Wartezeiten bei Bürgerdiensten

Hallo zusammen. Ich bin großer Fan der Lage und habe eine Frage:

Haben Bürger:innen ein Recht auf „Bürgerdienste“ der Verwaltung - und auf eine zeitnahe Bearbeitung?

Im Ruhrgebiet ist es „normal“ geworden, dass Bürgerbüros, Straßenverkehrsbehörden und Ausländerbehörden viel zu wenig Termine anbieten. Als Betroffene:r bedeutet das, wochen- oder monatelang warten zu müssen - und auch dann nur mit Glück einen Termin zu ergattern.

Allerdings ist man ja auf die Dienste angewiesen. Ich habe beispielsweise bei Nicht-EU-Ausländern in meinem Umfeld schon mehrfach miterlebt, dass der Job gekündigt wurde, weil der Wechsel von Studentenvisum auf Arbeitsvisum an der Bearbeitungszeit und einem Termin im Ausländeramt gescheitert ist. Andere können ihr neues Auto nicht fahren, weil sie kein Nummernschild bekommen.

In der Lage habt ihr das Thema schon mehrmals angesprochen - aber immer mit einem Augenzwinkern in Richtung Berliner Verwaltung. Zumindest im Ruhrgebiet ist es ähnlich. Und ich persönlich sehe auch ein strukturelles Problem:

  • wie wird der Bedarf an Bürgerdiensten ermittelt?
  • welchen Anreiz haben Behörden den Bedarf zu decken?

Ich selbst habe - ohne Termin - ja keinerlei Kontaktmöglichkeit zu der Behörde und keinerlei Möglichkeit, meinen Bedarf anzumelden. Aus Sicht der Behörde könnte man ja sagen: 100% Auslastung, alles super, kein Anzeichen dass wir mehr anbieten müssen.

Ein paar Beispiele - beim Ausländeramt Essen weiß ich aus eigener Erfahrung, dass die 10 Monate Wartezeit keine Übertreibung sind und auch für einfache Sachen wie Anmeldung (als Ausländer) in der Stadt gelten.


4 „Gefällt mir“

Ja es gibt grundsätzlich ein „Recht“ auf zeitnahe Bearbeitung. Das was folgt, ist keine Rechtsberatung, aber vielleicht ein paar Grundlagen, an denen wir eine Diskussion über zivile Maßnahmen gegen Verwaltungsschlendrian anfachen könnten :wink:

An erster Stelle steht natürlich immer die direkte Konfrontation der Behörde. Ich hab da bisher immer bis auf einmal mein Ziel erreicht. Ob es das Bafög-Amt ist, das Finanzamt (die sind sogar erstaunlich nett in meiner Erfahrung) oder irgendwelche Behörden im Rathaus.

Wenn du einen Antrag gestellt hast und die Bearbeitung sich unsäglich lange zieht und du dadurch deinen Job verlieren oder ähnliche schwere Nachteile erleiden könntest, könntest du beim zuständigen Verwaltungsgericht (oder Sozialgericht, kommt aufs Amt an) eine Verpflichtungsklage in Form einer Untätigkeitsklage erheben, um den beantragten Verwaltungsakt zu bekommen. Natürlich musst du etwas warten, bevor du klagen kannst - nach 75 S. 2 VwGO idR etwa 3 Monate

Wenn du gar nicht erst einen Termin bekommst, den du aber für die Einleitung des Verfahrens oder damit du überhaupt Anträge stellen kannst bräuchtest, dann würde ich es mit der allgemeinen Leistungsklage auf Erhalt eines Termins versuchen.

Allerdings müsste man da noch mehr Faktoren beachten. Für viele Verfahren gibt es Fristen und Stichtage, bei deren Überschreitung eine längere Bearbeitungszeit manchmal hingenommen werden muss.

Gleichzeitig würde ich jetzt auch einfach mal behaupten, dass der Staat nicht pauschal auf zu geringe Kapazitäten verweisen kann. Das mag ausnahmsweise vielleicht mal bei besonderen Anlässen und vorübergehend gehen, aber der Staat hat da eigentlich schon genügend Kapazitäten vorzuhalten, damit man Vewaltungsverfahren (zumindest für die VwGO) effizient genug durchführen kann.

Müsstest dich auch mal schlau machen, bei manchen Anträgen gibt es Genehmigungsfiktionen, wenn die Behörden schlendern. Da geht das alles immer ganz fix. Ich verweise hier mal ins Baurecht in Bayern.

Wenn du aber keinen konkreten Anlass hast, kannst du nicht erfolgreich klagen. In Deutschland gibt es keinen allgemeinen Anspruch auf „Rechtsdurchsetzung“. Deshalb im ersten Satz das Wort Anspruch in Anführungszeichen. Dein Recht auf effiziente Bearbeitung hängt von deinem eigentlichen Antrag ab bzw ist eigentlich nur ein prozessuales Anhängsel desselben.

Ansonsten empfehle ich den Weg, dass du dich einfach formlos an die jew. nächsthöhere Behörde wendest bis ggf zum zuständigen Landes- oder sofern zuständig Bundesministerium gehst. Ne einfache Mail oder besser ein Anruf hilft da eigentlich oft ganz gut, auf Missstände hinzuweisen. Freilich kriegst du dadurch nicht unmittelbar einen Termin.

Und zuletzt noch der schönste Weg, wenn du mal etwas Frust hast: Es gibt für deinen Wahlkreis eine Abgeordnete im Landtag oder Bundestag. Die sind dafür da, dass ihre „Schäfchen“ sich über Probleme und Missstände mal so richtig auslassen können. Ich hab damals Meine wegen der Generalamnesie der Cum Ex Betrügerein im Juli 2020 genervt und das war hervorragend!

7 „Gefällt mir“

Eine lustige Anekdote einer äußerst klammen Freundin:
Sie hatte einen kostenlosen Bürger-Schnelltest in Anspruch genommen um das Land kurzzeitig zu verlassen. Das Schnelltestergebnis war aber nicht innerhalb von den versprochenen 72h zugegen - nach Eigenaussage aufgrund von Überforderung. Sie konnte einen neuen Schnelltest nicht finanzieren und war zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland gefangen. Und zwar nicht, weil ihr Ergebnis positiv war, sondern weil sie keinen zweiten Schnelltest finanzieren konnte.
In diesem Fall hätte auch kein Landtags- oder Bundestagsabgeordneter helfen können (ohne die damals geltende 1 Test/Woche Regel zu brechen). Da hätte der EUGH eingeschaltet werden müssen um sie aus Deutschland (oder zumindest ihren negativen Test) herausholen zu können.

Konnte sie nicht heimlich die Kurve kratzen? Das wird ja kein Einzelfall sein… Ist aber schon seltsam, wie unterschiedlich das ist. Bei uns kommt das Ergebnis per Mail innerhalb von 15 Minuten und ich kann mich hier so oft testen wie ich will.

war nicht so der Stil der LokalpolitikerInnen oder der Betroffenen. Vor allem aus rechtlichen Gründen.
Dass es heutzutage einfacher ist ein Ergebnis zu bekommen entschädigt Personen ja nicht, die damals die Freizügigkeit innerhalb Europas aufgrund von lokaler Inkompetenz nicht wahrnehmen konnten.
Dass die Möglichkeit allen gegeben wurde Deutschland zu verlassen wenn sein Abstrich negativ anschlägt und vor 72 h (später 48h) genommen wurde, ist schlicht falsch. Und für die Betroffenen waren Deutschlands Grenzen unverschuldet zu, wenn sie nicht einen weiteren Test aus eigener Tasche finanzieren wollten oder konnten.

und hier von einem Grüne Jugend Sympathisanten zu hören, dass man doch „kurze Dienstwege“ nutzen solle- das irritiert mich ernsthaft.

2 „Gefällt mir“

Du, ganz ernst war das nicht gemeint, ich kenne ja den Kontext nicht und du hast ja selbst eine Anekdote erzählt^^

1 „Gefällt mir“

Wenn der Staat etwas verspricht muss er es auch halten. Und wenn der Staat sein versprechen nicht halten kann oder so verzögert dass es borderline verfassungs-/grundgesetzwidrig ist, dann spreche ich das Prädikat Bananenrepublik aus und schalte lokale Freiheitskämpfer wie die GFF oder den EUGH ein.

Aber von mir aus können wir auch uns auch auf folgendes einigen:
Was nicht von Staats wegen innerhalb von einer gewissen Zeit abgelehnt wurde gilt als angenommen.
Je nach Relevanz z.B. CoronaTest innerhalb von 72h, Baugenehmigung innerhalb von 2 Jahren, Personalausweisverlängerung innerhalb von 5 Jahren…
Die Verwaltung gibt alles. Aber es gibt so viele Gesetze, dass man einfach irgendwann lieber aufgeben sollte als alles korrekt abzuwickeln. Daher: was hinten herunterfällt sollte einfach aufgrund von „Verjährungsfristen des Staats“ positiv beschieden werden.

1 „Gefällt mir“

Das gibt es sogar! Zu nennen wäre § 6a GewO (Genehmigung von Gewerben) oder Art. 68 Abs 2 BayBO (Baugenehmigung). Gibt noch zahlreiche andere Felder, wo das sicherlich auch gilt :slight_smile:

1 „Gefällt mir“

Also 5 Jahre lang das Land nicht verlassen weil man keinen neuen Perso bekommt. So kulant wäre ich nicht.

2 „Gefällt mir“

Da reicht ja auch ein Reisepass, für einige EU-Staaten auch der Führerschein. Aber von funktionierender Verwaltung kann in Deutschland dennoch keine Rede sein. Problematisch ist das insbesondere in Klimaschutzpunkten. Nachverdichten oder Häuser aufstocken ist politisch gewollt - aber durch die Verwaltung verunmöglicht. Also bauen die Menschen lieber auf der grünen Wiese als jahrelang mit den Ämtern zu kämpfen.

Die Frage nach den Anreizen ist eine gute.
Vielleicht sollte die Verlängerung der Ausweise (nichts ändern, nur beantragen, danke und tschüss) auch nicht zwingend nur in Staatshand möglich sein. Das Abholen sollte dann wieder ein/e Beamte/r machen - aber Fotos annehmen und abkassieren sollte eigentlich auch dritten möglich sein.
Wenn der Staat mit seinen Hoheitlichen Aufgaben überfordert ist- vielleicht kann er dann Teile dieser Aufgaben ausschreiben.

Danke euch allen für die Antworten, viele Aspekte hatte ich so nicht im Blick. Mein Fokus lag bei Diensten, bei denen in meiner Wahrnehmung der eigentliche Verwaltungsvorgang im Abtippen besteht und der Kontakt zu den Bürger:innen das Nadelöhr zu sein scheint.

Teilweise gibt es ja Dienstleister, z.B. Zulassungsdienste beim Straßenverkehrsamt, die Anträge gebündelt abgeben und am Ende des Tages abholen. Aus Sicht des Straßenverkehrsamt optimieren die Dienstleister den Kundenkontakt - win-win. Aus Kundensicht bieten die Dienstleister aber überhaupt keinen Vorteil, außer eben besseren Zugang zu Terminen beim Amt.

Ich habe 18 Monate auf die Bearbeitung eines Einbürgerungsantrages gewartet. Die Unterlagen waren zu Beginn der Bearbeitung alle da und ich musste auch nichts nachreichen (außer, dass sie am Ende noch einmal die letzten drei Gehaltsnachweise wollten). Es gab auch zwischenzeitlich keinerlei Kommunikation zum Bearbeitungsstand und auf Rückfragen wurde nicht geantwortet.

Das war in Berlin.

nur als Referenz: das Thema klingt in der aktuellen Lage an (bei Minute 40:00, ab Minute 40:00.

  • die Performance von Gesundheitsämtern bleibt hinter dem zurück, was wir bräuchten
  • eigentlich effektive Regeln (zB Quarantäne) werden dadurch de-facto nicht umgesetzt
  • die Problematik sieht man auch in anderen Bereichen, z.B. Strafanzeige bei Straftat im Netz, Wohnsitz in Berlin, …

„für die Akzeptanz für Normen im Rechtsstaat ganz allgemein ist es wichtig, dass der Rechtsstaat sich selbst und seine Regelungen ernst nimmt.“ (@vieuxrenard )

Ich nehme mit, dass niedrigschwelliger (und zeitnaher) Kontakt zu Behörden nicht nur „nice to have“ ist, sondern ganz essentiell, um ernstgenommen und befolgt zu werden. Das sehen wir aktuell bei Quarantänemaßnahmen ganz extrem, aber es trifft auch auf andere „Bürgerdienste“ zu.

1 „Gefällt mir“