Wie organisieren wir die europäische Verteidigung?

Bzgl. Rentenversicherung: Die ist ja eigentlich auch nicht so richtig staatlich, wird nur vom Staat querfinanziert.

Bzgl. Bahnbeispiel: Da besteht ja immer noch eine signifikante Abhängigkeit von externen Zulieferern. Wenn man so will, ist der Status von Bahn und Bundeswehr sowieso schon ähnlich. Infrastruktur Investitionsgüter etc. sind quasi Bundesbesitz, aber es wird von extern noch Zulieferung benötigt.

Die Produktion der Investitionsgüter (z. B. Panzer) und Infrastruktur gleich selbst zu übernehmen, das ist der Vorschlag. Also ganz deutlich: Rheinmetall und Co. entprivatisieren. Die Notwendigkeit, Gewinn zu erzielen, streichen. Dafür Hauptauftrag: Wehrfähigkeit sicherstellen inkl. natürlich Rüstung auf militärische Erfordernisse ausrichten.

Wenn das nicht möglich, fällt mir und auch sonst niemandem eine Alternative ein, als zu völlig überzogenen Preisen eine kleine Kapitalelite im moralisch fragwürdigsten aller Industriesektoren weiter mit Steuergeld zu beschmeißen, in der Hoffnung, dass sich daraus eine nachhaltige Verteidigungslösung ergibt. :innocent:

Kernfrage ist dann je letztlich, ob wir unser kapitalistisches System auf ein „gemeinwohlorientiertes“ System in absehbarer Zeit umstellen können?

Ähnliche Problematiken mit Gewinnen für kleine Eliten haben wir ja quasi überall….Wohnungen und Mieten, Nahrungsmittel, ÖPNV, Gesundheitsversorgung,………

1 „Gefällt mir“

Ohne externe Zulieferer werden wir auch nicht auskommen. Ich hab jetzt keine genauen Zahlen wieviele Unternehmen an einem Panzerbau beteiligt sind, aber es werden ein paar hundert sein. Einiges an verbauter Technik kommt aus dem zivilen Markt, einiges läuft unter Dual Use etc. Also wenn man die gesamte Produktion vergesellschaften will, dann ist das nicht nur Rheinmetall, sondern Rheinmetall + alle Zulieferer, einige davon nicht mal deutsche Unternehmen.

Ja, es könnte sein wie bei der Bahn. Man kann vielleicht nicht sofort alles entprivatisieren, aber man kann sich Schritt für Schritt vorarbeiten. Irgendwo muss man ja anfangen. Am besten beim größten Player. :wink:

Gibt es eigentlich Erfolgsbeispiele, bei denen der Staat der bessere Unternehmer war oder ist?

Mir fällt grad nix ein…

1 „Gefällt mir“

Mike, ich sag mal: let’s go! :grin:

Es gibt zumindest viele Beispiele, bei denen man im Rückblick sagen kann, dass der Staat besser war als die privaten Besitzer, die anschließend kamen. Bei der British Rail wurde alles schlechter und der Staat muss heute dennoch mehr Zuschüsse zahlen, als er es tat, als ihm der Laden noch richtig gehörte.

Bei den Berliner Wasserbetrieben habe ich auf die Distanz den Eindruck, dass es heute nach dem Rückerwerb durch das Land nicht großartig, aber besser als zur Zeit der Privatisierung ist.

2 „Gefällt mir“

Was ich zum Aktienkurs geschrieben habe, dass sollte hier eigentlich gar nicht stehen. Da ist der Sarkasmus mit mir durchgegangen, weil es mich schon irgendwo nervt, dass an der Aufrüstung gegen die Russen natürlich wieder irgendwelche Spekulanten verdienen, die vorher mit Öl- und Gaspreisen rumgezockt haben. Alles weil Staaten, auch unser, es zulassen. Aber das gehört hier natürlich eigentlich nicht ins Thema.

Eigentlich wollte ich eher sagen:
Die Aufrüstung, an Gerät zumindest, läuft offenbar jetzt an und man sollte, neben dem Tempo, auch schauen, dass dabei nicht zu viel Schmu und Amigo-Geschäfte laufen, daher der Verweis auf die gestiegenen Panzerpreise.

@Geo
Ein recht interessanter Vorschlag den du da gemacht hast. Ich glaube aber im Moment sollte man tatsächlich eher schauen, das man soviel bestehende Strukturen, wie z.B. die europäische Zusammenarbeit, und auch die grundsätzliche Organisation des Militärs beibehalten, denn durch den mutmaßlichen Wegfall/Rückzug der Amerikaner sind aktuell genug andere Baustellen zu beackern. Ich weiß, das klingt nach dem üblichen „Morgen, morgen, nur nicht heute…“ aber so sehe ich es aktuell.

Sehe ich auch so. Aber die Bundeswehr ist ja grundsätzlich in staatlicher Hand und ich habe (zum Glück) noch nie einen ernstgemeinten Vorschlag gehört, dass zu ändern und stattdessen auf so etwas wie Söldner-Unternehmen zu setzen. Beispiele wie die Wagner-Truppe oder auch amerikanische Firmen wie Blackwater (später „Xe Services LLC“ und heute „Academi“, Quelle) sind da ja auch wahrlich keine guten Beispiele für.

Daher würde ich bei der staatlichen Organisation eben höchstens etwas an den Feinheiten, wie der zu komplizierten Beschaffung, ändern und die Bundeswehr ansonsten halt in einem multi-nationalem Verbund, wie bisher der Nato oder eventuell zukünftig einer europäischen Armee organisieren wollen.

Das Problem in meinen Augen ist die private Rüstungsindustrie, die, logischerweise, Geld verdienen will. Das ist grundsätzlich auch nicht verwerflich, führt aber zu altbekannten Problemen wie hohen Preisen, einem zu starken Fokus auf Neuentwicklungen anstelle von Langlebigkeit und Zuverlässigkeit und natürlich Korruption.

2 „Gefällt mir“

Ich hab mal ein bisschen recherchiert zu erfolgreich verstaatlichten Rüstungsindustrien in kapitalistischen Staaten. Das Meiste stammt aus wikipedia.

Großbritannien:
Hier ein Beispiel aus dem Mutterland des Kapitalismus: Seit dem 16 Jhd. existierten die staatlichen Royal Ordnance Factories (Waffenfabriken). Ab den 1920ern und im 2. Weltkrieg wurde die staatliche Waffenproduktion massiv ausgeweitet und war zwar nicht der einzige, aber ein zentraler Bestandteil der britischen Rüstungsindustrie und spielte eine entscheidende Rolle bei der Versorgung der britischen Streitkräfte. Der Grund für die Entscheidung war, dass die staatliche Rüstungsproduktion unabhängig von Marktschwankungen und finanziellen Interessen privater Unternehmen bleiben sollte. Diese staatlich kontrollierte Struktur ermöglichte es Großbritannien, während des Krieges kontinuierlich Waffen, Munition und Ausrüstung in großem Maßstab herzustellen. Aber auch nach dem Krieg blieb Royal Ordnance unter staatlicher Kontrolle und spielte eine zentrale Rolle in der britischen Verteidigungsstrategie während des Kalten Krieges. In den 1950er bis 1970er Jahren produzierte das Unternehmen modernste Artillerie, Munition und Handfeuerwaffen für das britische Militär. Selbst in wirtschaftlich turbulenten Zeiten konnte das Unternehmen eine effiziente, stabile und vorhersehbare und gleichzeitig innovative Versorgung gewährleisten. Außerdem war Royal Ordnance wesentlich an der Produktion von Komponenten für das britische Atomwaffenprogramm beteiligt und die staatliche Kontrolle garantierte, dass diese sensiblen Technologien nicht in private Hände fielen oder an ausländische Unternehmen verkauft wurden. Erst 1987 wurde der neoliberale Privatisierungsdruck zu groß.

Schweden:
Aber auch FFV aus Schweden ist ein Beispiel für eine erfolgreiche staatliche Rüstungsindustrie. Das Unternehmen Försvarets Fabriksverk (FFV) war von 1943 bis 1991 in Staatsbesitz und entwickelte viele verschiedene Waffen, die teilweise auch international berühmt waren. Obwohl später im Zuge der großen allgemeinen Allesprivatisierung der 90er Jahre privatisiert, bewies es jahrzehntelang dass eine staatliche Rüstungsindustrie hohe Qualität und Diversität liefern und dem Land eine hohe strategische Autonomie sichern konnte.

USA:
Auch das neoliberalste aller Länder kennt sich damit aus. Die US-Regierung übernahm in Kriegszeiten (WW2) zahlreiche Industrieanlagen oder zwang Unternehmen zur Rüstungsproduktion (z. B. Ford baute Panzer). Selbst 2009 übernahm der Staat General Motors (GM), um die Produktion von Militärfahrzeugen sicherzustellen. Also wenn sogar die USA in Krisenzeiten verstaatlichen…

Und wie erfolgreich (wenn auch teilweise sehr korrupt) Russland, China und Indien ihre größtenteils oder auch komplett verstaatlichten Rüstungs- (und Raumfahrt-)Industrien führen, soll hier nur eine Randnotiz sein, aber an Produktionsmenge und Innovation mangelt es da sicher nicht.

1 „Gefällt mir“

Was bedingt was…, gute Frage… :wink:

Kann man das so verstehen, dass nach der Privatisierung 1987 die Innovation und Investition zurückgegangen sind? Oder übersehe ich eine Lesart?

Ich denke nicht die Privatisierung war hier ursächlich, sondern die politischen Umbrüche nach 1990, als fast ganz Europa langsam auf Frieden runtergefahren hat.
Effekt bei den Briten, die während des Falkland-Konfliktes noch zu den topmodernen Armeen zählten, war wie bei vielen anderen das fehlende Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Landesverteidigung mit Abschreckungseffekt.
Da scheint es nicht wirklich relevant ob die Rüstung privatisiert oder verstaatlicht funktioniert.

So der Gedanke

Naja, das kommt immer darauf an, wer wer schmiert und wer sich schmieren lässt. Ein staatliches Unternehmen hat im Allgemeinen ja keine Motivation irgendjemanden zu bestechen, weil sie keine Gewinnerzielungsabsicht hat. Dieses Motiv haben nur private Akteure.
Ich nehme mal an, das du eher meinst, dass z.B. die russische Rüstungsindustrie sich schmieren lässt, was natürlich absolut sein kann. Das müsste bei einer staatlichen Rüstungsfirma halt genauso verhindert werden, wie es bei allen öffentlichen Behörden und Einrichtungen verhindert werden muss.
Da würde ich jetzt jedenfalls kein Gegenargument für staatliche Militärproduktion sehen.

Ich denke gerade im Bereich Handfeuerwaffen ist eine staatliche Produktion absolut sinnvoll, den gerade dort ist das Korruptionsrisiko einerseits besonders hoch (siehe z.B. Sig Sauer oder Heckler und Koch) und andererseits sind Handfeuerwaffen ein technologisch wohl eher überschaubarer Bereich ohne größere Innovationssprünge, bei dem es vor allem um Zuverlässigkeit ankommt.

Und wie @Geo schon angedeutet hat, sieht es ja eher so aus, als wäre erst nach der Privatisierung des Herstellers die Erneuerung der Gewehre ausgeblieben.

Oder man sah aus Regierungssicht keine Notwendigkeit mehr, Geld in die Modernisierung der Armee zu stecken.

Was sich zumindest historisch zeigt, ist, dass es ganz schnell gehen kann, wenn der politische Wille da ist und es notwendig wird, also wenn die Kacke schon am Dampfen ist.

Ineffizient arbeiten und die Nummer versaubeuteln geht privat und staatlich. Das Ganze effektiv und modern aufsetzen geht auch privat und staatlich.

Der Unterschied ist im Prinzip nur, was kostet das und wer kriegt das Steuergeld? Und meiner Meinung nach ist das der springende Punkt, wenn man die Bevölkerung mitnehmen will, die ja am Ende vielleicht trotz der geringeren Kosten auch Einsparungen an anderen Stellen in Kauf nehmen muss.

Weil es das Thema auch streift:

Wenn man sich das Vorgehen Trumps gegenüber der Ukraine anschaut, ändert sich grade die Art der Rüstungsunterstützung.

Waffen gibt es nicht mehr aus moralischen Erwägungen oder mit Blick auf das Völkerrecht, sondern nur noch gegen Bares oder lukrative Deals für das Geberland wie den USA.

Die Ukraine wird nun zu einem Rohstoffdeal zugunsten der USA gedrängt, welcher der Ukraine wenig Vorteile bringt.

Ist Krieg dann perspektivisch nur noch ein reines Rüstungsgeschäft?

Btw….warum vereinbart die Ukraine mit Trump nicht den vollen Zugriff auf ukrainische Rohstoffquellen, die dummerweise grad von Russland besetzt sind. Wenn die USA dort Rohstoffe abbauen wollen, müssen sie die Gebiete vorher freikämpfen…:wink:

Verstehe was du meinst, aber rein realistisch, weil Trump kein Problem hat mit Russland Deals zu machen. Was die Annektierung legitimieren würde.
Ich denke die Position der USA hat sich verändert, die der EU noch nicht.
Der Rohstoffdeal ist auch noch nicht in trockenen Tüchern und ich habe den Eindruck Selenskys Stab lässt sich nicht so einfach über den Tisch ziehen. Zumal die Vorkommen, die die Ukraine noch kontrolliert die weniger lukrativen sind. Vlt ist es einfach ein Deal des Deals wegen, damit Trump nach innen was vorzeigen kann, um weitere Hilfe zu rechtfertigen. Vlt ist morgen schon wieder alles anders. Ich denke das Urvertrauen in die USA ist verloren. Man kann da nicht planen.

2 „Gefällt mir“

Ich sehe die Forderung nach einer europäischen Armee als wichtiger denn vielleicht jemals zuvor an. In allen Medien wird über den desolaten Zustand der europäischen Armeen berichtet (Deutschland, Frankreich, GB). Dabei hat Europa die wirtschaftlichen Möglichkeiten, eine schlagkräftige Armee aufzustellen. Scheinbar ist dies jedoch nicht mit nationalen Armeen möglich. Aus meiner Sicht wäre deshalb die einzige logische Konsequenz, eine europäische Armee zu etablieren. Natürlich wäre diese nicht in wenigen Jahren einsatzbereit, sondern würde vermutlich erst in frühestens 5-10 Jahren ihre volle Einsatzfähigkeit erreichen. Ich bin sehr verwundert darüber, dass in der aktuellen Lage so gut wie nicht über diesen Ansatz diskutiert wird. Besonders nach dem, was heute im Weißen Haus passiert ist und der offenen Konfrontation zwischen Trump und Selenskyj ist klarer denn je, dass Europa geschlossen Verteidigungspolitik betreiben muss. Ich würde mich sehr darüber freuen wenn das Thema einer europäischen Diskussion in der Lage ausgebreitet werden würde.

1 „Gefällt mir“

Meine Vermutungen dazu laute : Weil Linke tendenziell möglichst kleine oder wenig leistungsfähige / effiziente Armeen wünschen. Ich vermute dahinter steckt die Angst, dass wenn man eine Armee hat die leistungsfähig ist, diese auch eingesetzt werden könnte.
Außerdem benötigen Armeen zum Teil autoritäre und klare Strukturen, was zumindest ein Teil der Linken ablehnen.

Der größte Widerstand in Deutschland dürfte an der Parlamentsarmee liegen, worauf wir sehr stolz sind.
Eine europäische Armee, die erst in den Einsatz geschickt werden kann, wenn 27 nationale Parlamente ihr OK gegeben haben ist einfach unrealistisch. Dass aber Befehlshaber anderer Staaten darüber entscheiden dürfen, deutsche Soldaten in Kriegsgebiete zu entsenden, erzeugt bei Deutschen ein großes Störgefühl.

2 „Gefällt mir“