Wahlrechtsreform auf Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 angewandt

In der letzten Lage kam die Frage auf, wie groß der Einfluss der geplanten Reform auf den aktuellen Bundestag wäre. Ein Mathematikprofessor der Universität Stuttgart hat das berechnet:

Mit den Wahlergebnissen von 2017 würde der Bundestag so auf knapp unter 700 Sitze schrumpfen, Hesse hat circa 690 Sitze errechnet statt der aktuell 709. „Aber um das genau sagen zu können, ist der Vorschlag noch nicht konkret genug.“ Eigentlich sollen nur 598 Abgeordnete im Bundestag sitzen.

Quelle: Zeit Online

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Hey, ich habe ein paar Recherchen angestellt, einfach um mal ein bisschen mit den Zahlen zu spielen.

Disclaimer: Diese Nachforschungen wurden nicht von jemandem angestellt, der sich beruflich mit dem Sachverhalt auskennt oder Erfahrung in Sachen Wahlrecht hat. Beim Bezug auf die Daten in den beiliegenden Tabellen sollten diese überprüft werden. Die Daten wurden von den Internetseiten des statistischen Bundesamtes, der Internetseite „Der Bundeswahlleiter“ und Wikipedia zusammengetragen und entsprechend markiert. Es wurden hierbei die Daten zur Bundestagswahl 2017 betrachtet, um einen Eindruck zu schaffen, wie die Reformen sich auswirken könnten. Ab Tabelle 6 wird sich auf die vorangegangenen Tabellen bezogen, weswegen keine Quelle mehr angegeben wird.
Hier ist meine Excel Tabelle auf die ich mich beziehe:
Wahlrecht.xlsx

Motivation
Ich habe von der Wahlrechtsreform der Koalition gehört und Einzelheiten über diese in dem Podcast „Die Lage der Nation“ erfahren. Diese Einzelheiten beinhalteten die Lösung der Koalition Überhangmandate in einem Bundesland durch Listenplätze eines anderen Bundeslandes auszugleichen. Nach meinem Verständnis hieße das, ein direkt gewählter Volksvertreter aus einem Bundesland würde einen indirekt gewählten Politiker blockieren. Zu meiner Schande muss ich zugeben, dass darauf meine innerdeutsche Fremdenfeindlichkeit angesprungen ist. Da es politische Vorgänge gibt in denen ich der Regierung unterstelle bestimmte Bundesländer zu bevorzugen, wie zum Beispiel Bayern im Zusammenhang mit Verkehrsinfrastruktur, wollte ich überprüfen ob die neue Wahlrechtsreform einigen Bundesländern besondere Vorteile liefern könnte.

Vorgehen
Es wurden zunächst allgemeine Informationen zusammengetragen, die nur auf die Parteien oder nur auf die Bundesländer bezogen waren(Tabellen 1 und 2). Diese konnten dann um Informationen erweitert werden, die Einblick über die Schnittstelle Partei/Bundesland bieten. In Tabelle 3 wurde gezeigt, wie viele Direktmandate jede Partei in jedem Bundesland erhalten hat. Tabelle 6 sollte dann zunächst einen Überblick schaffen, wie die Sitzverteilung ohne die Regelung mit Überhangmandaten aussehen würde. Danach kann dann in Tabelle 7 gesehen werden wie viele Überhangmandate jede Partei in jedem Bundesland hat. Außerdem wird betrachtet welche Parteien mehr Direktmandate erhalten haben als ihnen Bundesweit an Sitzen zusteht. In Tabelle 8 werden die Ausgleichsmandate miteinbezogen. Außerdem wird angegeben wie stark die Anzahl der Sitze je nach Bundesland Prozentual vergrößert wird. Ab Tabelle 10 wird die neue Regelung betrachtet. Hierbei sind zwei neue Vereinbarungen sehr wichtig. Zum einen werden nur Überhangmandate ausgeglichen, die größer als 3 sind. Außerdem können Überhangmandate durch Listenplätze anderer Bundesländer ausgeglichen werden. Es wurde Zellen rot markiert, wenn Überhangmandate abgezogen wurden um diese umzuverteilen, und gelb markiert, wenn Listenplätze blockiert werden um die Überhangmandate aus anderen Bundesländern aufzunehmen. Sowohl Tabelle 10 als auch Tabelle 11 sind zweigeteilt, da mir nicht bekannt ist, ob sich CSU Überhangmandate durch CDU Listenplätze anderer Bundesländer ausgleichen lassen. Die folgenden Tabellen behandeln aber nur den Fall, in dem das möglich ist. In Tabelle 12 werden dann die losen Fäden zusammengeführt. Es werden die Wahlergebnisse der Erst- und Zweitstimme gezeigt und dann mit den Auswirkungen der alten und neuen Regelung verglichen. Tabelle 13 zeigt dann zuletzt wie die einzelnen Bundesländer im Bundestag repräsentiert werden.

Ergebnisse
In Tabelle 6 ist zu erkennen, dass bekanntermaßen vor allem CDU/CSU von Überhangmandaten profitiert. Was besonders hervorsticht ist aber, dass CDU/CSU als einziges Parteibündnis Bundesweit mehr Sitze durch Überhangmandate hat als ihnen durch Zweitstimmen zugerechnet werden können. In Tabelle 8 ist zu erkennen, dass Bundesländer mit vielen Überhang- und Ausgleichsmandaten durch mehr Sitze vertreten werden, so erhält Brandenburg 66,4% mehr Sitze als ihnen zunächst zugeordnet wurden, während Berlin aufgrund mangelnder Überhangmandate keine zusätzlichen Sitze erhält. Durch diese Regelung erhält Brandenburg mehr sitze als Berlin. Tabelle 12 zeigt, dass CDU und CSU als einzige Parteien durch die neue Regelung profitieren. Am stärksten getroffen wird die AFD, die 1,1 Prozentpunkte einbüßen würde. In Tabelle 13 ist abzulesen, dass die neue Regelung Ausgleich schafft, was die Vertretung der Bundesländer angeht. Das einzige Bundesland, dass den eigenen Vorteil noch ausbauen kann ist Hessen, wobei diese Abweichung vom Sollwert nur 0,2 Prozentpunkte beträgt.

Diskussion
Es ist zu erkennen, das Direktmandate durch die neue Reform deutlich mehr Einfluss erhalten. Wie in Tabelle 12 zu sehen erhielt die CDU in 2017 30,2% der Erststimmen und 26,8% der Zweitstimmen, konnte sich aber durch die neue Regelung 30,8% der Bundestages sichern. Das lässt sich dadurch erklären, dass wie in Tabelle 10.2 zu sehen, zehn Bundesländer Überhangmandate haben, die nicht durch Ausgleichsmandate ausgeglichen werden müssen. Obwohl die SPD ebenfalls mehr Erststimmen hat als Zweitstimmen, verliert sie 0,1 Prozentpunkt, da sie nur in zwei Bundesländern Überhangmandate hat. Die Parteien, die mehr Zweit- als Erststimmen erhalten haben verlieren mindestens 0,5 Prozentpunkte. Was die Größe des Bundestages angeht, worum eigentlich in der Reform ging, scheint diese tatsächlich deutlich geringer zu sein. Dies liegt vor allem daran, dass Ausgleichsmandate komplett umgangen werden können, wenn CDU und CSU untereinander Direktmandate handeln können. Da der Bundestag verkleinert wird, wird die Vertretung der Bundesländer vermeintlich wieder gerechter, wie in Tabelle 13 zu sehen ist. In dem Zusammenhang scheint meine Sorge, die Anstoß zu diesem Ausflug bot, unbegründet. Allerdings scheint mir weiterhin die Herangehensweise gewählte Listenplätze durch Direktmandate eines anderen Bundeslandes zu blockieren als verbesserungswürdig. Tabelle 9 verfolgt einmal den Gedanken zu Ende, Überhangmandate, Ausgleichsmandate und die Vertretung der Bundesländer gerecht zu halten. Da das aber eine Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen ist, sieht man, dass der Bundestag dadurch deutlich mehr Sitze benötigt.

Eine weitere Frage, die nicht klar beantwortet wurde ist: Dürfte eine Partei Überhangmandate aus einem Bundesland in Überhangmandate aus einem anderen umwandeln? Wenn ein Bundesland zum Beispiel 6 Überhangmandate hat und in einem anderen Bundesland alle Sitze an Direktmandate vergeben wurden, aber keine Überhangmandate vorliegen, könnte man 3 der Überhangmandate übertragen und man müsste keine der Mandate ausgleichen.
Ich persönlich hoffe, dass man das berücksichtigt und verhindert hat, aber bin mir nicht sicher ob die Regelung da Interpretation zulässt.

Wäre es eigenltich möglich eine Hälfte des Bundestages mit Direktmandaten zu besetzen und die zweite Hälfte über eine Verhältniswahl mit der Zweitstimme? Dann wäre der Bundestag immer gleich groß.
Was spräche dagegen?