Weisungsbefugnis Justizminister

Im Zuge der Vorermittlungen gegen Christian Lindner gewinnt in meinem Freundeskreis auch diese Diskussion wieder an Fahrt.

Wäre das vielleicht auch ein Thema für die Lage?

Warum geht die Ampel dieses Thema nicht an, das in der Vergangenheit schon auf EU-Ebene zu berechtigter Kritik an Deutschland geführt hat?

Das wurde in der Lage hin und wieder mal angesprochen. Aber ich versuche mal, es aufzudröseln:

Zu einem unabhängigen Rechtstaat gehört es, dass es eine funktionierende Gewaltenteilung gibt. Dazu gehört, dass die Exekutive keinen maßgeblichen Einfluss auf die Judikative nehmen darf, daraus folgt u.a. die richterliche Unabhängigkeit. Ob das auch für Staatsanwälte gelten sollte, da diese als maßgeblicher Teil der Strafjustiz der Judikative zuzuordnen sein sollte, ist umstritten. In Deutschland (und z.B. den USA) wird die Staatsanwaltschaft, ähnlich wie die Polizei, der Exekutive zugeordnet, in den meisten anderen europäischen Ländern der Judikative.

Beides lässt sich relativ gut vertreten. Für die Staatsanwaltschaft als Exekutive spricht, dass sie in den Apparat der Exekutive eingebunden ist (sie ist z.B. der Polizei, die klar der Exekutive zuzuordnen ist, gegenüber weisungsbefugt) und im Strafprozess vor allem das Strafinteresse des Staates vertritt (in den USA sogar nur, in Deutschland in der Praxis leider weitestgehend).

Für die Staatsanwaltschaft als Judikative spricht, dass ein wahrlich unabhängiges Justizsystem nur bestehen kann, wenn auch die Staatsanwaltschaft ähnlich neutral wie die Richterschaft ist. Wenn die Exekutive, daher die Regierung, über eine Weisungsbefugnis gegenüber der Staatsanwaltschaft „steuern“ kann, welche Fälle überhaupt vor Gericht landen, droht offensichtlich die Gefahr, dass die Exekutive darüber nahezu beherrschenden Einfluss auf die Judikative ausüben könnte. Auch für die Zuordnung der Staatsanwaltschaft zur Judikative spricht, dass sie auch zu Gunsten des Tatverdächtigen ermitteln muss, sie daher kein strikter Vertreter des staatlichen Strafinteresses ist (wie es in den USA z.B. der Fall ist; in den USA ist die Staatsanwaltschaft auch Teil der Exekutive, wie in Deutschland…)

Insgesamt überwiegen für mich auch die Argumente, dass die Staatsanwaltschaft Teil der Judikative und damit weitestgehend unabhängig von der Exekutive sein sollte, weshalb ich auch dafür bin, die Weisungsbefugnis offiziell abzuschaffen. Auch natürlich, um die europäischen Justizstandards zu erfüllen.

Zur Ehrenrettung des deutschen Systems muss man allerdings anmerken, dass die Politik sich des Problems der Weisungsbefugnis gegenüber der Staatsanwaltschaft zumindest dahingehend im Klaren ist, dass diese Weisungsbefugnis in der Praxis nur selten vorkommt.

Es gab übrigens 2020/21 einen Referentenentwurf zur Einschränkung des Weisungsrechts vom Justizministerium, dieser wurde jedoch von acht (vermutlich CDU-geführten) Bundesländern und dem damaligen Innenminister Horst Seehofer abgelehnt.

Das war übrigens auch Christine Lambrechts Fehler als damalige Justizministerin, weil hier das SPD-Justizministerium vorgeprescht ist, ohne vorher mit dem Innenministerium und den Ländern zu klären, ob der Entwurf Aussicht auf Erfolg hat. Aber die Haupt-Schuld liegt natürlich an Blockierern wie Horst Seehofer und anderen Konservativen Innenpolitikern, die doch ganz gerne im Zweifel die Macht über die Staatsanwaltschaften behalten würden…

Ein neuer Anlauf der Reform in der jetzigen Ampelkoalition wäre also überfällig, wobei die CDU-Innenminister auf Länderebene hier weiterhin blockieren werden (und bei Nancy Faeser bin ich mir mittlerweile auch nicht mehr sicher…). Der eigentliche Skandal ist daher, dass wir nicht zu europäisch-rechtstaatlichen Standards kommen, weil konservative Innenminister sich nicht ihr Spielzeug wegnehmen lassen wollen.

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