Wie gestalten wird Debatte um Polizeigewalt konstruktiv?

Die Debatte um Polizeigewalt verläuft derzeit in zwei Extremen, die sich beide grundsätzlich ähnlich sind. Lediglich die Rollen sind vertauscht. Auf der einen Seite steht das menschliche Opfen, auf der anderen das anonyme Böse.

Auf der einen Seite steht das polizeiliche Gegenüber im Fokus. Alle seine Handlungen werden mit „Stressituation“ oder „psychischer Verwirrtheit“ gerechtfertigt. Das Ertragen von körperlicher Gewalt wird zum umbedingt zu vermeidenden Übel erklärt.

Die andere Seite sieht die Polizeibeamten als Helden, da sie ihr Leben für den Erhalt der gemeinschaftlichen Ordnung aufs Spiel setzen. Der Einsatz der Gewalt gegenüber dem Bösen wird als Notwendigkeit gesehen, um die Gemeinschaft vor der Gewalt durch das Böse zu schützen. Jedes Hinterfragen von Polizeiansätzen wird als Aushölung des Respekts vor der Polizei gesehen, dass daher umbedingt zu Verhindern ist.

Für einen echten Vortschritt müssen beide Perspektiven berücksichtigt werden.
Doch wie gestaltet man die Debatte so, dass dies möglich wird?

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Moin,

Ich bin Diensthundeführer der Polizei Niedersachsen und habe das Video in der vermutlich vollen Länge gesehen. Im Vorgeplänkel sind es noch weniger Polizisten bevor die Verstärkung eintrifft. Im Netz wird wohl vor allem eine verkürzte Version dargestellt.

Zuerst mal meine Meinung zum Thema, ist doch nur ne Ordnungswidrigkeit, da kann man den Jungen doch auch davonkommen lassen.

Das klingt natürlich erst einmal vernünftig. Nun haben sich die Polizisten hier aber entschieden die OWI zu verfolgen. Sie gingen sicher nicht davon aus, das der Jugendliche sich weigert. Und nun mein Gegenargument: Soll ich jetzt, die Verfolgung der OWI abbrechen, weil der Junge sich wehrt? Wenn ja, wäre das schon komisch für Leute die freiwillig ihre Daten preisgeben und dafür ein Bussgeld zahlen müssen und Leute die sich verweigern davonkommen.

Wenn man den Anfang gesehen hat, kann man erkennen, dass der Jugendliche durchaus in der Lage ist, der Polizei körperlich sich entgegenzusetzen. Die Polizei sieht hier mächtig hilflos aus, ohne Hilfsmittel der körperlichen Gewalt den Jungen mitzunehmen. Hier wäre mein erster Ansatz, Die Polizei müsste vielmehr geschult werden in körperlicher Fitness und Zugriffstechniken, um andere Hilfsmittel nicht zu benötigen. Zumindest bei uns muss man keinen Sport mehr nach der Ausbildung zwingend nachgehen und hier liegt das eigentliche Manko. Fühlt man sich körperlich Unterlegen und hat Angst, kann man weniger sozial agieren.

Aber:

Normalerweise sollte es so sein, dass man den Anweisungen der Polizei einfach Folge leistet und hat dann keine Gewalt zu befürchten. Es ist personell einfach nicht zu leisten, 3 Stunden bitte weise dich doch aus, bitte bitte zu sagen, anderswo wird man vielleicht benötigt um Leben zu retten. Stellt Euch das bitte alles nicht so einfach vor. Zumal wir eh schon lächerlich da stehen, weil wir uns nur noch zutexten lassen und uns alles gefallen lassen. Irgendwo muss man Konsequent auftreten. Und das bedeutet superlieb und nett zu sein, wenn man uns so entgegentritt aber auch klare Kante zeigt, wenn man sich den Beamten entgegenstellt. Einen Hund bekommt man nicht sozialisiert, wenn man bitte bitte höre auf mich zu beissen sagt. Liebevoll aber konsequent anders geht es leider nicht. Mit Fernsehverbot können wir leider nicht drohen.

Seid lieb zueinander

Stefan

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Ich finde, due hast die quailtativen Unterschiede der beiden Positionen sehr gut herausgearbeitet:

Auf der einen Seite steht das polizeiliche Gegenüber im Fokus [das Individuum]. Alle seine Handlungen werden mit „Stressituation“ oder „psychischer Verwirrtheit“ gerechtfertigt.[Das Augenmerk liegt auf dem Opfer] Das Ertragen von körperlicher Gewalt wird zum umbedingt zu vermeidenden Übel [das individuelle Recht muss unbedingt geschützt werden] erklärt.

Die andere Seite sieht die Polizeibeamten als Helden [mythische Verklärung], da sie ihr Leben für den Erhalt der gemeinschaftlichen Ordnung aufs Spiel setzen. Der Einsatz der Gewalt gegenüber dem Bösen wird als Notwendigkeit gesehen, um die Gemeinschaft vor der Gewalt durch das Böse zu schützen. Jedes Hinterfragen von Polizeiansätzen wird als Aushölung des Respekts vor der Polizei gesehen, dass daher umbedingt zu Verhindern ist. [Hier steht das Abstraktum der Gesellschaft als die schützenswerte Einheit dar. Das Individuum kommt dabei in diesem Absatz bezeichnenderweise garnicht vor. Auch die Verwendung von Worten wie ‚dem Bösen‘, ‚Helden‘ halte ich hier nicht für zufällig, da der Wert der Gesellschaft als solches, ohne auf den Nutzen für das Individuum zurückzugreifen, zwangsweise nur durch etwas Höheres, übermenschliches, zu begründen ist]

Einzig im Vorkommen des Begriffs „unbeding“ in beiden Absätzen, haben die beiden Positionen eine Gemeinsamkeit.

Das habe ich mich gestern im Verlauf der Debatte im parallelthread auch gefragt. Ich denke es wäre schon viel getan, wenn es eine klarere Datenlage gäbe. Also sowohl im Einzelfall (z.B. mit Hilfe von Body Cams) als auch durch aussagekräftige Statistiken (wie oft kommen solche Situationen wirklich vor? Gibt es vielleicht Bundesländer in denen diese häufiger vorkommen? Wie vergleichen sich unsere Statistiken mit denen anderer Staaten?). Da momentan größtenteils mit Anekdoten und Einzelfällen argumentiert wird, fällt es beiden Seiten leicht sich die Datenlage an die eigene Position anzupassen.

Außerdem würde ich für eine gewisse entemotionalisierung der Debatte plädieren. Aber das gilt für den Großteil des aktuellen öffentlichen Diskurses.