Wahlrecht CSU und die Verfassung

Es war schon da und kommt bestimmt wieder, die CSU will gegen die Wahlrechtsreform der Ampel klagen. Auf Grund eines aktuellen Söder-Tweets https://twitter.com/Markus_Soeder/status/1658075854105083906?t=J5GEQOW1bki-O5PjRSFMXg&s=19 stellen sich mir 3 Fragen:

  1. Darf ein amtierender Ministerpräsident in seiner Funktion das überhaupt?
  2. Ist das aktuell nicht ein Bruch von der Geheimheit der Wahl, wenn eine Partei nicht Bundesweit auf dem Zettel steht und daher weis, dass nur Bayer*innen sie gewählt haben?
  3. Ein MdB muss ja im Interesse jeder Bürger*in handeln (ok, ist utopisch), aber ein CSU MdB kann das ja gar nicht wirklich tun ohne von allen gewählt werden zu können

edit: einige Gendersternchen haben zu ungewollter Formatierung geführt und wurden daher entfernt

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Zu 1: warum nicht? Er ist ja auch Vorsitzender der CSU Bayern
Zu 2: es wird recht genau aufgeschlüsselt, wo wie gewählt wurde, da ist eine Landesliste nur der Gipfel des Eisbergs
Zu 3: Markus Söder ist kein MdB, sondern MdL

Kuban ist MdB. Und der hat sich da schon wesentlich schlimmeres erlaubt

  1. Naja, das im gleichen Tweet zu tun find ich schwierig.
  2. Ja, hab ich irgendwie nicht bedacht, aber ist das nicht trotzdem ein Problem? Wenn MdBs nicht wüssten wer sie wirklich wählt wäre doch viel besser gewähleistet, dass nicht sinnlos Geschenke verteilt werden
  3. Ja um Söder ging es bei dem Punkt ja nicht, aber im Endeffekt ist ein*e CSU MdB ja immer nur Bayern Rechenschaft und nie dem ganzen Volk, das ist doch nicht gut für eine Demokratie

Vorab, ich bin auch strikt gegen die Sondersituation der CSU in Bayern und bin auch der Meinung, dass es gesetzlich unterbunden werden sollte, dass ein Bundesland (hier: Bayern) sich über diese Konstruktion mit der CSU den gewichtigen Vorteil herausholt, ständig eine herausgehobene Rolle in der Bundespolitik zu spielen. Die Vorteile, die Bayern durch die CSU auf Bundesebene erfährt, führen zu einer Verzerrung der Wahl in Bayern, weil natürlich die Bayern die Partei wählen, die ihnen als Bundesland die größten Vorteile verschafft. Das halte ich prinzipiell für ausgesprochen schwierig, weil unsere ganze Demokratie zusammenbrechen würde, wenn andere Parteien es ähnlich machen würden (z.B. die SPD plötzlich nicht mehr in NRW antreten würde, dafür eine SPNRW dann die Interessen NRWs besonders durchsetzen wollen würde - und das gleiche für 14 weitere Bundesländer…). Und so bleibt es dabei, dass Bayern massiv profitiert, und mit Bayern die Union, die diesen Länderbonus für sich gepachtet hat.

Dennoch muss man leider feststellen, dass die Regelung aktuell zulässig ist und da sie die letzten 70 Jahre zulässig war, in jedem Fall auch eine Änderung des Wahlrechts nötig wäre.

Zu deinen Fragen:

Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle sind die Bundesregierung, die Landesregierungen oder ein Viertel der MdB antragsberechtigt. Hier könnte sowohl die Unionsfraktion im Bundestag (26,7% der MdB) als auch die Landesregierung Bayern also aktiv werden.

Kurze Antwort daher:
Die bayrische Landesregierung ist klagebefugt, die CSU als Partei nicht. Aber da die CSU die bayrische Landesregierung führt…

Nein, für einen Bruch der Geheimheit der Wahl muss es konkret möglich sein, einer Person nachzuweisen, was sie gewählt hat. Auch in Bayern gibt es in jedem Wahlkreis Stimmen für alle Parteien, daher ist in keinem Fall auch nur annähernd nachweisbar, wer was gewählt hat.

Da alle Wahlkreisergebnisse veröffentlicht werden ist die Wahl in Bayern zudem nicht mehr oder weniger transparent als in anderen Bundesländern.

Das ist ein allgemeines Problem mit dem Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit, aber ich gebe dir Recht, dass diese Problematik in der Causa CSU noch mal besonders stark erscheint.

Dennoch:
Nach der aktuellen rechtlichen Situation ist das Verhalten von Söder und der CSU (leider!) nicht zu beanstanden.

Schade, ein Laien-Versuch war es wert. Bleibt zu hoffen, dass die Ampel gute Arbeit geleistet hat und das neue Wahlrecht vor dem Verfassungsgericht bestand hat. Insofern ist eine Normenkontrolle dann ja auch gut, weil sie für Befriedung sorgen sollte.

Das hat nur bedingt mit guter Arbeit zu tun, es sind eben alles Einschätzungsfragen. Im Verfassungsrecht ist nahezu nichts binär (also „verboten-erlaubt“), sondern fast alles ist umstritten, fast alles kann unterschiedlich ausgelegt werden.

Ich hoffe nur sehr, dass die Bundesregierung den Fall vor dem BVerfG sinnvoll vertritt und das BVerfG nicht den gleichen Fehler macht, den die Medien oft machen: Nämlich anzunehmen, dass das Scheitern der CSU an der 5%-Hürde dazu führen würde, dass „eine ganze Volksgruppe“ bzw. „die Bayern“ nicht im Bundestag vertreten wären.

Unabhängig davon, ob die CSU an der 5%-Hürde scheitern würde oder nicht, würden nach dem neuen Wahlrecht gleich viele Vertreter des Freistaates Bayern in den Bundestag einziehen - und zwar genau so viele, wie laut dem Proporz für die Zusammensetzung des Bundestags für Bayern vorgesehen sind. Sie würden halt nur nicht mehr von der CSU kommen, sondern von den anderen Parteien - so wie in jedem anderen Bundesland auch.

Dass „Millionen Wähler ihrer Repräsentation im Bundestag“ beraubt werden könnten stört Söder nicht, wenn eine andere Partei knapp an der 5%-Hürde scheitert, wie z.B. die FDP, als sie 2013 mit 4,8% nicht in den Bundestag einzog und damit 2 Millionen Stimmen von FDP-Wählern „ihre Repräsentation verloren haben“. Und Söder hätte es definitiv gefeiert, wenn die Linke die drei Direktmandate verfehlt und deshalb nicht in Fraktionsstärke in den Bundestag eingezogen wäre. Aber wenn es seine Partei betrifft, dann ist das plötzlich ein Problem.

Söder kritisiert daher nicht die 5%-Hürde, sondern, dass eine Sonderregel wegfällt, die seine Partei vor der 5%-Hürde rettet, während die politische Konkurrenz ständig mit der 5%-Hürde zu kämpfen hat. Und den Wegfall dieses Sonderprivilegs versucht er nun ganz dreist auch noch als Benachteiligung zu verkaufen. Der Wegfall eines Privilegs, der für Chancengleichheit im Wettbewerb sorgt, ist keine unzulässige Benachteiligung…

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Ist das tatsächlich so? So wie ich das verstehe, wird zuerst eine Oberverteilung nach Verhältniswahlrecht auf die einzelnen Parteien durchgeführt, und die entsprechenden Sitze werden erst danach proportional auf deren Landeslisten aufgeteilt. Und da in Bayern ja etwa 30% vielleicht CSU gewählt haben, wenn die an der 5%-Hürde scheitern, und vielleicht noch einmal 10% die Freien Wähler, fallen die Stimmzahlen der bayerischen Landeslisten der erfolgreichen anderen Parteien natürlich entsprechend geringer aus. Ergebnis also: Die CSU- (und Freie Wähler-)Stimmen werden nicht durch irgendeinen Recheneffekt auf die anderen Parteien aufgeteilt und führen dort zu mehr Mandaten, sondern fallen weg und Bayern als Ganzes entsendet dann in der Tat geschätzt 35–40% weniger Abgeordnete in den Bundestag als von der Bevölkerungszahl gesehen zu erwarten wäre.

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Ich hätte nun angenommen, dass die Sitze der Bundesländer wie aktuell auch in der ersten Oberverteilung zugeordnet werden und vom landesinternen Ergebnis abhängig ist, welche Parteien diese Sitze belegen.

Aber du hast eventuell Recht, denn einen Ausgleich durch die anderen Parteien, um das Landesproporz einzuhalten, würde ja das Parteienproporz nach Zweitstimmen verändern, sodass dafür wieder Ausgleichsmandate in den anderen Bundesländern nötig würden, die wir ja gerade verhindern wollen…

Hmm, das scheint doch noch alles etwas komplizierter als gedacht… Hast du zufällig einen Link zu einer guten Beschreibung des neuen Wahlrechts parat?

Nee, das ist irgendwie alles recht intransparent. (Bzw. war es das, nachdem das neue Wahlrecht beschlossen wurde, und seitdem hab ich mich zugegebenermaßen nicht mehr groß drum gekümmert.)

Hier ist jedenfalls der ursprüngliche Antrag, noch mit Grundmandatsklausel: https://dserver.bundestag.de/btd/20/053/2005370.pdf

Das wurde dann mit Änderungsantrag abgeändert (u.a. Streichung der Grundmandatsklausel): https://dserver.bundestag.de/btd/20/060/2006015.pdf

c) Nummer 4 wird wie folgt geändert:
aa) § 4 wird wie folgt geändert:
[…]
cccc) In Satz 2 Nummer 2 wird das Wort „Hauptstimmen“ durch das Wort „Zweitstimmen“ ersetzt und werden die Wörter „wenn sie in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Wahlkreisstimmen errungen haben“ gestrichen.

Aber die Verteilung hat sich seit dem ursprünglichen Entwurf imho nicht geändert und lautet daher wohl immer noch so:

§ 4
Grundsätze der Verteilung der Sitze auf Parteien
(1) Die Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1) wird nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zunächst auf die Parteien in Bezug auf das ganze Wahlgebiet und dann auf die Landeslisten jeder Partei verteilt. Von der Gesamtzahl der Sitze wird die Zahl der nach § 6 Absatz 2 erfolgreichen Wahlkreisbewerber abgezogen. [= Einzelbewerber]
(2) Zwischen den Parteien werden die Sitze im Verhältnis der Zahl der Hauptstimmen, die im Wahlgebiet für die Landeslisten der Partei abgegeben wurden, nach § 5 verteilt (Oberverteilung). Nicht berücksichtigt werden dabei

  1. die Hauptstimmen derjenigen Wähler, die ihre Wahlkreisstimme für einen Bewerber abgegeben haben, der gemäß § 6 Absatz 2 erfolgreich ist, und
  2. Parteien, die weniger als 5 Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Hauptstimmen erhalten haben, wenn sie in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Wahlkreisstimmen errungen haben.

Satz 2 Nummer 2 findet keine Anwendung auf Listen, die von Parteien nationaler Minderheiten eingereicht wurden.
(3) Für jede Partei werden die auf sie nach Absatz 2 entfallenden Sitze auf ihre Landeslisten im Verhältnis der Zahl der Hauptstimmen der Landeslisten nach § 5 verteilt (Unterverteilung).