Verfassungsklage gg Ausgangssperre? Really?

Ich bin auch etwas überrascht, dass Ulf so selbstverständlich eine Klage eingereicht hat. Der so oft von Ulf und Philip zitierte Karl Lauterbach sagt ganz klar, dass kein Land b117 ohne die zusätzliche, nicht alleinige Maßnahme, Ausgangssperre in den Griff bekommen hat. Er betont, dass die Maßnahme alleine nicht wirksam ist, aber in Kombination mit anderen Maßnahmen durchaus viel bewirkt, siehe Hamburg. Lauterbach sagt weiterhin, dass es eine Metastudie gibt, die die Gesamtheit der Ausgangssperren in ihrer Wirksamkeit zusammenfasst und zeigt, dass sie durchaus entscheidend wirken. Auch behauptet er im engen Austausch mit Innenminister Seehofer, dass die Ausgangssperre vor dem Bundesverfassungsgericht bestand haben sollte.

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Aber genau das Problem, das es dabei gibt, und das Ulf und die GfF da auch sehen, beschreibst du doch. Nach Lauterbach sind die Ausgangssperren nur wirksam in Verbindung mit anderen Maßnahmen, und genau diese anderen Maßnahmen gibt es nicht, siehe Betriebe etc.
Und vor dem Hintergrund, dass die Ausgangssperre dann vermutlich nicht einmal einen nennenswerten Effekt hat, da die verbindenden Maßnahmen fehlen, finde ich eine Klage dagegen schon gerechtfertigt.
Schließlich sollte das Grundgesetz wirklich nur nahezu komplett ausgehebelt werden, wenn es dafür auch eine gute Begründung gibt, und so ist der gute Zweck ja irgendwie nicht mehr gegeben.
Zusätzlich finde ich auch, dass es jetzt schon wieder stark dannach aus sieht, als ob alle im Tenor wären „wir haben ja jetzt Ausgangssperren, mehr können wir nicht machen“, und da wird bei mir schon wieder alles schwarz um ehrlich zu sein.

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Ich weiß, ich verlange hier eine Übertragung der juristischen Debatte ins politisch-strategische:
Aber es gibt NULL Ansatz, dass nach dem Kippen einer Ausgangsklage andere Maßnahmen greifen würden.

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Du meinst, es gibt null Aussicht, dass nach dem Kippen einer Ausgangssperre andere Maßnahen ergriffen würden? Da würde ich dir zustimmen.

Greifende Maßnahme wird es sehr wohl geben, das BVerfG wird sie - sofern es die Ausgangsbeschränkung kippt - der Politik ziemlich klar ins Heft diktieren, was sie stattdessen tun könnte um einerseits die Pandemie einzudämmen und andererseits, falls diese Maßnahmen auch scheitern, die Ausgangsbeschränkung zum wirklich letzten (und dann vielleicht sogar zulässigen) Mittel zu machen.

Wenn die Politik dann weiterhin keine Lust hat diese „Ideen“ (die Vorschläge liegen ja bereits auf dem Tisch) aufzugreifen, wird sie sich sicherlich auf das BVerfG zurückziehen. Es ist dann Aufgabe der Medien und des Wählers, dieses Verhalten entsprechend zu benennen und zu quittieren.
Verfassungswidrige Zustände hinzunehmen, weil der Regierung die verfassungsmäßigen Optionen nicht gefallen, ist jedenfalls kein Zeichen eines Rechtsstaats.

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Aber das die Politik immer noch keinen Rappel bekommt, und einfach weiter nichts macht, kann doch nicht der Grund sein, ich sage mal das wichtigste Gesetz überhaupt außer Kraft zu setzen.

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Lauterbachs Behauptung wird ja ständig wiederholt, auch von Merkel, aber ich bin mir nicht sicher ob sie stimmt. Von Dänemark zum Beispiel ist mir nichts von Ausgangssperren bekannt und es gab trotz B117 noch nicht mal eine richtige dritte Welle. Dafür sind in Dänemark ca. 60% der Infektionssettings bekannt, in Deutschland mittlerweile unter 10% - da reicht dann halt oft auch das Skalpell anstelle des Holzhammers.
Und was die Metastudie angeht: Die sagt, dass Ausgangsbeschränkungen zusammen mit anderen Maßnahmen wirken. Heißt auf Deutsch: Welcher Anteil davon genau auf sie zurückgeht, weiß man eigentlich gar nicht. Im Wesentlichen haben wir es mit Wunschdenken oder milder formuliert mit Hoffnung zu tun: Im November dachte die Leopoldina schon, wenn wir hier einen „Wellenbrecher“ machen, wird auf einmal alles wie in Irland, und seit ein paar Monaten ist Portugal jetzt das große Vorbild. Aber die Unterschiede in den Rahmenbedingungen wie Infektionsgeschehen, restliche Maßnahmen und Verhalten der Bevölkerung werden dabei fast komplett ignoriert.

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Inwiefern ist das denn eine sakrale Perspektive? Der Name kommt ja nicht von ungefähr. Und genau das ist doch der Grund, warum bei Verfassungsklagen nicht immer in richtig und falsch eingeteilt werden kann, zumindest nicht objektiv. In dem Moment, in dem eine Grundrecht gegen das Andere abgewogen werden muss, ist Argumentation das einzige Mittel, um eine Entscheidung zu treffen. Also kann man nicht sagen, dass das Gesetz eben gebrochen wird oder nicht.
Die Abwägung von den Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und die auf Freiheit des Einzelnen etc sind dann doch in diesem speziellen Fall eine nicht eindeutige Geschichte, zumindest meiner juristisch ungebildeten Meinung nach.
Mich überrascht die Haltung, als ob man es mit einer faktischen Entscheidung zu tun hätte, aber vll nehme ich das auch falsch wahr.

Joa… Finde ich auch seltsam.

Ja, ich verstehe die Argumentation, aber hey, da gibt es ECHT andere Baustellen, die man angehen könnte…

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Das sehe ich nicht zwinderweise so: Allein bis Montag waren 65 Verfassungsbeschwerden beim BVerfG anhängig, Tendenz steigend. Ob die Beschwerde der GFF da einen Unterschied macht, glaube ich nicht. Ich sehe in der Argumentation sowohl des Gutachtens als auch der Beschwerde von Profin. Mangold selbst eine sehr stringente und konsistente Begründung, die sich mit dem Ziel der GFF als Verein absolut deckt.

Ich schätze Karl Lauterbach wirklich sehr, das habe ich oft genug an verschiedenen Stellen deutlich gemacht.
Zunächst: Dass ein Innenminister seiner eigenen Regierung nicht den Dolchstoß verpassen will, indem er sagt, dass diese Maßnahme in dieser Form verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge, liegt denke ich auf der Hand. Von den meisten Verfassungsrechtlern/-innen habe ich zuletzt das Gegenteil gehört oder gelesen; die Begründungen sind einleuchtend und überzeugend. Selbst die Juristen und Juristinnen aus dem Kanzleramt kommen zu dieser Einschätzung. Lauterbach wird ja nun auch nicht die Maßnahme, die er vehement vertritt und für richtig und wichtig hält, mit juristischen Argumentationen kleinreden. An dieser Stelle ist die Juristerei nichts anderes als ein Kampf und Deutungshoheit und der Versuch, das ‚bessere‘ Argument zu finden.

Und grundsätzlich halte ich diese ganzen Vergleiche auf Länderebene für wenig aussagekräftig und wissenschaftlich nicht gut begründet, es sei denn, sie werden quasi-experimentell kontrolliert: Es wird viel zu oft monokausal argumentiert (von der Politik, tlw. in Medien): Wenn X, dann Y. Moderator- oder Mediator-Effekte werden nicht berücksichtigt, Hintergrundvariablen und Kontexte völlig ausgeblendet. Da kenne ich aber auch die konkrete Studienlage wirklich zu wenig und weiß nicht, wie dort genau vorgegangen wird.

Wir sollten uns noch einmal klarmachen, über was für eine Art von Ausgangsbeschränkung (nachfolgend: AB) wir reden: Zwischen 22 bzw. 24 und 5 Uhr morgens. Zu Zeiten also, wo ohnehin die wenigsten Menschen bei geschlossenen Kneipen, Theatern, Restaurants, Konzerthäuser, Clubs etc. unterwegs sein werden. Die im neuen IfSG vorgesehene Kontaktbeschränkung exisitert bereits, warum brauche ich dann noch Ausgangsbeschränkungen? Klar, zur Kontrolle vom Ersterem. Wenn das der Grund ist, dann brauche ich Letzteres aber nicht, weil der Eingriff unverhältnismäßig ist. Gut aufgearbeitet im FAZ-Einspruch-Podcast. Meine persönliche Erfahrung vom WE ist, dass es niemanden wirklich interessiert, weil es quasi keine Kontrollen gibt. Das ist das nächste Problem dieser Pandemie: Es finden keine systematischen Kontrollen in ganz unterschiedlichen Bereichen statt! In anderen Ländern war und ist das anders. Für Portugal weiß ich es gerade nicht, aber wenn ich eine AB in Frankreich habe, wo ab 18/19 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden und nur raus darf, wenn ich einen ‚Schein‘ habe, teilweise auch nicht, um Sport zu machen, dann ist der Effekt doch ein ganz anderer. Diese Vergleiche bringen, wenn sie auf so einer pauschalen Ebene verharren, nicht weiter.
Für Deutschland wäre das wahrscheinlich nicht umsetzbar, aber die AB würde dann was bringen, wenn ich sie auf den Tag ausweite und nur ganz wenige Ausnahmen zulasse. So ist die Maßnahme halbherzig und dazu noch schlecht begründet und widersprüchlich.

Ich kann wirklich nur empfehlen, die Gutachten von Profin. Mangold (inkl. der eigentlichen Beschwerde), den Beschluss des OVG in Lüneburg und die Sachen, die bei der GFF zu finden sind, mal zu lesen. Das wirkt auf mich in der Begründung gegen die AB sehr überzeugend.

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Meint ihr, dass Ulf privat auch von der Ausgangsbeschränkung überzeugt ist oder dass er nur sofort dagegen klagt, weil er Vorsitzender der GFF ist. Oder würde er die Ausgangsbeschränkung unter anderen Voraussetzungen bzw. mit anderen Maßnahmen sogar befürworten?

Die GFF hat Vieles in ihren FAQ erklärt:

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Wie kann es sein, dass andere Länder eine Ausgangssperre einführen können und wir Angst haben vor einem Schaden an unserer Demokratie? Ist Frankreich undemokratisch? Spanien? Kanada? Niederlande? Wie kann es ein, dass man einerseits in jeder Sendung Karl Lauterbach zitiert, sich darüber beschwert, dass die Regierung nicht auf ihn hört und dann eine seiner Kernforderungen angreift?

Ihr redet davon, dass viele Menschen sterben durch falsche Maßnahmen. Wie viele werden sterben, wenn die Ausgangssperre bald nicht mehr möglich ist? Wie viele Menschen werden in die Arme der Verschwörer und AfD getrieben, wenn jetzt schon wieder ein Gesetz zurückgenommen werden muss? Wie wahrscheinlich ist es, dass die ohne jede Frage inkompetente Regierung, nochmal einen Vorstoß wagen wird? Im Wahlkampf, in dem jeder Fehler sofort medial aufgebauscht werden wird?

Laut Studien sind 13% weniger Ansteckungen zu erwarten. Das ist nicht viel, aber dafür, dass man um diese Uhrzeit mit geschlossenen Läden, Bars und Gastro ohnehin keinen Grund hat vor die Tür zu gehen und wenn (Joggen, Hund, alleine spazieren) man genügend Freiheiten hat, dafür ist es ein winziger Einschnitt in die persönliche Freiheit. Ein Einschnitt mit dem Menschenleben gerettet worden wären.

Ich finde das sehr bedauerlich und die Argumentation zu diesem Schritt ist nicht nachvollziehbar.

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Gibt es da eine Zahl, mit der das belegt werden kann? Wenn ich mir Frankreich so ansehe, stehen die Coronatechnisch schlechter da als Deutschland, trotz der wesentlich höheren Einschränkungen und Kontrollen. Sie haben fast doppelt so viele neue Fälle als Deutschland, bei 20 Mio Einwohnern weniger.

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Da vermischst du etwas. In Verbindung mit anderen wirksamen Maßnahmen wird die AB als letztes Mittel von den beiden ja befürwortet.

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Weil es in diesen Ländern eventuell rechtlich sauber umgesetzt wurde? Weil es nach deren demokratisch festgelegten Regeln möglich ist so hart einzugreifen. Bei uns geht es eben nun mal wahrscheinlich nicht in der jetzigen Form. Wenn das Gericht zu der Bewertung kommt, dann ist es auch notwendig, dass der Fehler der Regierung korrigiert wird.

Das widerspricht sich auch nicht. Man kann Ausgangsbeschränkungen fordern, nur eben dann auch, dass sie sauber umgesetzt werden. Nur weil die Regierung, trotz erheblicher Zweifel der eigenen Expertinnen, meint es so zu machen ist es nicht legitim.

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Ich glaube, bevor dieses Argument zählt, dass die Ausgangsbeschränkung Menschen tötet, wenn sie nicht kommt, ist wirkungslos vor dem Hintergrund, dass die anderen, wirksameren Einschränkungen nicht erlassen wurden. Und auch Karl Lauterbach fordert ja nicht einfach eine Ausgangsbeschränkung. Seine Vorschläge wie man die Pandemie in den Begriff bekommt sind ja deutlich umfassender, und beschränken sich nicht nur auf diese eine Sache.
Diese Zahl der Studie ist nicht so wirklich das, was es scheint. All diese Studien differenzieren nicht genau genug, um eine wirkliche „Wirksamkeit“ der AB zu bestimmen. Diese Zahl ist also nur, wie mantrahaft jetzt von mir und vielen anderen immer wieder wiederholt, real erreichbar durch umfassende grundlegendere Maßnahmen, momentan im Besonderen im Arbeitsleben.
Der Regierung sollte außerdem sehr viel daran gelegen sein, sich noch einmal zu berappeln, denn ansonsten wird die Union signifikante Rückgänge der Zustimmung auch in den Wahlergebnissen bemerken.

Wenn man die letzten Folgen gehört hat, wurde das aus meiner Sicht deutlich…
Aber warum @vieuxrenard nicht einfach selbst fragen?

Das weiß ich nicht, der Effekt dürfte (in Deutschland) vermutlich aber ganz anders ein. Vorausgesetzt, dass effektive Kontrollen erfolgen und die Menschen sich weitgehend daran halten.
Wer sagt denn, dass die hohen Fallzahlen nicht andere Variablen bzw. Ursachen haben, die wir gar nicht kennen und in die Überlegung einbeziehen? Gerade das wollte ich ja mit meinem Mittelteil aussagen. Das reale Verhalten der Bevölkerung ist halt nur schwer bis unmöglich zu modellieren. Da hilft nur die ex post-Betrachtung.

Andere Verfassung? Grundgesetz? Verhältnismäßigkeit?

Umgekehrt gefragt: Wurden Menschenleben durch eine AB gerettet, die bisher ohnehin nicht in allen Bundesländern existierte? Führt(e) das Nicht-Vorhandensein einer AB gleich zum Tod?

Guter Punkt. Deswegen hätte es in dieser Form nie geändert werden sollen, weil die Einschätzungen im Vorfeld relativ eindeutig waren.