Vorsicht mit Nawalny

Ich muss das jetzt hier mal ansprechen, weil über das Thema in den meisten Medien hinweg gegangen wird. Nawalny wird gerade vielfach diskutiert und als „Oppositioneller“ gefeiert, aber es wird nie über ihn und seine politischen Positionen geredet. Immer nur über ihn in Relation zu Putin oder als vager „Herausforderer“. Dabei ist Nawalny höchst problematisch und alles andere als ein liberaler Revolutionär, der die Demokratie in Russland stärken will.
Er ist Pro-Krim-Annexion, bezeichnet sich offen als Nationalist, äußert sich rassistisch usw. Er ist kein Anti-Putin, er ist nicht der Erlöser für den ihn viele halten. Er ist ebenfalls ein nationalistischer Konservativer - nur im Gegensatz zu Putin momentan nicht an der Macht.
Würde mich freuen, wenn ihr ihn und seine politischen Positionen in der Lage mal näher beleuchtet. Es wäre Schade, wenn Nawanly weiterhin so in „westlichen“ Ländern gehyped wird ohne ihn kritisch zu hinterfragen.

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Es stimmt einfach nicht, das über Nawalnys politische Positionen nicht geredet wird. Selbstverständlich ist er kein Engel, kein Erlöser und auch kein Linker. Aber er ist eben auch kein Faschist. Ja, er denkt (wie vermutlich ein Großteil der Bevölkerung nicht nur in Russland) auch rassistisch und nationalistisch. Aber dennoch mobilisiert er gerade die größte demokratische Massenbewegung seit Jahrzehnten in Russland. Der FAZ-Korrespondent hat neulich mal einen m. E. ganz brauchbaren Versuch unternommen, das etwas differenzierter darzustellen: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/warum-alexej-nawalnyj-kein-nationalist-ist-17124550.html (Paywall)
Die Tendenz einiger SPD- und LINKENpolitiker*innen (nebst anderen), in ihrer Putin-Apologie zu sagen, Nawalny sei ja keinen Deut besser, ist spätestens angesichts der heutigen Prügel- und Verhaftungsorigien in Russland einfach nur noch widerlich. Dann sollen diese Leute doch bitte konsequent sein und auch weiter mit Lukaschenka kuscheln.

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Für mich war die Position selbstverständlich aber ich hätte das klar stellen sollen: Nawalny ist besser als Putin. Es ist wieder einmal eine „lesser of two evils“-situation und Nawalny ist eindeutig Putin vorzuziehen. Und ja, ich bin mir durchaus bewusst, dass (wahrscheinlich) ein Großteil der russischen Bevölkerung nationalistisch und eben nicht progressiv ist, woran Größtenteils seit Jahrzehnten aktive Propaganda Schuld ist. Aber das Argument, dass Nawalnys Positionen verfälscht werden, halte ich für problematisch. Eher ist es so, dass er aktiv sich mit konkreten Positionen zurückhält. Er steht nicht für konkrete Politik sondern für was-auch-immer die Leute auf ihn projizieren. Das kann gefährlich sein. Für einen Faschist halte ich ihn nicht, hauptsächlich weil ich einfach zu wenig über seine Positionen weiß. Trotz allem freut es mich natürlich, dass er eine Bewegung hinter sich vereint, die der Oligarchie trotzt.
Ich möchte nur drauf hinweisen, dass man auch Nawalny kritisch beäugen sollte, und nicht vor lauter (berechtigtem) Putin-Hass ihn zu sehr feiert.

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Man kann sehr gut Putin UND Nawalny kritisieren. Ich sehe nicht, wieso sich das ausschließen würde.

Zum kurzen Artikel-Ausschnitt, den ich trotz Paywall lesen konnte:
„Manches von dem, was Nawalnyj in der ersten Hälfte seiner zwei Jahrzehnte politischer Tätigkeit gesagt hat, ist tatsächlich haarsträubend – jedenfalls aus Sicht deutscher Parteien von links bis zur Mitte und aus Sicht von Russen, die zu einer liberalen, kritischen Minderheit gehören. Misst man Nawalnyj aber an den russischen Realitäten, ergibt sich ein anderes Bild.“

Das tun wir mit Putin aber nicht. Wir beurteilen seine Politik als so verwerflich, weil wir sie eben nach unseren Maßstäben bewerten. Man sollte sich schon festlegen, welche Standards ein „guter“ russischer Politiker denn nun erfüllen soll.
Beim Einen die Zwänge der Realpolitik anzuerkennen, beim Anderen aber nicht, wäre messen mit zweierlei Maß.

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Ich stimme Ihnen absolut zu, aber es zeigt doch einmal mehr dass die Mainstream-Medien das ein oder andere Thema etwas tendenziös darstellen. Die Information welche Sie hier ansprechen sind seit Jahrzehnten bekannt, dennoch ist bei der deutschen Öffentlichkeit dazu fast nichts angekommen. Die Gründe warum unsere Medien an manchen Stellen nicht so umfassend und hinterfragend berichten sind vielschichtig.
Die letzte Geschichte die wir über Nawalny gehört haben war für mich der absolute Brüller. Ich war nicht dabei, aber die Wahrscheinlichkeit dass diese Geschichte stimmt halte ich für sehr gering.
Nawalny ruft mit seiner EIGENEN STIMME angeblich einen seiner BEAOBACHTER beim FSB an und dieser Geheimdienstmitarbeiter erzählt einem UNBEKANNTEN am TELEFON ca. 45 MINUTEN die Details zur aktuellen BRISANTESTEN GEHEIMDIENSTAKTION innerhalb Russlands. Wer von den Foristen hält diese Geschichte für wahrscheinlich oder glaubwürdig? Macht aber nichts, die Geschichte wird in den deutschen Medien natürlich gern aufgegriffen, warum eigentlich?
Kleine Radnotiz, Nawalny wurde ja angeblich mit Nowitschok vergiftet was ja gern direkt mit Russland in Verbindung gebracht wird. Der Leiter des tschechischen militärischen Forschungsinstituts in Brno wurde gefeuert - auf Anweisung der Verteidigungsministerin Karla Šlechtová höchstpersönlich. Der entlassene Bohuslav Šafář hatte zuvor ausgesagt, dass das tschechische Militär in geringen Mengen Nowitschok herstellte. Warum muss man jemanden entlassen, weil er sagt dass auch der tschechische Geheimdienst Nowitschok herstellen kann? Quelle: Ich selbst könnte Nowitschok herstellen
Wie bei 100% der Nachrichten die ich täglich so lese, bin ich kein Augenzeuge sondern kann es glauben oder nicht. Es hilft aber sehr das eigene Gehirn einzuschalten und auch mal andere Quellen zu lesen. Natürlich gibt es im Internet auch viel Mist, es gibt aber auch viele interessante und schlüssig Informationen die man im täglichen Einheitsbrei nicht bekommt.

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Es gibt ja auch eine Tonaufnahme als „Beweis“, dazu ein Artikel aus dem Spiegel, der den Stand der Technik vor drei Jahren zeigt. Lyrebird: Diese Software imitiert jede Stimme - DER SPIEGEL
Anderes Beispiel: Ganz berühmt war auch die Brutkastenlüge der sich das ZDF nur etwas widerwillig ergeben wollte. Am Anfang stand die Lüge | Telepolis

Da bin ich 100% d’accord. Ich würde auch nicht die Position der FAZ übernehmen, dass Nawalny nicht nationalistisch ist.

Ich möchte mich nicht allzu sehr in Verschwörungserzählungen verirren. Ist es möglich, dass die Vergiftung Nawalnys auch anders zu erklären ist? Absolut, aber ich bevorzuge in dem Fall der wahrscheinlicheren Option zu glauben und die ist, dass er tatsächlich von russischen Agenten vergiftet wurde.
Wie dem auch sei, darum geht es mir gar nicht. Mir geht es darum, Nawalny kritisch zu hinterfragen. Und Putin ebenso. Was ist deren TATSÄCHLICHE Politik? Ich möchte, dass sich die Medien mehr mit der Politik aussetzen und nicht mit dem Personenkult.
Genauso bei Trump. Es gibt tausend absolut schreckliche politische Entscheidungen, die Trump getroffen hat und die das Leben von PoC, LGBTQ+ Personen, Migranten, Frauen, Leuten mit niedrigem Einkommen ect. nachweislich verschlechtert hat. Aber worüber redet man? Darüber, dass er sich peinlich auf Twitter verhalten hat. Das ist zwar auch wichtig aber darüber wird schon überall berichtet. Gerade ein Podcast eignet sich super für eine detailliertere Auseinandersetzung. Dies ist ein Aufruf für mehr Substanz in der Kritik.

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Sie kramen ernsthaft eine fast 30 Jahre alte Fake Story wieder aus, um die Glaubwürdigkeit von Nawalny und die Berichterstattung zu seiner Person zu kritisieren?

Der entscheidende Unterschied ist, dass wir die Ergebnisse von Putins Politik (Gewalt nach außen und nach innen) seit 20 Jahren sehen. Von Nawalny kennen wir nur seine Äußerungen. Die waren lange auch nicht positiv, aktuell glaube ich aber, dass er im Vergleich zu Putin eine deutlich bessere politische Führungsfigur abgeben würde.

Schon möglich. Ich weiß nicht allzu viel über Russland und halte mich da mit einem Urteil lieber zurück. Der ursprüngliche Beitrag wollte ja auch nur darauf aufmerksam machen, dass Hr. Nawalny teils nicht ganz ausgewogen dargestellt wird.
Gerade als potentielle Führungsfigur wäre das aber doch erst recht wichtig.

Ich stimme Ihnen voll zu. Mal abgesehen von diversen merkwürdigen Ereignissen ist die entscheidende Frage, würde Nawalny (und seine Unterstützer) eine bessere Politik machen. Das ist schwer zu sagen, weil wir ja gar nicht wissen ob er seine Ankündigungen umsetzen würde. Es gibt leider sehr viele Beispiele wo der Schuss nach hinten los geht. Andererseits ist mir auch nicht bekannt dass tausende Russen zum Beispiel in die Ukraine gehen, weil dort jetzt “Demokratie” herrscht und es so viel besser läuft nachdem der “Diktator” weg ist. Sie haben völlig Recht, man müsste mehr über seine politischen Ziele berichten. Vergessen Sie aber bitte nicht, es sind nur Ziele, kein Mensch weiß wie seine Politik wirklich aussieht. Ich könnte jetzt Südamerika oder auch den arabischen Frühling anführen, aber ich will ganz in der Nähe bleiben. Wie viele Menschen haben mit Macron auf eine neue und bessere Zeit gehofft als seine Ideen überall zu lesen waren? Und jetzt, Zustimmung im Keller, Gewalt durch die Polizei, Gelbwesten, etc. …

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Er wird nicht „gehyped“, es wird einfach nur darüber berichtet weil es sehr wohl besonders relevant ist wenn hier ein bedeutender Oppositioneller in einem Land versucht wird zu ermorden (wie von ihm mit dem Telefonat ziemlich klar bewiesen vom Geheimdienst). Niemand schreibt „er ist ein Heiliger“, sondern es wird einfach über relevante Vorgänge berichtet. Deshalb gefällt mir die Medienkritik die dem Kommentar mitschwingt garnicht.

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Nein, er wird nicht gehyped?

" Liberals, meanwhile, have deep reservations about him, because he espouses Russian nationalist views. He has appeared as a speaker alongside neo-Nazis and skinheads, and once starred in a video that compares dark-skinned Caucasus militants to cockroaches. While cockroaches can be killed with a slipper, he says that in the case of humans, “I recommend a pistol.” - aus der NYT

Ich finde schon, dass sowas zur ausgewogenen Darstellung eines „bedeutenden Oppositionnellen“ gehören sollte. Gesehen habe ich davon aber wenig.
Stattdessen haufenweise Beiträge wie diesen hier. Ikone, Märtyrer, Held, Revolutionsführer. Natürlich immer brav mit Fragezeichen am Ende, denn damit ist der journalistischen Verantwortung dann ausreichend Rechnung getragen. Statt den teils offenen Rassismus anzusprechen begnügt sich der Spiegel mit „u.a. war er früher mal gegen Zuzug von Gastarbeitern“.

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Dann kriegen wir wohl andere Reaktionen/Zeitungsartikel zu Gesicht. Die Berichterstattung, die ich bis jetzt über Nawalny gesehen habe, geht meistens 1. gar nicht auf seine politischen Positionen ein, 2. war überwiegend lobend, dh. man bezeichnet ihn als mutig, dass er sich wieder ach Russland wagt und sich Putin entgegenstellt usw… Und auch in meinem Bekanntenkreis wird diese Stimmung abgebildet. Endlich haben wir einen starken, mutigen Oppositionellen in Russland.
Wie gesagt, ich finde es auch gut, wenn die Korruption in Russland aufgedeckt wird und die Zivilgesellschaft sich dieser entgegensetzt aber die Berichterstattung ist doch ziemlich blande, was Nawalny angeht.

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