Wie arbeiten Journalisten (und warum haben sie recht)?

Liebe Lage-der-Nation, ich bin Geschichts- und Politiklehrerin und das vermeintliche Totschlagargument meiner Schüler:innen ist, dass auch die von mir als seriös eingestuften Medien ja „lügen“ und „niemand“ es überprüft. Ich finde im Netz keinen (schülergerechten) Text, der erklärt, warum seriöse Journalisten qua Amt sehr glaubwürdig sind und warum es einfach nicht sein kann, dass wenn verschiedene internationale Tageszeitungen berichten, dass es z.B. Corona-Tote gibt, oder dass Greta Thunberg nicht die Weltherrschaft an sich reißen will, dass auch stimmt. Wenn ich im Unterricht zu oft Texte aus Tageszeitungen austeile, wird mir „false balance“ vorgeworfen, da ich die Telegram-Kanal-Berichterstattungen nicht mit aufnehme. Wie erkläre ich, zugespitzt, dass die SZ recht hat (und warum sie zu 99,9% „die Wahrheit“ druckt) und im Telegram-Kanal, schon rein statistisch gesehen, eher Unwahrheiten verbreitet werden? Aus Sicht der Klasse ist der SZ-Autor ein einzelner Mensch, der seine Weltsicht „einfach so“ verbreiten darf und der Betreiber des Telegram-Kanals ist genauso ein gleichberechtigter Mensch (in diesem fiktiven Beispiel gehe ich davon aus, dass der Telegram-Autor nicht journalistisch arbeitet).
Falls ihr irgendwann mal einen kurzen Beitrag dazu machen könntet, wie Journalisten arbeiten, wie eine Redaktion funktioniert, wer alles über einen Beitrag guckt, bevor er veröffentlicht wird, warum eine SZ, FAZ oder Lage der Nation einpacken könnte, wenn sie mehrmals im Jahr der bewussten Irreführung überführt würden - mir und tausenden anderen Lehrer*innen würde es sicher wahnsinnig helfen.
„Echte“ Journalisten besitzen eine größere Glaubwürdigkeit als wir Lehrkräfte.
Viele Grüße und danke für die ganzen tollen Sendungen
Clara

3 „Gefällt mir“

Liebe Clara, das ist meiner Meinung nach eine sehr gute Frage, die auf keinen Fall nur für deine Schüler wichtig ist!
Auch wenn mich das doch recht arg beunruhigen würde, dass Jugendliche Telegram Informationen denen einer rennomierten Zeitung gleichsetzen.
Der wesentliche Unterschied, der mir da ja einfällt, ist natürlich die Tatsache des Geldes. Journalisten werden bezahlt, diejenigen im Telegram-Channel wohl eher nicht.
Leider würde das natürlich sofort als
Gegenargument gewertet werden, denn wer Geld bekommt ist ja meistens böse.
Ansonsten kann man natürlich auf die Ausbildung/ das Studium der jeweiligen Autor:innen hinweisen, oder noch besser, auf ihre Verpflichtung der Wahrheit gegenüber (ich weiß gerade nicht, wo genau die verankert ist, für die ÖR glaube ich im Rundfunkstaatsvertrag, müsste sich rausfinden lassen).

Wenn das alles nicht reicht, muss ich mich leider unbeliebt machen. Denn wer solche Tatsachen, wie keine Corona-Toten und Thunbergs Weltherrschaft für glaubhaft hält, und sich nicht von der Instanz des Gesetzes überzeugen lässt, dem kann man nicht so ohne weiteres helfen.
Ich kann nur hoffen, dass das auf deine Schüler:innen nicht zutrifft.

Zieht doch dieses Thema von der anderen Seite her auf:
Mit dem Fall Relotius beim Spiegel gibt es einen relativ aktuellen und prominenten Fall.

Geht von dem aus und geht auf Umgang und Folgen dieses Skandals, sowohl beim Spiegel als auch beim den anderen großen journalistischen Medien ein.

Und dann stellt die simple Frage, was ein solcher Fall für Auswirkungen bei Telegramm haben würde.

Wer dann noch Telegramm/Twitter und Co für gleichwertige Berichtsquellen hält, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

4 „Gefällt mir“

Moin OlafK!

Daher ist es eben so wichtig, Schüler*innen in Medienkompetenz aufzuklären, bevor sie sich ihre eigene Telegram-Realität schaffen und den Bauernfängern erlegen.

Um hier nochmal anzuknüpfen:
Man sollte sich immer die Anreize anschauen. Bspw. Journalisten bei einer großen überregionalen Tageszeitung haben viel zu gewinnen, wenn sie Skandale bei anderen Tageszeitungen aufdecken und Chefredakteure haben viel zu verlieren, wenn sie Lügen drucken. Also kontrollieren die Editoren und Chefredakteure sich die Redakteure, die Tageszeitungen sich gegenseitig und zum Schluss ist da noch die Öffentlichkeit die hoffentlich aufmerksam liest. Sind das Methoden die immer funktionieren ? Nein, natürlich nicht siehe Fall Relotius, aber wenigstens gibt es Mechanismen der Kontrolle. Bei Telegramm Gruppen gibt es das eben nicht. Oft ist es nur eine Person die den Text vor Veröffentlichung liest, die Leser kommen nur zur Gruppe wenn sie sowieso die Meinung schon teilen und andere können oft nicht kontrollieren was geschrieben wird, weil es semi privat ist. Und selbst wenn können sie es nicht dort veröffentlichen wo es gesehen wird.

Hi, danke für die Kommentare. Dden Fall Relotius habe ich mich nicht getraut zu behandeln, nachher ist das Wasser auf den Mühlen der Verschwörungstheoretiker… Ich unterrichte eine große Bandbreite an Menschen, von Berufsschule Verkäufer zum internationalen Abitur, natürlich sind die nicht-medienkompetenten Schüler:innen in der Minderheit. Aber auch in den Abiklassen schleichen sich Glaubenssätze ein wie „man soll nicht immer alles glauben, was man liest“, was ja goldrichtig ist - nur leider überinflationär auf die Tagesschau und nicht auf YouTube angewendet wird. Klar, letztlich kann man niemandem helfen, der etwas partout nicht glauben will. Ich dachte nur, die Lage könnte mal an einem Beispiel durchdeklinieren, warum z.B. Philipp im öffentl-rechtl. Dlf nicht einfach Humbuk verbreiten kann, ohne dass die Redaktion, der Sender, die Kolleg:innen, und letztlich andere Medienhäuser den Irrtum innerhalb kürzester Zeit aufdecken würden und er eine Korrektur veröffentlichen müsste. Ich bräuchte quasi eine glaubhafte (weil interne) Werstattschau, „wieso sende ich nur wahre Nachrichten“.