Vertragsverletzungsverfahren: Deutschland ./. EU-Kommission, PSPP/Anleihekäufe

Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, ob das im letzten Jahr mal Thema in der LdN war. Ich habe dazu heute interessante Ausführungen im DLF gehört und würde mir eine rechtliche (und gern auch inhaltliche) Einordnung wünschen. Es gehe wohl um sehr, sehr grundsätzliche Fragen, etwa den Vorrang des EU-Rechts und ob der Rechtsprechung des EuGH Folge geleistet wird, obwohl das BVerfG anders entschieden hat (die hatten damals, 2020, die Anleihekäufe durch die EZB aus 2015 kritisiert, obwohl dies aus Sicht des EuGH i. O. war). Eine Zwickmühle scheint zu sein, dass das BVerfG unabhängig ist, die BReg aber trotzdem reagieren muss – nur wie genau? Welche Möglichkeiten gibt es? Welche Implikationen durch dieses Vorgehen sind denkbar? Denn: In östlichen EU-Staaten (Polen, Ungarn) wurde das deutsche Urteil im letzten Jahr schon als ‚historisch‘ gefeiert, da sich gegen die ‚böse EU‘ gestellt wurde und man dies als unzulässige Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten interpretiert hat.

Die EU-Kommission sehe eine „Verletzung fundamentaler Prinzipien des EU-Rechts“ sowie eine Überschreitung der Kompetenzen und hat deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Die BReg hat zwei Monate Zeit,auf diesen Vorwurf zu reagieren.

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Juristisch scheint das ganze jedenfalls auf den ersten Blick (bin selbst Jurist, habe das jetzt aber nicht in extenso durchgeprüft) sehr simpel, politisch allerdings brachial.

Wenn die Kommission sich an der Auslegung des Grundgesetzes durch das BVerfG stört, dann richtet sich das Vertragsverletzungsverfahren nicht gegen das Urteil an sich, wie allerdings oft berichtet wird, sondern letztlich gegen das Grundgesetz. D.h. in der Sache dagegen, dass das Grundgesetz keine bedingungslose Übertragung von Hoheitsrechten zulässt. Hier bleibt der Bundesregierung letztlich nur die Möglichkeit, das Grundgesetz zu ändern, wenn sie die Auffassung von Kommission und EuGH (Uneingeschränkter Vorrang des Europarechts) teilt. Da aber die Kontrollvorbehalte des Grundgesetzes in Art. 79 III GG verankert sein dürften und damit der Disposition des einfachen Gesetzgebers entzogen sind, bleibt letztlich nur die Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung (Stichwort Art. 146 GG, wobei auch hier der Einfluss von Art. 79 III GG ja umstritten ist).

D.h. rein rechtlich gesehen bleiben drei „saubere“ Lösungsmöglichkeiten übrig:

  1. Der EuGH ändert seine Rechtsprechung.
  2. Das Grundgesetz wird durch eine insoweit „europafreundlichere“ neue Verfassung abgelöst.
  3. Deutschland verlässt die EU.

Politisch ist das alles unrealistisch und totaler Wahnsinn.

Ich fände eine Aufarbeitung des Themas in der Lage auch spannend. Das es weniger ein Konflikt mit dem Urteil, sondern eher mit dem GG an sich ist, habe ich in der Berichterstattung jedenfalls vermisst. Das Thema wird aber früher oder später vermutlich auch in der allgemeinen Presse ziemlich hochkochen, vermute ich.

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Ich denke, dass deine drei Varianten der Komplexität nicht gerecht werden.

Zwischen diesen drei Optionen gibt es eine Vielzahl an weiteren Lösungsmöglichkeiten, die man der entsprechenden Kommunikation der Gerichte miteinander (abgeleitet aus Urteilen des BVerfG und des EuGH) entnehmen kann und eben nicht auf solche „schwarz-weiß“ Lösungen hinauslaufen. Vgl. bspw. das Thema des Grundrechtsschutzes auf nationaler und unionaler Ebene.

Gleichwohl würde ich eine Diskussion in der Lage natürlich absolut begrüßen :slight_smile:

Das Thema scheint offenbar nicht so spannend zu sein und wurde auch sonst nicht wirklich groß aufgegriffen… Jedenfalls liegt die Antwort der Bundesregierung inzwischen vor.