Vom Schaden und Nutzen der Globalisierung

Globalisierung war schon immer recht zweischneidig: Einerseits ermöglicht sie bisher abgehängten Regionen am globalen Wohlstand teilzuhaben, wenn sie gut geht, andererseits eröffnet sie diverse Möglichkeiten zur unkontrollierten Ausbeutung. Auch ein besseres gegenseitiges Verständnis der Kulturen ist auf der Plus-Seite zu verbuchen.

Seit einer Woche scheint sich jetzt ein weiterer Vorteil in sein Gegenteil zu verkehren: die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit. Für mich war das immer ein Pluspunkt, weil ich dachte, dass sie Kriege verhindert, zumindest zwischen Ländern, die Geschäfte miteinander machen. Nun stellen wir fest, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Deutschland und Russland ein effektives Einschreiten gegen den Angriff auf die Ukraine verhindert.

Jetzt überlegen wir also , wie wir die Abhängigkeit so schnell wie möglich abbauen. Und die Logik ist völlig klar und einleuchtend. Wahrscheinlich ist das der einzige Weg. Aber heißt das nicht auch, dass uns da künftig der oben genannte Schutzschild fehlen wird?

Ich weiß nicht, was das für eine langfristige strategische Ausrichtung unserer Wirtschaftspolitik bedeutet.

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Ich würde es etwas anders einschätzen: die gegenseitigen Handelsbeziehungen und die damit verbundenen Abhängigkeiten halte ich weiterhin für eine wichtigen Baustein für den Frieden. Es gibt aber zwei Dinge, die man dabei beachten muss:

  • Risikostreuung: dass Deutschland 50% seines Erdgases aus einem Land wie Russland bezieht ist einfach hoch riskant gewesen
  • Robuste Liefer-/ Versorgungsketten: Man sollte die Option haben, seine Produktion / Versorgung im Notfall mit überschaubarem Aufwand umzustellen, wenn eine dieser Ketten ausfällt

Beides macht eine Produktion / Versorgungskette unwirtschaftlicher, aber ich könnte mir vorstellen, dass sowohl Corona als auch der Ukraine Krieg vierlerorts zu einem Umdenken bzgl. der o.g. Punkte geführt haben.

Es ist schon richtig, dass wir das Konzept „Wandel durch Handel“ zum Teil etwas naiv angegangen haben – aber ich halte es nach wie vor für richtig. Vielleicht kann gerade das Beispiel Russland in den nächsten Jahren abschreckend demonstrieren, wie hoch der Preis für ein Land ist, wenn die internationale Gemeinschaft es wirtschaftlich sanktioniert.

Ziel der Sanktionen ist es ja auch immer, den innenpolitischen Druck in Richtung eines Wandels zu steuern. Sprich – wenn das im Ansatz passiert, wird Russland auch irgendwann wieder eine größere Rolle im Welthandel spielen und – man kann nur hoffen – denselben Fehler nicht noch einmal machen. Auch wenn sich Unternehmen vermutlich über Jahrzehnte gut überlegen werden, was sie dort investieren.

Schon richtig. Du gehst aber dabei davon aus, dass wir die Guten sind.

Die Risikostreuung und robusten Ketten wird aber als Lehre aus der derzeitigen Situation auch der Schurke anstreben, bzw. wenn sie einmal etabliert sind, hindert uns kaum mehr was dran, uns als Schurken zu gebärden, auch wenn wir bisher brav und freundlich waren.

Das System funktioniert halt dann, wenn eine große Wertegemeinschaft einem einzigen Land gegenüber steht und dieses bei Verfehlungen wirtschaftlich boykottiert. In diesem Fall führen Risikostreuung und robuste Lieferketten dazu, dass sich in der Gemeinschaft die Folgen des Embargos auf viele Schultern verteilen und verhältnismäßig wenig Schaden anrichten, während das einzelne Land gar keine Chance hat sich so breit / unabhängig aufzustellen, dass es nicht hart von den Sanktionen getroffen wird.
Im Fall Russland funktioniert das bedingt gut: zum einen hat das Land einen überproportional hohen Anteil am Rohstoffhandel, einzelne Länder (z.B. Deutschland) haben sich in starke Abhängigkeit begeben und der große Wirtschaftsraum China macht bei den Sanktionen / der Wertegemeinschaft nicht mit.

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