ich interessiere mich für das Thema Wahlpflicht und würde gerne wissen, was ihr davon haltet. Meine sehr oberflächlichen Gedanken in Kürze:
Bei politischen Wahlen in Deutschland (bzw. der EU, siehe letzte Woche) scheint der Fokus auf politische Macht zu liegen: wie kann Partei X an die Macht kommen, wie kann verhindert werden, dass Partei Y an die Macht kommt, etc.
Das passt meiner Meinung nach nicht zu den Prinzipien der Demokratie: dabei sollte es doch um die Repräsentation des Volkes gehen, nicht um Macht (letzteres würde man ja eher einer Autokratie zuordnen)
Daraus würde dann folgen, dass Wahlen und ihre Ergebnisse immer dann erfolgreich und positiv zu bewerten sind, wenn sie den informierten Willen der Bevölkerung wiedergeben, also unabhängig von ihrem Ergebnis (wie demokratisch die einzelnen Parteien sind, und wie ihre Inhalte moralisch zu bewerten sind, möchte ich hier mal ausklammern; auch die Frage, ob der Demokratie an sich diese legitimierende Fähigkeit zugesprochen werden soll, kann man gesondert betrachten, würde ich in einem demokratischen Staat aber bejahen)
Das Hauptproblem an dieser These sehe ich aber darin, dass Wahlen an denen sich nur etwa 60-75 % der Wahlberechtigten beteiligen (z.B. 65% an der Europawahl 2024 in Deutschland oder 77% an der Bundestagswahl 2021, 16 und 17 jährige bei letzterer ausgeschlossen) kaum den Willen des Volkes wiedergeben
Daher meine Frage: warum wird in Deutschland nicht über eine (tatsächliche, nicht nur formelle) Wahlpflicht nachgedacht, wie es sie beispielsweise in Australien gibt? Ein Großteil der Energie und des Geldes, die jetzt in die Wahlmobilisierung fließen, könnten dann in politische Bildung und Information fließen. Auch würde eine verpflichtende Wahl ggf. dazu führen, dass sich Wähler*innen proaktiver über Politik informieren.
Mich würde interessieren, was ihr dazu denkt und ob die Frage auf Bundesebene jemals schon thematisiert wurde. Es wäre natürlich super, wenn ihr das Thema in eurem Podcast in etwas mehr Tiefe aufgreifen würdet.
Wie willst Du Wahlpflicht durchsetzen? Was machst Du mit Nichtwählern, die am Wahltag nicht am Wohnort sind? Was hindert Wahlverweigerer daran, den Wahlzettel unausgefüllt zurückzugeben?
Tja, wie machen das die Belgier? Generell kann man Briefwahl machen, es ist natürlich erlaubt einen leeren bzw ungültigen Wahlschein abzugeben. Ansonsten Geldstrafe bei nicht Teilnahme. Wird höher bei jedem Mal.
Keine Ahnung. Die 80€ Geldbuße, die es mal gab, wird seit über 20 Jahren nicht mehr erhoben.
In Ägypten und Australien steht auf Nichtwählen Gefängnisstrafe, Bolivien sperrt die Bankkonten und zieht die Ausweispapiere ein, und in Brasilien ist Wahlbeteiligung Voraussetzung für Behördengänge (Führerschein, Ausweis, Baugenehmigung, so‘n Zeug halt). Ich kann mir vorstellen, dass die Wähler in diesen Ländern ganz besonders motiviert sind, zur Wahl zu gehen.
In Baden-Württemberg besteht übrigens laut Landesverfassung, Artikel 26, bereits Wahlpflicht. Die wird nur nicht durchgesetzt.
Spannendes Thema. Was m. E. ein Kontraargument ist, ist dass es ein frommer Wunsch bleiben könnte, dass Leute sich proaktiv informieren. Es kann auch dazu führen, dass die 23% Nichtwähler dann uninformiert bleiben und würfeln, wen sie wählen, dann stellt sich die Frage, ob das mehr Volkswille ist.
Also erstmal: Wie kommst du denn darauf, dass es in der Demokratie nicht um Macht ginge? Auch die sog. Herrschaft des Volkes ist selbstverständlich Herrschaft. Die wollen die Parteien ergreifen. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Systemen besteht darin, dass diese Herrschaft sich regelmäßig legitimieren lässt. Was dann dabei herauskommt, das ist idS, der „Wille des Volkes“. Mit diesem Segen ausgestattet wird dann regiert, mit den bekannten Abweichungen von tatsächlichen Sorgen und Nöten der Wählenden.
Und durch diese Linse betrachtet ist es einfach nicht so wichtig, ob das nun mit niedriger oder höher Wahlbeteiligung zustande kommt.
Danke fürs Verlinken, @Margarete. Finde ich tatsächlich hier im Thread auch spannend. Habe spontan jedoch (noch) keine Idee. Ich lass das mal auf mich wirken.