Wann ist ein Staat ein Staat?

Hallo,

Ich muss gestehen, dass ich mich selbst noch nicht intensiv mit dem Thema beschäftigt haben, ich habe bisher nur diesen Text gelesen.

Da wir aktuell einige Regionen in der Welt haben in der es um die Staaten-Frage geht (Donbas, Taiwan, Kosovo, Katalonien), fände ich es aus rechtlicher Sicht ein hochinteressanteres LdN Thema, dies exemplarisch an einigen Ländern einmal einzuordnen. Wann genau ist ein Land ein Land?

Die einfache Antwort wäre: Wenn ein Land in die Vereinten Nationen aufgenommen wird. Dann kann man ziemlich sicher davon sprechen, dass es ein Staat ist. Dummerweise ist das aber gleichzeitig eine recht unbefriedigende Definition, weil sie stark davon abhängt, was für eine Meinung die anderen Staaten dazu haben, und da kann es halt schon mal vorkommen, dass über Jahrzehnte eigentlich stabile Gebilde nach dieser Definition keine Staaten wären, weil irgendwer etwas dagegen hat und die Aufnahme in die UN blockiert.

Daher, hab ich mal gelernt, gibt es für eine bessere Definition die sogenannte „Drei-Elemente-Lehre“, die besagt, dass ein Staat ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und die Staatsgewalt besitzen muss, also die Kontrolle über das Staatsgebiet und die Macht, Gesetze zu erlassen und diese dann auch durchzusetzen. Wenn alles drei zusammentrifft, ist das Gebilde ein Staat. (Reichsbürger hassen diesen Trick.^^)

Wie oben schon angedeutet, überschneiden sich diese beiden Definitionen nicht zu 100%, weswegen es Gebiete gibt, die de facto nach der Drei-Elemente-Lehre Staaten sind, aber nach Ansicht vieler anderer Staaten und der Vereinten Nationen eben nicht, weswegen man sie üblicherweise De-Facto-Staaten nennt, z.B. Taiwan oder Kosovo.

Es gibt auch den umgekehrten Fall. So hat der Vatikanstaat bspw. praktisch kein eigenes Staatsvolk und ist daher eigentlich kein Staat, trotzdem unter dem Titel „Der Heilige Stuhl“ Mitglied der UN. Und bei Somalia ist im Grunde die einheitliche Staatsgewalt schon lange nicht mehr gegeben. Trotzdem wird Somalia weiterhin allgemein als Staat betrachtet, weil man sich sonst ja irgendwelche Gedanken über seinen Status machen müsste.

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Jup, das ist die auch im juristischen Bereich geläufigste Definition nach Jellinek.
Was noch fehlt ist die Anmerkung, dass die Staatsgewalt souverän ausgeübt können werden muss, daher: Es gibt keine Staatsgewalt von Außen, wie dies z.B. bei Hong Kong relativ klar der Fall ist (dh. hier hat China auch offiziell zahlreiche Befugnisse). Im Rahmen der europäischen Integration wird das daran deutlich, dass Deutschland nur freiwillig einige Teile seiner Souveränität an die EU überträgt, aber nach den EU-Verträgen jederzeit die Möglichkeit hätte, diese Souveränität zurück zu gewinnen. Hong Kong hat diese rechtliche Möglichkeit nicht, folglich fehlt es an der Souveränität.

Wichtiger Unterschied:
Der Heilige Stuhl ist kein Mitglied der UN, er hat lediglich einen permanenten Beobachterstatus. Damit hat er auch z.B. kein Stimmrecht.

Die konstruktivistische Antwort wäre: Sobald ihn genügend andere und genügen mächtige Staaten als Staat anerkennen.

Über diese Frage hat letztens eine der Crypto-Leuchten ein Buch geschrieben: “The Network State: How to Start a New Country”

Das Buch ist wegen Selbstüberschätzung und Ignoranz nicht lesenswert aber es wird hier hilfreich und witzig auseinander genommen:

Ich denke was ihr hier schreibt klingt sehr logisch. Das einzige was mir glaube ich noch ein bisschen fehlen würde wäre eine Zeit- und Stabilitätskomponente. Was ich meine ist, wenn ein paar Revolutionäre es schaffen für eine Woche die Kontrolle über ein Gebiet zu übernehmen und dort ihre eigene Verfassung erlassen würden, würde ich nicht davon sprechen, dass da für eine Woche ein Staat existiert hat. Auf der anderen Seite, wenn ein Land beschließen würde sich in 2 Teile aufzuspalten und das international anerkannt wird, würde ich nicht sagen, dass die erst mal 3 Monate warten müssen, bis sie ein Staat sind.

Des Weiter ist Souveränität denke ich auch schwer konkret festzustellen. Wenn man z.B. Belarus nimmt: An sich gibt es eine gewisse Form der Souveränität im Sinne, dass die Verfassung soweit ich weiß Russland kein Mitspracherecht erlaubt. Auf der anderen Seite ist Belarus so stark abhängig von Russland, dass man sich schon fragen kann, wie souverän sie sind.

Man würde wohl darauf abstellen, dass Staatsgewalt erst vorliegt, wenn der Staat die tatsächlichen Bedingungen geschaffen hat, dass er seine Staatsmacht auch effektiv nutzen kann, daher entsprechende Behörden und Institutionen aufgebaut wurden und Gesetze erlassen worden sind. Das dauert naturgemäß doch eine recht lange Zeit. Auch würde man wohl darauf abstellen, ob es noch aktive Gegenwehr gegen die neue Staatsgewalt gäbe, daher: So lange noch Kämpfe in relevantem Umfang stattfinden, sind wir eher im Bereich „Failed State“ bzw. Bürgerkrieg. Wie friedlich es sein muss, bis man von einer gefestigten Staatsmacht sprechen kann, ist natürlich eine Definitionsfrage, über die man vermutlich ganze Dissertationen schreiben könnte.

Gemeint ist i.d.R. nur die rechtliche Souveränität, weniger das Ausmaß der politischen Handlungsmöglichkeiten. Souveränität liegt daher dann vor, wenn der Staat rechtlich die Möglichkeit hat, seine eigenen Belange zu regeln und zu klären, sie ist verletzt, wenn andere Staaten rechtlich bindende Entscheidungen treffen können, gegen die sich der Staat nicht wehren kann.

Im Rahmen der EU gilt daher, dass die EU-Staaten die „Herren der Verträge“ sind, daher auch aus der EU austreten können. Wäre dies rechtlich nicht mehr möglich, wäre das ein Souveränitäts-Defizit.

Puerto Rico als US-Außenterritorium hingegen ist nicht souverän, damit die Bevölkerung in Puerto Rico z.B. über eine Unabhängigkeit von den USA entscheiden dürfen musste der US-Kongress das erst per Gesetz erlauben.

Dass tatsächliche Gründe den Entscheidungsspielraum von Nationen maßgeblich einschränken ist natürlich offensichtlich und kaum zu vermeiden. Keine Nation ist frei davon, aber bei einigen sind die Abhängigkeiten stärker ausgeprägt als bei anderen. Es ist ein wenig wie mit dem Konzept der Meinungsfreiheit: Nur, weil du alles sagen darfst, heißt das nicht, dass das Gesagte keine Konsequenzen haben dürfe. Daher: Nur, weil du rechtlich Souverän bist, heißt das nicht, dass deine im Rahmen dieser Souveränität ausgeführten Politiken keine außen- oder handelspolitischen Konsequenzen nach sich ziehen dürften.

Ein tatsächliches Souveränitäts-Defizit kann aber natürlich dann angenommen werden, wenn ein anderer Staat z.B. erhebliche Truppenkonzentrationen auf deinem Staatsgebiet hat (siehe Belarus) oder einem anderen Staat direkt mit Krieg droht, wenn der andere Staat nicht so handelt, wie man es gerne hätte. Auch hier gibt es viele, viele differenzierte Abstufungen - und wo genau die Grenze verläuft könnte ganze Bibliotheken füllen…

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