Mal ein paar Dinge, die mir bei den aktuellen Wahlkämpfen und in der politischen Diskussionkultur aufgefallen sind.
In Bayern vertritt man von Seiten CSU und FW die These, daß die Grünen der grosse Feind der Bundesrepublik sind, und diese mit ihrer alles bestimmenden Politik das Land vor die Wand fahren. Dann das unterschwellige Versprechen, das Wahlvolk wolle gar keine Veränderungen (Klimawandel, EE, Heizungsgesetz, Asylrecht,…), sondern alles soll bleiben wie es mal war, und dafür steht das Vorbild Bayern
In Hessen sind die Töne moderater. Obwohl mich die Opt-in/Opt-Out Einstellung von Frau Faser mich schon irritiert.
Die AfD sorgt mit bislang ungeklärten Anschlagsinterpreationen für Aufsehen.
Wird dieses „Wir wollen Stillstand“ auch das Motto der Bundestagswahl in 2 Jahren?
Dazu etwas zum Thema Wahrheit:
Wenn man sich den Umgang mit Fakten, Fake-News und die Kommunikation von Politikern wie Trump allgemein anguckt, geht es oft nicht um die Fakten oder Wahrheit.
Der Kult um Trump, aber auch bei der AfD nimmt schon sehr religiös-ideologische Züge an. Da wird jede Aussage von den Anhängern als absolute Wahrheit aufgenommen, Fakten ignoriert.
Sowas hat wir mit der Katholischen Kirche vor ein paar Jahrhunderten ja auch mal („, Die Erde ist eine Scheibe“).
Andersdenkende werden diffamiert bis verfolgt, teils mit Gewalt.
Bewegen wir uns grad etwas zurück in die Vergangenheit? Und Politiker und Parteien befeuern diese feudalistische Tendenz in Teilen noch?
So in Richtung Putins Traum einer multipolaren Welt mit unabhängigen Diktaturen?
Dazu war gestern Lanz sehr interessant.
Die Union ist Konzeptlos bzw. wissen, dass die Grünen im Recht sind. Darum wird ein „Kulturkampf“ vom Zaun gebrochen, der nur aus Halbwahrheiten und der völligen Vermischung der Themen zur Folge hat.
Das ist einfach Populismus mit dem Ziel alle Sachthemen an die Seite zu drängen.
Das die AFD und die FW nur dieses Konzept haben ist schon lange bekannt.
Das die Union, besonders Merz und Söder, dieses nun ebenfalls versuchen liegt einzig daran, dass beide wirklich keine großen Unterscheidungsmerkmale mehr haben zu den Grünen, zur SPD und zur FDP. Das liegt einzig und allein daran, dass die Konzepte richtig im Prinzip richtig sind die besonders von Grüner Seite vorgelegt werden, wenn man die heutigen verfassungsmäßigen Rahmenbedingungen beachten will.
Darum schmieren auch die SPD und die FDP in Bayern und Hessen komplett ab. Die SPD kann im Prinzip nur den Grünen zustimmen und hat daher keine Unterscheidungsmerkmale mehr, die FDP probiert es auch mit Populismus, scheitert jedoch, weil keine Unterscheidungsmerkmale zu Union und FW vorhanden sind und man auch keine Gegenkonzepte hat.
Darum bleibt der Union nur noch der Kulturkampf, womit sie jedoch viele Städter verliert.
Persönlich muss ich jedoch auch sagen, dass bei vielen Themen wirklich kaum Alternativen zur Verfügung stehen. Migrationslösungen sind in der Lage diskutiert worden, Klimaschutzmaßnahmen sind in der Konsequenz ebenfalls gleich (CO2 Handel vs. GEG, beides wird für den Bürger teuer und der Umstieg auf WP und Isolierung kommt), Bürokratieabbau und Digitalisierung gleich, Finanzen und Steuerreform, plus Investitionen wird auf Umbau der Schuldenbremse rauslaufen, weil jeder Vorschlag der Union und der Grünen und der SPD auf extrem hohe Ausgaben bzw. Mindereinnahmen raus läuft (Siehe Unternehmenssteuersenkungsvorschlag und Infrasturkturaufbau der Union).
Darum ist es für mich nur eine Frage der Zeit, wann die Union sich ehrlich machen muss. Die Einschläge bei Nachfragen von Journalisten und die nicht Antworten sind jetzt schon heftig.
Dabei muss man aber ausgehen, dass die Bevölkerung die Wahrheit hören will. Oder in der Demokratie die Mehrheit der Bevölkerung. Und ist das so?
Ich glaube, dass die Mehrheit den Weg unterbewusst weiß, ihn aber nicht wahrhaben will und daher auf die einfachen Lösungen setzt. Muss sich daher die CDU positionieren? Eher in dem Sinne, dass die Einen (Grünen) die Veränderungen ansprechen - und damit verlieren. Und die Anderen (AfD) einfach sagen dass alles so bleibt oder auch wer wenn dann schuld ist (die Anderen halt). Und daher gewinnt die CDU nicht dazu. Weil sie dazwischen rumeiert (und weil F. Merz einfach nur schwach ist).
Die Mehrheit der Bevölkerung will das hören, was der eigenen politischen Ausrichtung entspricht. Das ist leider grundsätzlich so, nicht nur in der Politik… die wenigsten Menschen sind vollständig offen für Fakten, welche der eigenen Weltanschauung widersprechen.
Wer daher Migration ablehnt, wie der Großteil der AfD-Wähler und auch ein Teil der CDU-Wähler, wird das Migranten-Bashing von Merz, Chrupalla und co. abfeiern, völlig egal, ob es der Wahrheit entspricht oder nicht. Wir leben leider im postfaktischen Zeitalter, wo die Emotion über den Fakten steht, wobei das schon immer so war (historische Beispiele sind da wohl die ständigen Pogrome gegen die Juden im Mittelalter oder auch die Hexenverfolgung…).
Ja, das mit dem postfaktischen Zeitalter trifft es ganz gut.
Aber es grenzt ja schon an Selbstbetrug, wenn man die Fakten kennt, aber den Populismus wählt.
Sind wir tatsächlich wieder in Richtung vergangener Zeiten unterwegs, wo man wie Lämmer dem grossen Führer nachläuft um selbst nicht denken und entscheiden zu müssen?
Überfordert zuviel Freiheit einen Teil der Bevölkerung?
Hier ein guter Artikel zu "einfachen Antworten, da ist folgdende Passus interessant:
"Eine der Folgen der Globalisierung, die allerdings bislang nicht analysiert wurde, ist die Tatsache, dass neben den Wirtschaftsabläufen auch die alltäglichen Herausforderungen der Menschen immer komplexer werden. Wo die meisten vor Jahrzehnten noch öfter ihr ganzes Leben an einem Ort blieben, nicht selten die ganze Zeit einem Beruf nachgingen und insofern ein klareres Lebenszentrum hatten, wird den Leuten heutzutage ein höheres Maß an Beweglichkeit und Dynamik abverlangt.
Diese Tatsache, die sich sowohl auf das Privat- als auch auf das Berufsleben auswirkt, führt dazu, dass sich nicht wenige Menschen stark überfordert fühlen. Und diese Überforderung verlockt zu einfacheren Antworten. Dass diese durchaus übersimplifziert sein können, wird dabei nicht berücksichtigt. Extreme Ideologien bieten genau diese schlichten Antworten auf komplexe Fragen, welche die Menschen beschäftigen. Sie bieten praktisch Orientierung, Halt und eine klare Freund-/Feindidentifikation. Alles in allem geht um eine einfache Weltsicht und leichte Problemlösungen – auch, wen man weiß, dass diese vereinfachenden Ansätze letztendlich gar nichts bringen würden und mit einem humanistischen, aufgeklärten Weltbild unvereinbar sind."
Wikipedia schreibt unter dem Stichpunkt Überforderung im Soziologischen Kontext folgendes:
" Eine Entwicklung zunehmender [Individualisierung] in den Industrienationen legt dem Einzelnen mehr [Eigenverantwortung] auf. Misserfolg wird weitgehend als individueller Fehler und als Ergebnis individueller Überforderung aufgefasst. (…) In vielen Gesellschaften wirkt die Zugehörigkeit zu einer Familie oder sozialer Gruppe mildernd auf Überforderungssituationen, einschließlich finanzieller Überforderung [Überschuldung].
In der Soziologie wird aufgezeigt, dass die gesellschaftliche Individualisierung mit strukturellen Überforderungen der Familie einhergeht."
Ich halte die obige These zumindest für untersuchenswert und diskussionswürdig.
Exakt. Der Anspruch auf die Macht ist in der Union so hoch, dass sie bereit ist die Gesellschaft als solche, ihren Zusammenhalt und ihr langfristiges Wohlergehen dafür zu opfern.
Halte ich für wenn überhaupt eine arg unterkomplexe These. „Freiheit“ ist ja gerade das, was auch diese Leute für sich beanspruchen. Die Freiheit, sich radikal über alle Freiheiten der Anderen (absichtlich groß geschrieben) hinwegzusetzen.
Ich halte es für denkbar, dass unsere Gesellschaft sich im Niedergang befindet und die gängigen Versprechen „dass es unseren Kinder einmal besser gehen wird“ nicht mehr einhalten kann. Und das akzeptieren die Leute eben nicht.
Ich hab, glaube ich, schon einmal auf die (6 Jahre alte) Extra History-Serie zum Zusammenbruch der mediterranen Bronzezeit-Zivilisationen verwiesen. Insbesondere Episode 4 widmet sich der These des systemischen Kollaps von Zivilisationen, und ich frage mich, ob dieser auch bei uns jetzt eingesetzt hat.
Total Off topic, aber ich etwas zur Kirche richtigstellen. Man kann an ihr genug kritisieren, aber sie hat nie die Meinung vertreten die Erde sei eine Scheibe. Seit der Antike wussten die Menschen, dass die Erde eine Kugel ist, sie haben sie sogar vermessen, sogar recht genau. Was aber stimmt: die Kirche wollte das heliozentrische Weltbild, bei dem die Planeten um die Sonne kreisen, nicht anerkennen. Man wollte beim geozentrischen Weltbild bleiben. Galileo müsste widerrufen, erst 1992 würde er von der Kirche rehabilitiert. Entschuldigung für den kleinen Geschichtsexkurs.
In der letzten Lanz-Sendung vom 5.10. War Norbert Röttgen zu Gast, der auf Grundlage eines Henry Kissinger-Zitates sinngemäß folgendes sagte:" Politik hat heute keinen Plan mehr, den sie abarbeiten kann, also gestaltend agieren kann. Es wird der Status quo als gegeben vorausgesetzt, und auf Veränderungen/ Krisen wird nur noch reagiert. Im Politikalltag ist dann alles so eng getaktet, daß man im Grunde Entwicklungen nur hinterherläuft.
Der Politik sei der Wille zur aktiven Gestaltung verloren gegangen. "
So seine Einschätzung.
Guckt man sich die Inhalte der aktuellen Wahlkämpfe an, hat er recht. Es geht nicht um Veränderung und Lösungen, nur um den Erhalt des Ist-Zustandes.
Das finde ich interessant. Mein Beef mit dem Begriff Eigenverantwortung ist, wie er häufiger mal in Diskussionen verwendet wird, nämlich als Synonym für Entscheidungsfreiheit. Dabei ist der Kern hinter „Eigenverantwortung“ ja: ich übernehme für die für die durch meine Taten erzeugten Konsequenzen die Verantwortung.
Die von dir zitierte Passage kommt denke ich aus dem neoliberalen Kapitalismus: jeder ist seines Glückes Schmied, wer sich anstrengt wird auch was. Und im Umkehrschluss: wer nichts wird, ist selbst schuld.
Dass sich das für viele Menschen nicht bewahrheitet ist glaube ich langsam klar. Die (zumindest statistisch) größten Faktoren für den Verlauf des eigenen Lebens sind die eigenen Eltern und weitere, die wir nicht kontrollieren können.
Aus diesem gebrochenen Versprechen wird vielleicht bei manchen nun eine generelle Verantwortungslosigkeit abgeleitet: Wenn ich schon nicht für mein eigenes Wohl sorgen kann, wieso soll ich dann für den Rest der Welt verantwortlich sein? Daraus wird dann ein Verlangen nach Parteien, die mir Verantwortungslosigkeit versprechen: Arme Menschen, Klimawandel usw. ist nicht dein Bier, mach was du willst, ist sowieso alles egal.
Altruismus und Sinn fürs Gemeinwohl sind gefühlt nicht die aktuellen Schwerpunkte unserer Gesellschaft.
Und wie du ja richtig sagst, führen Egoismus und Individualisierung im Sinne von persönlicher Entscheidungsfreiheit nicht zwangsläufig zum persönlichen Erfolg.
Ein Problem ist glaube ich, dass die Parteien ihrer Vermittlungsaufgabe nur unzureichend gerecht werden. Sie müssten die Fakten in die „Sprache“ ihrer Zielgruppe „übersetzen“, und das tun sie nicht. Vereinfacht gesagt, was für die Grünen die „Rettung des Planeten“ ist, ist für die Union die „Bewahrung der Schöpfung“, für die SPD die „Gewährleistung der Teilhabe“ und für die FDP die „Sicherung der Ressourcen“. Statt positiv an Inhalten zu arbeiten, werkelt man negativ an Emotionen. Das ist zwar sicherlich eine psychologische Abkürzung, aber halt keine Lösung.
Die beiden Thesen passen noch zusammen, so gar sehr gut. Das ist aber auch sehr einfach erklärt, die Union ist katholisch geprägt im Ursprung, die Grünen evangelisch im Ursprung. D.h. beide Parteien haben in ihren Wurzel kirchliche Züge.
Die SPD, die Linken und die FDP haben diese Wurzeln nicht. Darum ist das bestreben der Teilhabe und Sicherung der Ressourcen nicht zwangsläufig an den Klimaschutz gekoppelt. Hier geht es viel mehr, um Sozialen Ausgleich bzw. Individuale Grundsätze.
Die Vermittlungsaufgabe der Parteien nicht gut im Moment. Das hat aber eher den Grund, dass die Meinungsbildung in den Parteien nur noch eingeschränkt möglich ist. Erstens weil die Parteien immer weniger Mitglieder haben und diese Mitglieder auch nicht mehr die Meinung der Parteien über Mund zu Mund Kommunikation verbreiten können und dadurch auch ein differenziertes Feedback durch die Mitglieder, die mit den Bürgern sprechen erhalten.
Das liegt klar an der heutigen Medienlandschaft (Sozialmedia) und den kaum noch vorhandenen Kneipen und Wochenmärkten, welche immer die Kommunikationsfunktion in sich trugen.
Für den evangelischen Ursprung der Grünen hätte ich dann doch ganz gerne ein paar Quellen. Klar, aus der Friedensbewegung gab es auch vereinzelte religiös geprägte Gruppen, aber der Kern sowohl der westdeutschen Grünen als auch des ostdeutschen Bündnis’90 war mWn historisch nicht wirklich evangelisch im Ursprung. Also nur weil die Grünen früher gerne protestiert haben macht sie das nicht zu Protestanten im evangelischen Sinne ^^
Die SPD ist hingegen in vielen Punkten protestantisch geprägt, gerade im Hinblick auf den protestantischen Arbeitsethos. Man könnte fast behaupten, dass Sozialdemokratie Protestantismus ohne Gott sei…
Anders ausgedrückt: Es liegt an der (erwünschten!) Pluralität der Gesellschaft, es sind nicht mehr die Parteien, die Meinungen vorgeben und die Bürger, die sich einem der Parteilager zuordnen und alles nachplappern, sondern es differenziert sich aus. Leider mit dem Problem, dass sich auch Lager um fragwürdige Influencer bilden, die denen wiederum alles nachplappern (siehe Hildmann und co.)
Das Gegenteil, also ein großer Einfluss der Parteien auf die Bürger, ist ja auch nicht wünschenswert, sonst landen wir in Zuständen wie in den USA, wo die Gräben so stark entlang der Parteilinien verlaufen, dass daran einiges kaputt geht.
Das ist wieder ein typischer Fall von „früher war nicht alles besser, es war einfach nur anders schlecht - aber daran hatten wir uns eben gewöhnt“.
Aber es ist ja nicht so, dass sich politische EntscheidungsträgerInnen erstmal die verschiedenen pluralen Meinungen auf X anhören und dann vorsichtig abwägen. Die sind genauso Teil einer Bubble und bekommen den entsprechenden Content angezeigt. Bei den Zuschriften, die sie erhalten, sind Rechte und Rechtsextreme deutlich überrepräsentiert. Was mr.mucki denke ich meint ist, dass die sozialen Medien den Austausch mit EntscheidungsträgerInnen deutlich einseitiger machen, obwohl in der Theorie ja mehr Meinungen vertreten sind.
Der Soziologe Steffen Mau vertritt in der SZ die These, dass Politiker getriebener seien als früher. Er nennt die Folge „Affektpolitik“.
Da die Wähler heute bedenkenlos zwischen den Parteien wechselten, seien Parteien und die Mitte entideoligisierter. Die Mitte werde beweglicher, Politisierung finde über die Ränder statt.
Man sieht das sehr gut an der CDU, die keine klare Linie mehr zu verfolgen scheint. Die SPD ist seltsam profillos. Die Grünen, seit sie in der Regierung sind, ordnen dem Kompromiss jede Ideologie unter bis zur Selbstverleugnung (Parallelen zur letzten Beteiligung erkennbar).
Die FDP jagt seit 20 Jahren der Frage nach, wer eigentlich ihre Zielgruppe sind.