Bevor es etwas der Anschaulichkeit wegen polemisch wird, ich habe noch nie was andres als grün bzw. Alternative Liste (AL) gewählt, außer mal mit der Erststimme SPD, was aber vergeblich war, weil solange er physisch dazu in der Lage ist, sich in den Bundestag zu schleppen, geht mein Wahlkreis an Gregor Gysi. Damit ist klar, ich bin Randberliner.
So jetzt zur Polemik. In den Äußerungen der InitiatorInnen und von PolitikerInnen sowie einigen journalistischen Kommentierungen zum Ergebnis des Klimaentscheids, so auch bei euch (leider nicht zum ersten Mal), könnte man den Eindruck gewinnen, außerhalb des S-Bahnringes beginnt ein Gebiet mit Menschen, die nur Millimeter vom hinterwäldlerischen Moonshiner entfernt sind. Da gibt es eine grüne Politikerin, die allen Ernstes meint, dass am Stadtrand man lieber weiter mit seinem SUV weiterfahren will als was für den Klimaschutz zu tun. Na klar, Range Rover sind auch die bevorzugte Automarke im Märkischen Viertel, der Gropiusstadt und in Marzahn-Hellersdorf oder im Allende-Viertel. Ähnlich weinerlich eine der InitiatorInnen in einem Radiointerview. Konkret zum Entscheid, sie haben schlichtweg nicht genügend Menschen mobilisiert. Offensichtlich so gut ausgestattet, dass man viel Plakatieren konnte, waren sie real ziemlich unsichtbar. Gegenbeispiel: der „Deutsche Wohnen enteignen“-Entscheid. Da sind mir auf meinem täglichen Arbeitsweg (Südosten bis Warschauer Str.) regelmäßig Menschen mit Flyern entgegen gekommen, denen man Fragen stellen konnte usw. Sogar am Bahnhof Schöneweide. Das Argument mit der Abkopplung von der Wiederholungswahl ist meines Erachtens auch nicht stichhaltig, weil zu vermuten ist, dass dann die Nein-Stimmen angesichts des Wahlergebnisses noch höher ausgefallen wären. Denn, empirisch natürlich nicht valide, der sogenannte Stadtrand ist in der Wahrnehmung vieler dort lebender BerlinerInnen von den derzeit aktiven PolitikerInnen, quer durch alle Parteien, ist erst kurz vor der verkorksten Wahl entdeckt worden, das außerhalb des S-Bahnringes auch eine ganze Menge Berlin ist. In dem übrigens ungefähr 70% der EinwohnerInnen Berlins leben, zum großen Teil die, die hier ihr ganzes Leben verbringen. Denen konnte weder SPD- wie die Grünen-Spitze vermitteln, sie verstünden diese Stadt. Anders ist der Wahlerfolg des farblosen Spandauers nicht zu erklären. Es ist ein bisschen so, als wäre Markus Söder Bundeskanzler geworden. Was ich also sagen will, es ist eine Spur vielschichtiger, weshalb der Volksentscheid scheiterte, zum Einen eine nicht so gute Kampagnenarbeit der InitiatorInnen und zum Andern eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit der Berliner Stadtpolitik, angefangen bei den Bürgerämtern bis hin zur Schulverwaltung.
Auch mir erscheint die Annahme der nein-stimmenden Randberliner nicht zielführend. Selbst bei einem scheinbaren No-Brainer wie „Sollen wir einfach sofort jetzt CO2-neutral werden“ lohnt es sich vielleicht doch vor dem Urnengang nachzudenken. Bei der Berichterstattung zum Klimaentscheid kam aus meiner Sicht ein Aspekt weder vor noch nach dem gescheiterten Entscheid wirklich zur Sprache: Wären die Ziele in der Praxis erreichbar gewesen und wenn nicht - was hätte dies zur Konsequenz gehabt?
Das erste verpflichtende Teilziel der Novelle hätte bis zum Jahr 2025 eine Reduktion der CO2-Emissionen um 70% gegenüber dem Jahr 1990 vorgesehen. Laut der mir vorliegenden Zahlen (Energie- und CO₂-Bilanz) lag Berlin 2020 bereits bei einer Reduktion von 50%. Dennoch sehe ich es als unrealistisch an, das neue Einsparungsziel (70% Reduktion gegenüber 1990 bis 2025) zu erreichen. In der aktuell gültigen Version des EWG Bln ist dieses Ziel bis 2030 zu erreichen - in meinen Augen auch schon ambitioniert, aber nicht unmöglich.
§4 der Novelle weist den Senat an, mit der Öffentlichkeit ein Klimaschutzprogramm mit Strategien zur Erreichung der Verpflichtungen zu erstellen. Klingt gut, aber die Umsetzung bis 2025 scheint mir höchst unrealistisch. Damit kommen wir zu meiner zentralen Frage: Was passiert, wenn die gesetzlich bindenden Reduktionsziele gerissen würden? Die Novelle sieht bei drohendem Verfehlen der Ziele ein Notfallgremium vor, welches Maßnahmen ergreift. Angesichts der ersten Deadline in 2025 wäre die neu zu bildende Regierung quasi sofort im Panikmodus.
§4 besagt auch, dass vorrangig auf Vermeidung und Reduzierung von Treibhausgasemissionen zur Zielerreichung fokussiert werden soll. „Auf die Kompensation dieser Emissionen soll verzichtet werden, solange weitere Reduktionen möglich sind“. Realistischer Weise wäre das Ziel 2025 mit Vermeidung und Reduzierung nicht machbar gewesen, wodurch nur noch der Emissionshandel bleibt.
Was wäre die Konsequenz daraus? Auf dem Papier könnte Berlin dank Emissionshandel bis 2025 bei 70% Einsparung ankommen. Allerdings würde das sehr viel Geld kosten – Geld, das in den Folgejahren nicht mehr in PV-Anlagen auf öfftl. Gebäuden, in Modernisierung oder in den Ausbau des ÖPNV investiert werden kann. Hätte unrealistische Reduktionsziele in der Novelle am Ende die ‚grüne Wende‘ in Berlin behindern können, weil teure Zertifikaten (aufgrund mangelnder real umsetzbarer Alternativen bis 2025) das Geld für „echte“ klimafreundliche Maßnahmen blockiert hätten? Ich halte den aktuellen Zeitplan für Berlin mit 70% Reduktion bis 2030 und 95% bis 2045 sinnvoller und habe als ‚Parade-Grüner‘ aus dem Innenstadtring und ohne Auto beim Entscheid nicht mit ‚Ja‘ abgestimmt. Ich lasse mich aber gerne davon überzeugen, dass ich hier völlig daneben liege.
Das die Klimabewegung ein Problem damit hat außerhalb ihres Milieus zu mobilisieren ist doch nichts neues.
Arbeitet man da eigentlich dran?