Verfassungsrecht auf Länderebene

Hallo liebe Community,

vielleicht kann mir jemand von euch folgende Frage beantworten: Sollte das Verfassungsgericht einen Teil der „Bundesnotbremse“ kippen (z.B. die Ausgangssperre), könnten die Länder trotzdem einfach wieder eine Ausgangssperre auf Landesebene einführen? Also allgemein gesagt: Gibt es im Rechtssystem eine Art Hierarchie nach dem Motto „Was auf Bundesebene verfassungswidrig ist, kann auch nicht auf Landesebene rechtens sein“?

Danke und liebe Grüße
Paul

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Ich würde eine ähnliche Frage anschließen: Eines der Argumente für die „Bundesnotbremse“ war ja, dass die Bevölkerung angeblich nach bundesweit einheitlichen Regeln verlangt. Ein zweiter Grundsatz an denen ich mich aus den Diskussionen erinnere lautet „ab einer Inzidenz von 100 regelt der Bund“. Nun ist es aber de facto so, dass das Bundesgesetz zwar einen Mindestrahmen für alle Bundesländer vorgibt, aber Regeln einzelner Länder, die im Einzelfall strenger sind, parallel dazu bestehen bleiben. Das Ergebnis ist also, dass es nach wie vor sehr unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Ländern gibt. Hier wäre meine Frage, ob und wie diese Frage konkurrierender Gesetzgebung geregelt ist: Gilt Bundesrecht vor Landesrecht oder gilt strenger geht vor, egal von dem die Regelung kommt?

Die juristisch sauberste Antwort dürfte wohl wie so oft lauten: Es kommt drauf an.

Je nachdem, mit welcher Begründung das BVerfG eine Ausgangsbeschränkung (keine Ausgangssperre!) kassiert, könnten die Länder (wieder) hierzu über das IfSG ermächtigt werden, wenn damit die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt und keine anderslautenden Entscheidungen entgegenstehen. Das hängt dann aber vom genauen Wortlaut der Entscheidung und Begründung ab. Eine Begründung könnte ja sein, dass Ausgangsbeschränkungen auf Ebene des Bundes zu pauschal und undifferenziert sind, auf Länderebene aber i. O., sofern sie bspw. zeitlich begrenzt, regional differenziert sind und es keine milderen Mittel gibt.

In letzter Zeit wurden allerdings einige Vorschriften aus dem letzten Jahr für unwirksam erklärt, weil sie zu unbestimmt („Bewegung im Freien“, „im Umfeld des Wohnbereichs“) gewesen seien: Sächsisches OVG – Die Corona-Ausgangsbeschränkungen im April 2020 in Sachsen waren unwirksam

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Grds ist eine sog. Normenhierarchie gegeben, die ihren Ausfluss in Art. 31 GG (wörtlich „Bundesrecht bricht Landesrecht“) hat. Allerdings ist es die Frage, wie sich Urteile des BVerfG zu einem Bundesgesetz auf das Landesrecht ausschlägt, nicht ganz so einfach zu beantworten. Je nach Begründung und Tenor des Urteils oder Beschluss des BVerfG kann eine Norm bzw. Regelung auf Bundesebene verfassungswidrig sein, aber die Norm mit demselben Regelungsinhalt im Landesrecht nicht. Aber wie kommt das? Hierbei kommt es auf die Begründung des Urteils an. In allen Fällen, in dem das BVerfG nicht sagt, dass eine spezielle Regelung (bspw. nächtliche strenge Ausgangsbeschränkung) ist per se in jedweder Form mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, so kann der Bundes- oder Landesgesetzgeber diese spezielle Regelung wieder einführen - nur eben mit dem Maßstab des BVerfG. Weitere bzw. konkrete Beispiele hat @peeee schon gebracht.

Bei dieser Frage ist die entscheidende Überlegung bzw. der entscheidende Wille des Gesetzgebers, ob eine Regelung abschließend vom Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung tätig wurde. Dies ist idR nicht der Fall, wenn der Bund sog. Öffnungsklauseln für die Länder vorsieht. In § 28b V heißt es:

Weitergehende Schutzmaßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes bleiben unberührt

Auf Grundlage dieses Passus dürfen Bundesländer wie Bayern ihre strengeren Regelungen beibehalten. In Bereichen, in denen sie „lockerer“ waren, müssen die Regelungen an das strengere angepasst werden.

Da möchte ich ein Beispiel aus Bayern entgegenhalten, in dem der Bayerische Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 09.02.2021 die Anfang April 2020 geltenden Ausgangsbeschränkungen für mit der Bayerischen Verfassung vereinbar angesehen hat. Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in der Hauptsache sind zumindest noch nicht veröffentlicht. Aus anderen Bundesländern ist mir leider nicht bekannt.

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