Wachstumschancengesetz

Liebes Lage-Team,

mir ist die m. E. falsche Darstellung des Wachstumschancengesetzes bitter aufgestoßen. Zum Gegenstand hat das Gesetz neben den tatsächlich stattfindenden Entlastungen für Unternehmen:

  • eine Investitionspräumie für Klimaschutz-Investitionen und eine Ausweitung der Forschungsförderung
  • die Anhebung der Grenzen für die Buchführungspflicht (Stichwort Bürokratieabbau)
  • weitere Digitalisierungsvorschriften für das Besteuerungsverfahren.

Auch andere Punkte im Gesetz zielen in vielen Punkten auf die Investitionstätigkeit als Voraussetzung für eine steuerliche Vergünstigung ab. Ebenfalls geht es um Freistellungen im Bereich der Arbeitnehmervergünstigungen. Dargestellt wurden die ökonomischen Folgen einer bloßen Tarifanpassunng.

Ich möchte höflich fragen: Habt ihr den Entwurf überhaupt gelesen?

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Das müsste der Entwurf sein:
https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2023-07-17-Wachstumschancengesetz/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=2

Ich stimme Dir zu, dass die Aussagen zu dem Gesetz recht undifferenziert waren.

Die Diskussion dazu ist schwierig, weil das Anliegen von Ministerin Paus für die Kindergrundsicherung halt direkt mit jedem Euro auf Bedürftige einzahlt, während das Gesetz hier an vielen Stellen sinnvolle, oft vereinfachende Ansätze hat, aber dazu führt, dass weniger Geld in der Staatskasse ist. Also jeder hier freigegebene Euro für die Kindergrundsicherung fehlt.

Ich sehe aber auch einige Punkte in dem Gesetz als weniger sinnvoll an, wobei ich es auch nicht 100% im Detail kenne, z.B.

  • Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung erst ab 1.000€ steuerpflichtig.

Warum? Sollte genauso besteuert werden wie jede andere Einnahme, egal ob 1€, 1.000€ oder 100.000€

Weiter unten im Papier ist angegeben, das dadurch 140.000 weniger Anlagen V gemacht werden müssen und 115.000 weniger Fallprüfungen. Daneben steht, dass diese Prüfung pro Fall 135 Minuten dauert und man dadurch jetzt 258.750 Minuten spart sowie 13,90€ Sachkosten pro Fall. Das könnte man jetzt grob auf 2,x FTE rechnen und fragen, ob man dafür 2,x Steuerbeamte einspart oder 2,x Steuerbeamte Zeit für was anderes haben. Aber das sind doch PS die man typischerweise nicht auf die Straße kriegt. Da sehe ich durchaus, dass wir eher 140.000 mal weniger Steuer einnehmen. Nimm 500€ als Durchschnitt mit 25%. Sind 17,5 Mio€. Warum drauf verzichten? Dann prüf nur noch jede 1000. stichprobenartig, aber mach mit den 17,5 Mio was Gescheites. Da kann ich schon verstehen, dass Fragen nach sozialer Gerechtigkeit hochkommen.

  • Hochsetzen der GWG-Grenze: Ja, nett, aber wem hilft dies bitte wirklich und ist der Punkt echt wichtig?

  • Was ist der echte Mehrwert für die befristete Einführung einer degressiven AfA für Wohngebäude?

  • Verbesserungen bei den Sonderabschreibung nach § 7g EStG

Klar, habe ich bei unserer PV-Anlage damals auch gemacht. Aber ist es richtig hier solche Zugeständnisse zu machen, aber bei Kindergrundsicherung dann so auf Bremse zu treten?

Aber gehen wir mal von Kindergrundsicherung weg. Jeden der Punkte oben, der zu Mindereinnahmen bei Steuern führt, würde ich sofort streichen, um damit die Streichungen bei den Mitteln für die Bundeszentrale für politische Bildung abzuwenden.

Ergänzung: Besser als hier Einnahmen zu reduzieren in der Hoffnung, dass die Wirtschaft dann investiert, fände ich Investitionszuschüsse für verbindliche Investitionen für Zukunftsthemen und -Techniken durch Unternehmen.

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Damit erreichst du vor allem, dass der private Bürger, der in seinem 2-Wochen-Sommerurlaub seine Wohnung bei AirBnB vermietet, das ganze steuer- und vor allem bürokratiefrei machen kann.
Praktisch wie die Freigrenze für privaten Veräußerungsgeschäfte. Oder die Freigrenze für sonstige Einkünfte.

Aus der Praxis dazu: Eher tatsächlich die gute alte Felderpacht.

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Danke Patrick für deinen Beitrag. Die bisherige Analyse des WCG ist auch aus meiner Sicht noch hinter dem gewohnt hohen Standard zurückgeblieben. Nur zu sagen, dass es vermutlich nichts bringt, und das WCG durchweg nur als „Strohfeuer-Gesetz“ zu bezeichnen fand ich auch von Stil her ungewohnt polemisch tbh - diese Rhetorik habt ihr ja gar nicht nötig. Ich würde mich freuen, wenn da noch eine Analyse in größerem Detail kommt.

Zum Punkt steuerfreier Mieten bis 1k: Ich kann nur spekulieren, kann mir aber vorstellen, dass hier Normalverdiener incentiviert werden sollen neben der gesetzlichen Rente die Altersvorsorge in Mieteigentum zu diversifizieren. Dem würde ich etwas abgewinnen können, wird die gesetzliche Rente für Leute in meinem Alter (32) vermutlich ja nichts mehr abwerfen (man beachte hier auch den Bezug zur aktuellen Folge: „Scholz lügt“ :smile:)

Degressive Abschreibungen auf Wohnungen: Wir wollen ja, dass Wohnungen gebaut werden. Eine verbesserte Abschreibung gibt einen Gegenanreiz zu den aktuell hohen Preisen. Auch wenn der Effekt unterm Strich wohl klein ist, ist mehr Bauen der sinnvollste Weg, um Wohnen auch für Geringverdiener bezahlbarer zu machen. Konzepte wie der Mietendeckel wirken da ja maximal investitionshemmend.

Kann man in der Frage der Priorisierung sicherlich so oder so finden. Alles immer mit der Kindergrundsicherung zu vergleichen ist aber ME nicht zielführend. Besser etwas geringere Steuern hier in D als dass Unternehmen abwandern und alle Steuern und Arbeitsplätze im Ausland sind, dann können wir uns in Zukunft noch weniger leisten, insb. keinen noch fetteren Sozialstaat.

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Liebes Lageteam,

auch ich möchte den Punkt Kindergrundsicherung / Wachstumschancengesetz aufgreifen, da dort eine Punkte etwas verkürzt erörtert wurden:

Es dürfte verfassungsrechtlich sehr problematisch sein, den Kinderfreibetrag komplett abzuschaffen. Dies dürfte allenfalls dann möglich sein, wenn der Garantiebetrag in der Jahressumme dem entspricht, was sich bei Anwendung des KFB beim sog. „Reichensteuersatz“ ergibt (bei rd 9T€ KFB / 45% rd 340 € pro Monat). Wenn das käme, dann könnte der KFB abgeschafft werden. Ich habe Stand heute leider noch keinen Gesetzentwurf aus dem BMFSFJ gefunden, bin aber gespannt.

Die Behauptung, der KFB habe bei Gutverdienenden einen höheren Effekt, ist rechnerisch zutreffend, aber von der Systematik her verkürzend. Denn dieser Effekt ergibt sich ja nur deswegen, weil wir einen progressiven Tarif haben. Wenn bei steigenden Einkünften der jeweils letzte € immer höher besteuert wird, dann bedeutet das umgekehrt zwingend, dass Kürzungsbeträge jeglicher Art (seien es WK, BA, agB, usw, und eben auch der Grund- oder der KFB) sich umso mehr im Ergebnis auswirken, je höher der Steuersatz auf den letzten zu versteuernden € ist. Alles andere wäre systemwidrig und wohl ein Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.

Das Ganze erinnert an die Diskussion bei der km-Pauschale (die man mit guten Argumenten sicher in Frage stellen kann: Stichwort „Werkstorprinzip“). Auch dort wurde überspitzt behauptet: Der Reiche bekommt pro Kilometer mehr Geld als der Arme. Zutreffend ist, dass sich das zvE bei beiden (gleiche Entfernung unterstellt) um denselben Betrag mindert. Keiner bekommt „Geld pro km“, sondern die WK sind bei der EK-Ermittlung abzuziehen.

Aus ähnlichen Gründen dürfte auch die Behauptung, die Glättung der kalten Progression habe zu einer enormen Entlastung (nur?!) sehr gutverdienender Menschen geführt, nicht richtig sein. Zutreffend ist, dass durch das entspr Gesetz auf die Einkunftsteile aller steuerpflichtigen Menschen bis zu einem zvE von rd 63T€ ab 202) / 66T€ ab 2024 (Single) weniger ESt zu zahlen ist, da die Tarifeckewert „nach rechts verschoben“ wurden. Soweit ich weiß, wurde aber grade der Tarifeckwert für die sog. Reichensteuer nicht angehoben, so dass derjenige Teil des zvE, der über 63 / 66T€ liegt, nicht berührt wird und die Steuerbelastung auf die Einkunftsteile, die darüber liegen, gleichbleibt.

Es gibt viel berechtigte Kritik an dem Wachstumschancengesetz. Das „Strohfeuer“-Argument ist aber zu einfach. Hier wäre es sinnvoll gewesen, sich die einzelnen Maßnahmen einmal genauer anzuschauen (bspw Investitionsprämie für Klimaschutz, steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung, etc.). Ich sage nicht, dass ich das alles für sinnvoll erachte und manche Maßnahmen können auch zu Mitnahmeeffekten führen, als wirklich Wachstum anzukurbeln. Aber so war das zu oberflächlich.

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Eigentlich ist der Lack ganz einfach: Sollte jemals jemand auf die Idee kommen den Kinderfreibetrag abzuschaffen und folglich dann ja auch die Wirkung des Kindergelds als Steuervergütung, werde ich als Steuerberater den Weg nach München suchen. Das Existenzminimum der Kinder ist steuerfrei zu stellen, und jeder Versuch das anders zu handhaben muss nach Karlsruhe. Das Ergebnis dürfte klar sein.

Was die kalte Progression angeht: Die hat ja zum Gegenstand eigentlich gar keine Entlastung zu sein. Was den Tarifeckwert angeht: Genau so zutreffend.

… Abs. gel. Mod.

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Setzt du dich in der Sache auch so dafür ein, wenn es um die Anrechnung des Kindergeldes beim Bürgergeld geht?
Wie sieht deine Argumentation da aus?

Viel Text und am Ende bleibt: gut Verdiener werden faktisch (nicht nur rechnerisch) höher entlastet, als niedrig Verdiener.
Man kann das Existenzminimum ja steuerfrei stellen und so viel Kindergeld zahlen, dass der Steuervorteil dem Kindergeld gerade entspricht. Klar, dann bekommen niedrig Verdiener rechnerisch mehr (maximal genau so viel wie gut Verdiener), aber das wären auch nur höchstens 50€.

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Vielleicht ist viel Text notwendig, wenn es um komplexe Fragen geht :wink: Es ist halt nunmal systemimmanent und dem progressiven Tarif geschuldet.

Und im Übrigen habe ich das zweite so auch als Variante angeführt: Kinderfreibetrag komplett streichen ist in Ordnung, aber nur dann, wenn für jedes Kind rund monatlich 350 Kindergeld / Garantiebetrag gezahlt wird (weil der im Jahresbetrag die komplette Wirkung des KFB beim Reichensteuersatz auffangen muss). Beim (Sehr-)Gutverdiener würde sich im Ergebnis nichts ändern und mit der Zahlung wäre das steuerliche Existenzminimum des Kindes abgegolten. Bei Menschen mit niedrigerem / keinem Einkommen würde der Garantiebetrag tw. der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums dienen und im Übrigen eine staatliche Sozialleistung darstellen. Im Ergebnis würde jede Person für jedes Kind aber denselben Grundbetrag bekommen, was ich durchaus richtig finde.

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Dann bekommen Höherverdiener aber halt auch das gleiche Kindergeld wie sie bisher den Steuervorteil hatten. Also, nur mal so.

Ich finde die Anrechnung des Kindergelds beim Bürgergeld falsch, die Sätze einfach faktisch zu niedrig und habe diese Ansicht - wer weiß - vielleicht sogar an der ein oder anderen Stelle kommuniziert.
Was soll ich da argumentieren? Wenn man einen Betrag als Existenzminimum für ein Kind steuerfrei stellt macht es nur Sinn, wenn genau dieser Betrag - wegen mir auch gern unter Verwendungsnachweis, z. B. für Bildung, Verein, etc. - am Ende auch maßgeblich für die Höhe der Sozialleistungen ist.

Danke Don Maxi, das ist in der Tat der Plan, vermutlich nächste Woche.

Unsere zugegebenermaßen kritische Kurzbetrachtung beruhte auf meiner Einschätzung, wie die eher wirtschaftsnahe Presse (Handelsblatt, FAZ) über das WCG berichtete: Bis zu Lisa Paus’ Veto klang mir das doch eher verhalten zu Lindners Plänen - in etwa wie „ja nice, kann man machen, aber wird wenig bringen“. Erst nach dem Veto wurde die Tonlage eindeutig kritisch gegenüber Paus und damit implizit freundlicher gegenüber dem WCG.

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danke für das Feedback - wir schauen uns das noch einmal genauer an.

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Das ist doch die Crux an dem ganzen. Von einer höheren Abschreibung profitierst du nur wirklich, wenn du auch einen entsprechenden Steuersatz hast. Das Eigentumsoligopol wird also noch mehr bei reichen Bürgern und großen Wohngesellschaften zementiert. Gleichzeitig zahlen sie weniger statt mehr Steuern, während die ärmeren zwei Drittel das ausgleichen müssen. Zu niedrigeren Mieten wird es jedenfalls nicht führen.

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Ich meine damit nicht, dass Geringverdiener direkt von den Abschreibungen etwa durch geringere Steuern profitieren.

Mein Argument bezieht sich eher auf Marktmechanismen im Allgemeinen. Wenn mehr Wohnungen gebaut werden, und damit mehr Wohnraum zur Verfügung steht, sinken auch die Mieten. Jetzt kann man sicherlich infrage stellen, wie stark der Effekt von besseren Abschreibungen auf die Anzahl gebauter Wohnungen und damit auf die Mieten ist, es ist aber ein Impuls in diese Richtung.

Das Argument, dass Geringverdiener diese ME im Grundsatz sinnvolle Maßnahme durch höhere Steuern ausgleichen müssen, sehe ich auch nicht so. Das basiert wieder auf der Denke des immer gleich großen Kuchens, der nur verteilt werden will. Wenn durch die Maßnahme mehr gebaut wird - und das bleibt abzuwarten - wird das Steueraufkommen ggf. gar in Summe steigen.

Ich stimme dir aber zu, dass Geringverdiener steuerlich stärker entlastet werden sollten, das ist allerdings nochmal eine ganz andere Debatte :wink:

Nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub will ich hier auch nochmal etwas einwerfen…

Das ist ein wichtiger Punkt. Wer mal so richtig kotzen will, kann in diese Podcast-Folge eines typischen Steuerberater-Podcasts reinhören:

Da sieht man schon so richtig schön, wie die Steuerberater-Zunft mit den Hufen scharrt, um dafür zu sorgen, dass Unternehmer sich durch das Wachstumschancengesetz ihren halben Porsche vom Finanzamt erstatten lassen können. Das sind Mitnahmeeffekte par excellence.

Wenn man sich das anhört, wird einem einfach nur schlecht… diese Podcast-Folge eignet sich deshalb so schön als Beispiel, weil es nicht eine empörte, linke Plattform ist, die sich echauffiert, sondern ein ziemlich neoliberaler Steuerberater, der offen für diese Mitnahmeeffekte wirbt. Es ist die Podcast-gewordene Vorfreude auf die mutmaßlich kommenden Mitnahme-Effekte.

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