Vertrauen in Journalismus, Fake News, Soziale Medien

Hi,
in der Spektrum der Wissenschaft (Gehirn&Geist 03_25) ist ein interessanter Artikel über den „Mythos Fehlinformation“, der versucht die These zu widerlegen, dass Fehlinformationen und Echokammern die Ursache für ein abnehmendes Vertrauen in Demokratie und Journalismus sind, sondern eher ein Symptom.

Eine Version der Autorin findet man hier: https://hannahmetzler.eu/2024-09-13-Mythos_Fehlinformation/

Interesant dabei auch:

Wir brauchen Medien, die tatsächlich nützlich für ihre Leser sind, statt nur vom Spiel mit der Aufmerksamkeit zu leben. Wir brauchen Interventionen, die Vertrauen in die Medien stärken, z.B. indem Menschen lernen, wie Journalist[en] recherchieren und Fakten überprüfen.

Passt vielleicht gut in die Lage, das Thema „was sollte Journalismus leisten“ ist ja gerade Thema.
Cheers,
Lars

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Danke für den Artikel. Weil er sehr interessant war und damit ihn nicht jeder lesen muss, um zu verstehen, warum es da geht:

Hannah Metzler hält die Annahme, Desinformation über Social Media und deren Algorithmen würde die die öffentliche Meinung beeinflussen, für falsch. Vielmehr ist wissenschaftlich gut belegt, dass Menschen in ihren Einstellungen eigentlich stabil verharren; sie spricht sogar paraphrasierend von „Starrsinn“. Meinungsänderungen sind selten und jemanden von einer andere Meinung zu überzeugen ist sehr schwer. Menschen sind gegenüber neuen Informationen, die ihr Weltbild erschüttern könnten, grundsätzlich skeptisch.

Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse

  • Fehlinformationen machen 0,1-6,7% des Nachrichtenkonsums aus. Dazu kommt, dass nur wenige Menschen überhaupt Nachrichten lesen, in den USA sind nur 3% aller geteilten Posts politische News (von denen dann 1-6% falsch sind).
  • Es sind nur sehr wenige Social Media Nutzer für das Teilen von Fehlinformationen verantwortlich („Supersharer“). => Die überwiegende Mehrheit der Nutzer sieht also viel weniger Fehlinformation als die 1- 6% vermuten lassen.
  • Diese Supersharer haben niedriges Vertrauen in Institutionen (Politik, Medien, Wissenschaft …), fühlen sich von ihnen nicht vertreten. In westlichen Demokratien sind unter den “Supersharern” mehr Menschen mit rechten politischen Einstellungen. Wohl auch, weil ihre Sichtweisen in Medien, Politik, Wissenschaft schlecht vertreten sind.
  • Neuere Untersuchungen über die Algorithmen zeigen, dass diese eher einen kleinen Effekt auf Desinformation haben. Viel wichtiger ist die Nachfrage nach extremen Inhalten, mit denen extreme Menschen ihre Einstellungen zu bestätigen suchen. Sie bewegen sich in digitalen Echokammern, i.d.R. Gruppe auf Facebook, Telegramm, etc. Algorithmen empfehlen extreme Inhalte nur Menschen, die solche Inhalte bereits konsumieren.
  • Echkommern sind offline sehr viel stärker als online, und dort sehr unterschiedlich.
  • Online-Echokammer aufzulösen, ist kontraproduktiv: Diese Menschen werden dann noch mehr polarisiert.
  • Propaganda, Werbung und politische Kampagnen scheinen nur kleine Effekte zu haben. Im Gegensatz dazu können groß angelegte politische Kampagnen in den Mainstream Medien Effekte haben. FoxNews konnte das Wahlergebnis der Republikaner um 0,5% verbessern.
  • Facebook für sechs Wochen zu deaktivieren verringerte in einer Studie mit 20.000 Usern vor den US-Wahlen 2020 das allgemeine News-Wissen und verbesserte das Erkennen von Fehlinformationen

Fazit: Mainstream-Medien und Informationen von Politiker spielen eine viel wichtigere Rolle als Desinformation. Fehlinformationen und polarisierende Inhalte erreichen nur wenige Leser, und wenn, dann solche mit bereits extremen Meinungen.

Auch durch KI vermuten Fehlinformationsforscher keine Katastrophe.

In westlichen Demokratien wird Nachrichtenkonsum v.a. über die Nachfrage gesteuert.

  • Verschiedene Medien kämpfen um Aufmerksamkeit und publizieren deswegen, was Menschen lesen wollen.
  • Nur sehr wenige Menschen interessieren sich für Nachrichten, - sie lesen oft nur die Headlines.
  • Vieles (inklusive Social Media) wird auch für seinen Unterhaltungswert konsumiert, und nicht unbedingt geglaubt.
  • niemand hat die Zeit, die Menge an Unsinn im Internet zu konsumieren

KI wird nicht dabei helfen können, mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Mit Hilfe von KI-Chats personalisierte politische Botschaften waren in einer Studie nicht überzeugender als nicht personalisierte Botschaftern. Ob Menschen einer Information vertrauen, hängt stark davon ab, von wem sie kommt. Traditionelle Zeitungen und Fernsehsender genießen viel höheres Vertrauen als dubiose Internetseiten.

Viele Menschen sind tatsächlich sehr schlecht informiert und glauben viele unseriöse Dinge. Nur sind Fehlinformationen eben nicht die Ursache. Die meisten Menschen sind nicht fehlinformiert, sondern uninformiert.

Wenn Fehlinformation, Algorithmen und KI nicht das Problem sind, warum glauben dann so viele Menschen so viel Unsinn, der nichts mit Wissenschaft oder der Realität zu tun hat? Warum gibt es so starke Tendenzen zu populistischen und rechtsextremen Parteien?

Nun, dazu sollte man den Artikel zuende lesen.

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Toller Artikel.

Es erscheint mir auch alles sehr logisch zu sein. Bis jetzt habe ich auch immer angenommen, dass der Einfluss via social media und Influencern viel verändert. Aber eigentlich festigt und bestätigen sie nur das, was schon da ist.

Ich erlebe in den Gesprächen mit Menschen, die völlig anders denken und fühlen als ich, dass tatsächlich zum einen keinerlei Bereitschaft vorhanden ist, sich mit anderslautenden Meinungen auseinanderzusetzen. Der Satz „Das ist meine Meinung und davon lass ich mich nicht abbringen“ fällt relativ häufig.
Zum anderen sind tatsächlich fast alle Menschen, die ich kenne, eher schlecht informiert. Das klingt jetzt negativer, als es ist. Denn es liegt zumeist daran, dass ihnen die Zeit und Ruhe fehlt, sich diese Informationen zu beschaffen. Wenn man arbeitet und Familie hat und am Abend dann um 8 oder 9 Uhr völlig ko ins Sofa kippt, dann man weder die Kraft noch die Lust, sich noch lang Informationen zu besorgen. Mit Glück wird noch eine Nachrichtensendung geschaut.

Ich gehöre zu den Menschen, die durch Krankheit quasi in die Frührente geschickt wurden. Ich habe sowohl Zeit als auch Interesse, mich umfassend zu informieren. Ich stehe da aber dann vor einem anderen Problem. Fast überall stoße ich bei der Informationsfindung vor Bezahlschranken. Und ich habe einfach nicht das Geld dafür. Ja, es gibt auch manches umsonst wie „Tageschau.de“ usw. Aber gemessen an der Flut an Nachrichten, die tagtäglich auf uns einprasseln, ist das eigentlich zu wenig. Podacasts, Youtube-Beiträge etc können natürlich auch Informationen enthalten, aber da muss man schon wieder sehr aufpassen, inwieweit da auch Meinungen anstatt Fakten verbreitet werden.

Letztendlich brauchen wir Menschen, die sich für Nachrichten mehr interessieren, als nur die Schlagzeilen zu lesen. Wir brauchen aber auch die Zeit und Muße, dies zu tun. Und wir müssen uns das leisten können. Das ist eigentlich ein Dilemma, welches nur schwer aufzulösen ist. Und ich sehe ehrlich gesagt auch nicht, dass es einen politischen Willen gibt, diese Dinge tatsächlich zu ändern. Wo kämen wir auch hin mit einem aufgeklärten Bürger?

Es wird gerne geredet von bildungsfernen Schichten ( ein unfassbar dümmlicher Begriff, der auch nicht näher definiert wird ). Aber es wird auch alles dafür getan, dass sich Menschen nicht besser bilden können.

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Ich möchte das auf einen anderen Thread verweisen, der genau dieses Thema beleuchten wollte.

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Hier noch ein Vortrag, der das Thema gut ergänzt, mit Fokus auf Wissenschaftsjournalismus.

Kai Kupferschmidt, Biomediziner und Wissenschaftsjournalist
Wissenschaftsjournalismus muss besser werden

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