Ich würde es sehr, sehr begrüßen, wenn wir hier nicht nochmal den Diskussionsstrang wiederholen, der schon als Themenvorschlag und als Kommentar zu Podcast sehr umfangreich durchdekliniert wurde, sondern bei der allgemeineren, grundsätzlichen Ausgangsfrage bleiben, deswegen nur in ganz kurzer Form:
Russland hat die Ukraine ganz einfach völlig ohne legitime Begründung überfallen. Alles, was als Begründung aus Moskau kam und kommt, sind durch die Bank offensichtliche Lügen. Ganz gleich, wie man im Ergebnis zu den Ereignissen im Nahen Osten steht, ist - denke ich - leicht ersichtlich, dass bspw. mit der Nutzung von Proxy-Akteuren durch den Iran, die wechselseitigen Geheimdienstoperationen, die wechselseitigen Drohungen und Angriffe, die längere, vertrackte Vorgeschichte viele Themen mit auf dem Tisch liegen, die überwiegend Ermessensfragen sind und je nachdem, wie man die bewertet, kommt man zu unterschiedlichen Beurteilungen. Kann man gern auch ganz anders sehen, aber dann bitte in die dazu schon gelaufenen Diskussionen schauen und hier nicht alle Argumente von dort nochmal durchlaufen lassen.
https://talk.lagedernation.org/t/ldn-436-iran-kurz-vor-der-atombombe/29207/102
https://talk.lagedernation.org/t/israelisch-iranischer-krieg/29159/212
Um zum allgemeinen Teil zurück zu kommen: Recht ist notwendigerweise immer das Recht des Stärkeren, wenn es funktionieren soll. Verrechtlichung ist immer ein Prozess, in dem Stärkere in einem gewissen Umfang in bestimmten Kontexten darauf verzichten, ihre Stärke zu nutzen. Deswegen ist Recht immer auch etwas zugunsten der Stärkeren ausgestaltet (GATT, WTO, UN und andere internationale Institutionen wurden schon genannt, aber auch unser innerstaatliches Recht begünstigt Menschen mit mehr Geld und Einfluss deutlich). Warum kommt es dazu? Weil im Tausch gegen diesen Verzicht mehr Stabilität eintritt und der Aufwand, die eigene Position gegen gewaltsame Veränderungen zu schützen, abnehmen. Das bringt allen Beteiligten erheblich mehr Kooperationsmöglichkeiten und Gewinn, auch den Schwächeren, sodass alle einen Anreiz haben, eine Rechtsordnung im Großen und Ganzen zu akzeptieren und zu stützen. Jedes Mal, wenn jemand sich unsanktioniert nicht daran hält, reduziert das das Vertrauen in die Rechtsordnung ein bisschen und die Vorteile der Rechtsordnung erodieren. Das wird manche Politik formen, ohne dass das explizit gesagt wird. An anderer Stelle treten die Folgekosten von Völkerrechtsverstößen erst verzögert ein und sind nicht so präzise Zuzuordnen (etwa die wachsende Entschlossenheit des Irans als Folge der US-Interventionen in seiner Nachbarschaft, aber auch das fehlende politische Kapital, um aktuell Verbündete in Europa für die Angriffe zu gewinnen, weil hier viel Misstrauen für „Beweise“ für Massenvernichtungswaffen und deren Einsatz aus dieser Zeit übrig geblieben ist)
Wenn ich davon ausgehe, dass eine Nation wie Deutschland ganz entscheidend über Kooperationsgewinne zu Wohlstand kommt, haben wir in der langen, strategischen Perspektive ein erhebliches Interesse, an immer weitergehender und tieferer Integration und Verrechtlichung. Natürlich hilft es da, wenn wir an den richtigen Stellen verurteilen oder unterstützen und damit die diplomatischen Kostenkalkulation von anderen beeinflussen. Viel mehr helfen würde mMn aber etwas anderes:
In Europa sind wir das größte und stärkste Land. Hier können wir im Rahmen der EU viel dafür tun, einen gemeinsamen auch völkerrechtlichen Rechtsraum zu schaffen (falls wir mal aufhören würden, ständig aus kurzfristigen, innenpolitisch-taktischen Motiven nach Gutdünken Verstöße zu begehen und Verstöße anderer zu dulden). Der Erfolg eines solchen Projekts strahlt aus und verschafft dieser Idee Glaubwürdigkeit. Mindestens genauso wichtig: Einen Teil der Erträge daraus in eigene Stärke zu investieren. Damit man zumindest teilweise auch die Möglichkeit hat, Verstöße gegen bestimmte Normen gegenüber unseren Mitgliedsstaaten/Verbündeten zu sanktionieren. Militärisch, ökonomisch, diplomatisch. Und unabhängige Gerichte schaffen oder stützen und deren Urteilen durch unsere Macht Gewicht zu verleihen. Das wäre mMn eine sehr sinnvolle Strategie für die EU/Deutschland gegenüber dem Rückfall in den Imperialismus in China, Russland und den USA.