Wie führt ihr “immer gleiche” Diskussionen?

Ich stelle mir seit Jahren manchmal die Frage, wie man im Alltag mit den immer gleichen Diskussionen umgeht. Vielleicht hat das Kollektiv der Lagehörer:innen hier ja eine befriedigende Antwort.

Es ist nicht selten, dass ich mit meinen Mitbewohnern, Freunden und Bekannten auf politische Themen stoße. Im Gespräch merke ich dann, dass bestimmte Grundlagen, die für mich als selbstverständlich gelten (Klimawandel existiert und wir müssen jetzt große Schritte ergreifen, Trans-Rechte sind Menschenrechte u.ä.) für andere nicht immer auf dem gleichen Level gelten. Wenige Minuten später ist man verstrickt in einer Diskussion über Grundsatzfragen, statt über das eigentliche Thema zu sprechen.

Wie geht ihr damit um, über aktuelles zu sprechen anstatt immer die gleichen Grundsatzfragen zu diskutieren? Ich will raus aus meiner politischen Bubble, aber oft habe ich das Gefühl, mit anderen nicht einmal das gleiche Vokabular zu teilen.

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Ich kenne das nur zu gut! Was für mich manchmal gut funktioniert, ist, die dahinter liegenden Grundsatzfragen zwar aktiv anzusprechen, diese aber nicht auszudiskutieren. Das macht zugleich deutlich, dass es ganz unterschiedliche Herangehensweisen gibt, die erst mal ok sein können und aus denen sich dann aber unterschiedliche Sichtweisen auch in „Detailfragen“ ergeben können. Das kann nach meiner Erfahrung etwas dem Effekt vorbeugen, dass Wörter, die eine Person ganz selbstverständlich benutzt, für andere zu einer Art „Trigger“ für einen bestimmten Diskurs werden - was m. E. meist dazu führt, dass dann so viel Emotionalität und Ablehnung da ist, dass ein Gespräch eigentlich nicht mehr möglich ist.

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Wenn ich merke, dass ein Mensch kein Interesse an Fakten hat, rede ich da nicht drüber. Ich habe viele Bekannte, besser Freunde, mit denen ich kein Wort über so etwas wechsel, weil ich weiß dass es sinnlos wäre. Das ist auch Ok für mich, denn ich stecke Energie nur in Diskussionen, die auch erfolgreich sein können.

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Mein Lieblingsspruch, wenn ich nicht weiterkomme ist: We agree to disagree.

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Hm, ich weiß nicht, auf was für Gespräche Du Dich beziehst, aber vielleicht ticke ich da ein wenig anders. Erstens geht es bei solchen „Grundsatzdiskussionen“ meiner Meinung nach sehr viel häufiger um über lange Zeit geronnene Wahrnehmungen, Einschätzungen und Meinungen als um isolierte Fakten - die sind im Zweifelsfall häufig sekundär oder instrumentell.
Zweitens führe ich solche Diskussionen - zumindest im Privaten - fast nie, um jemanden zu überzeugen, um Recht zu haben oder um das Gefühl zu haben, dass wir einer Meinung sind, sondern weil mir etwas an dem Menschen liegt, mit dem ich diskutiere. Das impliziert auch, dass ein gegenseitiges Verstehen der Position des jeweils anderen immer schon mal besser ist, als nicht drüber zu reden, aber gleichzeitig zu meinen, man wisse genau wie der andere ticke (und warum).
Das heißt aber auch, dass ich wenn mir eine Person nicht so wichtig ist, mit ihr auch nur über Themen rede, von denen ich weiß, dass es produktiv ist - da bin ich dann vielleicht doch bei Dir.

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Vollkommen richtig.

Ich glaube, das war aber, Unterschiede in Meinungen war gar nicht die Frage von @Ronja, sondern „Unterschiede in Fakten / in der Realität“.

Ich kenne das zur Genüge in Bezug auf dem Klimawandel (oder in Bezug auf wirtschaftliche Fragen).

Im Fall des Klimawandels frage ich dann ab:

Sind wir uns einig, dass

  • es den Klimawandel gibt?
  • dieser Klimawandel menschengemacht ist?
  • die Folgen des Klimawandels für sehr viele Menschen - auch in Europa, auch in Deutschland! - heute schon gravierende bis dramatische Folgen hat? … und für die Generation unserer Kinder und Enkel noch sehr viel mehr?
  • der einzige Weg, den Klimawandel wenigstens noch zu verlangsamen und die schlimmsten Auswirkungen wenigstens abzumildern eine Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist? D.h.: Wir müssen so schnell wie irgend möglich mit dem Verbrennen fossiler Energie aufhören?
  • angesichts des verbleibenden CO2-Budgets - also der Menge an CO2, die die Menschheit noch emittieren darf, bevor die durchschnittlichen globalen Temperaturen sich um mehr als 1,5-2° erhöhen und die Auswirkungen noch viel, viel schlimmer werden - diese Dekarbonisierung bis 2045 [oder war es nicht sogar früher] erfolgt sein muss.
  • die mit der Dekarbonisierung zweifelsohne verbundenen Kosten sehr viel geringer sind als die mit den Auswirkungen des Klimawandels verbundenen Kosten?
  • bis zu diesem Punkt die Klimawissenschaft schon seit Jahren einen Konsens gefunden hat
  • die notwendigen Klimamaßnahmen für die meisten Menschen Veränderungen bedeuten werden und die Gesellschaft / die Politik nicht auf jede Einzelinteresse Rücksicht nehmen kann
  • diejenigen, die materiell von diesen Veränderungen materiell bedrohlich betroffen sind, kompensiert werden müssen (sonst haben wir keine Chance, die notwendigen Veränderungen in unserem demokratischen System durchzusetzen)

Entlang dieser Liste wird mein Gegenüber früher oder später „einhaken“.

Wenn es früher ist, überlege ich mir, ob es überhaupt Sinn hat, weiter zu sprechen. In dem Fall verweise ich auf …

… und versuche, das Gespräch mehr oder weniger behutsam auf ein anderes Thema zu lenken oder zu beenden.

Wenn es eher später in der Liste ist, dann sprechen wir mehr über das „wie“, als über das „ob“. Damit kann ich selbst schon eine ganz Menge Emotionen (Fassunslosigkeit bis Empörung) abbauen und konstruktive Gespräche funktionieren eher.

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Das hab ich eindeutig anders verstanden, und zwar so, dass es um die Einordnung dieser Fakten geht bzw. darum, wie diese bewertet werden. Um mal bei Deinem Beispiel zu bleiben: Selbst wenn ich allen Punkten zustimme, könnte ich immer noch argumentieren, dass

  • die Verantwortlichen sich jahrzehntelang geweigert haben, ernsthafte Konsequenzen insbesondere aus den Punkten 4-7 zu ziehen
  • dass es nur zu einem verschwindend geringen Teil auf Deutschland ankommt
  • dass das Kind eh schon in den Brunnen gefallen ist, auch das 1,5-Grad-Ziel kaum mehr erreichbar ist etc.

Das alles stellt keine Tatsachen infrage, kann aber dennoch eine ziemlich grundsätzliche Ablehnung der aktuellen Klimaschutzpolitik in Deutschland begründen und damit zu der erwähnten Grundsatzdiskussion führen. [es geht mir ausdrücklich nicht darum, die genannten Argumente zu vertreten oder hier zu diskutieren, das war lediglich ein Beispiel!]

Ich glaube auch der Ton macht die Musik. Wenn ich mit einer befreundeten Person diskutiere und das Gefühl hätte, diese „fragt erst mal ab“, ob meine Meinung denn auch auf Tatsachen beruht, hätte ich glaube ich ziemlichs schnell kein Interesse mehr an der Unterhaltung :wink:

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Ich erkenne eine nihilistische Müdigkeit in mir, wenn ich neuen Menschen mein Weltbild erläutern möchte und zeitgleich möchte ich genau dieses erweitern. Somit habe ich auch immer wieder die selben Diskussionen, allerdings treffe ich dabei auf viele Menschen aus scheinbar vielen unterschiedlichen Bubbles. Jedenfalls ordnen sich die Personen selbst unterschiedlichen Richtungen zu, wobei man über diese Zuordnung an sich schon ewig diskutieren könnte. Doch im Gespräch stellen sich immer wieder die gleichen Punkte heraus, sodass meine Müdigkeit zunimmt:
Die Personen sind ideologisch nahezu deckungsgleich, da sie stets die gleichen Annahmen treffen und innerhalb eines ideologischen Modells argumentieren, welche sie mit Logik verwechseln. Ich würde gerne die zugrunde liegenden Annahmen debattieren, ob diese wirklich als Axiom geeignet sind, ob sie weiter abstrahiert werden könnten oder gar einen inhärenten Widerspruch aufweisen. Eines meiner liebsten Beispiele an dieser Stelle ist die Verquickung der Auslegungen von Liberalismus (sozial, individuell und ökonomisch) und deren Annahmethesen, da diese von allen mir bekannten Menschen außerhalb einer Kleinstgruppe als unumstößliche dogmatische Wahrheit hingestellt werden.
Es ist schön von diesen Personen die Einordnungen der Tagespolitik zu hören, jedoch ist die Tagespolitik ein Symptom, deren Ursache ergründet werden sollte, allerdings hetzen die meisten Gesprächspartner von Symptom zu Symptom und formulieren eine Lösung argumentiert innerhalb der Symptomatik ohne es mit analogen Problemen aus der Geschichte zu vergleichen, um so festzustellen, dass die vermeintliche Lösung schon damals gescheitert ist, dieses jetzige Symptom in der Vergangenheit erst erschaffen hat oder die Probleme verschärft.
Ich denke, dass die Sprache, die wir benutzen, ist in der Regel nicht dazu in der Lage maximal zu abstrahieren und somit vermeintliche Synonyme oder Subsummierungen benutzt werden. Hinzu kommt noch das Problem des Framings und der Triggerwörter, die jede Diskussion auf eine banale Ebene bringen. Wir haben in unserer Sprache eben zu viele Worthülsen von denen wir eine subjektive allgemeingültige Vorstellung bei jedem Gegenüber vermuten, sodass Konflikte zwingend vorprogrammiert sind. Ich habe nun seit einigen Jahren für mich selbst eine diffuse Begrifflichkeit versucht zu fassen, um genau diese Beschreibung in einem Neologismus zu binden. Nun kann ich zwar meine Ansichten frei von Fehlinterpretationen äußern, nur versteht mich keiner. Gut das war nun ein extremes Beispiel, aber ich denke, dass man schon viel in der bubbleübergreifenden Diskussion erreichen kann, wenn die Worthülsen mit genügend Adjektiven gespickt werden, um Fehlannahmen beim Gegenüber zu reduzieren. Das löst noch nicht das Problem, wie man die Bereitschaft generieren kann, statt über Symptome zu „schwafeln“ auf Ursachenforschung zu gehen, um dann induktiv mit den daraus entstehenden Emergenzen Erklärungen auszumachen.