Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen

Hallo,
ich bin aufgrund einer Diskussion in meinem privaten Umfeld kürzlich auf einen Artikel im Freitag gestoßen (den ich üblicherweise nicht lese, weil mir Jakob Augsteins Positionierung im Zuge der COVID-Situation und auch in manchen anderen Bereichen sehr suspekt ist). Dieser Artikel (Link s.u.) greift die Verhältnismäßigkeit der aktuellen Maßnahmen zur Infektionsbeschränkung an mit der Aufforderung, man müsse sie spezifischer auf Risikogruppen ausrichten. Der Autor führt insbesondere an, dass die starken Einschränkungen in der breiten Bevölkerung bisher noch nicht zu einer deutlichen Reduktion der Todesfälle in den hohen Altersgruppen geführt haben, was er anhand der altersspezifischen Inzidenzzahlen des RKI nachweist. Damit will er nahelegen, dass zum einen mehr risikogruppenspezifische Maßnahmen nötig wären (finde ich durchaus plausibel). Zum anderen schwingt aber in dem Artikel mit, dass die Einschränkungen der jüngeren Menschen bzw. der Nicht-Risiko-Personen in dem jetzigen Ausmaß nicht nötig und sinnvoll seien, wenn doch die älteren Menschen ohnehin sterben. Dieser Punkt irritiert mich, weil auf der Seite des RKI, in den Drosten-Podcasts und sehr vielen anderen Quellen eindeutig davon ausgegangen wird, dass ein Schutz der Risikogruppen ohne allgemeine Senkung der Infektionszahlen in der Bevölkerung nicht möglich ist (was sich ja auch in Schweden in der ersten Welle gezeigt hat, wie ich meine). Allerdings finde ich für diese Argumentation keine konkreteren Begründungen oder Berechnungen. Mir würde somit sehr eure Einschätzung zu folgender Frage weiterhelfen: Ist die Konsequenz, die der Artikel zieht, angemessen, nämlich dass man die Grundrechtseinschränkungen der Gesamtbevölkerung nicht rechtfertigen kann, wenn diese anscheinend zu wenig das Sterben der Risikopatient*innen verhindern? Oder wäre nicht vielmehr die Konsequenz, dass es mehr Maßnahmen zum Schutz der Risikogruppen (mehr Tests etc.) braucht, allerdings zusätzlich zu den aktuellen Maßnahmen zur Senkung der Infektionszahlen in der gesamten Bevölkerung?

Der Link zum Artikel:

2 „Gefällt mir“

Bisher habe ich auch immer gehört, dass man die Risikogruppen nicht gezielt schützen kann. Einfach, wel das nicht nur die Altenheime sind, sondern auch noch diverse andere Personen, z. B. mit Vorerkrankungen. Ich meine das es etwa 30 Millionen Menschen betrifft.

Die Maßnahmen sind unzureichend, wenn man die Todeszahlen betrachtet. Das ist richtig. Aber das Problem ist dabei nicht, dass die Risikogruppen nicht geschützt werden, sondern dass es Bereiche gibt in denen faktisch gar keine Maßnahmen da sind, wie z. B. am Arbeitsplatz oder in öffentlichen Nahverkehr. Wird jetzt besser, aber halt nur sehr zaghaft. Mit einem Homeoffice-Gesetz im November hätten vermutlich viele Tote verhindert werden können. Von daher sind die Maßnahmen lediglich sehr einseitig. Das ist für mich ein Problem, siehe Wie kann ich unsere Regierung im Punkt Coronamaßnahme noch für voll nehmen?. Ob das Verfassungswidrig ist, weiß ich nicht. Könnte sein, aber da bin ich kein Experte.

@Fanny , danke für den Link. Die Zahlen zu dem Sterberisiko und den an Covid verstorbenen Alterskohorten sind schon seit langem frei verfügbar.
Leider wird immer nur auf die Inzidenzwerte geschaut. Die Maßzahl für eine effektive Wirksamkeit der Maßnahmen müsste aber logischerweise der Rückgang der Verstorbenen sein.
Der Artikel ist die erste frische Perspektive dazu, leider viel zu spät, denn man hat dem Sterben in den Altenheimen tatenlos zugesehen. Die Zahlen sind ja nicht neu.

Wir reden immer darüber, dass man alle Anstengungen unternehmen müsse, aber zu dem besonderen Schutz der Alten wird angeführt, dass es gerade in Pflegeeinrichtungen personell nicht zu organisieren sei. Tests für Zugänge zu Altenheimen, Impfungen für Pflegepersonal - all das wäre machbar. Es ist nur eine Frage des Willens. Nur - es würde kosten. Bei der Bundesliga ist das möglich gemacht worden mit den Dauertests.

Es ist bitter, dass es keinerlei Korrelation zwischen Maßnahmen und Erfolg gibt.
Die bisherige Antwort ist „mehr von dem gleichen“. Dabei ändern sich meiner Meinung nach auch die Erfolgskriterien ständig. Es schwankt zwischen 50 wegen der Gesundheitsämter. Dann sind es die wiederum die Intensivbetten, also die Belastung des Gesundheitssystems. Dann jetzt Zero Covid, was in einer stark vernetzten Welt mit Reisen jetzt und in Zukunft ein mMn Phantasieszenario ist. Die Senkung der Toten bei den Risikogruppen war nur eine indirekte Messgröße. Alle sind davon ausgegangen, dass sie schon sinkennwürden, wenn nur die Inzidenzzahlen sinken.

Tun sie aber nicht. Ist ja auch klar. Ich optimiere immer auf meinen Messfaktor hin. Sprich, Inzidenzzahlen: Generelle Kontaktvermeidung. Todeszahlen Ältere: besondere Schutzmaßnahmen.

Aber wehe, man kritisiert die Maßnahmen. Viele Medien haben lange weggeschaut. Dabei hätte man sich als Journalist nur mal die Statistiken anschauen müssen. Es ist einfach nur bitter, keiner fragt mehr, ob wir überhaupt das Richtige machen.
Hätte man das gemacht, hätte man auch den unmittelbar benötigten Impfstoff für die über 80jährigen berechnen können und entsprechend bestellt und so Leben gerettet.

Meine Vorhersage: solange die Altenheime und Pflegeeinrichtungen nicht geschützt werden, werden die Maßnahmen die Inzidenzzahlen senken, aber nicht die Anzahl der Toten.
Und würden wir die Pflegeeinrichtungen schützen, bräuchten wir den Lockdown nicht in dieser Form.

Leider sind wir in meiner Befürchtung in Deutschland in einer medialen Schleife, die man Groupthink nennt…

1 „Gefällt mir“

In Bezug auf deinen vorletzten Absatz: Ich bin mir da nicht sicher. Ich finde zwar auch wertvoll, dass der Artikel den Blick auf die Todesfälle in den besonders betroffenen Gruppen lenkt, allerdings glaube ich, dass er auch einige gute Gründe für die aktuellen Maßnahmen außer Acht lässt. Zum einen ist zu bedenken, dass nur ein Bruchteil der Menschen über 65 (das jetzt mal als Altersgrenze gesetzt, ab der der Virus häufig gefährlich wird), nämlich ca. 10% in Heimen lebt. Der Großteil dieser Gruppe kann also rein pragmatisch und vor allem rechtlich betrachtet nicht einfach hermetisch isoliert werden. Angenommen also, wir würden nicht mehr so sehr auf die allgemeine Senkung der Inzidenzwerte hinwirken, wären doch aufgrund der gesellschaftlichen Durchmischung noch mehr Todesfälle in dieser Gruppe zu befürchten, weil viele ihrer Mitglieder zwar alt sind, sich aber trotzdem ganz normal in der Gesellschaft bewegen. Und selbst für die Menschen in Altenheimen gilt ja eine gewisse Durchmischung: Von der Essensliefung über die Pflege bis hin zu den Besucherinnen haben diese Menschen ja schon auch Kontakte (auch wenn ich dir Recht geben würde, dass man durch Impfungen und Tests natürlich hier das Risiko herunterfahren muss). Und dann eine weitere pragmatische Frage, die mir kommt, angenommen, man würde die Infektionsvermeidung nun auf Risikopatientinnen beschränken (das knüpft auch an den ersten Kommentar oben an): Wie definiert man diese Gruppe? Ab welcher alters- oder gruppenspezifischen Todesrate sagt man: Das ist nicht tolerierbar, diese Gruppe muss geschützt werden, damit der Rest verhältnismäßig normal weiterleben kann? Das scheint mir schwer zu entscheiden.
Außerdem ist natürlich zu bedenken, dass die allgemeine Senkung der Infektionen auch die weitere Bildung von Mutationen verhindert, die potenziell noch gefährlicher und/oder ansteckender sein könnten.
Könnte es nicht außerdem sein, dass es einfach eine ganze Weile dauert, bis sich die Senkung der allgemeinen Infektionszahlen auf die Senkung der Todesraten unter den alten Menschen auswirkt? Ich meine zu erinnern, dass Drosten im vergangenen Herbst im umgekehrten Fall von einem Trickle-Down-Effekt sprach, als plötzlich sehr viele junge Menschen infiziert waren und er sagte, dies würde sich erst nach einiger Zeit in den Todeszahlen der alten Menschen niederschlagen. Das wäre doch vermutlich auch umgekehrt denkbar, oder? (Dazu fände ich eben ein paar Berechnungen mal ganz hilfreich, falls es die gibt).

Es gibt dazu auch einen guten Beitrag des Staatslehrers Prof. Hinnerk Wißmann im verfassungsblog:

Hinnerk Wißmann – Verfassungsblog) Verfassungsbruch? Schlimmer: Ein Fehler – Verfassungsblog

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit rückt - so zumindest mein Eindruck - immer weiter in den Hintergrund. Die wenigen, die Maßnahmen kritisieren und Freiheitsrechte zu unrecht eingeschränkt sehen, werden auf Twitter und anderen Kanälen mit Häme überschüttet. Nicht diejenigen, die Freiheitsrechte einschränken, sondern diejenigen, die sie einfordern müssen sich rechtfertigen. Das ist eine Umkehrung, die inzwischen für selbstverständlich genommen wird.

Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, die sonst immer galten, scheinen nach Ansicht vieler auf die Corona Pandemie nicht mehr uneingeschränkt anwendbar zu sein. Das finde ich interessant und diskussionswürdig. Denn es legt die Vermutung nahe, dass das Leben und die Gesundheit doch eine Art „Supergrundrecht“ sein könnte.

2 „Gefällt mir“

Die Pandemie und ihre Bekämpfung sind mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kaum zu fassen, weil dieser Grundsatz nur dann wirklich greift, wenn man einen halbwegs klaren Sachverhalt vor sich hat: Man kann eben die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit nur prüfen, wenn man genau weiß, welche Vor- und Nachteile eine Beschränkung mit sich bringen wird.

Weil wir aber in der Praxis so wenig darüber wissen, welche Beschränkungen genau welchen Effekt haben und wie viel Beschränkung daher sein muss, um gravierende Folgen abzuwenden, läuft der Grundsatz im Moment vielfach leer. In einer solchen Situation schlägt die Stunde der Exekutive und der Legislative, denn denen kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu, der umso größer ist, je unklarer die empirischen Grundlagen der Entscheidung ausfallen. Ich halte diese Rechtsprechung für richtig, denn sonst wäre eine effektive Abwehr schlecht erforschter Gefahren nicht möglich.

Ich wundere mich allerdings dass ein Staatsrechtler diese relativ klaren Zusammenhänge nicht schildert, sondern so ein Lamento abliefert, das letztlich auch nicht weiterhilft.

@Fanny: Stimmt, das Argument mit den „nur 10% in den Heimen“ kenne ich gut.

Allerdings habe ich das nie verstanden. Wir haben immer über Superspreader-Events im Zusammenhang mit Hochzeiten etc gesprochen. Durch die Clustern von Risikogruppen, was in einem Heim ja geschieht, habe ich im Falle eines Ausbruchs ja viel höhere Impacts als wenn eine ältere Dame oder ein älterer Herr alleine lebt. In dem einen Fall sind mit einem Schlag über 20 mit potentiell tödlichem Ausgang betroffen, im anderen „nur“ (bitte nicht falsch verstehen) eine(r).
Ich verstehe hier einfach die kognitive Dissonanz nicht zwischen dem Claim „Jeder Tote ist zu viel“ und keine besonderen Schutzmaßnahmen gegen die Clusterung in Heimen. Es ist ja mehrfach passiert, und es gab keine Learnings. Jetzt werden immerhin die Heimbewohner zuerst geimpft. Man hat es also schon verstanden, wollte aber organisatorisch den Aufwand nicht, weil es ja Geld kostet (nochmal: TUI und Lufthansa haben viel Geld bekommen).

Auch andere Maßnahmen für die, die nicht in Heimen sind, wurden besprochen, aber nie umgesetzt. Beispielsweise:

  1. Einkaufszeiten für Risikogruppen, also Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen. Hier hätten auch in Supermärkten noch mal besondere Vorkehrungen getroffen werden können wie weniger Leute einlassen etc. Ein milderes Mittel als ein ganzer Lockdown, wurde aber nie ausprobiert. Jetzt kann man diskutieren, wie man sich als Risikopatient ausweist, aber das würde fehl gehen, denn 90% der Menschen sind meiner Meinung nach vernünftig und insgesamt rücksichtsvoll.
  2. Taxibereitstellung für Risikogruppen und Ältere.

Mit ein wenig Phantasie ließe sich das fortsetzen und auch umsetzen. Mit dem harten Lockdown ging es ja auch.

@vieuxrenard: Das alles wären Maßnahmen, die mildere Mittel sind. Dann könnte man auch prüfen, ob daraufhin die Zahlen nachhaltig sinken. Sozusagen Design of Experiment. Aber immer schärfere Maßnahmen zu fordern, ohne zu wissen, warum die Maßnahmen nicht so greifen wie geplant, ist nicht zielführend. Zumal wir über Existenzen von Menschen und Freiheitsrechte reden. Menschen, die nicht verbeamtet sind und daher ihre Altersvorsorge angreifen müssen, um zu überleben. Selbständige, die aufgeben müssen. Die Schuldenberatungen explodieren. Das Argument der „Zeit der Exekutive“ gruselt mich. Klingt nach „inter arma enim silent leges“. Mildere/Gezieltere Mittel werden nicht mehr bedacht.
@Fred_beiLdN: Ich stimme zu, dass es nur noch 0 und 1 gibt. Mittlerweile ist es bei den harten Lockdownbefürwortern zu einer moralischen Frage geworden. Gesinnungsethik ersetzt Verantwortungsethik.

Ich wünsche mir, dass endlich ein Pragmatismus einzieht. Zero Covid wird es nicht geben. Selbst wenn wir einmal hier so einen Zustand erreichen, dann wird irgendjemand bei einer Reise das wieder hereinholen. Es ist ein globales Phänomen.
Die jetzigen Maßnahmen der Experten sind aus meiner Sicht Suizid aus Angst vor dem Tod. Ich plädiere für Pragmatismus und zielgerichtete Maßnahmen.

3 „Gefällt mir“

Haben Behörden/Gerichte die virologische/epidemiologische Expertiese um die Verhältnismäßigkeit beurteilen zu können, b.z.w. hören sie Experten dazu an?

Wären nicht z.B. mehr Verbote gegenüber „Querdenker“-Demos verhältnismäßig angesicht der dadurch verursachten Ausbreitung des Virus?
https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-ausbreitung-demonstrationen-101.html

Ich frage mich spätestens seit dem Sommer, wieso die Politik nicht versucht, über eine wissenschaftliche Herangehensweise mit Hypothesen und Falsifikation eine Aussage zu generieren, welche Maßnahmen wieviel bringen. Ist sicher nicht ganz trivial wegen u.a. Länderzuständigkeiten, aber es wird ja nicht mal ansatzweise diskutiert.
Beispiel: Bundesland A und Bundesland B haben ähnliche Zahlen wie Inzidenz 50, R-Wert 0,9 etc.
Dann schließt A die Kitas und die Schulen für zwei oder drei Wochen komplett, während B diese öffnet. Alle anderen Maßnahmen sind identisch. Schon hat man zumindest einen groben Überblick, was eine Schulschießung für Auswirkungen hat.
Solange man hier nicht systematischer herangeht, wird man nie wissen, welche Maßnahme was bringt.

2 „Gefällt mir“

Laufen wir nicht Gefahr, verfassungsrechtliche Maßstäbe für immer grundlegend zu verschieben? In dem man kurzerhand den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für untauglich erklärt, wird man auch in Zukunft bei anderen Bedrohungen (z.B. Terrorismus) entsprechend argumentieren können. Ich denke da v.a. an Politiker wie Horst Seehofer, die ohnehin schon eine - vorsichtig ausgedrückt - fragwürdige Einstellung zu Freiheitsrechten haben. Ich habe Sorge, dass man sich hier einen Präzedenzfall schafft, nach dem die Hemmschwelle sinken wird, Grundrechte einzuschränken.

Ich denke, dass die Exekutive es sich hier zu leicht macht, wenn sie auch nach einem Jahr Pandemie und wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnen noch immer dermaßen pauschal einschränkt.
Wir leben bereits seit einem Jahr mit dem Virus. Im Frühjahr 2020 bestand völlige Unklarheit, die dem Staat damals einen sehr weiten Einschätzungsspielraum eröffnet hat. Aber diese damals unklare Tatsachengrundlage ist inzwischen einem erheblichen Zugewinn an wissenschaftlichen Erkenntnissen gewichen. Ich bezweifle, dass ein differenzierteres Maßnahmenprogramm nach so langer Zeit noch immer unmöglich sein soll.

1 „Gefällt mir“

Nicht falsch verstehen, ich finde die hier entwickelten Gedanken sehr interessant. Über Alternativen nachzudenken ist definitiv geboten. Und dein Vorschlag wirkt auch erstmal pragmatisch.
Eine solche koordinierte (!) Ungleichbehandlung der Bürger sind aber de facto Menschenversuche gegen deren Willen. Denn vom demokratischen Mandat kann man wohl kaum ein Einverständnis zu sowas herleiten.
Ohne Experte zu sein: Die Bürger so als Versuchskaninchen zu verwenden dürfte an der Menschenwürde kratzen.

2 „Gefällt mir“

Die ganze Verhältnismäßigkeitsdiskussion ist aus meiner Sicht einseitig. Meistens werden die verhinderten Toten und Überlastung des Gesundheitssystems den Einschränkungen gegenübergestellt. Man müsste doch eigentlich den Blick etwas weiter fassen und „alles“ betrachten. Der Begriff gesellschaftlicher Schaden beschreibt es relativ gut denke ich.

Zu Beginn der Pandemie war das relativ einfach. Es ging dabei um grob geschätzt 800.000 Menschenleben (Sterblichkeit ca. 1%). Dafür mal zu Hause bleiben, ist verhältnismäßig. Inzwischen sieht es aber nicht mehr ganz so einfach aus:

  • Es geht jetzt um 10% weniger Tote - weil die eben gestorben sind.
  • Es gibt Langzeitfolgen:
    • Einmal bei Corona, auch bei milden Verläufen.
    • Bei den Einschränkungen.
      Gerade er letzte Punkt, die Langzeitfolgen der Einschränkungen sind bisher noch wenig bekannt. Die Zahl der psychisch auffälligen Kinder ist von 15% auf 30% gestiegen. Das sind 1,5 Millionen Kinder!
      https://www.tagesschau.de/inland/studie-psyche-kinder-gesundheit-101.html
      Bei den Erwachsenen sieht es vermutlich nicht so viel anders aus.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist aus meiner Sicht also eher in folgender Art zu stellen:
Ist es gerechtfertigt ein Menschenleben vor dem Coronatod zu retten, wenn dadurch 2 Kinder und vermutlich 3 Erwachsene psychisch krank werden? Da müssten natürlich auch noch diverse Dinge ergänzt werden wie z. B. die Langzeitfolgen von Corona, die Menschen die ihre Rente und/oder finanzielle Existenz verloren haben usw. und Geld gibt es eigentlich auch noch.

Ich will jetzt nicht anfangen, dieses Verhältnis zu bewerten oder etwas aufzurechnen. Denn das eigentlich Ziel müsste ja sein, wie kann man den Schaden auf beiden Seiten - sowohl der Schaden durch Corona als auch der Schaden durch die Maßnahmen minimieren und zwar langfristig. Wenn ich mir vor diesem Hintergrund die Maßnahmen betrachte, dann sieht es für mich eher so aus, als ob hier der Schaden auf beiden Seiten maximiert wird! Wir haben eine ganze Menge Tote trotz der Einschränkungen und durch die lange Dauer steigt der wirtschaftliche, soziale usw. Schaden immer weiter. Es würde mich nicht wundern, wenn wir durch die Einschränkungen genau das proviziert haben, was wir verhindern wollten: Die Überlastung des Gesundheitssystems. Nur halt nicht die Intensivstationen, sondern die Sofas der Psychiater, die Jungendämter und sonstigen sozialen Auffanginstitutionen.

3 „Gefällt mir“