Vorschlag: Block zu Berliner Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen

In Berlin wird in einem Monat nicht nur gewählt, sondern es steht auch ein Volksentscheid an zum Thema „Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen“.

Ich würde mich dazu extrem über eine Einordnung in der Lage (der Nation!) freuen, denn: die Argumente der Trägerin „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ scheinen mir absolut lächerlich, die Kosteneinschätzung des Senats dermaßen brutal höher, dass man nicht guten Gewissens dafür stimmen kann. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Situation wirklich so schwarz-weiß ist.

Ich würde gerne dazulernen und nachdem Ulf und Philip das grundsätzliche Thema in der Vergangenheit schon besprochen hatten, würde es gut reinpassen.

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Mich würde die juristische Einschätzung von Ulf (und vielleicht ein paar Experten) interessieren, inwiefern der Vorschlag, die Entschädigung der Konzerne aus den Mieten der Folgezeit zu bewältigen.

Eine Entschädigung nur in Höhe der ohnehin anfallenden Mieten erscheint mir aus politischen Motiven zwar wünschenswert, juristisch aber sehr… naja, sagen wir angreifbar, weil halt doch eine substantielle Schlechterstellung der Vermieter eintreten würde.

Danke! Das wollte ich auch schon vorschlagen. Man muss sich einfach klarmachen, dass hier ein linksradikales Konzept verfolgt wird, dass explizit darauf abzielt, die Stadt für Investoren unattraktiv zu machen (wer auch immer dann die Wohnungen bauen soll) und die Einwohner in eine demokratische Selbstverwaltung einbinden will (muss jeder selber wissen, ob er/sie da Zeit und Lust zu hat).

Nach der Einschätzung des Senats ist diese Art der Entschädigung ja auch nicht möglich, falls ich das richtig verstanden habe. Ich glaube, das ist v.a. der Fall weil die Summe so weit unter dem Marktwert liegt.

Es wirkt schon sehr so. Das Problem ist vielleicht auch, dass natürlich jeder Mieter spontan erst einmal denkt „Ja klar, niedrigere Miete wäre schon gut!“ – aber wie du schon schreibst, das hilft ja alles nicht beim Wohnungsmangel… und geht auf die Kosten der Allgemeinheit.

Vielleicht ist das der eigentliche Clou: nachdem die Vergesellschaftung aus Steuereinnahmen bezahlt wird, ist es effektiv eine soziale Umverteilung.

Naja, das ist eine sehr einseitige Sichtweise.
Was primär mit der Enteignung verfolgt werden soll ist, einen simplen Mechanismus der Marktwirtschaft außer Kraft zu setzen, weil dieser sich negativ auswirkt.

Das Problem ist, dass der Wert einer Immobilie primär an den damit zu erzielenden Mieteinnahmen gemessen wird. Vermieter haben daher ein doppeltes Interesse daran, dass die Mieten steigen: Es erhöht ihre dauerhaften Einnahmen und den Wert der Immobilien selbst.

Der Staat - und auch die Bürger - hingegen haben daran kein Interesse. Das Interesse des Staates und der Bürger ist es, dass Mieten bezahlbar bleiben und daher keine „Aufwärtsspirale“ eintritt. Der Staat will mit Investitionen in Bauprojekte grundsätzlich eher eine neutrale Finanzpolitik fahren, hier und da fällt ein wenig Gewinn an, oft wird aber auch subventioniert. Der Private hingegen muss auf Gewinne und damit steigende Mieten hinwirken.

Das Argument der Gegner ist daher, dass privatwirtschaftliche Bauprojekte dann kaum noch rentabel sind, weshalb weniger gebaut werden wird. Die Befürworter argumentieren, dass der Staat dafür schlicht mehr bauen soll, weil eben auch in die Zukunft gerichtet Mietobjekte bezahlbar sein sollen.

Wir reden dabei hier wohlbemerkt nur über den Teil des Wohnungsmarktes, der Mehrfamilienhäuser betrifft - die Privatperson, die sich schlicht ihr Eigenheim bauen will, ist davon natürlich nicht betroffen (und das ist auch gut so!).

Die Frage ist daher:
Wer soll die klassischen „Wohnblöcke“ bauen und verwalten? Die Privatwirtschaft oder der Staat?

Das Argument für die Privatwirtschaft folgt der klassischen „Privat vor Staat“-Argumentation, nach der der Staat schlicht nicht in der Lage ist, so effizient zu handeln wie die Privatwirtschaft und dadurch alles teurer würde.

Das Argument für den primär staatlichen Wohnungsbau ist, dass der Staat im Gegensatz zur Privatwirtschaft keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen muss, daher eben die private Bauwirtschaft ein inhärentes Interesse an „möglichst hohen Mieten“ hat, während der Staat das Interesse der „möglichst stabilen Mieten“ verfolgen kann.

Die Bewertung dieser Argumente hängt dann natürlich von der eigenen Wirtschaftsauffassung ab. Der FDP- oder CDU-Anhänger wird klassischerweise für den privaten Wohnungsbau sei, der SPD- oder Linken-Anhänger wird eher die Vorzüge des staatlichen Wohnungsbaus sehen. Die Wahrheit™ liegt vermutlich wieder irgendwo in der Mitte: Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile, es gibt kein klares „Richtig“ oder „Falsch“.

Ich persönlich finde stabile Mieten in Ballungsräumen wichtiger, als möglichst viele Investoren dazu zu verleiten, in der Erwartung maximaler Gewinne neue Bauprojekte zu starten. Ich denke, der Staat ist durchaus in der Lage, in Ballungszentren eine koordinierte und effiziente Bauplanung zu betreiben. In diesem Sinne bin ich für mehr staatlichen Wohnungsbau und für staatliche Maßnahmen, die das Interesse der stabilen Mieten verfolgen, auch wenn das dazu führt, dass weniger privat gebaut wird. Aber wie gesagt, wenn man am anderen Ende des politischen Spektrums steht wird man da zu anderen Ergebnissen kommen :wink:

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Das wollte ich auch fragen: ist die Forderung nicht verfassungswidrig?

Grundsätzlich eher nein.

Auch wenn gerne, gerade aus Richtung von CDU und FDP, das Gegenteil propagiert wird: Das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG ist das am stärksten eingeschränkte Grundrecht unseres Grundgesetzes. Es enthält auch eine einfache gesetzliche Schranke (Art. 14 I S. 2 GG), dazu kommt aber, dass kein anderes Grundrecht abstrakte Pflichten an die Ausübung des Rechtes selbst bindet (Art. 14 II GG: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“).

So lange eine angemessene Entschädigung gezahlt wird, ist eine Enteignung grundsätzlich möglich, wenn sie dem Wohl der Allgemeinheit dient. Und das Ziel, die Mieten niedrig zu halten, ist eindeutig ein zulässiges Ziel im Sinne des Wohles der Allgemeinheit. Dass natürlich nun vor allem neoliberal orientierte Menschen sagen werden, es sei nicht zum Wohle der Allgemeinheit, weil der Staat ja sowieso alles falsch machen würde, ändert daran grundsätzlich nichts, das ist letztlich eine Bewertungsfrage, die von der Einschätzungsprärogative der Regierung gedeckt wäre. Kurzum: Es müsste quasi bewiesener, unumstößlicher wissenschaftlicher Fakt sein, dass es nicht funktioniert, um zu argumentieren, dass es nicht zum Wohle der Allgemeinheit wäre…

„Soziale Umverteilungen“ sind nicht nur zulässig, sondern werden indirekt sogar vom Grundgesetz gefordert (z.B. wegen des unter Ewigkeitsgarantie stehenden Art. 20 I GG: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“). Dieses Sozialstaatsprinzip verlangt geradezu soziale Umverteilungen, der Streitpunkt ist allerhöchstens, wie stark diese mindestens sein müssen und höchstens sein dürfen. Aber von diesem potentiellen Maximum ist die Forderung noch weit entfernt.

Es ist daher relativ sicher, dass die Forderung der Enteignung bei angemessener Entschädigung an sich nicht verfassungswidrig ist, da das Enteignungsziel („Mieten niedrig halten“) klar dem Wohle der Gemeinschaft dient und es zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass dieses Ziel damit auch erreicht werden kann.

Dazu verweise ich auch gerne noch mal auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Dieses sollte explizit keine Festlegung auf eine Seite des zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Systemstreits zwischen Kapitalismus und Kommunismus sein - vielmehr sollte es alle Systeme zulassen, die irgendwo zwischen den Extremen liegen. Das einzige, was das Grundgesetz an Systemen daher verbietet, wäre ein totaler Kommunismus (z.B. die massive Einschränkung von Privateigentum) oder ein totaler Kapitalismus (da das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 unter die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG fällt, was einen totalen Kapitalismus ausschließt…). Kurzum: Der allgemeine Gestaltungsrahmen innerhalb des Grundgesetzes ist relativ groß, die Rechtsprechung bis zum BVerfG hat dem Gesetzgeber bisher auch einen relativ weiten Gestaltungsrahmen zugebilligt, so lange die Enteignung dem Allgemeinwohl dient, verhältnismäßig ist und angemessen dafür entschädigt wird.

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Das macht ja auch alles grundsätzlich Sinn. Eine Gesellschaft kann sich durchaus so aufstellen dass Wohnraum eben durch den Staat gebaut und verwaltet wird. Und jeder Berliner (der nicht gerade auch Immobilienbesitzer ist) kennt das Problem des immer teurer werdenden Wohnraums. Nur: m.E. nach ist der vorgeschlagene Ansatz nicht zielführend.

  1. Die Trägerin schätzt die Entschädigungssumme auf 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro, aber der Berliner Senat schätzt 30,5 bis 38,1 Milliarden Euro, plus 100 bis 340 Mio. Euro jährlich (!) für Bewirtschaftung und Finanzierungskosten. Dieses Geld kommt, woher auch sonst, vom Steuerzahler. Nicht nur sind die Schätzungen absurd unterschiedlich, sondern es ist auch einfach wahnsinnig viel Geld. Man stelle sich vor, der Senat baut stattdessen einfach Wohnungen für diese Summen!

  2. Anschließend gibt es in Berlin 243.000 Wohnungen, die sehr günstig vermietet werden können. An wen? Die glücklichen Mieter die jetzt bereits drin sind, werden sehr zufrieden sein und kaum ausziehen. Das bedeutet, diese riesen Finanzierung kommt nicht etwa nur sozial schwachen zugute, sondern einer (mehr oder minder) zufälligen Gruppe.

  3. Keinerlei neue Wohnungen entstehen. Neue, private Investitionen in Wohnungsbau werden schwieriger.

die Privatperson, die sich schlicht ihr Eigenheim bauen will, ist davon natürlich nicht betroffen

Ich finde das nicht besonders logisch. Wohnraum ist knapp, ergo brauchen wir gerade Wohnblöcke (schöne, bitte!). Eigenheime sind ein tolles Lebensziel, aber eben gerade nicht die Lösung.

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Das ist durchaus wahr - ich wollte nur sagen, dass das Thema „Eigenheim“ wenig mit der Enteignungs-Debatte zu tun hat, damit es in dieser Hinsicht nicht zu Missverständnissen kommt.

Ob ein hoher Anteil an Eigenheimen in einem Land wie Deutschland sinnvoll ist, darüber kann man vortrefflich streiten. Die Grünen haben ja als erste Partei dieses „heiße Eisen“ angepackt und sich gegen die Förderung von Eigenheim-Bauten ausgesprochen, eben weil der Platzbedarf verhältnismäßig hoch ist und mehr Eigenheime bedeutet, dass der Grüngürtel der Städte kleiner und der Speckgürtel größer wird - und das ist nicht nur bei Hochwasser ein Problem (Stichwort: Oberflächenversiegelung). Die Reaktion der anderen Parteien (nur die Linke äußerte sich positiv) war natürlich wieder das entsetzte: „Seht her, alle Eigenheim-Besitzer und solche, die es werden wollen: Die böse, grüne Verbotspartei will euch an den Kragen!!!1!!11!elf“ - und zwar durch die Bank weg von CDU, CSU, SPD, FDP und AfD…

Wir sind halt kein Flächenland wie die USA, bei uns ist Bauland Mangelware… aber einen Wahlkampf wird man mit der Forderung nach weniger Einfamilienhäusern leider nicht gewinnen können :wink:

Die Frage ist dabei natürlich: Will man, dass Berlin weiter wächst? Gibt es dafür überhaupt genug Raum? Oder will man die räumliche Größe und die Bevölkerungszahl schlicht stabil und dabei die Mieten günstig halten? Bedeutet: Hier spielen noch andere Interessen eine Rolle. Gerade in Berlin ist Bauland auch einfach extrem knapp und Berlin kann ja nicht einfach anfangen, in Brandenburg zu bauen…

Diese realpolitischen Probleme machen manche Lösung, die eigentlich gut klingt, leider unmöglich. Wäre unbegrenzter, stadtnaher Raum verfügbar, wäre es natürlich einfacher, das Geld in den Neubau zu stecken, bewusst niedrige Mieten anzusetzen, damit den Mietspiegel zu senken und den Immobilienkonzernen die Aufwärtsspirale zumindest schwieriger zu machen. Aber das erfordert halt, dass ein großer Teil des Wohneigentums in Berlin in Staatshand ist. Und so viel neu zu bauen, um diesen Anteil zu erreichen, ist vermutlich mit dem bestehenden Bauland nicht möglich. Eine Enteignung hingegen hätte genau diesen Effekt: die zu enteignenden Wohnungen machen 10% der gesamten Wohnungen in Berlin aus. Das verändert das Gewicht von Privat und Staat deutlich und kann erhebliche Auswirkungen auf den Mietspiegel haben.

Kurzum:
Wenn der Staat seinen Bestand von 25 auf 35% anhebt und niedrigere Mieten etabliert, sinkt der Mietspiegel der gesamten Stadt. Dadurch sinken auch die Mieten der Wohnungen in Privathand. Um einen vergleichbar großen Effekt durch Neubau zu erreichen müsste man - selbst wenn das Land dafür bestehen würde - deutlich mehr zahlen.

Mich würde interessieren, woher der Unterschied in der Einschätzung kommt. Schätzt der Berliner Senat einfach zu konservativ?

Womit automatisch eine Umverteilung von Oben in die Mitte eintritt. Steuergelder kommen eben im Schnitt stärker vom „oberen Ende“ der Einkommensspirale, während diejenigen, die zur Miete wohnen, zumindest meist nicht „ganz oben“ in besagter Spirale sind, sondern irgendwo im unteren bis mittleren Bereich.

Das hier keine perfekte Umverteilung von ganz oben nach ganz unten vorliegt stimmt - aber die Umverteilungsrichtung ist meines Erachtens deutlich genug.

Und das ist der Punkt, in dem wir uns denke ich einig sind: Man muss sehr, sehr genau überlegen, ob die Enteignung aufgrund der hohen Initialkosten und möglichen laufenden Kosten wirklich das beste Mittel ist.

Die Frage ist halt, ob man das Ziel des „bezahlbaren Wohnraumes“ auch anders erreichen kann. Der Mietendeckel scheiterte daran, dass die Bundesländer hier nicht die nötige Gesetzgebungskompetenz haben, ist daher nur eine Lösung, wenn der Bund es so will. Das hilft Berlin nicht.

Andere Möglichkeiten sind auch kritisch. Zum Beispiel könnte Berlin natürlich einfach Mieter bei der Miete subventionieren, aber das würde halt bedeuteten, dass Steuergelder direkt in die Taschen der Konzerne fließen, es wäre ein Umverteilung in die falsche Richtung, quasi von Mitte-Oben nach ganz oben. Und es wäre natürlich eine Lösung, die sehr hohe laufende Kosten erzeugt, dafür aber kaum Initialkosten. Unter’m Strich aber eine schlechtere Lösung.

Also was für Alternativen gibt es noch? Also außer zu akzeptieren, dass die Mieten in Berlin weiter steigen?

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Vom anderen Ende des Spektrums kommend werfe ich einmal folgende Daten ein, die zeigen, wer in das Inland investiert:

Selbst wenn der deutsche Staat seine Investitionen verdoppeln würde (mit vermutlich einhergehenden Steuererhöhungen) und der Privatsektor sich aus den Investitionen aus dem Inland herausziehen würde (weil es keinen Sinn ergibt mit dem Staat zu konkurrieren) würde dies mit einem massiven Wohlstandsverlust einhergehen.
Fokussierung auf staatlichen Wohnungsbau wurde schonmal probiert, das Experiment ist spektakulär gescheitert.

Warum? Der soziale Wohnungsbau der 70er gewinnt sicher keine Preise für ästhetischen Städtebau, aber immerhin können Menschen in diesen Wohnungen ein günstiges Zuhause finden. Die Wohnungen, die direkt vom Staat gebaut wurden, scheinen mir nicht schlechter zu sein als private Sozialwohnungen.

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Mich wundert, dass das Argument des Neubaus, der dann weniger stattfinde, so stichhaltig sein soll. Kann man das nicht durch die Ausgestaltung lösen? Zum Beispiel über eine Ausnahme von Neubauten für die ersten zehn Jahre und hiernach Kauf durch den Staat. Oder direkt Kauf nach dem Bauen, falls der Staat halt ein so unfähiger Bauherr sein sollte. Das ist doch alles nur eine Frage des Kaufpreises, der bestimmt nicht einfach „richtig“ zu bestimmen ist, aber warum dominiert dieser Teilaspekt das ganze Thema so?
Gruß Jakob

Hmm, ich kann deiner Schlussfolgerung dieser Daten nicht wirklich folgen.
Neuseeland, Schweden, Finnland und Norwegen sind allesamt Beispiele für Staaten mit deutlich stärkeren staatlichen Sektor bei gleichzeitig höheren Gesamtinvestitionen. Und gerade die (erweiterten) Skandinavischen Länder sind was die Sozial- und Wirtschaftspolitik angeht generell weit „sozialer“ als Mitteleuropa und fahren damit ziemlich gut. Kurzum: Auf der eindimensionalen Linie zwischen „Sozialismus“ und „Kapitalismus“ sind diese Staaten noch einen Schritt weiter in Richtung „Sozialismus“ als Deutschland und fahren damit sehr erfolgreich.

Spielst du damit auf die DDR und den realexistierenden Sozialismus an?
Falls ja würde ich behaupten, dass es in diesen Systemen einfach ganz andere Probleme gab und die wissenschaftlich sonst immer so wichtige Frage von „Kausalität vs. Korrelation“ oft nicht hinreichend berücksichtigt wird. Kurzum: Das Totschlagargument „der Sozialismus hat versagt, deshalb muss in allen Bereichen totaler Kapitalismus herrschen“ halte ich für problematisch.
Und bevor der Gegenteilige Eindruck entsteht: Ich bin ein klarer Verfechter der sozialen Marktwirtschaft, wenngleich Deutschland ruhig auf der Skala von Sozialismus und Kapitalismus noch einen kleinen Schritt weiter in Richtung Sozialismus tun könnte (eben wie Skandinavien). Schritte weiter in Richtung Kapitalismus, sodass wir letztlich im US-System enden, halte ich für katastrophal falsch.

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Vor Kurzem habe ich mal irgendwo gelesen wie jemand schrieb „Berlin kann sich ja keiner mehr leisten!“, worauf jemand antwortete: „Wieso? Die Wohnungen sind doch alle voll. Scheinbar können es sich genug Leute leisten.“ Das hat mich ziemlich zum Nachdenken gebracht.

Fakt ist (lt. Wikipedia): „Seit 2011 verzeichnet Berlin in absoluten Zahlen das jährlich größte Bevölkerungswachstum unter den Städten im deutschsprachigen Raum.“. Irgendwo gehen diese Menschen ja hin.

Ist das durch Experimente anderswo nachgewiesen? Mir erschließt sich das nicht: Wenn ich eine Wohnung vermieten würde für 15 Euro pro QM und ein potentieller Mieter kommt und sagt „Ich kann auch ein eine staatliche, da zahle ich nur 6!“, dann wäre die Antwort doch ganz klar „Tu dir keinen Zwang an“. Es gibt doch genug Nachfrage. Im Gegenteil ist das Angebot subventionierter Wohnungen aber extrem begrenzt.

Naja, ich persönlich schätze den Berliner Senat ja eher neutral ein; zumindest neutraler als eine Organisation mit dem Namen „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“. Ich denke, Letztere hat ein großes Interesse daran, besonders optimistische Schätzungen abzugeben.

Finde es ja gut, dass wir mal an Daten rangehen, aber ich muss zugeben dass ich hier auch die Schlussfolgerung nicht ganz verstehe…

Aus Interesse: woran liegt das? Sind die alle in staatlicher Hand?

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Der Punkt ist, dass die ausländischen Investoren (wie beispielsweise norwegische Pensionskassen) ausnahmslos mit Renditeinteresse in den deutschen Markt gehen.

Wohnblöcke in vielen Regionen Deutschlands sind nunmal eine stabile und vor allem risikofreie Anlagememöglichkeit. Der Punkt ist also, dass der deutsche Einwohner über die Mieten die Altersvorsorge ausländischer Anleger finanziert (die wiederum als Anteilseigner grosser Immobilienfirmen einfach nur die Gewinne abschöpfen). Diese Töpfe sind so gigantisch und haben ein derart grosses Interesse an Wohnraumspekulation, dass man jedenfalls eine Regel dafür braucht.

Ich finde es übrigens ganz weit weg von Linksextremismus, dass man den Einwohnern - durch welche Regulation auch immer - bezahlbaren Wohnraum ermöglichen will.

Manchmal finde ich es wirklich unvorstellbar, dass konservative und wirtschaftsliberale Menschen damit völlig einverstanden sind, dass man die Rente in halb Europa mitfinanziert, andererseits aber komplett unnachvollziehbar findet, dass die eigene Bevölkerung keine finanzierbaren Wohnungen mehr kriegt.

Mal zum nachvollziehen: gemäss Statista steigen die Mietpreise deutschlandweit immer weiter an:

Jetzt ist es natürlich schon so, dass ja auch die Einkommen sich entwickeln. Grundsätzlich hilft das aber den Menschen, die beispielsweise prekär beschäftigt sind, absolut gar nicht. Auch hier mal eine Entwicklung:

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Das stimmt, ich hoffe dass das auch bedacht wird bei der Rentendiskussion, bei der ja auch in diesem Forum vehemend ein System mit Anlage in Aktionfonds gefordert wurden. Diese würden sich dann ebenfalls in dann ausländischen Immobilien teilweise absichern, und dann dort die Mieten in die Höhe treiben. Schöne neue Welt.

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Dazu müsste man kurz diskutieren, wie die Miethöhe überhaupt entsteht.
Grundsätzlich gilt bei Mieten ohnehin nicht der „freie Markt“, daher: Ein Vermieter darf keine beliebig hohe Miete verlangen und die Miete auch nicht beliebig erhöhen. Letztlich steht und fällt meine Argumentation damit, ob man Wohnungen, die sich in staatlicher Hand befinden und keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen, in den Mietspiegel aufnimmt oder nicht, daher: Ob diese Wohnungen bei der Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete berücksichtigt werden oder nicht.

Natürlich sehen Vermieter und Mieter das gänzlich unterschiedlich. Der Vermieter wird argumentieren, dass sie keine geeigneten Vergleichsobjekte wären und deshalb unter §558 II S. 2 BGB fallen würden, ich würde argumentieren, dass Wohnungen, die mit dem Ziel der „Null-Rendite“ ebenso in einen Mietspiegel gehören wie all die Wohnungen mit dem Ziel einer „Maximalrendite“, denn letztlich will man ja gerade den Durchschnitt ermitteln.

Aber ich bin kein Experte für Mietspiegel, daher kenne ich die aktuelle Rechtsprechung zu dem Thema nicht. Hier müsste man also in der Tat wesentlich tiefer in die Materie einsteigen (z.B. mal in einem Kommentar zum BGB recherchieren, was so zum §558 II S. 2 BGB an Rechtsprechung existiert…).

Grundsätzlich möchte ich aber noch mal auf ein Problem hinweisen, welches maßgeblich zu den massiv ansteigenden Mieten führt und den Fokus dabei etwas weg vom Juristischen und hin zum Betriebswirtschaftlichen lenken.

Die Miete, die für eine Wohnung verlangt wird, wird maßgeblich vom Wert der Wohnung definiert. Das klingt auch erst Mal logisch. Das in der Immobilie gebundene Kapital soll schließlich eine hinreichende Rendite bringen. Steckt ein Investor 300.000 Euro in eine Wohnung und will für sein Kapital eine Rendite von 4% erzielen, muss er halt 12.000 Euro im Jahr alleine dafür mit der Miete erwirtschaften. Dazu kommen die sonstigen Verwaltungs- und Modernisierungskosten, sodass die reale Miete dann schnell bei 1.300 Euro im Monat liegt. Der Großteil der Miethöhe hängt aber eben von der Renditeerwartung für das gebundene Kapital ab.

Problem ist dabei, dass die Immobilienpreise in Ballungsräumen wegen der begrenzten Verfügbarkeit sehr viel schneller steigen als z.B. auf dem Land. Und steigen die Immobilienpreise, steigen dadurch zwangsläufig auch wieder die Mieten.

Dass ein Privatinvestor mindestens 3-4% Rendite haben will, ist ja absolut nachvollziehbar - auf dem Aktienmarkt winken schließlich viel höhere Renditen, die dafür mit einem Risiko verbunden sind. 3-4% Rendite durch Immobilien wirken dagegen erst mal niedrig, aber sie sind halt sicher, was gerade zu Niedrig-Zins-Zeiten verlockend ist.

Ein Weg, die Mieten zu senken, wäre es daher auch, schlicht den Markt im Hinblick auf die Höhe der Kaufpreise einzuschränken - denn es ist der „freie Markt“ in diesem Bereich, der trotz fairer Rendite-Erwartungen bei der Vermietung zu absurd hohen Mieten führt. Aber in letzter Instanz reden wir dabei dann wieder über Enteignungen, denn wenn der Staat den tatsächlich erzielbaren Kaufpreis für Immobilien beschränkt ist das natürlich ein schwerwiegender Eingriff in das Eigentum der Vermieter. Wir landen daher immer beim Thema Enteignung - die Frage ist nur, wie man sie am besten anpackt.

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Selbst wenn das stimmen würde - um es mal mit dem alten Empiriker David Hume zu sagen: Aus einem Sein folgt kein Sollen.

Tatsächlich aber haben 2020 zum ersten Mal seit langer Zeit mehr Menschen Berlin verlassen als Menschen hinzugekommen sind. [1] Das hat natürlich viel mit der Pandemie zu, deutet aber zumindest eine Tendenz in vielen deutschen Großstädten an. [2] Staatliche Bau- und Wohnpolitik und die allgemeine Bevölkerungsentwicklung könnten also langfristig durchaus Entlastungseffekte erzielen.

[1] https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/182-2021
[2] Bevölkerungsentwicklung: Deutschlands Großstädte schrumpfen - DER SPIEGEL

Naja, das liegt aber doch daran dass unser eigenes Rentensystem nicht in der Lage ist zu investieren. Klar wäre es cooler, wenn meine Miete auch gleichzeitig dafür sorgt, dass meine Rente steigt – aber das ist ein deutsches Problem. Dass das Geld „ins Ausland“ geht, finde ich jedenfalls kein gutes Argument.

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