Es ist einfach die Realität, dass man Menschen sterben lässt, weil es billiger ist. Wenn man das schäbig und niederträchtig findet, muss man es konsequenterweise noch schäbiger und niederträchtiger finden, nicht gegen den Welthunger vorzugehen.
Und nein, das ist kein whataboutism-Argument: Es ist einfach eine Frage von Prioritäten, wie man seine Resourcen einsetzt, und man wird diese immer einsetzen können, um Menschenleben zu retten (vermutlich auch sehr günstig).
Die Frage, ob man die Ukraine stärker militärisch unterstützen sollte, ist letztendlich eine Frage nach diesen Prioritäten (wie gesagt, wenn es kostenlos wäre, würden wir es ziemlich sicher machen) und weiteren Konsequenzen von zu wenig Unterstützung.
Ich möchte nicht so verstanden werden, dass ich die Ukraine nicht mehr unterstützen möchte (ich halte das durchaus für sehr sinnvoll). Die Argumentation hier ist mir nur zu einfach.
Wenn es nur darum gehen würde, dass in der Ukraine Menschen sterben und eine „feindliche Übernahme“ der Ukraine durch Russland ansonsten für uns keinerlei Folgen hätte, glaube ich auch ehrlich gesagt nicht, dass viel mehr als 5.000 Helme geschickt worden wäre. Es wäre uns einfach ziemlich egal, so wie den meisten in Deutschland der Krieg in der Ukraine vor 2022 ziemlich egal war und wie uns auch heute etwa der Bürgerkrieg in Äthiopien ziemlich egal ist.
Und was den Hunger in der Welt angeht, hast Du natürlich vollkommen recht.
Das allein kann es also nicht sein und auch Scholz hat ja in seiner berühmten „Zeitenwende“-Rede vor 2 Jahren argumentiert, dass Russlands Krieg auch die Sicherheitsordnung zumindest in Europa entscheidend verändert. Spätestens seitdem gibt es ja genügend Szenarien, was es für Europa, für die NATO, für Deutschland etc. bedeuten könnte, wenn Russland seinen Krieg gewinnt. Das sollte man bei so einer Entscheidung schon berücksichtigen - es geht eben nicht immer nur ums Geld und schon gar nicht um kurzfristige Ausgaben.
Da stimm ich dir vollkommen zu. Was ich aber schon für realistisch halte, ist, dass die Minimalunterstützung, sodass Russland gerade so nicht gewinnt aus (kurzfristigen) Budgetgründen getroffen wird. Und ob das falsch ist, ist halt wesentlich schwieriger zu argumentieren, einfach weil es quasi unmöglich festzustellen, was die „richtige“ Menge an Unterstützung ist.
Man kann sich mal den Datensatz zur Ukraine Unterstützung des ifw Kiel [1] anschauen und sich darstellen lassen, welches Land wie viel % seines GDP in die Ukraine investiert. Da liegt Deutschland deutlich vor allen anderen großen EU Ländern und übrigens auch den USA. Davor liegen vor allem sehr kleine Länder oder solche die sehr nah an der russischen oder ukrainischen Grenze liegen.
Es gibt eine Menge Theorien warum Scholz so handelt wie er handelt. Eine kann schlicht sein, dass er mit seiner Rolle als Frontrunner aus verschiedenen Gründen ein Problem hat.
Durchaus, aber dann sollte er endlich aufhören, so zu tun, als könne man bei ihm „Führung bestellen“. Für Scholz gilt: Führung ist aus, kommt auch nicht mehr rein.
Als Kanzler der größten Volkswirtschaft der EU muss man von ihm mehr Führungsstärke verlangen können, man muss von ihm verlangen können, klar und deutlich in eine Richtung zu gehen, statt immer rumzudrucksen. Scholz ist wahrlich ein Schüler Merkels, aber während von Teflon-Merkel (wie sie der US-Botschafter in den Wiki-Cables bezeichnete) tatsächlich alles abgeglitten ist, gelingt Scholz das (zum Glück?) nicht. Das mag auch daran liegen, dass die aktuellen Krisen existenzieller sind als die Krisen in 16 Jahren Merkel und ein Aussitzen daher - mit Recht - stärker kritisiert wird.
Wenn es daher wirklich so ist, dass Scholz primär ein Problem mit der Rolle als Frontrunner hat, ist er denkbar ungeeignet für das Kanzleramt. Das spricht einfach nicht für ihn.
In dieser Situation ist das so. Ganz allgemein würde ich das vielleicht anders sehen, denn es kann ja in bestimmten Situationen auch klug sein, wenn Deutschland sich taktisch zurückhält, ohne dass das deswegen schlechte Führung ist. Abgesehen davon geht es ja gar nicht darum, ob Scholz Motiv gut oder schlecht ist, sondern warum die Fakten uns sagen, dass es genau das behauptete ist.
Zum Argument, dass es „quasi“ unmöglich sein soll, ein angemessenes Maß an Unterstützung für die Ukraine zu ermitteln, habe ich ja schon was geschrieben - ich finde das einfach nicht stichhaltig.
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass die Strategie der Bundesregierung eine Art „Minimalunterstützung“ ist - also z. B. so viel Waffen und Munition zu liefern, dass Russland nicht zu stark wird, aber eben auch nicht mehr. Was ich allerdings nicht glaube, ist dass die Bundesregierung das tut, obwohl sie eigentlich etwas ganz anderes will. Deshlab glaube ich auch nicht, dass Budgetfragen dabei eine große Rolle spielen. Verschiedene Bundesregierungen haben bei der „Bankenrettung“ nach 2008, während der Coronapandemie und auch beim „Sondervermögen“ für die Bundeswehr 2022 gezeigt, dass sie sehr wohl bereit sind, in kurzer Zeit sehr große Summen locker zu machen, wenn sie der Meinung sind, dass es eine Krise gibt, die das erforderlich macht.
Zumindest bisher ging es in diesem Thread ja nicht daraum, wie viel oder wenig Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern tut. Ich messe Scholz eher an seiner Rhetorik und frage mich, welches Ziel die Regierung eigentlich verfolgt. Und ich komme einfach mehr und mehr zu dem Schluss, dass das was er sagt („Wer Führung bestellt…“, „as long as it takes“ etc.) und das was er tut, nicht wirklich zusammenpasst. Und dazu gehören dann auch so „Details“ wie offensichtlich unwahre Aussagen über den Taurus. Wenn er nicht „Frontrunner“ sein will, soll er das doch einfach sagen und vor allem nicht immer querschießen, wenn andere (wie z. B. Macron) die Rolle übernehmen wollen.
Genau, genauso wenig wie es um eure Bewertung von Scholz geht, bzw genau so viel.
Das ist (Macron), sorry, die Lachnummer schlecht hin. Das einzige objektive ist halt mal der Umfang der Lieferungen. Wenn einer wie Macron so gar nichts liefert, dann sollte man vielleicht eher überlegen warum er so einen Quark von sich gibt.
MarkusS hat das mit den Daten ja schon verlinkt
Ne, Scholz wurde ja nur in 28 von 48 Beiträgen in diesem Thread erwähnt
Was Macron angeht, würde ich ja sogar zustimmen, dass er in Sachen Ukrainehilfe noch unglaubwürdiger ist als Scholz. Das war aber gar nicht mein Punkt. Mein Punkt war, dass angenommen Scholz will die Führungsrolle in Europa nicht mehr - das war ja eine These von @MarkusS - er durchaus Möglichkeiten hätte, sie loszuwerden. Aber offensichtlich will er das gar nicht.
und das ist mir schleierhaft. Politiker reden viel wenn der Tag lang ist. Frankreichs Unterstützung für die Ukraine ist lächerlich gering und er spricht von Bodentruppen und macht sich über Deutsche Helme-Lieferung lustig. Das einzige was wir messen können sind die Lieferungen.
Deutschland ist beim Liefern ganz vorne dabei und macht sogar Druck auf den Rest Europas nachzuziehen. Genau das richtige Vorgehen denn allein kann Deutschland der Ukraine nicht zum Sieg verhelfen. Es geht schließlich nicht nur um Geld sondern auch um vorhandene Waffen und Produktionskapazitäten.
Wenn der Rest von Europa also gemessen an der Wirtschaftsleistung so viel liefern würde wie Deutschland - vor allem Frankreich, Spanien, Italien - dann sähe es für die Ukraine deutlich besser aus. Diese Kritik wird aber nicht geäußert, sondern speziell Scholz vorgeworfen, dass er einen Sieg der Ukraine verhindern will. Sorry - da komme ich nicht mit und sehe auch keine Fakten, die das beweisen sollen.
Selbstverständlich sagt kein Politiker öffentlich „ich unterstütze gerne die Ukraine aber den Lead soll bitte jemand anderes machen“. Und das ist auch gut so. Indirekt sagt Scholz das aber schon, wenn er andere auffordert mehr zu liefern und von „Alleingängen“ spricht, die er vermeiden will.
„Ganz vorne“ stimmt einfach nicht. Wenn Du schon die Militärhilfe gemessen an der Wirtschafthilfe vergleichen willst, dann doch bitte vollständig und nicht nur mit den Ländern, die noch weniger liefern. Laut der Kieler Website liegt Deutschland hier mit 0,456 % des GDP gerade mal auf Platz 11. Gerade angesichts der (potenziellen) Produktionskapazitäten könnte man also deinen Satz auch ändern in: „Wenn Deutschland also gemessen an der Wirtschaftsleistung so viel liefern würde wie Dänemark oder die baltischen Staaten - dann sähe es für die Ukraine deutlich besser aus.“
Zur Rhetorik: Mann kann natürlich sagen, dass es a) eh egal ist, was Politiker reden und dass man b) eh davon ausgehen kann, dass sie niemals ehrlich sind. Aber erstens müsste das dann für alle gleichermaßen gelten (also z. B. nicht nur für Scholz, sondern auch für Macron) und zweitens können wir uns unter der Prämisse gefühlt 2/3 der Diskussionen hier im Forum sparen
Diejenigen Länder, die noch engagierter sind als Deutschland sind deutlich kleiner. Deshalb sehr ich nicht, was an meinem Satz
unvollständig ist. Lässt sich sogar nachrechnen. Natürlich ist der Ukraine noch mehr geholfen wenn alle so engagiert wären wie Estland (das logischerweise ein Riesen-Interesse an den Ukraine Hilfen hat). Aber speziell Deutschland hier einen Vorwurf zu machen ist für mich schlicht Scholz-Bashing.
Da kann ich nicht folgen. Natürlich gilt das für Scholz und für Macron. Nur dass Scholz viel liefert und Macron wenig.
Stimmt - die EU Hilfen wären dann bei 90 statt 60 Mrd. Das ist signifikant aber gerettet wäre die Ukraine dadurch nicht. Wenn alle so liefern würden wie Estland vielleicht schon.
Trotzdem verstehe ich den Punkt. Sowohl für Scholz innenpolitisches Standing als auch für die Unterstützung der Ukraine ist es erstmal wichtig, dass die anderen EU Staaten nachziehen. Übrigens auch für die Unterstützung der USA. Und tatsächlich - Scholz wäre jetzt nicht die erste Person der ich eine Sabotage der Ukraine Unterstützung unterstellen würde.
Nein. Du hast behauptet, Deutschland liege „ganz vorne“ - dann aber als Vergleich nur Länder angeführt, die weiter hinten liegen, aber keine die weiter vorne liegen. Daher unvollständig.
Warum soll die Größe eines Landes ein Argument sein, wenn es um das Verhältnis von Militärhilfe pro Wirtschaftsleistung geht - also um einen relativen Wert?
Wenn die Größe eines Landes überhaupt eine Rolle spielt, dann ja wohl bei Potenzial für Rüstungsproduktion. Das ist vermutlich in Deutschland höher als in Dänemark oder Estland. Auch das spricht dann aber nicht dafür, dass Deutschland „ganz vorne“ liegt.
Womit wir wieder bei der eigentlich spannenden Frage sind: Warum hat Deutschland dieses Interesse nicht?
Nun: Entweder es ist eh egal, was Politiker sagen - dann braucht man es auch nicht ins Verhältnis zu setzen was sie tun (also ob sie wie du sagst „viel“ oder „wenig“ liefern") oder aber es ist nicht egal und dann kann man das was ein Politiker sagt auch an dem messen was er tut. Und da passen Rhetorik und Handeln bei Scholz m. E. einfach nicht zusammen.
Und da sind wir beim eigentlichen Punkt. Mehr als Deutschland liefern vor allem Länder, für die der russische Aggressor (zumindest gefühlt) eine größere Gefahr darstellt. Das Baltikum, Skandinavien, kleine Länder.
Anders gesagt: wenn alle Länder sich so bedroht fühlen würden wie Estland, dann wäre die Ukraine schon gerettet. Fühlen sie aber nicht. Und so falsch das sein mag ist das aber keine Erfindung von Scholz oder Deutschland sondern lässt sich systematisch in Europa anhand der Lieferbereitschaft messen.
Die Formulierung „bedroht fühlen“ ist - auch wenn ich selbstverständlich weiß, dass sie methaphorisch gemeint ist - aus meiner Sicht unpassend. Denn sie unterstellt erstens, dass es in jedem Land eine einheitliche Sichtweise gibt, die sich aus Faktoren wie historischen Erfahrungen oder der geografischen Lage ergibt. Beispiele wie die Wahl Ficos in der Slowakei zeigen aber, dass es so einfach nicht ist.
Zweitens unterstellt die Metapher ein direktes, quasi lineares Verhältnis zwischen „Bedrohungsgefühl“ und dem Ausmaß der Unterstützung für die Ukraine. Das würde aber z. B. bedeuten, dass sich Dänemark durch Russland stärker bedroht „fühlt“ als Polen. Kurzum: Aus meiner Sicht fallen dabei viele Faktoren unter den Tisch - und zwar genau die, bei denen es um unterschiedliche politische Einschätzungen, Ziele und Strategien geht. Und damit sind wir genau wieder bei dem, was Scholz macht bzw. nicht macht.
Das Argument kann ich zumindest nachvollziehen. Auch wenn es wie gesagt für die Ukraine selbst dann nicht reichen würde, wenn alle in der EU so viel liefern würden wie Deutschland, muss man zunächst anerkennen, dass die drei größten EU Volkswirtschaften nach Deutschland Frankreich, Spanien, Italien (die gemeinsam ein größeres BIP haben als Deutschland) eine Größenordnung weniger liefern als Deutschland.
Während man Scholz beim Umgang mit neuen Waffensystemen also durchaus kritisieren kann, ist er was die konventionellen Waffenlieferungen angeht (die ja offensichtlich eine entscheidende Rolle spielen) ja durchaus auf einem guten Weg. Lieferumfang stetig erhöhen, EU Partner in die Verantwortung nehmen - es fällt mir tatsächlich schwer das als gezieltes Bremsen zu interpretieren. Und gerade das Ziel, noch viel mehr zu liefern kann ja nur erreicht werden, wenn die genannten Länder und viele weitere sich signifikant stärker engagieren. Man kann das Gedankenspiel ja mal anders herum machen: angenommen Frankreich, Spanien, Italien würden deutlich engagierter liefern als Deutschland: würden wir dann davon ausgehen, dass Scholz diese Partner einbremst, oder Waffenlieferungen auf fast Null zurück fährt? Für mich schwer vorstellbar…
Exakt. Wie gesagt: es ist theoretisch möglich, dass Scholz Strategie wirklich ist, die Ukraine weder gewinnen noch verlieren zu lassen. Aber das ist aus den genannten Gründen reine Spekulation. Genau so gut ist es möglich - und das wäre die Theorie die mir mehr einleuchtend - dass Scholz hier gegenüber Russland nicht zu prominent als besonders großer Unterstützer der Ukraine herausstechen möchte. Aus verschiedenen Gründen - unter anderem um sich hier nicht zu sehr in die Schusslinie zu bringen. Wenn er sich hier hinter dem Rest Europas „verstecken“ könnte sähe das vielleicht anders aus. In der aktuellen Situation versucht er also ggf. durch die oft skurrile Ablehnung neuer Waffensysteme gegenüber Russland ein moderates Bild abzugeben. Gleichzeitig will er die Ukraine nicht verlieren lassen, weshalb er das nicht über weniger Waffenlieferungen tun kann.
Da würde ich ja total zustimmen. Ich finde nur gar nicht, dass das die Theorie ausschließt, dass Scholz weder will, dass die Ukraine klar gewinnt, noch dass die klar verliert. Das eine kann ja Mittel sein und das andere Zweck.
Nein, würde ich auch nicht ausschließen. Ich halte es zwar aus den genannten Gründen für unwahrscheinlich aber widerlegen lässt es sich auch nicht. Ich würde es aber halt genau wie meine Theorie im Reich der Spekulationen verorten und denke daher nicht dass die Fakten für sich sprechen.