Wahlrechtsreformvorschlag der Ampel steht

Ist das denn tatsächlich so? Wäre nett, wenn irgendwer mal irgendwo den genauen Gesetzesentwurf zur Verfügung stellen könnte, denn eigentlich ist das absolut nicht das, was die Grundmandatsklausel (bzw. dann ihre Abschaffung) bewirkt. (Und bei CDU/CSU bin ich mir nicht sicher, ob die den Entwurf überhaupt gelesen haben, und wenn ja, ob sie sich nicht wie üblich bei ihren Äußerungen einfach nicht durch Fakten beirren lassen.)

Was die Grundmandatsklausel derzeit nämlich tut, ist ab 3 Direktmandaten den Parteien zusätzliche Listenmandate zuzusprechen. Die Direktmandate selber sind nicht Gegenstand der Grundmandatsklausel und gelten unabhängig davon. Man kann das anhand der Partei die Linke ganz gut erklären:

Bei der Bundestagswahl 2002 errang die Vorgängerpartei PDS nur 2 Direktmandate und 4,0% der Stimmen. Das bedeutete aber nicht, dass sie keine Abgeordneten entsenden durfte, sondern nur keine zusätzlichen, saß also bis zur nächsten Wahl mit exakt 2 Abgeordneten im Bundestag an einer Art Katzentisch.

Bei der letzten Wahl 2021 errang Die Linke dagegen 3 Direktmandate und 4,9%, weswegen die Zahl ihrer Abgeordneten wegen der Grundmandatsklausel von 3 auf 39 über die Landeslisten aufgestockt wurde. (Was dann wiederum mehr als 5% des Bundestags sind, und deswegen sogar eine Fraktionsbildung ermöglichte. Hätte Die Linke etwas weniger Zweitstimmen und deswegen bspw. nur 35 Sitze erhalten, hätte sie nur eine Gruppe bilden können.)

Ein Wegfall der Grundmandatsklausel im eigentlichen Sinne würde daher nicht bedeuten, dass Parteien unter 5% gar nicht in den Bundestag kämen. Für Die Linke wär’s natürlich trotzdem ein Desaster, denn sie säße dann jetzt halt mit 3 statt 39 Sitzen drin.

Für die CSU allerdings nicht so, denn die gewinnen ja reihenweise Direktmandate in Bayern. Da käme es sogar zu einem ganz anderen Problem, denn wenn die Direktmandate ohne Grundmandatsklausel wie bisher als Einzelmandate behandelt würden, wäre das Ergebnis, dass 45 Direktmandate bei mehr als 5% Zweitstimmen auf etwa 35 Sitze reduziert würden, aber unter 5% Zweitstimmen als 45 Einzelmandate gewertet würden. Das wäre ein so offensichtliches negatives Stimmgewicht, dass das BVerfG in Karlsruhe eine ganze Reihe neuer Tischkanten bestellen müsste.

Es wäre aber natürlich möglich, auch ohne Direktmandatsklausel die Direktmandate dann durch das Zweitstimmenergebnis zu deckeln, aber eben bloß nicht von irgendwelchen Landeslisten aufzustocken. Also Die Linke 4,9% → 3 Abgeordnete, CSU 4,9% → ~35 Abgeordnete.

Irgendwas an der derzeitigen Berichterstattung, wo anscheinend alle untereinander abschreiben, ist jedenfalls verkehrt. Entweder es stimmt nicht, dass die CSU bei unter 5% aus dem Bundestag fliegt, oder die Umschreibung „Grundmandatsklausel fällt weg“ ist grob falsch und müsste irgendwie „Wegfall aller Direktmandate bei Scheitern an der 5%-Hürde“ lauten oder so ähnlich, und dann würde sich sofort die nächste Frage aufdrängen: Was passiert mit den Wahlkreisen, wo das passiert?

Deswegen, bevor man das seriös weiter diskutieren kann: Wer hat den genauen Gesetzesentwurf?

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