Versammlungsrecht auf Autobahnen + Autobahnen grundsätzlich

Aufhänger

In Dresden gab es nun schon 3 Versuche der „Verkehrswende Dresden“ gegen den Ausbau der A4 (1,2Mrd€ aus „Kohlemilliarden“ finanziert).
https://www.deges.de/projekte/projekt/a-4-ausbau-ad-nossen-as-bautzen-ost/
https://www.deges.de/wp-content/uploads/2019/12/2019-12-13_Präsentation_A-4_ZS_Bautzen.pdf
Keine dieser Versammlungen durfte auf die Autobahn. Es gab immer wieder Eilverfahren am VG Dresden / OVG Bautzen. Die mir bekannten Details werfen aber nicht nur grundlegende Fragen zur Versammlungsfreiheit auf, sondern stellen aus meiner Sicht den Verkehr / Betrieb der Autobahnen grundsätzlich in Frage. Nur leider wurde diese Fragestellung als solche durch die Gerichte nicht behandelt, was ich noch viel weniger verstehe.

Was sind die Argumente gegen Versammlungen auf der Autobahn A4 in Dresden

Konkret geht es um die Gefahr von Auffahrunfällen bei Stau. Die Autobahn GmbH und die Autopolizei sehen darin eine Gefährdung der Autofahrer durch die Versammlung, weshalb die Versammlung nicht auf Autobahnen zulässig sein soll. Die Gerichte gehen wohl noch weiter und sehen Gefahren für Versammlungsteilnehmer durch Steinschlag von der Gegenfahrbahn, Ablenkung von Kfz-Führern auf der Gegenfahrbahn und die Unzumutbarkeit von Geschwindigkeitseinschränkungen durch nicht offensichtliche Gründe.

Versammlungsfreiheit vs. Sicherheit auf Autobahnen

Alle diese Argumente lassen mich daran zweifeln, dass die Autobahn GmbH eine wirksame Betriebserlaubnis für die von ihr betriebene Infrastruktur inne hat. Eigentlich müsste genau diese Argumentation der Autobahn GmbH, die sich die Gerichte hier zu eigen machen, dazu führen, dass Autobahnen für Kfz, die auf Sicht fahren, gesperrt werden, oder die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf ein Maß herabgesetzt werden, dass Kfz-Führer sicher (im Sinne technischer Sicherheit) ihr Kfz führen können und z.B. Auffahrunfälle auf Stauerscheinungen nicht mehr statt finden können.

Sicherheit von Verkehrsinfrastruktur allgemein

Da ich von der Eisenbahn komme, sind mir Sicherheitsbetrachtungen sehr geläufig. Ein Unternehmen, welches Infrastruktur betreibt muss immer nachweisen, dass der Betrieb sicher durchgeführt werden kann. Es ist mir schleierhaft, wie das unter den gegebenen Argumentationslinien der Autobahn GmbH für den Straßenverkehr möglich sein soll und weshalb zwischen den unterschiedlichen Infrastrukturen (Straße/Schiene) solch krasse Unterschiede möglich sind. So kaputt die Eisenbahninfrastruktur in Deutschland ist, eines funktioniert weiterhin sehr gut: die grundlegende Sicherheitskultur und deren Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde.

Unterstützung und Aufklärung erbeten

Ich komme bei dem Thema nicht weiter und sehe immer mehr Fragezeichen. Es würde mich freuen, wenn ihr da ein paar Schritte weiter kommt und ggf. dieses Sicehrheitsparadoxon etwas auflösen, oder vertiefen könntet. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu verblendet und der Gesetzgeber pflegt sehenden Auges und ganz bewusst diese Ungleichheit, wie auch alle anderen strukturellen Benachteiligungen des Schienenverkehrs offensichtlich politisch gewollt sind.

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Also fangen wir mal mit dem Grundsätzlichen an:

Demonstrationen und der Straftatbestand der Nötigung

Die neuere Rechtsprechung geht grundsätzlich davon aus, dass Straßenblockaden (z.B. durch Sitzblockaden) den Straftatbestand der Nötigung nicht erfüllen, weil die unbeteiligten KFZ-Fahrer i.d.R. andere Wege als den blockierten benutzen können. Wenn die Innenstadt durch eine Demo blockiert ist, muss man halt mal einen Umweg fahren oder zwei Blöcke zu Fuß laufen (wenn die Demo direkt dort ist, wo man eigentlich hinfahren wollte).

Im Hinblick auf Autobahnen (und auch Bahnstrecken) sieht die Rechtsprechung das aber anders:
Autobahnen und Bahnstrecken haben die Besonderheit, dass das Fahren nur in eine Richtung erlaubt ist. Der Bereich zwischen der letzten freien Ausfahrt und der durch die Demonstration gesperrten Strecke ist daher für die unbeteiligten Autofahrer quasi ausweglos. Hier wird nun ein Nötigungstatbestand konstruiert (die genauen Details dazu („zweites Fahrzeug“) sind jetzt nebensächlich).

Autobahnen werden daher tatsächlich anders behandelt als normale Straßen.

Jetzt geht es aber darum, dass eine Demonstration auf einer Autobahn angemeldet werden soll. Dazu könnten die Behörden natürlich den Autobahnabschnitt zwischen zwei Auffahrten komplett sperren und so „Nötigungssituationen“ verhindern.

Die Frage, die sich ein Richter hier jedoch stellen wird, ist die der Verhältnismäßigkeit des Ganzen.

Dass es im Zuge einer Demonstration zu Einschränkungen für unbeteiligte Verkehrsteilnehmer kommen kann wird allgemein hingenommen - das zu akzeptieren gehört quasi zur Demokratie dazu, da muss der Unbeteiligte halt mal einen Umweg fahren, damit die Demonstration gut sichtbar an einem sinnvollen Ort (vor allem in den Innenstädten) stattfinden kann.

Bei einer Demonstration auf der Autobahn ist aber schon das ganze Ziel dieser Demonstration weniger das „gemeinsame zur Schau stellen einer politischen Problemlage“, sondern das Ziel ist bereits „eine möglichst große Beeinträchtigung möglichst vieler Unbeteiligter“. Und hier sagen die Gerichte halt - durchaus nachvollziehbar - dass das den Rahmen der Demonstrationsfreiheit sprengt.

Eine Demonstration hat den Zweck, möglichst sichtbar zu sein - und das einzuhalten, dazu ist der Staat auch verpflichtet. Daher: Demonstrationen in Innenstädten usw… Auch hat eine Demonstration das (eingeschränkte) Recht, in einer örtlichen Nähe des kritisierten Trägers stattzufinden, z.B. vor einer Konzernzentrale, einer Kaserne oder im Bankenviertel von Frankfurt.

„Die Autobahn“ ist aber eben kein solcher Träger. Wenn die Demonstration gerade nicht in der sichtbaren Innenstadt oder vor dem Verkehrsministerium (das wäre ein sinnvoller Ort für das Anliegen!) stattfinden soll, sondern man gezielt auf die große Sichtbarkeit verzichtet, um eine möglichst große Disruption zu Ungunsten völlig unbeteiligter Autofahrer zu erzielen, ist schon nachvollziehbar, dass mancher Richter da die Grenzen der Versammlungsfreiheit überschritten sieht.

Eine Demonstration auf der Autobahn müsste zudem immer beide Fahrtrichtungen betreffen, weil sonst das Sicherheitsargument bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiegen wird. Daher: Wenn nur eine Fahrtrichtung gesperrt wird, wird die Demonstration zu Gefahren für die Gegenfahrbahn führen, weil eine Demonstration - wie es quasi in ihrer Natur liegt - die Blicke des Gegenverkehrs auf sich zieht und damit eine größere Ablenkung erzeugt, als auf der Autobahn vertretbar ist.

Ich bin mir nicht sicher, wie ich entscheiden würde, wenn ich Richter wäre - ich halte beide Seiten für durchaus vertretbar (dargestellt habe ich hier nun die Gegenseite zum Threadersteller, quasi als Advocatus Diaboli). Man kann daher mit den Urteilen auch unzufrieden sein, aber sie sind m.E. jedenfalls im Rahmen des rechtlich zulässigen.

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Ich würde argumentieren bei einer Demonstration auf der Autobahn ist das oberste Ziel die Zurschaustellung eines Problems: der Autobahn. Mit deinem Argument kann man auch wunderbar Demonstrationen in der Innenstadt verbieten, denn da sind im Zweifel deutlich mehr Menschen unterwegs als auf Straße.

Eine Demonstration hat den Zweck möglichst sichtbar zu sein. Das heißt im 21. Jahrhundert mit den modernen Medien aber ein möglichst provokantes Setting, das oft geteilt wird, von dem die Medien berichten werden und nicht automatisch „in der Innenstadt“. Sonst hätte man die Demos am Hambacher Forst auch verbieten müssen?

Örtliche Nähe zum kritisierten Träger? Hier wird doch die Autobahn kritisiert, also ist das eher ein Argument für Demos auf Autobahnen. Nach deiner Argumentation darf man nur noch vor Konzernen und Rathäusern demonstrieren, verstehe ich das richtig?

Vielleicht interessant ist hier auch die einzige positive Entscheidung des VG DD, welche das gleiche Gericht vorher und später aber selber widerspricht: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/vg-dresden-laesst-fahrraddemonstration-auf-autobahn-zu
Diese Entscheidung ist später durch das OVG Bautzen kassiert worden.

Mir geht es aber viel weniger um die Abwägung Demo ja/nein, als um die auch von diesem Gericht angesetzten Sicherheitsvorkehrungen, um die Demo prinzipiell zu ermöglichen. Wenn die allgemeine Auffassung auch durch Gerichte ist, dass Demos auf Autobahnen in engen Grenzen (Sachbezug, außerhalb der HVZ, geringst mögliche Sperrzeit) stattfinden können (dafür gibt es mehrere Beispiele in Dtl.), die Sicherheitsanalyse der Autopolizei / des Infrastrukturbetreibers ist, dass dann der entsprechende Abschnitt für die gewöhnliche Nutzung in Teilen / voll gesperrt werden muss, dann ist das so. Als Schlussvolgerung dann aber zu ziehen, dass

  • Staugefahr auf Autobahnen
  • verminderte Geschwindigkeit
  • Fahrzeitverlängerungen
    im Falle von Versammlungen Sicherheitsrisiken darstellen, läst mich an der Zulässigkeit von Genehmigungen für den Betrieb von Autobahnen grundsätzlich zweifeln. Wohl gemerkt die Demos sollten immer Sonntag Vormittag stattfinden, um die Beeinträchtigung des Verkehrsweges so gerin, wie möglich zu halten.

Ganz absurd war übrigens eine Argumentation der Polizei, dass sie nicht ausreichend Kräfte haben, um eine Fahrtrichtung abzusperren. Es braucht dazu 4 Menschen und 4 Einsatzfahrzeuge - davon gab es immer genug inkl. der in Dresden von Pegida bekannten Laune der Einsatzkräfte.