so, dass das in der ukrainischen Politik ein Konsens zu sein scheint, die Nazis mit Angriffen auf ihr Idol nicht zu verärgern. Sonst hätte das Parlament den Antrag ihm die aberkannte Auszeichnung als Held der Nation wieder zu verleihen. Dass die seinerzeit von einem Präsidenten verliehen wurde, der selbst Nachfahre von KZ Überlebenden ist, setzt der Absurdität um diesen Personenkult irgendwie noch die Krone auf.

Aber natürlich ist mir auch klar, dass jetzt in der Ukraine ein gewisser Burgfrieden herrscht und solche Diskussionen nicht gerade das Wichtigste sind. Allerdings geht diese seltsame Verehrung von Bandera und auch der SS-Waffendivison „Galizien“ ja schon viel weiter zurück.

Botschafter Melnyks verstörender Vorwurf an Deutschland

Der Botschafter der Ukraine, Andrij Melnyk, sagt, viele ukrainische Flüchtlinge kehrten Deutschland wieder den Rücken, weil sie sich hier nicht willkommen fühlen. Inzwischen würden mehr Menschen abreisen als kommen. Sie hätten „keine Lust, hier zu bleiben“. Die Deutschen forderte Melnyk auf, sich Gedanken über die Motive der Abreisenden zu machen. Einen möglichen Grund nennt der Botschafter gleich selbst. Aus Sicht der Ukrainer trage Deutschland die Verantwortung für viele Tote, weil es bislang keine schweren Waffen geliefert habe.

Ich finde es ziemlich perfide und ekelhaft, dass Herr Melnyk jetzt Versucht über die Bande Kriegsflüchtlinge Erpressung zu betreiben. Dinge fordern, auch auf sehr penetrante Art und Weise, ist in der derzeitigen Situation durchaus legitim, aber hier frage ich mich echt ob er jetzt komplett durchdreht.

(darf gerne verschoben werden, wenn es in ein anderes Thema besser passt)

Wäre die Ukraine nicht in einer derartig bedrohlichen Situation, hätte sie einen Botschafter, der wie Melnyk jede diplomatische Gepflogenheit mit Füßen tritt, schon abberufen - oder er wäre von Deutschland bereits zur Persona Non Grata erklärt worden.

Aber so wie die Situation in der Ukraine halt ist, lässt man Melnyk halt alles durchgehen - was durchaus verständlich ist. Die Frage ist aber in der Tat, ob das, was Melnyk tut, den Effekt erzielt, den Melnyk sich wünscht. Und da habe ich so meine Zweifel.

Desto mehr Melnyk mit solchen - moralisch nachvollziehbaren, aber rechtlich inexistenten - Forderungen so aggressiv vorgeht, desto mehr wird der Anteil an Bürgern steigen, die sagen, dass dieser „unverschämte Botschafter“ gar nichts bekommen sollte.

Auf der anderen Seite verstehe ich die Frustration der Ukraine. Man bekommt halt schon das Gefühl, dass Deutschland die Sache „ausmerkeln“ will, also so langsam, wenn überhaupt, handelt, dass sich die Sache von selbst erledigt, bevor man eine (möglicherweise unpopuläre oder geostrategisch riskante) Entscheidung treffen muss. Melnyk wäre vermutlich nicht so angepisst, wenn er nicht in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht hätte, dass man ihn und die Ukraine vertröstet. Ganz zu Beginn des Konflikts, als er noch nicht täglich in den deutschen Medien war, hat er es, so vermute ich, den diplomatischen Gepflogenheiten entsprechend mit freundlichen Bitten versucht. Aber wenn das halt nicht fruchtet, wird man halt verbittert und verzweifelt - und dann werden aus Bitten Forderungen.

Menschlich ist das alles sehr nachvollziehbar und in der Sache würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung endlich tatsächlich alles in ihrer Macht stehende tun würde, die Ukraine zu unterstützen. Aber persönlich ist mir Melnyk, obwohl ich seine Motivation zu verstehen meine, dennoch mit solchen aggressiven Aussagen einfach extrem unsympathisch.

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Ich finde es gut, dass Melnyk der deutschen Gesellschaft mit diesen Kommentaren den Spiegel vorhält: genau so sehen wir von außen aus. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass einige ukrainische Flüchtlinge - womöglich gerade Haus, Heimat und Familienmitglieder traumatisch verloren - die Stimmung in Deutschland zur Ukraine kaum aushalten.

Fakt ist, dass Deutschland auch in der internationalen Presse nicht gut wegkommt (z.B. New York Times gestern: Germany’s Chancellor Promised to Deter Putin. Then He Did Nothing.). Es kann sein, dass das auch an Scholz’ Politik- und Kommunikationsstil liegt. Schließlich ist er offensichtlich Fan davon, Maßnahmen erst zur formulieren, wenn er sie bereits umgesetzt hat, damit sie direkt als Erfolg verbucht werden können. Ansonsten ist sein Kommunikationsstil äußerst defensiv. So wirkt es - wahrscheinlich zu recht - so, als würde Deutschland nicht genug tun.

Das klassische Beispiel der Gaslieferungen ist ja immer noch aktuell. Die russische Wirtschaft scheint aktuell besser dazustehen als erhofft, der Rubel rollt weiter. Es mag (insbesondere aus der Innensicht) gute Gründe dafür geben, dass wir das Gas aktuell weiter beziehen. Das kann aus der Außensicht aber auch ganz anders wirken.

Desto mehr Melnyk mit solchen - moralisch nachvollziehbaren, aber rechtlich inexistenten - Forderungen so aggressiv vorgeht, desto mehr wird der Anteil an Bürgern steigen, die sagen, dass dieser „unverschämte Botschafter“ gar nichts bekommen sollte.

Ehrlich gesagt finde ich diese (weit hergeholte) Verknüpfung von Flüchtlingen, die Deutschland aus nicht näher bekannten Gründen wieder verlassen und der (legitimen) Forderung nach Waffenlieferung nicht mehr moralisch nachvollziehbar. Aussagen über deutsche Politiker, die man schon fast als Beleidigung auslegen könnte und die keinesfalls diplomatischen Gepflogenheiten entsprechen, kann ich aufgrund der für sein Land frustrierenden Situation ein Stück weit nachvollziehen, aber für diesen argumentativ herbei fabulierten moralischen Erpressungsversuch habe ich null Verständnis.

Welcher aus Kämpfen um Selbstbestimmung hervorgegangene Nationalheld, von Ghandi und Mandela abgesehen, war denn nicht (auch) ein Räuber und Halsabschneider? In fast jedem europäischen Staat werden Straßen und Plätze nach finsteren Warlords benannt, den man jedoch als mythische Staatsgründer verehrt. Nach heutigen Maßstäben sind das jedoch allesamt Ungeheuer.

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Das geht mir genau so. Er kann gern auf Politikern herumhacken, so viel er will - das sind gut bezahlte Träger von Verantwortung qua Beruf, die wissen ganz genau, dass sie in ihrer Position exponiert in der Öffentlichkeit stehen und ein dickes Fell brauchen. Politiker müssen seine verständlichen Attacken aushalten können.

Aber wenn er Flüchtende, die - aus welchen Gründen auch immer - wieder abreisen, einfach so für seine Argumentation instrumentalisiert, indem er ohne jeglichen Nachweis behauptet, der Grund liege darin, dass sie nicht willkommen seien, dann greift er nicht primär Politiker an, sondern vor allem die vielen Freiwilligen, die sich überall engagiert haben und engagieren, um Unterkünfte zu organisieren, Versorgung sicherzustellen, Schulunterricht für geflüchtete Kinder zu organisieren und so weiter. Das meiste davon ist Extra-Arbeit, die den Leuten niemand vergütet und die vor allem wegen dem Wunsch, zu helfen, geleistet wird. Und das steht ihm nicht zu, da ist in meinen Augen eine rote Linie klar überschritten, diese Leute sollten seine Angriffe nicht ertragen müssen.

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