Hallo liebe Lage!
Im Bundestag wurde gestern erneut über die dringend benötigte Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags diskutiert. Zuvor hatte die Groko mit der Regierungsmehrheit im Innenauschuss verhindert die Beratungen zur Reform abzuschließen, um somit eine Abstimmung im Plenum über den Gesetzesvorschlag der Oppositionsparteien zu verhindern.
In den vergangenen Wochen wurde zunächst von Brinkhaus, später mit Abstimmung innerhalb der Unionsfraktion, ein Kompromissvorschlag unterbreitet der eine geringfügige Absenkung der Anzahl der Wahlkreise vorsieht, sowie eine bestimmte Zahl von Überhangsmandaten die ohne Ausgleich bleiben können. In einem Kommentar auf SPON erläutert Politikwissenschaftler und Wahlforscher Joachim Behnke sehr ausführlich wieso der von den Unionsparteien vorgelegte Vorschlag weder ein Kompromiss ist, noch wirklich eine Lösung für das Problem darstellt. (TLDR;: der Vorschlag verzerrt die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag durch nicht ausgeglichene Überhangsmandate einseitig zugunsten der Union ohne für eine wirkliche Verkleinerung des Parlaments/Lösung des Problems zu sorgen)
Ich kann mich erinnern dass dieses Thema in der ein oder anderen Lage schon durchaus mal beleuchtet wurde, jeweils im Kontext der verschiedenen Vorschläge die über die letzten zwei Jahre vorgelegt wurden. Ich persönlich fände es allerdings sehr spannend diese ganze Debatte als Anlass zu einer Diskussion zu nehmen welche weitergehenden Veränderungen wir eigentlich an unserem Wahlsystem in Deutschland bräuchten. Ein paar Probleme die unmittelbar in den Sinn kommen:
- Eine Mehrheit der WählerInnen versteht das Wahlsystem nicht (nur 28 Prozent der Wahlberechtigten können Erst- und Zweitstimme zuordnen, ein Drittel denkt die Erststimme ist die wichtigere)
- Ohne deutschen Pass gibt es weder aktives noch passives Wahlrecht (das betrifft ungefähr 8 Millionen Menschen die in Deutschland leben, Steuern/Sozialversicherungsabgaben zahlen)
- Jugendliche und Kinder sind vollständig von der Wahl ausgeschlossen und werden überhaupt nicht repräsentiert
- Geschlechterparitätsfragen: Sollen Bundestagsmandate zu gleichen Teilen an Männer und Frauen gehen?
- Was können wir tun um NichtwählerInnen zum Wählen zu bewegen? Braucht es einen automatischen Mechanismus (bspw. Abhängigkeit der Gesamtzahl der zugeteilten Bundestagsmandate von der Wahlbeteiligung) um Politiker dazu zu bewegen auch vermehrt Nichtwähler zu überzeugen?
- Kleine Parteien haben kaum eine Chance in den Bundestag einzuziehen. Die 5%-Hürde ist sicherlich sinnvoll, doch bei der Bundestagswahl 2013 haben immerhin 15% der Wähler Parteien gewählt die es nicht ins Parlament geschafft haben, somit ist ihre Stimme im Grunde verfallen. Sind Ersatzstimmensystem/Präferenzwahlsysteme möglicherweise eine Lösung?
- Die Erststimme in ihrer jetzigen Form begünstigt große Parteien und bläht dadurch den Bundestag auf (Überhang-/Ausgleichsmandate). Ein Präferenzwahlsystem für die Erststimme würde zumindest den Wählerwillen besser abbilden und dadurch auch den Bundestag verkleinern. Das Direktmandat bekäme dann diejenige Kandidatin die die meiste Zustimmung im Wahlkreis hat, und nicht diejenige die am meisten Stimmen hat
Diskussion und Ergänzung natürlich überaus erwünscht. Vielleicht wäre es ja auch mal spannend ein Interview mit einem Wahlforscher, bspw. mit Behnke, zu führen inwieweit er oder sie Änderungen vorschlagen würde.